Funktionsweise

Stammzellen des Knochenmarks haben die Fähigkeit, sich in alle Zellen des Blutes zu entwickeln (auszureifen). Diese Eigenschaft macht man sich bei der Stammzelltransplantation zunutze. Voraussetzung ist, dass zunächst die Zahl der Leukämiezellen durch eine konventionelle Chemotherapie reduziert und eine Remission erreicht wird.

Die Transplantation von aus dem Knochenmark oder Blut gewonnenen Stammzellen zielt darauf ab, krankes, nicht mehr funktionsfähiges Knochenmark durch gesundes zu ersetzen. Anders als der Name es vermuten lässt, handelt es sich hierbei nicht um eine Operation.

Nach der Vernichtung der Knochenmarkzellen durch intensive Bestrahung oder Chemotherapie werden die Spenderzellen, aus Fremd- oder Eigenspende, in den Körper eingebracht. Sie sollen sich in den Knochen wieder ansiedeln und sich vermehren. Bis das Knochenmark sich wieder vollständig bildet, dauert es mehrere Monate.

Arten der Transplantation

Die Stammzellenübertragung von einem Menschen auf den anderen nennt man "allogen", erhält der Patient seine eigenen Stammzellen zurück, nennt man sie "autolog". Bei der Leukämie wird, da auch die während einer Remission konservierten Stammzellen eines Patienten noch einige kranken Zellen enthalten können, bei Verfügbarkeit eines kompatiblen Fremdspenders bevorzugt eine allogene Transplantation durchgeführt.

Allogene Transplantation

Bei der allogenen Knochenmarktransplantation wird dem Patienten im Anschluss an eine Hochdosistherapie das Knochenmark von einem geeigneten Spender durch eine Infusion übertragen. Die Stammzellen der Blutbildung beginnen, neue funktionstüchtige Blutzellen zu bilden.

Die Stammzellspende kann hierbei von einem Familienmitglied oder einem Fremdspender bereitgestellt werden. Bei Geschwistern ist die Wahrscheinlichkeit, dass unter ihnen ein passender Spender gefunden wird, etwa 25%. Kann ein hochgradig kompatibler Familienspender unter ihnen gefunden werden, ist die Transplantation mit einer Geschwisterspende Therapie der Wahl.

Gibt es in der Familie des Patienten keinen geeigneten Spender, wird in den nationalen und internationalen Knochenmarkspenderregistern gesucht. Diese weltweite Suche führt in über 50% der Fälle zum Erfolg.

Entscheidend für den Erfolg der allogenen Transplantation ist die Gewebeverträglichkeit zwischen Spender und Empfänger. Denn wenn die mit übertragenen Abwehrzellen des Spenders die Gewebemerkmale des Empfängers als "fremd" erkennen, bekämpfen sie den Organismus des Empfängers, und es kommt nach der Transplantation zu immunologischen Abwehrreaktionen (Graft versus Host Reaktion). Im geringen Maße ist diese Reaktion gewünscht, da das vom Spender neugebildete Immunsystem die restlicher Leukämiezellen des Transplantationsempfängers bekämpft.

Bei starker Graft versus Host Reaktion kann jedoch eine chronische Krankheit (Graft versus Host Disease) entstehen, die durch die ständige Immunreaktion gegen den eigenen Körper Schädigungen hervorruft, neben der Haut vor allem in Leber und Darm. Das Abwehrsystem ist zudem geschwächt und resultiert in einer Zunahme von Infektionen.

Autologe Transplantation

Bei der autologen Transplantation ist der Patient sein eigener Spender. Mit einer ersten Chemotherapie werden die Leukämiezellen im Körper vernichtet. Dem Patienten werden Stammzellen aus Blut oder Knochenmark entnommen und nach einer zweiten hochdosierten Chemotherapie, die das restliche Knochenmark im Körper zerstört, zurück übertragen. Ein Vorteil dieser Methode liegt darin, dass keine Abwehrreaktionen gegen den Empfänger auftreten können und die Blutbildung schneller wieder in Gang kommt. Ein Nachteil ist die mögliche Mitübertragung restlicher Leukämiezellen mit der Rückgabe der Stammzellen. Um dieses Risiko möglichst gering zu halten, versucht man, die entnommenen Zellen vorher mit verschiedenen Methoden zu "reinigen".

Periphere Blutstammzell- vs. Knochenmarkstransplantation

Die Stammzellen können entweder aus dem Knochenmark, dem Ort ihrer Entstehung, oder aus der Blutbahn gewonnen werden. Im ersten Fall nennt man das Verfahren ihrer Übertragung Knochenmarktransplantation, im zweiten periphere Stammzellentransplantation.

Die Übertragung von Knochenmark-Stammzellen eines passenden Spenders ist das ältere der beiden Verfahren, das bereits in den 80er Jahren entwickelt und zunächst bei Leukämien eingesetzt wurde. Zur Gewinnung von Stammzellen aus dem Knochenmark wird dem Patienten selbst oder einem anderen Spender unter Narkose durch mehrere Einstiche in beide Beckenknochen etwa ein Liter Knochenmarkblut entnommen. Diese Menge ist notwendig, um eine ausreichende Zahl von blutbildenden Stammzellen für den Wiederaufbau der Blutbildung zu erhalten. Abgesehen vom allgemeinen Narkoserisiko ist die Knochenmarkentnahme ungefährlich.

Periphere Blutstammzellen werden nicht aus dem Knochenmark, sondern aus dem Blut des Körperkreislaufs gewonnen, wo sie in geringerer Zahl ebenfalls vorhanden sind. Durch Gabe des hämatopoetischen Wachstumsfaktors (Wachstumsfaktoren der Blutbildung) G-CSF können sie zum vermehrten Übertritt aus dem Knochenmark in die Blutbahn angeregt werden. Ist der Patient sein eigener Spender (autologe Stammzellentransplantation), nutzt man zusätzlich den Effekt, daß in der Erholungszeit unmittelbar nach einer Chemotherapie Stammzellen in größerer Zahl in der Blutbahn auftreten. Nach dieser "Mobilisierungsphase" können durch spezielle Zellauftrennungsverfahren gezielt weiße Blutzellen aus dem Blut entnommen werden. Unter ihnen sind auch die gesuchten Stammzellen. Nach Entnahme der Blutstammzellen, egal ob aus dem Knochenmark oder aus der Blutbahn, werden sie bis zu ihrer Rückgabe nach der intensiven Chemotherapie bei minus 196°C tiefgefroren. Es hat sich gezeigt, daß die Blutbildung, speziell die Bildung von Blutplättchen, nach Übertragung einer ausreichenden Zahl peripherer Blutstammzellen schneller wieder in Gang kommt als bei der Knochenmarkstransplantation. Es kann daher schneller zu einer Erholung des Patienten aus der kritischen Phase nach der Transplantation kommen.

Chancen und Risiken

Stammzelltransplantationen werden nur in spezialisierten Kliniken mit besonderer Ausstattung durchgeführt. Die Ergebnisse der allogenen Knochenmarktransplantation bzw. Stammzelltransplantation sind in den letzten Jahren kontinuierlich verbessert worden. Die Stammzell- oder Knochenmarktransplantation ist trotz der, in den letzten Jahren erreichten, signifikanten Fortschritte der konservativen Therapie für die meisten Leukämiearten die bisher einzige Therapieoption mit der Chance auf Heilung. Für die Heilungschancen gilt hierbei: Je früher der Krebs erkannt wird, desto besser. Der Krankheitsverlauf und die Heilungsaussichten hängen jedoch zusätzlich von verschiedensten Faktoren ab, z.B.
  • Art der Leukämie
  • Stadium der Erkrankung
  • Alter und Gesundheitszustand des Patienten
  • Vor- und Begleiterkrankungen (z.B. CMV Cytomegaloviren)
  • Prognosefaktoren, z.B.
  • Chromosomenveränderungen der Leukämiezellen (die für das Rückfallrisiko eine wichtige Rolle spielen)
  • Qualität der Behandlung

Trotzdem befinden sich Arzt und Patient bei der Entscheidungsfindung weiterhin in einem großen Dilemma, denn der Chance der Heilung steht ein substantielles Risiko an transplantationsbedingter Mortalität (Sterblichkeit) und Folgeerkrankungen gegenüber. Die Entscheidung ob - und wenn ja in welcher Art - eine Stammzelltransplantation in Frage kommt, ist daher für beide Seiten eine sehr schwierige.

Eine transplantationsbedingte Sterblichkeit ist durch die völlige Abwesenheit des Immunsystems und dadurch lebensbedrohlichen Gefahr von Infektionen in der kritischen Phase der Transplantation verhältnismäßig hoch. Neben dem behandlungsbedingten Sterblichkeitsrisiko birgt die Transplantation auch bei erfolgreichem Verlauf Risiken. Nach einer Transplantation ist das Infektionsrisiko aufgrund des sich nur langsam erholenden Immunsystems groß. Zur Vorbeugung können jedoch Antimykotika (gegen Pilze) und Antbiotika (gegen Bakterien) verabreicht werden. Aber auch lange Zeit nach einer Transplantation kann es - insbesondere bei einer Fremdspender-Transplantation - zu immer wiederkehrenden Problemen oder chronischen Erkrankungen wie der Spender-gegen-Wirt-Krankheit (Graft-versus-Host-Disease, GvHD) mit Schäden bei Haut, Leber, Darm und Augen kommen.

Ausblick

In den letzten Jahren wurden neue Verfahren zur allogenen Stammzelltransplantation in klinischen Studien getestet. Dies betrifft insbesondere die der Verminderung der übertragenen T-Leukozyten (T-Zell-Depletion) und die Modifikation der Konditionierungstherapie. Entstanden sind so Transplantationskonzepte mit dosisreduzierter Vorbehandlung ("Konditionierung"), die häufig (fälschlicherweise) als Minitransplantation bezeichnet werden. Der Stellenwert dieser Transplantationstechniken im Vergleich zur konventionellen Technik ist zur Zeit Gegenstand einer Reihe von klinischen Studien.

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