Chronische Myeloische Leukämie (CML)

Die Pharmazeutische Zeitung hat Novartis Pharma ihren diesjährigen Innovationspreis für das Medikament Glivec verliehen.

Der Chefredakteur der Pharmazeutischen Zeitung, Prof. Dr. Hartmut Morck, überreichte die Auszeichnung am 12.10.2002 im Rahmen der Expopharm in Berlin an Novartis Pharma. 

Mit Imatinib sei in der Therapie der Leukämie ein Durchbruch gelungen, begründete Morck die Auswahl in einer Pressekonferenz im Anschluss an die Preisverleihung. Die Jury habe sich nach intensiver Prüfung der Ergebnisse klinischer Studien sowie der Wertung des Therapieansatzes und des innovativen Wirkungsmechanismus für Imatinib entschieden. 

In diesem Jahr musste die Jury unter Leitung des Heidelberger Pharmakologen Professor Dr. Ulrich Schwabe insgesamt 26 Arzneistoffe aus 13 verschiedenen Indikationsgebieten unter die Lupe nehmen, darunter sechs neue Zytostatika, fünf Antibiotika und drei Antirheumatika. In die engere Wahl kamen laut Morck immerhin zehn Wirkstoffe. Unter diesen echten Innovationen hätten sich alleine vier Zytostatika befunden. Imatinib ist der erste therapeutisch nutzbare Tyrosinkinase-Hemmer. Das maßgeschneiderte Therapeutikum blockiert gezielt eine Gruppe von Enzymen, die unter anderem die unkontrollierte Produktion entarteter Leukozyten bei der chronischen myeloischen Leukämie (CML) katalysiert. 

Quelle: Pharmazeutische Zeitung vom 14.10.2002.
Die Fa. Genta Inc. gab am 2.10.2002 die Einleitung einer neuen klinischen Studie in Zusammenarbeit mit der Fa. Aventis bekannt, die der Untersuchung einer Kombinationstherapie mit dem Krebsarzneimittel Genasense und Glivec (Wirkstoff Imatinibmesylat; von Novartis) bei Patienten mit chronischer myeloischer Leukämie (CML) dient.

Die Studie wird an mehreren Studienzentren unter der Leitung der Cancer and Leukemia Group B (CALGB), einer US-amerikanischen Studienkooperation, durchgeführt und im Zuge einer von der Fa. Genta getroffenen Vereinbarung über gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsarbeiten (Cooperative Research and Development Agreement, CRADA) vom Nationalen Krebsinstitut der USA (U.S. National Cancer Institute) finanziert. 

Im Jahr 2001 wurde Glivec für die Behandlung von CML zugelassen. Zwar wurde bei vielen Patienten ein frühzeitiges Ansprechen auf die Behandlung festgestellt (Frühantwort), doch stellte sich bei manchen Patienten mit der Zeit eine Resistenzbildung gegen die Glivec-Behandlung – mit nachfolgendem Wiederauftreten der Leukämie – als klinisches Problem heraus. Zu Beginn dieses Jahres wurden in einem Beitrag für das Jahrestreffen der Amerikanischen Krebsforschungsvereinigung (American Association of Cancer Research, AACR) gezeigt, dass die Entwicklung einer Glivec-Resistenz durch eine gleichzeitige Verabreichung von Genasense rückgängig gemacht werden kann. In Kombinationsbehandlung bewirkten diese beiden Arzneimittel ein eindrucksvolles Maß an Apoptose (programmierter Zelltod) bei Leukämiezellen und verlängerten die Überlebenszeit in einem präklinischen Tiermodell für CML. Die neue Studie dient der Bewertung der Sicherheit und der Wirksamkeit dieser Arzneimittelkombination bei Patienten mit klinischer Entwicklung einer Glivec-Resistenz

"In den früheren Studien hat sich herausgestellt, dass die Patienten, die mit der Anfangstherapie keine vollständige zytogenetische Remission erreichten, einem hohen Risiko für eine Progression der Krankheit unterliegen," erklärt Dr. Meir Wetzler, Associate Professor für Medizin am Roswell Park Cancer Institute in Buffalo im US-Bundesstaat New York. "Wir hoffen, die Resistenzentwicklung durch die Behandlung der Patienten mit Genasense rückgängig machen zu können und dadurch einen langfristigen klinischen Nutzeffekt für die Patienten zu erreichen."
"Die rasche Umsetzung der präklinischen Erkenntnisse in der klinischen Praxis ist ein spannender und wichtiger Schritt für die zukünftige medizinische Versorgung der Patienten mit diesem verheerenden medizinischen Problem," laut Frau Dr. Loretta M. Itri, die als Chief Medical Officer bei der Fa. Genta für die Leitung der medizinischen Abteilung verantwortlich ist. "Es ist nur unserer guten Partnerschaft mit dem NCI und den in der CALGB-Gruppe vereinigten Prüfärzten des NCI zu verdanken, dass diese Arzneimittelkombination schon so schnell nach dem Erhalt der ersten präklinischen Berichte in die Klinik weitergeleitet wurde. Es würde einen wichtigen Schritt nach vorne bedeuten, wenn wir die Resistenzentwicklung bei dieser Krankheit rückgängig machen oder von vorn herein verhindern könnten. 


Die Chronische Myeloische Leukämie (CML)

Die CML ist für ungefähr 20% aller Leukämiefälle bei Erwachsenen verantwortlich. CML entsteht, wenn von zwei verschiedenen Chromosomen jeweils ein Stück abbricht und am anderen Chromosom wieder befestigt wird und auf diese Weise das sogenannte "Philadelphia-Chromosom" entsteht. Dieser chromosomale Translokation genannte Vorgang führt dazu, dass ein Enzym (es handelt sich um eine sogenannte Tyrosinkinase) mit einer abnormen Struktur und Funktion in der Zelle auf Dauer "angeschaltet" bleibt. Als Folge kann es zur Entwicklung von lebensgefährlich hohen Spiegeln von reifen und unreifen weißen Blutzellen im Knochenmark und im Blut kommen. Glivec ist eine wirkungsvolle Hemmsubstanz (Inhibitor) bei mehreren Tyrosinkinasen und hat bei einem großen Anteil der CML-Patienten zu einer Remission der Krankheit geführt. 


Das Arzneimittel Genasense

Die Wirkung von Genasense besteht aus einer Hemmung der Produktion von Bcl-2, einem von Krebszellen produzierten Protein (Eiweiß), das das durch die Chemotherapie induzierte Absterben der Zellen verhindern kann. Durch die Senkung der Bcl-2-Spiegel in Krebszellen könnte Genasense die Wirksamkeit der zur Zeit verfügbaren krebsbekämpfenden Behandlungen, z.B. Glivec, fördern. 


Die Gruppe CALGB

Die Cancer and Leukemia Group B (CALGB) ist eine nationale klinische Forschungsgruppe in den USA, die vom National Cancer Institute ihre finanzielle Unterstützung erhält. Das Hauptbüro der Gruppe ist an der Universität von Chicago beheimatet, das Statistische Zentrum an der Duke Universität. Die CALGB wurde im Jahr 1955 mit dem Ziel gegründet, klinische Onkologen und Laborforscher zur Entwicklung von besseren Behandlungsmöglichkeiten für Krebskrankheiten zusammen zu bringen. Seit ihrer Gründung hat sich die CALGB zu einem nationalen Netzwerk von 29 Universitätskrankenhäusern, mehr als 185 Gemeinde- und städtischen Krankenhäusern und rund 3000 Ärzten entwickelt, die gemeinsam klinische Forschungsstudien mit dem Ziel durchführen, die Morbidität und die Mortalität von Krebserkrankungen zu senken, die Korrelationen zwischen den biologischen Eigenschaften von Krebserkrankungen und deren klinischen Folgen abzuklären und neue Strategien für die Krebsfrüherkennung und –vorbeugung zu entwickeln. Das Hauptaugenmerk der Forschungsarbeiten der CALGB richtet sich auf die folgenden 7 Bereiche: Leukämie, Lymphome, Melanome und Karzinome der Brust, Lungen, des Gastrointestinaltrakts sowie des Urogenitaltrakts. 


Die Fa. Genta

Die Fa. Genta Incorporated ist ein Biopharmaunternehmen mit einem diversifizierten Produktspektrum für die Krebstherapie. Die Forschungsarbeiten des Unternehmens sind in der Oligonukleotidchemie verankert und richten sich insbesondere auf Anwendungen der Antisense- und Decoy-Aptamer-Technologie. Die Entwicklung der wichtigsten Verbindung des Unternehmens, Genasense, wird in Zusammenarbeit mit der Fa. Aventis durchgeführt und ist inzwischen für mehrere klinische Indikationen bis in die Spätstadien der klinischen Prüfungsphase 3 fortgeschritten. Die Produktpipeline der Fa. Genta enthält außerdem eine Reihe von Kleinmolekülen, u.a. Gallium-enthaltende Verbindungen, sowie androgene Verbindungen zur Prostatakrebsbehandlung. 


Quelle: Unternehmensmitteilung der Genta Incorporated: Artikel auf PR Newswire (englisch)
Wenn CML-Patienten hämatologisch gut auf die empfohlene Dosis von Glivec ansprechen, sollte die Dosis nicht reduziert werden. Ausserdem sei zur Vermeidung von Resistenzen eine Minimaldosis von 300mg/Tag nötig, schreibt die Ärzte Zeitung am 13.11.2002.

Eine Dosisreduktion oder eine Unterbrechung der Therapie könne jedoch erforderlich werden, wenn unerwünschte Wirkungen auftreten, so Privatdozent Dr. Andreas Hochhaus vom Universitätsklinikum Heidelberg/Mannheim.

Dabei sollte jedoch eine Minimaldosis von 300mg pro Tag auf Dauer nicht unterschritten werden. Die empfohlene Dosis von Imatinib für Patienten in der chronischen Phase betrage 400mg und in der fortgeschrittenen Phase 600mg pro Tag, so Hochhaus bei einer Veranstaltung des Unternehmens Novartis in München.

Mit Glivec seien hämatologische Ansprechraten von 95% und zytogenetische Remissionsraten von 60% bei CML-Patienten möglich, so die Ergebnisse von Phase-II-Studien bei Patienten in der chronischen Phase, die auf Interferon-alpha unzureichend ansprachen oder die eine Interferon-Unverträglichkeit hatten. 

Bei neu diagnostizierten CML-Patienten, die erstmals mit Glivec behandelt wurden, seien bei 83% zytogenetische Remissionen erreicht worden, davon 68% komplett. Damit seien die Ansprechraten mit Imatinib (Glivec) deutlich besser als bei anderen Therapien, so Hochhaus.

Eine primäre Resistenz auf Imatinib werde vor allem in der Blastenkrise beobachtet. Sekundäre Resistenzen könnten in allen Krankheitsphasen auftreten. Eine Dosiserhöhung oder Kombination mit synergistisch wirksamen Medikamenten wie Ara-C oder Interferon-alpha könnten sekundäre Resistenzen vermeiden oder überwinden helfen, erläuterte Hochhaus.

Quelle: Ärzte Zeitung vom 13.11.2002
Auf der Jahrestagung der amerikanischen Gesellschaft für Hämatologie (ASH) werden die Ergebnisse einer in Mannheim durchgeführten Studie, die Glivec mit Interferon kombiniert, vorgestellt. Das Hauptziel der Studie war die Bestimmung der Sicherheit und Verträglichkeit der Kombination. 68% der Patienten erreichten hierbei ein bedeutsames zytogenetisches Ansprechen.

(Übersetzung aus dem Englischen)

Imatinib (Glivec®) und PEG-Interferon a2a (Pegasys®) Phase I/II Kombinationsstudie in der chronischen Phase der Chronischen Myeloischen Leukämie (CML)

Andreas Hochhaus, Thomas Fischer, Tim H. Brümmendorf, Claudia Schoch, Martin C. Müller, Kirsten Merx, Tilman Bostel, Ute Berger, Maria-Theresia Rose, Harald Gschaidmeier, Rüdiger Hehlmann. III.Med.Klinik, Klinikum Mannheim der Universität Heidelberg, Mannheim, Germany; Med.Klinik III der Universität, Mainz, Germany; Med.Klinik II der Universität, Tübingen, Germany; Med.Klinik III, Klinikum Grosshadern der Universität, München, Germany; Hoffmann La Roche AG, Grenzach- Wyhlen, Germany; Novartis Pharma GmbH, Nürnberg, Germany

Interferon a (IFN) und Imatinib sind wirksam in der Behandlung der CML; synergistische Effekte beider Präparate wurden in vitro gezeigt. Imatinib hemmt selektiv die Proliferation von BCR-ABL-positiven Zellen. IFN hat sowohl antiproliferative als auch immunmodulierende Eigenschaften. Das Anhängen eines 40 kDa verzweigten Polyethylenglycolmoleküls an IFN a2a resultiert in einem neuen IFN mit verzögerter Absorption und verlängerter Halbwertszeit, welches einmal wöchentlich verabreicht werden kann. Zur Bestimmung der Verträglichkeit und Wirksamkeit einer Kombinationstherapie mit Imatinib and pegyliertem IFN a2a (PEG-IFN, Pegasys) wurde eine Phase I/II Studie mit 32 Philadelphia Chromosom positiven Patienten mit CML in der chronischen Phase durchgeführt (Pat., 22 m, 10 w; Alter im Median 41, Spanne 21-70 Jahre), rekrutiert innerhalb von 6-355 Tagen (Median 82) nach Diagnose. 21 Pat (62%) hatten ein geringes Risiko entsprechend dem IFN-Score.
Das Hauptziel war die Bestimmung der Sicherheit und Verträglichkeit von PEG-IFN (subkutan) einmal wöchentlich, kombiniert mit Imatinib (oral) einmal täglich. Sekundäre Ziele waren die Exploration der hämatologischen, zytogenetischen, und molekularen Ansprechraten. Nach einer zweiwöchigen Monotherapie mit Imatinib wurde mit PEG-IFN kombiniert und dies einmal wöchentlich über 8 Wochen gegeben. Die Dosis wurde bei toxischen Erscheinungen nach einem vorher festgelegten Schema adjustiert.
Die Kohorten setzten sich zusammen aus
  1. 400 mg Imatinib +90 mg PEG-IFN (n=7)
  2. 400 mg Imatinib +180 mg PEG-IFN (n=6);
  3. 300 mg Imatinib +90 mg PEG-IFN (n=4);
  4. 300 mg Imatinib +180 mg PEG-IFN (n=8).
  5. Monotherapie mit 400 mg Imatinib über 6 Wochen, 300 mg ab Tag 43 kombiniert mit 180 mg PEG-IFN über 8 Wochen.
Wirksamkeit:
Innerhalb der Studienperiode von 10 Wochen (Kohorten 1-4) oder 14 Wochen (Kohorte 5) erreichten 30/32 Patienten (94%) eine komplette hämatologische Remission, bei 19/28 (68%) kam es zu einer bedeutsamen zytogenetischen Antwort (Ph+ kleiner 35%), bei acht (29%) vollständig. Die Quotienten BCR-ABL/ABL, bestimmt durch quantitative RT-PCR, erreichte im Median den Wert von 4.6% (Spanne 0.06-96). Ein Patient starb an einer Myeloblastenkrise 9 Wochen nach Beginn der Imatinibtherapie.

Toxizität:
Grad 1/2 nicht-hämatologische Toxizität war häufig und beinhaltete grippeartige Symptome/Müdigkeit, Hautausschlag und Durchfall. Grad 3 nicht-hämatologische Nebenwirkungen waren in 5 Patienten beobachtet worden und setzten sich zusammen aus grippeartigen Symptomen, Knochenschmerz, Transaminasenerhöhung, Pharyngitis, und unspezifische Kolitis. Grad 3 Leukopenie trat in 9 Pat. auf, Grad 3/4 Neutropenie in 4 bzw. 3 Pat., Grad 3 Thrombopenie in 2 Fällen. Grad 3/4 Zytopenien wurden bei insgesamt 13/32 Pat. beobachtet (40.6%; 4/7 in Kohorte 1, 3/6 in Kohorte 2, 1/4 in Kohorte 3, 4/8 in Kohorte 4, und 1/7 in Kohorte 5). Während der Studienperiode erhielten die Patienten 71% der geplanten PEG-IFN Dosis und 95% der Imatinib Dosis. Innerhalb der Kohorten betrugen die verabreichten Dosen PEG-IFN bzw. Imatinib jeweils im Median:
  1. 63% und 100%
  2. 56% und 95%
  3. 88% und 100%,
  4. 69% und 100%,
  5. 100% und 100%.

Schlußfolgerung:
Die Kombinationsbehandlung mit Imatinib und PEG-IFN ist machbar und resultiert in hohen hämatologischen und zytogenen Ansprechraten. Vorherrschende dosisbegrenzende toxische Effekte sind die Zytopenien, welche jedoch weniger gehäuft auftreten, wenn die Therapie mit PEG-IFN erst nach mindestens sechswöchiger Monotherapie mit Imatinib begonnen wird, um die Wiederherstellung der Ph neg. Hämatopoese zu ermöglichen. Die Kombination von Imatinib, 400 mg/Tag und PEG-IFN, 90 mg/Woche, 6 Wochen später einsetzend, mit individueller Dosissteigerung bis auf 180 mg/Woche wird für weitere Studien vorgeschlagen.

Quelle: Abstract Nr. 616 von der Seite 'Abstracts-On-Line' der ASH-Jahrestagung 2002
Das Schweizer Pharma-Unternehmen Novartis AG erhielt am 4.12.2002 von der Schweizer Gesundheitsbehörde Swissmedic die Zulassung von Glivec zur Behandlung von zwei weiteren Indikationen. Nun darf das Medikament auch zur First-Line-Therapie von Patienten mit neu diagnostizierter CML und zur Behandlung von Kindern in allen Phasen der Krankheit eingesetzt werden.

Die Zulassung für die First-Line-Therapie basiert auf einer zwölfmonatigen Studie, in der Glivec mit einer Kombination aus Interferon-Alpha und dem Chemotherapie-Medikament Zytosin Arabinoside (IFN/Ara-C), einer traditionellen Behandlung CML, verglichen wird. Dabei zeigte Glivec nach 12 Monaten bei 83% einen deutlichen Zellaufbau, gegenüber 20% bei der Kombination IFN Ara-C.

Eine entsprechende Zulassung wird in Kürze auch für Deutschland erwartet, nachdem die europäische Zulassungsbehörde im September die Zulassung für diese Indikationen empfohlen hatte

Quelle: Yahoo-Meldung vom 4.12.2002