Lieber Jonathan,
wie Du vielleicht hier im Forum bereits gelesen hast, bin ich selbst Vater von zwei jungen Töchtern. Bei mir ist die CML-Diagnose zwar schon bald 12 Jahre her, so dass die Ausgangslage nicht ganz mit Deiner vergleichbar ist (damals war Imatinib noch nicht zugelassen, die allgemeine Aussicht auf Überleben der CML und Beschwerdefreiheit der Transplantation relativ mau, d.h. damals stand das Überleben von, weniger das Leben mit, CML stärker im Vordergrund). Im Grunde war ich einige Jahre in ähnlicher Sachlage wie Du. Imatinib war damals noch sehr experimentell, es gab aber eine wachsende Zahl von Einzelfallberichten von Schwangerschaften, die entgegen dem klaren ärztlichen Rat entstanden waren, die ich natürlich neben allen wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu diesem Thema verfolgt habe.
Ich hatte damals auf Anraten meines Arzts vor Therapiebeginn Spermien eingefroren (interessanterweise war es erst der vierte Arzt, der mich nach Diagnosestellung auf die Möglichkeit der Samenbank vor Therapiebeginn hinwies - alle anderen hätten vermutlich ohne "Familienvorsorge" mit Transplantation oder Zytostatikatherapie begonnen). Der Versuch, das Eingefrorene 2004 zu verwenden, ging furchtbar schief und war ein gesundheitlicher Alptraum für meine Frau (was nicht repräsentativ ist, aber nach dem CML-Schlag in 2001 war dies die zweite dunkle Zeit in unserem Leben -- eine Hormontherapie kann auch seine Herausforderungen haben, wenn auch selten).
Nachdem aus Einzelfallberichten, aber aus den weltweiten Foren zu vermuten war, dass Imatinib vermutlich beim Mann keinen Einfluss auf die Spermien hat, haben wir es 2006 dann auf natürlichem Wege - trotz meiner Imatinib- und PegIFN-Therapie - versucht. Natürlich haben wir von Ultraschall zu Ultraschall gebibbert, aber wir hatten neben einem hervorragenden CML-Experten auch einen sehr erfahrenen und entspannten Gynäkologen, der alle Ultraschallregister zog, um uns zu zeigen, dass sich alles normal entwickelt. Vielleicht hatten wir Glück, aber es gibt weltweit sicherlich schon einige hundert gesunde Babys von Männern unter Imatinib, denen es gut geht (und natürlich gibt es auch welche mit gesundheitlichen Problemen, aber diese gibt es bei gesunden Menschen ebenso). In medizinischen Fachzeitschriften sind rund 60 Kindern von Männern unter Imatinib berichtet, und darin gab eis keinerlei Hinweise auf Probleme bei Empfängnis, Schwangerschaft oder Geburt. Bzgl Nilotinib ist leider bisher kaum etwas bekannt, wir stehen erkenntnisseitig also 2013 etwa da, wo wir 2004 mit Imatinib standen.
Sicher hast Du
http://www.leukaemie-online.de/index.ph ... cle&id=905
sowie die "Ähnlichen Artikel" rechts daneben bereits gelesen?
Meine Tochter ist jetzt sechs Jahre alt, die kleinere (die nach meinem Imatinib-Stopp 2006 entstand) vier, beiden geht es prima. Was natürlich nicht als Aufforderung verstanden werden soll, denn die medizinische Empfehlung ist klar, unter diesen Therapien keine Kinder zu bekommen. Und auf für die weiblichen Mitleser - das hier Gesagte bezieht sich nur auf Männer unter CML-Therapie.
Was würde ich nun in Deinem Fall machen? Grundsätzlich gibt es ja folgende Überlegungen:
- Einfluss der Erkrankung und ihrer Behandlung auf die Fortpflanzungsfähigkeit
- Einfluss der Erkrankung und deren Behandlung auf die Schwangerschaft
- Einfluss der Maßnahmen zur "sicheren Empfängnis" vs. Risiko für den CML-Patienten
- Zeitliche Planung einer Schwangerschaft im Zusammenhang mit der CML
Meiner Ansicht nach ist die oberste Priorität die Stabilisierung Deiner CML. Ihr habt schon ein Kind und Ihr wollt sicher mit ihm/ihr gemeinsam Deinen 70. Geburtstag feiern können, daher würde ich eher nichts tun, was dies evtl gefährdet, z.B. frühzeitige Absetzversuche, unbegründeter Wechsel der Therapien o.ä... Für eine Rückwechsel von Nilotinib auf Imatinib gibt es leider keinerlei strukturierte Erfahrungen (Studiendaten). Du bist 28, so alt wie ich 2001 war, und auch wenn der Abstand eines zweiten Kinds sich zu seinem Geschwisterkind verlängert, gibt es keinen Grund für Eile. Die Absetzstudien aus Frankreich zeigen, dass die Rückfallrate nach TKI-Absetzen mit der TKI-Therapiedauer zusammenzuhängen scheint, d.h. je kürzer die Zeit seit Therapiebeginn bzw. in molekularer Remission, desto höher das Rückfallrisiko. Wie bereits jemand in dieser Diskussion schrieb, findet die Produktion der Spermien rund 72 Tage vor Verwendung statt, d.h. der Einfluss einer Therapie auf Spermien hält für mindestens 10 Wochen nach der letzten Dosis an, und weil die meisten Rückfälle sehr schnell nach Absetzen kommen, reicht vermutlich die Zeit nicht aus, "mal schnell abzusetzen und noch in Remission ein Kind zu zeugen" - vor allem, weil eine Schwangerschaft sich ja auch nicht zwingend bei den ersten Versuchen einstellt.
Daher würde ich sagen: Habt Geduld. Die Zeit spielt für Euch, sowohl vom Erkenntnisgewinn über Kinder unter Nilotinib, als auch in Bezug auf die Stabilität einer Remission, wenn Du sie schon eine Weile hattest und dann an Absetzen denkst. Wie Du richtig sagst, habt Ihr Zeit zu überlegen. In zwei, drei Jahren wissen wir aus den STOP-Studien mehr, und vielleicht auch mehr Einzelfallberichte zu Nilotinib und Schwangerschaften. TIGER ist sicherlich eine sehr gute Studie, die, wenn das Ansprechen gut läuft, in einigen Jahren die Chance auf ein kontrolliertes Absetzen unter Tasigna bei gleichzeitig sensitivster PCR-Verlaufskontrolle ermöglicht, daher würde ich die Studie ernsthaft in Erwägung ziehen.
Wir werden übrigens demnächst eine Telefonkonferenz für "Leukämie-Onliner" anbieten, in der wir uns zu dem Thema CML + Familienplanung austauschen können. Ich melde mich diesbzgl. hier im Forum, wenn der Termin steht.
Viele Grüße
Jan