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Tyrosinkinasehemmer (Tyrosinkinaseinhibitoren, TKI) haben das Überleben von CML-Patienten dramatisch verbessert und die CML zu einer „chronischen Erkrankung“ gemacht. Eine lebenslange Behandlung mit TKI ist entsprechend der Empfehlungen der Experten und immer noch ratsam. Je nach Wahl des TKI erreichen zwischen 40% und 70% der Patienten eine tiefe molekulare Remission, was einen BCR-ABL-Wert von 0.01% (MR4) oder darunter bedeutet. Weil beobachtet wurde, dass einige Patienten die Behandlung in tiefer Remission absetzen konnten, ohne danach einen Rückfall zu erleiden, wurde die Schlüsselfrage, ob alle Patienten in anhaltend tiefer molekularer Remission ihre Behandlung absetzen können, in zahlreichen Studien untersucht und wurde zur meistdiskutierten Frage am ASH 2016.

Giora Sharf und Jan Geissler waren bei ASH und fassen hier die wichtigsten Präsentationen, Diskussionen und Poster dieses wichtigen Themas am ASH-Kongress dieses Jahres zusammen. Dies ist die von Niko angefertigte deutsche Übersetzung des englischsprachigen Originalartikels auf cmladvocates.net.

Überlegungen

Ähnlich den im letzten Jahr vorgestellten Ergebnissen kann ungefähr die Hälfte der Patienten mit tiefem molekularem Ansprechen (MR4, BCR-ABL-Wert besser als 0.01%) die Behandlung mit TKI sicher absetzen, während die andere Hälfte die TKI-Behandlung wiederaufnehmen muss, wenn die PCR-Werte nach dem Absetzen wieder über das MMR-Niveau ansteigen. Die meisten Patienten, die ihre tiefe Remission verlieren, scheinen ein schnelles Ansteigen der PCR-Werte zu erfahren; deshalb scheint die engmaschige Überwachung und eine schnelle Wiederaufnahme der Behandlung entscheidend zu sein. Und während die meisten Patienten ihren Rückfall während der ersten 6 Monate nach dem Absetzen erleiden, hat die bisher grösste CML-TKI-Stop-Studie „EURO-SKI“ gezeigt, dass einige Patienten auch noch nach 3 Jahren einen Rückfall erleiden, sodass regelmässige PCR-Untersuchungen während vieler Jahre, wenn nicht sogar lebenslang, notwendig zu sein scheinen.

Die Gründe, weshalb eine Hälfte der Patienten sicher absetzen kann, während der anderen Hälfte das nicht gelingt, und wie die bei etwa einen Drittel auftretenden  Entzugserscheinungen behandelt werde sollten, ist noch nicht verstanden worden. Bisher wissen wir aus der EURO-SKI-Studie, dass die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Absetzens umso grösser ist, je länger die Patienten vorher mit TKI behandelt wurden, und je länger die Patienten ein tiefes molekulares Ansprechen (MR4) hatten.So ist heute die Entscheidung über das Absetzen der Behandlung eine schwierige Abwägung zwischen der Befreiung von einer teuren, potentiell belastenden Behandlung und dem Vergehen lassen der Zeit, bis die Reste der CML nahezu ausgelöscht wurden -  und bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Forschung die Mechanismen besser verstanden hat oder sogar eine heilende Behandlung entwickelt wurde.

Es wird immer noch nicht offiziell empfohlen, die Behandlung ausserhalb von Studien abzusetzen, weil „draussen im Feld“ die Überwachung mittels PCR und die Schnelligkeit der Wiederaufnahme der Behandlung nicht so strikt wie innerhalb einer klinischen Studie gehandhabt werden könnte – obwohl viele CML-Experten das Absetzen schon heute als Teil der klinischen Praxis zu betrachten scheinen. Jedenfalls wurde alles, was wir heute über das Absetzen wissen, innerhalb von klinischen Studien mit sehr häufigen hochwertigen PCR-Messungen und sehr strengen Protokollen beobachtet. Vor dem Hintergrund, dass diejenigen Patienten, die für einen Stop-Versuch in Frage kommen (MR4) sich bereits im „sicheren Hafen“ befinden und bei denen ein Fortschreiten der Krankheit sehr unwahrscheinlich ist, wenn sie die Behandlung fortsetzen, wäre auch nur ein einziger Patient, der eine Progression der CML erleidet  oder gar wegen unzureichender Überwachung oder zu später Detektion eines Rückfalls verstürbe, einer zu viel.

Weil mehr Patienten MR4 erreichen, wenn sie mit den TKI der zweiten Generation Nilotinib, Dasatinib und Bosutinib behandelt werden, und weil die Erstlinienbehandlung mit diesen Medikamenten Progressionen der Erkrankung während der ersten Monate nach der Diagnose reduziere, tendieren viele CML-Experten dazu, ihre Patienten mit diesen erheblich teureren Medikamenten zu behandeln. Jedoch wird geschätzt, dass zwei Drittel der Patienten heute mit Imatinib behandelt werden. So ist es recht verbreitet, diese Patienten auf Nilotinib oder Dasatinib umzustellen, um schneller MR 4 zu erreichen, auch den Vermarktungsinteressen der Pharmafirmen geschuldet ist, in Zeiten, zu denen Imatinib generisch wird, möglichst viele Patienten mit TKI der zweiten Generation behandeln zu lassen. Jedoch haben die ENESTGoal und ENESTPath-Studien gezeigt, dass eine relativ geringe Zahl von Patienten ernste Nebenwirkungen erlitt, unter Nilotinib hauptsächlich Herzkreislauf-Nebenwirkungen, unter Dasatinib hauptsächlich Pleuraergüsse), die in die Abschätzung von Nutzen und Risiken eines Wechsels von Imatinib auf die TKI der zweiten Generation mit einbezogen werden müssen. Im besonderen Fall von Nilotinib, ein Wechsel von einem Medikament, das einmal täglich mit Nahrung eingenommen wird auf Nilotinib, dass zweimal täglich eingenommenn werden muss, und bei dem die notwendigen Fastenperioden dem Patienten erklärt werden müssen, wird nicht nur die Lebensqualität des Patienten bis zum Absetzenbeeinträchtigtt, sondern bei einem Fehlschlag des Absetzens auch nach Wiederaufnahme der Behandlung. Die australische TWISTER-Studie, die ihre Patienten mit Imatinib als Erstlinienbehandlung und früher Dosiseskalation oder Wechsel auf Nilotinib je nach Art  des Ansprechens behandelt hat, könnte eine andere Herangehensweise an einen Stop-Versuch demonstrieren.

Die zu beantwortenden Fragen sind:

  • Welcher Bruchteil der Patienten kann die Behandlung sicher unter dezentraler, aber standardisierter Überwachung absetzen?
  • Wie lange ist die optimale Dauer von TKI-Behandlung und MR4 vor einem Stop-Versuch?
  • Welche Prognosefaktoren für ein behandlungsfreie Remission, ausser der Dauer der TKI-Behandlung und der Dauer der MR4-Remission gibt es?
  • Gibt es eine Rolle individueller Immuneffekte und immunologisch wirksamer Vorbehandlungen (wie bei Interferon)?
  • Wenn ein mit Imatinib behandelter Patient noch keine stabile MR4 erreicht hat, muss er für einen Stop-Versuch auf einen TKI der zweiten Generation wechseln, oder dauert es mit Imatinib lediglich länger, die erforderliche Remission zu erreichen? Wie ist die Abwägung von Nutzen und Nebenwirkungen?
  • Setzen die Patienten ihre Chancen auf eine behandlungsfreie Remission durch (zu) frühes Absetzen und einen potentiellen Fehlschlag dieses Versuchs aufs Spiel?
  • Über wie lange Zeit und mit welcher Frequenz müssen CML-Patienten in behandlungsfreier Remission überwacht werden – während der ersten Monate, aber auch noch nach Jahren –  bis man sie als sicher betrachten kann?
  • Wie behandelt man die Entzugserscheinungen, beispielsweise Patienten, die unter schweren Schmerzen nach dem Absetzen der Behandlung leiden?

Um den aktuellen Wissensstand und die Untersuchungen in Studien zur Beantwortung dieser Fragen zusammenzufassen, fassen wir nun die interessantesten, am diesjährigen ASH vorgestellten Erkenntnisse aus den Stopstudien zusammen.

Abschliessend in Hinblick auf die (gerechtfertigte) Begeisterung über die Möglichkeit eines Absetzens der Behandlung der CML als wichtige Option, die Patienten von Behandlungen unabhängig zu machen, sollte nicht vergessen werden, dass nur etwa 5-35% der CML-Patienten mit den heute verfügbaren TKI jemals in die Lage kommen wird, die Behandlung erfolgreich absetzen zu können. Ungefähr 70% der Patienten können MR4 erreichen und das Absetzen versuchen, aber nur die Hälfte von ihnen wird damit Erfolg haben. Das bedeutet, dass bis zur Entwicklung wirksamerer, möglicherweise heilender Therapien etwa zwei Drittel der Patienten eine dauerhafte Behandlung benötigen werden. Unter dieser Behandlung werden sie eine lange Lebenserwartung, eine gute Lebensqualität und geringe langfristige Risiken haben, was wir aus der Erfahrung von 15 Jahren der Behandlung mit TKI gelernt haben. Die Patienten, die eine MMR unter fortgesetzter Behandlung erreichen, befinden sich bereits „im sicheren Hafen. Mit den Diskussionen über die behandlungsfreie Remission sollten wir ihnen nicht das Gefühl gebe, sie hätten etwas verpasst oder gar die Behandlungsziele verfehlt, und wir sollten keinen Druck auf diejenigen ausüben, die sich für eine fortgesetzte Behandlung entschieden haben, obwohl sie für einen Stop-Versuch geeignet wären.

 

EURO-SKI: die grösste STOP-Studie

Die EURO-SKI-Studie (Clinical trials.gov No. NCT01596114) ist die bisher grösste multinationale CML-Stop-Studie. Weil es eine rein akademisch getriebene Studie ohne von der Pharmaindustrie gesponsert zu sein ist, gibt es einige interessante Besonderheiten, die anderen Studien fehlen, wie z.B. die Aufnahme von Patienten, die mit den drei konkurrierenden TKI Imatinib, Nilotinib und Dasatinib behandelt werden, und akademischen Substudien, die die über den individuellen Erfolg oder Fehlschlag entscheidenden biologischen Mechanismen  untersuchen.

In EURO-SKI wurden 821 Patienten mit CML in chronischer Phase aufgenommen, nach einer Behandlungsdauer mit TKI  von mindestens 3 Jahren, die kein vorausgegangenes TKI-Versagen zeigten, und die MR4 (BCR-ABL <0.01%) während mindestens eines Jahres erhielten. Die Patienten setzten die Behandlung nach Eintritt in die Studie ab, und mussten die Behandlung wiederaufnehmen, wenn die PCR über das gute molekulare Ansprechen (MMR, BCR-ABL >0.1%) zu irgendeinem Zeitpunkt anstieg. Für die ASH-Auswertung wurden die Daten von 755 Patienten untersucht. Bei diesen war der Altersmedian 60 Jahre, die mittlere Behandlungsdauer mit TKI vor dem Absetzen betrug 7.5 Jahre und die mittlere Dauer mit MR4 von dem Absetzen betrug 4.7 Jahre.

Von diesen 755 Patienten verloren 373 MMR, und 4 Patienten starben in Remission. Die mittlere Beobachtungsdauer betrug 26 Monate (1-36 Monate). 39% der Patienten musste innerhalb de ersten 6 Monate wegen Verlusts der MMR die Behandlung wieder aufnehmen. Nach 36 Monaten mussten 52% die Behandlung wieder aufnehmen. Auch nach mehr als 30 Monaten verloren noch einige Patienten die MMR – auch wenn das nur selten auftritt, hat EURO-SKI gezeigt, dass es nach 3 Jahren kein „Plateau“ zu geben scheint, deshalb müssen alle Patienten auch Jahre nach dem Absetzen kontinuierlich mit PCR überwacht werden.

Zum Zeitpunkt des Berichts erreichten die meisten Patienten wieder ein tiefes molekulares Ansprechen, nachdem sie die Behandlung wider aufnehmen mussten. Wichtig ist, dass keine Progressionen in fortgeschrittene Phasen der Erkrankung festgestellt wurden. Die Untersuchung zeigte, dass keine bedeutende Beziehung  zwischen Alter, Geschlecht, Tiefe des molekularen Ansprechens (MR4.5 vs. MR4.5 nicht erreicht) oder irgendeiner Variablen des Sokal, EURO, EUTOS oder ELTS-Risikoscores und dem Erfolg des Absetzens nach 6 Monaten ohne Behandlung besteht.

Es gab auch keine Unterschiede zwischen den Patienten, ob sie MR4.5 oder nicht nachweisbare Resterkrankung aufwiesen. Aber die Behandlungsdauer mit Imatinib vor dem Absetzen, die Dauer der MR4-Remission vor dem Absetzen und die Dauer der Interferon-Vorbehandlung hatten einen positiven Einfluss auf die Erfolgsrate. Ein zusätzliches Imatinib-Therapiejahr steigerte die Chance, 6 Monate nach dem Absetzen noch in MMR zu bleiben, um 13%. Zusätzlich ist die Erfolgsrate nach 6 Monaten für Patienten, die Imatinib während mehr als 5.8 Jahren erhielten, mit 65.5% höher als diejenige von Patienten, die weniger als 5.8 Jahre mit Imatinib behandelt wurden (42.6%). Zusätzlich hatten Patienten, die MR4 während mehr als 3.1 Jahren hatten, eine signifikant bessere Chance, erfolgreich abzusetzen.

Ungefähr ein Drittel der Patienten, die die Behandlung absetzten, erfuhren „TKI-Entzugserscheinungen“, meist Muskel- und Skelettschmerzen, nach dem Absetzen, einschliesslich Schmerzen in den Knochen, Gelenken und Muskeln.

Der Blick vom ökonomischen Standpunkt auf die lediglich 596 Patienten der Studie, die Imatinib in erster Linie erhielten, zeigt 279 Patienten, die Abgesetzt hatten, aber die Behandlung wieder aufnehmen mussten und 317 Patienten, die bis heute keine Behandlung mehr benötigten, was ein Total von 8092 Monaten gesparter Behandlungen mit Imatinib ergibt. Mit durchschnittlichen monatlichen Kosten von 2252 Euro für Imatinib in den 11 europäischen Ländern  (1734-3370 Euro pro Monat) war die geschätzte für die Gesundheitssysteme eingesparte Summe für Medikamentenkosten 22 Millionen Euro. Aus dieser Perspektive ist es schade, dass die Studie keinerlei öffentliche Förderung erhielt (Mahon, ASH-Abstract 787, Pfirrmann, Abstract 789).

 

ENESTop-Studie

ENESTop ist eine von Novartis gesponserte, laufende einarmige Phase-2-Studie (ClinicalTrials.gov NCT01698905), und die am längsten laufende Studien die das Absetzen der Behandlung in tiefer molekularer Remission mit Nilotinib nach dem Wechsel von Imatinib untersucht (Nilotinibbehandlung in 2. Linie).

126 Patienten in chronischer Phase, die mindestens während insgesamt drei Jahren vor Studieneintritt mit TKI behandelt wurden, (mindestens 4 Wochen mit Imatinib gefolgt von mindestens 2 Jahren Nilotinib) und eine anhaltenden MR4.5 (BCR-ABL maximal 0.0032) unter Nilotinib wurden untersucht. Nach dem Eintritt in die Studie setzten die Patienten die Behandlung während einer einjährigen Konsolidierungsphase fort, diejenigen Patienten, die kontinuierlich MR4.5 hatten, kamen für den Stopversuch in Frage. Patienten, die MR4 verloren, blieben unter Nilotinibbehandlung.

Von diesen 126 Patienten der ENSTop, die für einen Stopversuch in Frage kamen, befanden sich noch 57.9% nach 48 Wochen in behandlungsfreier Remission.

Eine Untergruppenanalyse untersuchte, ob die Gründe für den Wechsel von Imatinib auf Nilotinib vor Eintritt in die Studie einen Einfluss auf die Erfolgsrate des Behandlungsstops hatten. Die Kategorien waren Unverträglichkeit, Verlust des Ansprechens oder Therapieversagen (Resistenz) sowie die klinische Beurteilung des Arztes (ärztliche Meinung). Es gab keine signifikanten Unterschiede.

 

ENESTfreedom-Studie: Absetzen von Nilotinib in erster Linie

Die von Novartis gesponserte ENESTfreedom-Studie nahm Patienten auf, die Nilotinib als Erstlinienbehandlung während mindestens 2 Jahren erhalten und MR4.5 (BCR-ABL 0.0032%) erreicht haben. Die Behandlung mit Nilotinib wurde dann mindestens ein Jahr fortgesetzt. Wenn die PCR nicht über MR4.0 (0.01%) anstieg, konnten die Patienten die Behandlung absetzen. Patienten, die ihre MMR (MCR-ABL >0.1%) nahmen die Behandlung mit Nilotinib wieder auf. Von den in diesem Bericht beobachteten Patienten mussten 48.4% die Behandlung mit Nilotinib wieder aufnehmen. Beinahe jeder vierte Patient, der die Behandlung absetzte, litt unter Muskel-und Skelettschmerzen nach dem Absetzen, wohingegen solche Schmerzen nur bei jedem 7. Patienten während der Behandlung auftraten.

Die Betrachtung der Lebensqualität vor, während und nach dem Absetzen der Behandlung ergab nur geringe Unterschiede. Nach Aussage der Studienforscher könnte das damit zusammenhängen, dass die Patienten bereits vor dem Absetzen der Behandlung eine relativ hohe Lebensqualität hatten, vor dem Hintergrund, dass sie mindestens 2 Jahre Behandlung mit Nilotinib vor Eintritt in die Studie vertragen hatten. Das lässt vermuten, dass die grössere Häufigkeit von Muskel-und Skelettschmerzen während der Stop-Phase die Lebensqualität der Patienten nicht substantiell beeinträchtigt hat. Obwohl viele Patienten sich vor der behandlungsfreien Remission fürchten, waren die beobachteten Angst/Depressionslevel vor und nach dem Absetzen ähnlich, nahm aber bei denjenigen Patienten, die die Behandlung wiederaufnehmen mussten, ab (Wir haben diesen Beobachtungen in informellen Diskussionen mit Experten während des ASH widersprochen, weil das im starken Gegensatz zu unseren Erfahrungen in unseren täglichen Kontakten mit CML-Patienten steht).

 

ENESTgoal: Wechsel von Imatinib auf Nilotinib zwischen MMR und MR4.5 mit anschliessendem Absetzen der Behandlung

Die von Novartis gesponserte ENESTgoal-Studie nahm Patienten auf, deren PCR unterhalb der MMR-Schwelle (BCR-ABL 0.1%), aber oberhalb von MR4.5 (BCR-ABL 0.0032%) nach mindestens einem Jahr der Behandlung mit Imatinib lag. Diese Patienten wurden beim Eintritt in die Studie auf Nilotinib umgestellt und während mindestens zwei Jahren überwacht. Wenn sie dann MR4.5 erreicht hatten, wurden sie weitere zwei Jahre mit Nilotinib behandelt. Wenn keines der PCR-Ergebnisse oberhalb von MR4 (BCR-ABL 0.01%) lag, wurde die Behandlung abgesetzt. Wenn die Patienten die MMR verloren, wurde die Behandlung mit Nilotinib wiederaufgenommen.

Zwei Drittel der Patienten, die MMR unter Imatinib-Therapie erreichten, aber nicht MR4.5, erreichten nach dem Wechsel auf Nilotinib MR4.5. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung waren vier Patienten in die Stop-Phase eingetreten, von denen 3 nach 70, 99 und 153 Tagen die Behandlung wiederaufnehmen mussten. Alle Patienten erreichten wieder MR4.5 unter Nilotinibbehandlung.

Bei mehr als 10 Patienten beobachtete Nebenwirkungen unter Behandlung mit Nilotinib umfassten Fatigue (22 Patienten, 37%), Verstopfung (15 Patienten, 25%), Ausschlag (14 Patienten, 24%), Kopfschmerzen (12 Patienten, 20 %), Bauchschmerzen und Juckreiz (jeweils 11 Patienten, jeweils 19%) und Durchfall, Lipaseanstieg und Gewichtsverlust (Jeweils 10 Patienten, jeweils 17%). Die Mehrzahl der Nebenwirkungen waren des Grades 1 oder 2. Ernste, von Nilotinib verursachte Nebenwirkungen waren instabile Angina, arterielle Stenose, Perikardergüsse, periphere arterielle Verschlusserkrankung und transitorische ischämische Attacken (jeweils 1 Patient). In der Studie traten keine Todesfälle auf.

 

ENESTpath: Wechsel von Imatinib auf Nilotinib bei nicht erreichen von MR4 mit anschliessendem Therapiestop

ENESTpath ist eine von Novartis gesponserte, randomisierte Phase 3 -Studie mit 619 Patienten, die nach mindestens 24 Monaten der Behandlung mit Imatinib ein vollständiges zytogenetisches Ansprechen zeigten, aber MR4 nicht erreichten. Nach dem Eintritt in die Studie wurden die Patienten randomisiert auf die verschiedenen Studienarme mit den verschieden langen Nilotinib-Konsolidierungstherapien verteilt. Die Patienten wurden mit 2x300 mg Nilotinib pro Tag entweder 24 Monate (Studienarm 1) oder 36 Monate (Studienarm 2) behandelt. Patienten, die mindestens eine stabile MR4 (BCR-ABL 0.01%) während mindestens eines Jahres erreichten, traten in die Stop-Phase ein.

Zur Zeit liegen Daten zu den ersten 300 Patienten vor. Es wurden keine neuen Sicherheitsprobleme während der 24 Monate der Konsolidierung mit Nilotinib beobachtet. Die Mehrheit der Nebenwirkungen waren geringen Grades, wie Juckreiz (19%), Hypercholesterinämie (14%), Ausschlag (10.7%), Asthenie und Gelenkschmerzen (jeweils 10%). Jedoch erlitten 6.7% der Patienten Herzkreislauf-Nebenwirkungen der Grade 3 oder 4, einschliesslich koronarer Herzerkrankungen (4.7%), periphere arterielle Verschlusserkrankung (1.7%) und Durchblutungsstörungen des Gehirns (0.7%).

 

DASASTOP: Absetzen von Dasatinib in tiefer molekularer Remission

Die Phase II-Studie DASFREE untersucht das Absetzen der Behandlung mit Dasatinib in der Erst- oder Zweitlinienbehandlung. Die Patienten mussten für die Aufnahme in die Studie mindestens 2 Jahre mit Dasatinib behandelt worden sein, und mindestens ein Jahr lang eine anhaltenden MR 4.5 (BCR-ABL <0.032%). Der Auslöser für eine Wiederaufnahme der Behandlung war der Verlust der MMR. 71 Patienten wurden in die Studie aufgenommen, von denen 30 nach einem Jahr für einen Stop-Versuch geeignet waren. 37% der Patienten verloren ihre MMR nach dem Absetzen, erlangten MMR aber nach Wiederaufnahme der Behandlung zurück. Die Dauer der Behandlung hatte einen positiven Einfluss auf den Erfolg des Absetzens der Behandlung. Es gab keine Progressionen der Erkrankung, und diejenigen, die einen molekularen Rückfall erlitten, hatten diesen zu einem frühen Zeitpunkt und konnten ihr Ansprechen mit Dasatinib zurückbekommen.

Nach dem Absetzen litten 5 Patienten unter Nebenwirkungen an Muskeln und Skelett. Bei zwei dieser Patienten wurden diese Nebenwirkungen auf den Entzug von Dasatinib zurückgeführt. Zusätzliche, auf den Entzug von Dasatinib zurückzuführende Nebenwirkungen schlossen Bluthochdruck (17%) und Hautprobleme (13%) ein. (Shah, Abstract 1895).

 

DESTINY-Studie: Absetzen in stabiler MMR und Dosisreduktionen

Während die meisten Stop-Studien das Absetzen der Behandlung mit TKI nach dem Erreichen von mindestens stabiler MR4 (BCR-ABL <0.01%) untersuchen, wird in der britischen De-Escalation and Stopping Therapy mit Imatinib, Nilotinib oder Dasatinib (DESTINY) nach Erreichen einer MMR über mindestens 12 Monate (BCR-ABL <0.1%) eine Reduktion der TKI-Dosis auf die Hälfte der Standarddosis während 12 Monaten, gefolgt von einem vollständigen Behandlungstop versucht. Die Patienten müssen sich in der Erstlinienbehandlung befinden (gleicher TKI seit Diagnosestellung), es sei denn, ein Wechsel war wegen einer Unverträglichkeit notwendig. Die Behandlung muss mindestens drei Jahre durchgeführt worden sein, und alle PCR-Messungen während der letzten 12 Monate müssen eine MMR (BCR-ABL <0.1%) oder einen geringeren Wert ergeben haben. Die Patienten mussten ihre Behandlung mit der vollen Dosis der TKI-Behandlung wiederaufnehmen, wenn sie ihre MMR verloren.

Beim Studieneintritt erhielten 148 Patienten Imatinib, 16 Nilotinib und 10 Dasatinib. Nach 12 Monaten der Behandlung mit der halben Dosis (200mg Imatinib täglich, 2x200mg Nilotinib täglich oder 50 mg Dasatinib täglich) waren die Rückfälle seltener bei Patienten mit stabiler MR4 beim Eintritt (3 von 124 Patienten, 2.4%) als bei solchen, die lediglich eine MMR erreicht hatten (9 von 49, 18.4%). Die mittlere Dauer bis zum Verlust der MMR war bei denjenigen mit lediglich MMR kürzer als bei Patienten mit MR4. Es wurden keine Progressionen in die fortgeschrittene Phase oder zytogenetische Rückfälle beobachtet. Alle 12 Patienten, die ihre MMR verloren, erreichten wieder MMR 4 Monate nach Wiederaufnahme der Behandlung mit der vollen Dosis. Während der ersten drei Monate nach dem Halbieren der TKI-Dosis, aber später nicht mehr, nahmen die von den Patienten  berichteten normalen Nebenwirkungen ab. Interessanterweise wurden Muskel-Skelettsymptome von 36 Patienten (21%) nach dem Absetzen genannt, - auch wenn sie typischerweise mild verliefen und vorübergehender Natur waren. Das könnte bedeuten, dass die in allen STOP-Studien beobachteten TKI-Entzugserscheinungen auch nicht durch eine vor dem Absetzen zwischenzeitlich reduzierte Dosis vermieden werden können.

Die Forscher sind der Meinung, dass eine Dosishalbierung bei CML-Patienten in stabiler MMR oder besser sicher zu sein scheint und zu einer Verringerung der Nebenwirkungen zu führen scheint. Die Autoren sind der Meinung, dass viele Patienten in stabiler Remission überbehandelt sein könnten. Jedoch zeigen die Destiny-Ergebnisse auch, dass bereits eine Dosisreduktion zu einem PCR-Anstieg führen kann, besonders dann, wenn das Ansprechen noch nicht lange besser als MR4 war. Das ist auf keinen Fall eine offizielle Empfehlung zur Sicherheit oder Machbarkeit von Dosisreduktionen –  es wären weiter grosse Studien notwendig, um die Sicherheit einerDosisreduktion der TKI zu untersuchen (Clark/Copland Abstract 938).

 

Zweiter Stopversuch nach Fehlschlag des ersten Stopversuchs

Während verschiedenen Studien gezeigt haben, dass bei Patienten, die mit Imatinib (STIM, TWISTER, EUROSKI) und erst kürzlich mit Nilotinib und Dasatinib (STOP 2G-TKI) behandelt wurden, die Behandlung mit TKI unter bestimmten Bedingungen sicher abgesetzt werden kann. Es bleibt die offene Frage, ob die ca. 50% der Patienten, die nach dem Absetzen einen Rückfall erlitten, einen zweite Stop-Versuch machen können.

In diese Studie wurden 68 Patienten aufgenommen. Alle Patienten waren mit Imatinib in Erstlinienbehandlung behandelt worden, 16% der Patienten wechselten wegen Intoleranz oder Resistenz auf TKI der zweiten Generation (Nilotinib 6/11 und Dasatinib 5/11). Die mittlere Dauer der TKI-Behandlung vor dem ersten Absetzen betrug 63 Monate, die mittlere Dauer des ersten tiefen molekularen Ansprechens betrug 35 Monate. Alle Patienten dieser Studie erlitten nach dem ersten Absetzen einen Rückfall (im Mittel nach 2.5 Monaten) und nahmen die Behandlung im Mittel für 31 Monate von dem zweiten Stop-Versuch wieder auf ( Bereich 9-72 Monate). 30 von 68 Patienten (44%) konnten nach einer mittleren Beobachtungsdauer von 21.5 Monaten (1-106 Monate) ohne Behandlung bleiben. Interessanterweise zeigte sich, dass je länger die Patienten brauchten, in eine tiefes molekulare Remission zu gelangen, die Chance auf einen Erfolg beim zweiten Absetzen deutlich geringer war.

Die Forscher schlossen daraus, dass TKI trotz eines Fehlschlags beim ersten Versuch auch ein zweites Mal sicher und erfolgreich abgesetzt werden können und so keine Chance „endgültig“ vergeben sei.

 

Zusammenfassung und Nachgedanken

Zusammengefasst unter Betrachtung der beträchtlichen Anzahl der am ASH gezeigten Stop-Studien, aber unter Berücksichtigung der Anzahl offener Fragen zu Prognosefaktoren und Langzeitüberwachung ist es offensichtlich, dass die CML-Experten noch keinen Konsens zu generellen Leitlinien zu richtigen Prozeduren und Standards zum Stop der TKI-Behandlung von CML-Patienten gefunden haben.

Trotzdem, während es nicht mehr viele rekrutierende laufende STOP-Studien gibt, und während das Absetzen ausserhalb von Studien zur klinischen Praxis vieler Ärzte geworden ist, besteht die Notwendigkeit eines Konsens zwischen den Experten  zu  Leitlinien, basierend auf Daten und Faktoren, die individuelle Risiken und Erfolgswahrscheinlichkeiten eines TKI-Stops vorhersagen. Einerseits scheint das Absetzen der Behandlung unter den strikten Protokollen der klinischen Studien sicher zu sein, weil bis jetzt keine Berichte über Progressionen der Erkrankung nach dem Absetzen vorliegen. Andererseits zeigte die EURO-SKI-Studie, dass Rückfälle noch sehr spät nach mehr als drei Jahren nach dem Absetzen auftreten können, was eine strikte, sorgfältige PCR-Überwachung hoher Qualität erfordert.

Giora Sharf und Jan Geissler, Dezember 2016

 

 

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