Chronische Myeloische Leukämie (CML)

Die EU-Kommission hat die Zulassung des Leukämie-Medikaments Glivec erweitert. Glivec darf nun unter anderem auch in Deutschland zur First-Line-Therapie von Erwachsenen und Kindern im Frühstadium der Krankheit eingesetzt werden. Die Zulassung gilt damit nun auch für die Verordnung des Medikaments an neu diagnostizierte Patienten.

Im vergangenen Dezember hatte bereits das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic die Zulassung für das Krebsmedikament erweitert. Bisher galt die Zulassung in der EU nur für die Behandlung von Patienten mit Philadelphia-Chromosom positiver CML in der Blastenkrise, der akzelerierten Phase oder in der chronischen Phase nach Versagen einer Interferon-Alpha-Therapie.
Nach der Einführung des Medikaments Glivec hat sich die Zahl der Blutstammzelltransplantationen bei chronischer myeloischer Leukämie (CML) deutlich verringert, schreibt die Ärzte Zeitung.

Inzwischen sei eine allogene Stammzelltransplantation nur noch bei Patienten indiziert, die nicht auf Glivec ansprechen oder die unter der Behandlung einen Rückfall (Rezidiv) haben, so Prof. Gerhard Ehninger vom Klinikum der TU Dresden bei einer Veranstaltung des Unternehmens Novartis in München. Bei Patienten, die jünger als 30 Jahre sind, oder bei denen sich eine CML im primären Blastenschub oder in der Akzeleration manifestiert, sei eine Transplantation ebenfalls indiziert.

Positive Ergebnisse gebe es auch bei Patienten, bei denen nach einer Transplantation molekulare oder klinische Rezidive auftraten und die dann mit Glivec behandelt wurden, berichtete Ehninger. Deshalb werde heute eine Therapie mit Imatinib einer Infusion mit Spenderlymphozyten vorgezogen. 

Quelle: Artikel in der Ärzte Zeitung vom 24.1.2003.
Das indische Unternehmen NatCo Pharmaceuticals hat angekündigt, unter dem Markennamen "Veenat" in Indien ein Medikament mit dem Wirkstoff Imatinib an den Markt zu bringen. Der von NatCo angegebene Preis soll dabei bei rund einem Achtel des Preises von importierten Medikamenten liegen.

Imatinib ist ein spezifischer Hemmstoff für die Signalübertragung bei Chronischer Myeloischer Leukämie (CML). Erst kürzlich wurde der Wirkstoff von europäischen und amerikanischen Zulassungsbehörden als Primärtherapie für CML zugelassen.

Das Medikament "Veenat" (indisches Wort für "Musik des Lebens") wird von der in Hyderabad ansässigen und auf die Produktion von Wirkstoffen und Medikamenten spezialisierten NatCo Pharamaceuticals als Eigenentwicklung bezeichnet. Das Unternehmen hat die Einreichung eines entsprechenden Patents angekündigt. Eine 100mg-Kapsel soll mit einem Preis von rund $3 nur rund ein Achtel des Preises von ähnlicher importierter Medizin ($24 pro Kapsel) kosten.

Kommentar:

Die Ankündigung von NatCo wirft einige kritische Fragen auf. So ist das von Novartis auch in Indien unter dem Markennamen Glivec vertriebene Imatinib-basierte Medikament in vielen Ländern patentgeschützt. Ob dieser Patentschutz jedoch auch in Indien besteht, ist fraglich: Indien gilt momentan noch als relativ sicherer Hafen für Pharmafirmen, die mit generischen "Raubkopien" internationaler Pharmaprodukte gegen internationale Patente verstoßen. Der Grund hierfür ist in erster Linie, dass die indische Gesetzeslage im Moment lediglich den Patentschutz von (Produktions-)Prozessen, nicht aber von Produkten zulässt. Die Angst, die florierende indische Industrie von rund 16.000 indischen Pharmafirmen mit der Einführung des in den westlichen Ländern üblichen Produktpatententschutzes existentiell zu gefährden, führt dabei zu erheblichem innenpolitischen Widerstand gegen den von der Welthandelsorganisation WTO ausgeübten Druck zur Durchsetzung internationaler Patente. 

Genährt wird dies auch durch die Preise von importierten Medikamenten, deren Preis für eine Monatsdosis oftmals das Jahreseinkommen einer Familie in den Entwicklungsländern wie Indien bei weitem übersteigt. Vielen Patienten in diesen Ländern bleibt daher aus Kostengründen eine Therapie nach aktuellem Stand der Therapie verwehrt.

Andererseits sind die Medikamentenpreise ein Resultat der Forschungsaufwände, die von der Forschungsidee bis zur Zulassung eines Krebsmedikaments anfallen: Pharmaunternehmen investieren jährlich Milliardenbeträge in die Forschung, um neue Wirkstoffe und Therapiemethoden zu finden. Vom Substanzen-Screening bis zur Zulassung eines Wirkstoffes vergehen durchschnittlich 8 bis 11 Jahre; dabei entstehen pro Wirkstoff rund 800-900 Millionen US-Dollar Kosten. Ohne diese Investitionen in die Forschung wären noch heute viele agressive Krankheiten wie Leukämie kaum behandelbar. Pharmafirmen, die Produkte einfach kopieren, tragen nichts zu dieser Forschung bei bzw. schädigen die forschenden Unternehmen.

Recherchequellen:
Die schnellen diagnostischen und therapeutischen Fortschritte in Bezug auf chronische myeloische Leukämie (CML) in den letzten 10 Jahren haben zu einer zunehmenden Komplexizität der Behandlung von CML-Patienten geführt. Betroffene stehen daher oftmals vor der schwierigen Wahl, sich zwischen Glivec, Interferon Alpha oder einer allogenen Stammzelltransplantation zu entscheiden - oder gar einer Kombination oder Variante dieser Optionen. Auch eine Teilnahme an einer Studie sollte vom Patienten vor Beginn einer Therapie ernsthaft bedacht werden.

In den vergangenen Jahren hat sich die Standardtherapie der CML stark verändert. Jede der heute möglichen Therapieoptionen hat unterschiedliche Erfolgswahrscheinlichkeiten, Ungewissheiten und Nebenwirkungsprofile. Betroffenen ist daher zum Zeitpunkt der Diagnose zu empfehlen, die relativen Vor- und Nachteile der einzelnen Therapieoptionen mit Experten, die sich auf das Gebiet der CML-Therapie spezialisiert haben, zu besprechen. Diese können dann eine auf der aktuellsten Datenlage beruhende Therapiestrategie unter Berücksichtigung des individuellen Risikoprofils entwickeln.

Aktuell in der Praxis und in fortgeschrittenen Studien verwendete Therapiebausteine sind Imatinib (Glivec), Interferon alpha in der konventionellen (Roferon A oder Intron A) oder pegylierten Form ("Langzeit-Interferon-Alpha" wie Pegasys oder PEG-Intron), und die allogene Stammzelltransplantation. Die Abfolge verschiedener Therapien und gegebenenfalls auch Kombinationen sollte in einem individuellen ausführlichen Gespräch mit dem CML-Experten diskutiert werden. Langzeitergebnisse (von mehr als sieben Jahren) sind bisher leider nur für die allogene Stammzelltransplantation und die Interferon-Therapie bekannt. Trotz sehr guter anfänglicher Ansprechraten liegen langfristige Überlebensdaten einer Therapie mit Glivec bisher noch nicht vor; der Beobachtungszeitraum im Rahmen von Studien liegt hierbei erst bei rund zwei Jahren.

Oftmals besteht für den Patienten auch die Möglichkeit der Teilnahme an einer Studie. Die Studien ermöglichen der aktuellen Forschung, nach wiederholbaren Erfolgen einer zukünftigen Therapie zu suchen, die mehr Menschen wirksamer und verläßlicher hilft als die aktuelle Standardtherapie. Dabei erhält der einzelne Patient ein risikoorientiertes Therapiemanagement unter standardisierten hämatologischen, zytogenetischen und molekularbiologischen Kontrollen. Diese Kontrollen sind im Rahmen von Studien oftmals intensiver, als es bei der rein individuellen Therapie unter dem auf den Krankenkassen lastenden Kostendruck möglich wäre. Eine Therapiestudie darf in Deutschland nur nach Zustimmung einer Ethikkommission, die die Ziele streng auf deutliches Verbessrungspotential gegenüber der Standardtherapie überprüft, durchgeführt werden.

Für neu diagnostizierte, nicht vorbehandelte oder mit Hydroxyurea (Litalir oder Syrea) vorbehandelte, CML-Patienten steht in Deutschland momentan die Teilnahme an der "CML-Studie IV" offen, die die Therapiearme Glivec-Monotherapie, Interferon-Alpha-Monotherapie, Glivec mit niedrigdosiertem Interferon-Alpha, Glivec mit niedrigdosiertem Ara-C gegenüberstellt. Hochrisikopatienten werden dabei nur auf die Imatinib-Zweige randomisiert; eine allogene Stammzelltransplantation wird bei diesen Patienten und bei jungen Patienten unter 20 Jahren bei Vorhandensein eines Spenders baldmöglichst, bei allen anderen Patienten bei mangelhaftem Ansprechen auf Glivec empfohlen. Seit Start der Studie im Juli 2002 haben sich 160 Patienten - und damit 10% der in einem Zeitraum von vier bis fünf Jahren geplanten Teilnehmerzahl - an verschiedenen CML-Zentren in Deutschland zur Teilnahme an dieser Studie entschlossen.

Weitere CML-Studien mit anderen Varianten sind zur Zeit in Vorbereitung und liegen der Ethikkommission zur Bewertung vor.

Zusammenfassung

Die hohe Komplexizität der verschiedenen CML-Therapie-Möglichkeiten erfordert, mit einem CML-Experten mögliche Therapieoptionen und darauf folgende Alternativen zu diskutieren und von diesem eine konsequente hämatologische, zytogenetische und molekulare Kontrolle und Bewertung der Ergebnisse durchführen zu lassen. Die Therapie der CML ist dabei meist gut in der niedergelassenen internistischen oder hämatologischen Praxis durchführbar. Eine Vorstellung in einem hämatologischen Zentrum mit spezialisierten CML-Experten ist zur Planung der langfristigen Therapiestrategie dennoch anzuraten.

Kontakt

Auskünfte zur Diagnostik und Therapie der CML und zu aktuellen Studien sind
erhältlich über die
CML-Studienzentrale
III. Medizinische Universitätsklinik
Fakultät für Klinische Medizin Mannheim der Universität Heidelberg
Wiesbadener Strasse 7-11
68305 Mannheim
Tel.: 0621 383 4168
Fax: 0621 383 4239
e-mail: 
Web: http://www.ma.uni-heidelberg.de/inst/med3/cmlstudi.html

Weitere Links
Am 13. März wurden im New England Journal of Medicine die 18-Monats-Daten der IRIS-Studie veröffentlicht. In der IRIS-Studie (Internationale Randomisierte Studie mit Interferon im Vergleich zu STI571) wird Glivec und eine konventionelle Interferon-Alpha-Therapie (in Kombination mit AraC) bei 1106 CML-Patienten in 16 Ländern direkt verglichen. Kriterien der Bewertung waren hierbei hämatologisches und zytogenetisches Ansprechen, Nebenwirkungen und Progressionsraten. Mit den nun veröffentlichten Daten liegen nun neuere Erkenntnisse der Studie vor, deren 12-Monats-Ergebnisse Ende des vergangenen Jahres zur Entscheidung über die Zulassung von Glivec als First-Line-Therapie geführt hatten.

Die vorliegenden Daten belegen, dass die 553 mit Glivec behandelten Patienten im bisherigen Beobachtungszeitraum ein signifikant besseres zytogenetisches Ansprechen und eine erheblich bessere Prognose als die 553 zunächst mit einer konventionellen Interferon-Kombination (IFN/AraC) behandelten Patienten haben. 

Teilnahmevoraussetzungen für die Studie war ein Alter zwischen 18 und 70 Jahren bei Vorhandensein einer Philadelphia-Chromosom-positiven CML in chronischer Phase. Die Diagnose durfte maximal 6 Monate zurückliegen und es durfte keine Vorbehandlung außer mit Hydroxyurea (Litalir/Syrea) oder Anagrelide stattgefunden haben. Die Zuteilung zu den jeweiligen Armen erfolgte zwischen Juni 2000 und Januar 2001 nach dem Zufallsprinzip (Randomisierung). Ein Wechsel (Cross-Over) in die jeweils andere Gruppe ist bei Therapieversagen oder Unverträglichkeit möglich. Der geplante durchschnittliche Beobachtungszeitraum der IRIS-Studie soll 5,25 Jahre betragen.

Bei 73,8% der initial mit Glivec behandelten Patienten wurde nach 18 Monaten eine vollständige zytogenetische Remission dokumentiert, während dies unter Interferon 8,5% der Patienten erreichten. Ein größeres zytogenetisches Ansprechen (bis zu 35% Philadelphia-Chromosom-positive Zellen) wurde unter Glivec in 85,2% der Fälle dokumentiert, in der Interferon-Gruppe bei 22,1%. Nach 18 Monaten waren 92,1% der Patienten unter Glivec und 73,5% der Patienten unter IFN/AraC progressionsfrei, d.h. ohne Übergang in fortgeschrittene CML-Stadien, Tod, Verlust von größerem zytogenetischen Ansprechen oder komplettem hämatologischen Ansprechen. In allen Risikogruppen nach dem Sokal-Score war damit Glivec der Interferon-Kombinationstherapie überlegen.

Durchschnittlich wurden den Glivec-Patienten 400mg täglich verabreicht. Die IFN/AraC-Patienten erhielten durchschnittlich täglich 4,8 Mio Einheiten Interferon (0,6 ME bis 11,3 ME); 28,8% der Patienten in der Interferon-Kombinationsgruppe erhielten niemals AraC. Patienten, die unter Glivec nicht innerhalb der ersten 3 Monaten ein komplettes hämatologisches Ansprechen oder innerhalb von 12 Monaten zumindest ein kleineres zytogenetisches Ansprechen (36% bis 65% Ph-positive Zellen) erreichten, konnte die Dosis bei Abwesenheit entsprechender Nebenwirkungen auf zweimal 400mg täglich erhöht werden. Für IFN+AraC-Patienten, die diese Ziele nicht erreichten, wurde bei bei Gabe der maximal tolerierbaren Dosis Interferon eine Erhöhung der AraC-Dosis durchgeführt. 

Gleichzeitig bewerteten die von IFN/AraC auf Glivec gewechselten Patienten wie auch die Interferon-Patienten ihre Lebensqualität erheblich besser als unter der Interferon-Therapie. Die Nebenwirkungen unter Glivec-Therapie waren meist mild (Grad 1) oder moderat (Grad 2), darunter häufigst Ödeme, Übelkeit, Muskelkrämpfe und Hautausschläge. Nur selten traten in dieser Gruppe schwere Nebenwirkungen (Grad 3/4) auf. Bei der IFN/AraC-Kombination waren diese häufiger: Ermüdung, Depressionen, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen, Neutropenie und Thrombozytopenie. Insgesamt 14,3% der Glivec-Patienten und 89,2% der IFN/AraC-Patienten brachen die Behandlung ab oder wechselten in den jeweils anderen Therapiearm (Cross-Over), d.h. nach 18 Monaten wurden nur noch 10,8% der Patienten mit der IFN/AraC-Kombinationstherapie behandelt. 4,7% der Patienten in der Studie führten nach anfänglicher Studienteilnahme eine Transplantation durch; die geringe Zahl von Patienten läßt aber keine Rückschlüsse auf die Erfolgchancen einer Transplantation nach Glivec zu.

Die Studie soll für mindestens fünf Jahre fortgeführt werden und wird folglich ermöglichen, langfristig die Verträglichkeit und Dauerhaftigkeit der Glivec-Therapie festzustellen. Aufgrund der hohen Rate kompletten zytogenetischen Ansprechens und dem frühem Nachweis einer Verzögerung des Fortschreitens der Krankheit in die akzelerierte Phase oder Blastenkrise glauben die Autoren der Studie bereits heute, dass die Therapie mit Glivec das langfristige Überleben erheblich verbessern könnte. Zudem vergleichen laufende und kommende Studien verschiedene Dosierungen einer Glivec-Monotherapie mit einer Kombination von Glivec mit anderen Wirkstoffen.

Übersetzung & Zusammenfassung aus dem Englischen von Jan

Quelle: New England Journal of Medicine 348;11 vom 13.3.2003, S. 994ff: 'Imatinib Compared with Interferon and Low-Dose Cytarabine for Newly Diagnosed Chronic-Phase Chronic Myeloid Leukemia', Autoren: Stephen G.O'Brien, M.D.,Ph.D., François Guilhot, M.D.,Richard A.Larson,M.D., Insa Gathmann, M.Sc., Michele Baccarani, M.D., Francisco Cervantes,M.D., Jan J.Cornelissen,M.D., Thomas Fischer,M.D., Andreas Hochhaus,M.D., Timothy Hughes,M.D., Klaus Lechner,M.D., Johan L.Nielsen,M.D., Philippe Rousselot,M.D., Josy Reiffers,M.D., Giuseppe Saglio,M.D., John Shepherd,M.D., Bengt Simonsson,M.D., Alois Gratwohl,M.D., John M.Goldman,D.M., Hagop Kantarjian,M.D., Kerry Taylor,M.D., Gregor Verhoef,M.D., Ann E.Bolton,B.Sc.N., Renaud Capdeville,M.D. und Brian J.Druker,M.D.

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