Schläferzellen

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marwin1077
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Re: Schläferzellen

Beitrag von marwin1077 » 12.06.2011, 19:00

Hey jan!


Du bewegst Dich sehr tief in dieser Materie, willst Du nicht Unif.- Prof. werden, denn das Zeug dazu hast Du ja jetzt schon!

Sind auch Mechanismen der Thymusdrüse dazu irgendwie im Gespräch?
http://de.wikipedia.org/wiki/Thymus
Ist ja gänzlich noch wenig bekannt von dieser Drüse, kann aber genau solchen programmierten Zelltod herbeiführen.




Ich denke daher immer - ich würde heute nicht auf eigene Faust Absetzversuche machen oder Naturheilselbstversuche machen, denn TKIs heilen nicht, und Absetzen ist ein Vabanquespiel. Absetzen sollte nur innerhalb von STOP-Studien erfolgen, in denen man dann mit monatlicher PCR sofort bei Rückfall wieder mit der Therapie beginnt. Medikation mit höchster Therapietreue und in der empfohlenen Dosis nehmen, denn Tabletten auslassen oder Wechselwirkungen riskieren ist das sicherste Mittel, die Remission zu verlieren oder die TKI-Therapie plötzlich nicht mehr zu vertragen.

Und nach ein paar Jahren CML als chronischer CML unter Dauertherapie, wenn die CML-Therapie sich in Zukunft entsprechend weiterentwickelt hat, dann die Schraube reindrehen.

Herzliche Grüße aus London,
Jan
Oh je.........das ist eine andere Geschichte!

LG

Martin

Ach ja, schöne Grüße aus dem Ort wo ich auch geboren wurde.........:-D
Trisomie 8 Mosaik

jan
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Re: Schläferzellen

Beitrag von jan » 12.06.2011, 17:25

Hallo Martin

es stimmt, da ist einiges an Phantasie drin :-)

Ich habe es bisher wie folgt verstanden: Warum die CML entsteht und warum die körpereigenen Notfallsysteme es nicht schaffen, die entstandenen CML-Zellen am Anfang der Erkrankung in den programmierten Zelltod zu treiben, weiß man nicht.

Man erkennt aber immer besser, warum auch bei hochaktiver CML-Therapie ein paar Stammzellen übrig bleiben, obwohl die existierenden Medikamente den Zellteilungsmechanismus blockieren und ihm die Energielieferung (ATP) entziehen, so dass die Zelle abstirbt. Das aktuelle Verständnis ist wohl, dass einige Stammzellen in einem Stadium verbleiben, in dem sie sich nicht teilen. Da die Tyrosinkinasehemmer Imatinib, Dasatinib und Nilotinib (TKI) nur wirken, wenn die Zelle Energie zur Teilung braucht, werden sie vom Medikament nicht erreicht. Es scheint sogar so zu sein, dass die TKIs die Zellen teilweise selbst in einen Schlafmodus schicken. Die Forscher um Holyoake haben nun auch nachgewiesen, dass diese CML-Stammzellen im Reagenzglas überleben, wenn man sie mit einer für Menschen nicht verkraftbar hohen Dasatinib-Dosis versieht. Dies bedeutet, das Überleben dieser Stammzellen ist unabhängig von den Mechanismen, die die TKI blockieren. Dies bedeutet auch, dass TKIs eben die systembedingt CML nicht heilen, sondern auf ein Minimalmaß runterfahren und dort einfrieren.

Daher denkt man über die Kombination von TKIs mit weiteren Medikamenten nach, die zusätzlich zur bewiesermaßen sehr effektiven Hemmung von bcr-abl auf einen anderen, speziell für diese Stammzellen typischen Mechanismus abzielen. Von Interferon weiß man, dass es einerseits die Eigenschaft hat, Stammzellen aus dem Schlafmodus zu wecken, und andererseits, dass es Immunzellen gezielt gegen bestimmte Eigenschaften der CML aktiviert. Da Interferon erstens ein körpereigenes Protein ist und zweitens bei der CML seit etwa 20 Jahren eingesetzt wird, ist das die einzige heute verfügbare Option zur Aktivierung der Immuneffekte. Sowohl die französische SPIRIT-Studie als auch die schwedische CML002-Studie haben gezeigt, dass das Ansprechen der Kombination besser ist als Imatinib alleine, und die Mannheim-Studie, in der ich seit 2001 bin, hat ja bei 15 von 20 Teilnehmern gezeigt, dass ein Absetzen in guter Remission (selbst unter meßbarer Restleukämie / MMR) unter Interferon-Erhaltungstherapie meist gut und langfristig funktioniert.

Weitere experimentelle Wirkstoffe, die man in Kombination mit den TKIs in Erwägung zieht, zielen entweder ebenfalls auf das "Wecken" (und dann Zelltod durch TKI), auf gezielten Zelltod auf anderer Weise, oder auf Mechanismen, die die schlafenden CML-Stammzellen im "Stammzellenarrest" am Leben halten. Zu letzterem: die schlafenden CML-Stammzellen teilen sich zwar nicht, brauchen aber trotzdem andere Mechanismen und Botenstoffe, um nicht abzusterben. Forscher wie Tessa Holyoake erforschen genau diese Mechanismen, die sich bei CML-Stammzellen wohl von normalen anderen Blutstammzellen unterscheiden. Es gibt da verschiedene Wirkstoffkandidaten, die das im Reagenzglas wohl ganz gut adressieren. Ob die aber im Körper verträglich sind, weil der Mensch ja kein Reagenzglas ist, weiss man noch nicht, dazu ist es noch zu früh.

Zusätzlich versucht man rauszufinden, warum in den französischen STOP-Studien, bei denen Patienten mit über 2 Jahren nicht nachweisbarer Resterkrankung alle Medikations absetzen, trotzdem nur 60% und nicht alle Patienten einen Rückfall erleiden. Dazu laufen Forschungsarbeiten, um rauszufinden, was bei den restlichen 40% anders läuft - das könnten Immunfunktionen sein, aber auch andere Mechanismen. Auf EHA wurden heute erstmals Daten vorgestellt, die Absetzversuche auch für Dasatinib und Nilotinib dokumentieren - einerseits erreichen ca. 25% unter den Medikamenten eine komplette molekulare Remission (statt 10% unter Imatinib), aber andererseits sind die Rückfallraten - soweit man in den ersten 10 Monaten das beurteilen kann - wohl auch ungefähr 50:50.

In jeden Fall passiert in der Forschung eine ganze Menge. Die Zeit spielt in dem Fall für uns, denn in ein paar Jahren weiss man mehr und hat für die Schrauben vielleicht auch den passenden Schraubenzieher.

Ich denke daher immer - ich würde heute nicht auf eigene Faust Absetzversuche machen oder Naturheilselbstversuche machen, denn TKIs heilen nicht, und Absetzen ist ein Vabanquespiel. Absetzen sollte nur innerhalb von STOP-Studien erfolgen, in denen man dann mit monatlicher PCR sofort bei Rückfall wieder mit der Therapie beginnt. Medikation mit höchster Therapietreue und in der empfohlenen Dosis nehmen, denn Tabletten auslassen oder Wechselwirkungen riskieren ist das sicherste Mittel, die Remission zu verlieren oder die TKI-Therapie plötzlich nicht mehr zu vertragen.

Und nach ein paar Jahren CML als chronischer CML unter Dauertherapie, wenn die CML-Therapie sich in Zukunft entsprechend weiterentwickelt hat, dann die Schraube reindrehen.

Herzliche Grüße aus London,
Jan

marwin1077
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Re: Schläferzellen

Beitrag von marwin1077 » 12.06.2011, 12:18

Ich bin weder gescheit noch Einstein, es ist einfach nur FANTASIE sonst nichts!
Und es wird kompliziert werden, weil es ein Paradoxon sein wird.



Alle Forschung und selbst unser Körper zielt darauf an diese Krankheit unter Kontrolle zu bringen und einzudämmen, aber vielleicht ist das genau der falsche Weg bei den Schläferzellen.

Wer kennt die "verrückten Reiskeimlinge", ihr solltet das mal googeln, oder ich versuchs zu erklären. Es geht um ein Wachstumshormon der Pflanzen, zuviel davon und schon wachsen sich die Pflanzen "zu Tode".

Vielleicht könnte man ja ein solchen Denkansatz auch für teilende Schläferzellen nutzen, sie bräuchten sich nur durch eine andere Substanz (Verum) zu Tode teilen, also entgegengesetzt zum Eindämmen zum Wachsen zu bringen. Man könnte auch Ursachenbekämpfung dazu sagen, vorrausgesetzt die Zellteilung ist Ursache das die TKI`s an diesem Punkt nicht wirken können.



Das wars schon :P


Wie gesagt ist nur Fantasie oder ein Gedanke von vielen Möglichkeiten, also BITTE nicht ernst nehmen!
In manchen Fällen sollte man anderen einfach nicht ihrer Fantasie berauben, den Sie hilft. :mrgreen:
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Re: Schläferzellen

Beitrag von marwin1077 » 11.06.2011, 12:00

Hallo jan,

Du bist ein Phänomen für mich, immer TOP! informiert, ich muß dich echt mal kennenlernen. :-P

Ja, man bewegt sich sehr tief in einem theoretischen Teil der Krankheit. Da wir ja hier im Forum sind und ich kein Doktor bin, brauche ich ja auch keine Verantwortung gegenüber niemanden mit Ausnahme von mir selbst an den Tag zu legen, und bekämpfe mal die Schläferzellen mit meiner FANTASIE.

Frei nach dem Motto:

Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.

von Albert Einstein, 14.03.1879 - 18.04.1955
deutscher Physiker und Nobelpreisträger


Interferon ist ein körpereigenes Hormon und wirkt antitumorös - ist das richtig?
Damit ist gemeint die Natur bekämpft die Krankheit im Körper auch selbst.
Wenn aber die Krankheit Überhand nimmt hilft das Hormon nicht mehr, es braucht selbst Hilfe um der Lage wieder Herr zu werden.

Es wurden die Kinasehemmer entwickelt, ein Medikament das solche Hilfe die Krankheit wieder unter Kontrolle zu bringen bietet.
Und nun steht man vor dem Problem die Krankheit auch relevant medikamentös auszuheilen, also weiter zurückdrängen will um die schlafenden auch noch zu erwischen - ist das richtig?

Aber vielleicht ist das ja genau der falsche Ansatz?

Ich werde mal einen hinkenden Vergleich anstellen in weiterer Folge, aber mein Neffe will im Moment an den Pc rann. :-D

Bleibt einfach dran.


Marwin
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jan
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Re: Schläferzellen

Beitrag von jan » 11.06.2011, 07:33

Hallo Marwin

erst gestern gab es hier auf dem Europäischen Hämatologenkongress EHA dazu eine Präsentation von Tessa Holyoake, die sich seit Jahren damit beschäftigt, wie man den schlafenden Stammzellen zu Leibe rückt. Leider befinden sich diese Stammzellen in einem vom bcr-abl-Mechanismus unabhängigen "Teilungsstreik" und werden daher von den uns bekannten Tyrosinkinasehemmern nicht erreicht. Man versteht jedoch die Unterschiede der CML-Blutstammzellen und der normalen Blutstammzellen immer besser, so dass es einige verschiedene theoretische Ansätze gibt, wie man ihnen zu Leibe rücken möchte. Einige sind in sehr frühen klinischen Studien (z.B. Hedgehog-Wirkweg, SMO-Hemmer, Histone), manche sind noch im Labor unterwegs. Auch Interferon ist weiterhin sehr stark im Gespräch, weil man beobachtet, dass es einerseits Schläfer weckt und andererseits das Immunsystem zu stimulieren scheint, mit der geringen Restleukämie selbst fertig zu werden. In ähnlicher Weise versucht man auch rauszufinden, warum bei den STOP-Studien rund 40% der Patienten keinen Rückfall erleiden, obwohl die Schläferzellen noch da sind, und versucht, den individuellen Unterschied zu den 60%, die einen schnellen Rückfall bekommen, herauszufinden. Auch hier vermuten manche, dass es mit Immunfunktionen zusammenhängt - aber man ist noch nicht so weit, es genau erklären zu können.

Allerdings ist - von Interferon abgesehen - das alles noch in früher Phase und noch mit viel Theorie verbunden. Welcher Weg wirklich funktionieren wird, die Schläferzellen zu wecken und zu vertreiben, weiß man noch lange nicht. Die Zeit spielt aber für uns, denn es ist beruhigend und schön, zu sehen, wie intensiv hier dran gearbeitet wird, dieses Problem zu lösen.

Viele Grüße aus London vom EHA
Jan

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Schläferzellen

Beitrag von marwin1077 » 11.06.2011, 04:56

Hallo!

Die CML ist ja unter gewissen Vorraussetzungen gut in den Griff zu bekommen mit den neuen Hemmern. Komplette Remissionen erreichen aber meines Wissens nur 10% der CML Kranken. Trotzdem will ich die Frage in den Raum stellen ob nicht schon ein Weg bekannt ist auch noch die Schläferzellen zu bekämpfen......

Wer weiß mehr?


Marwin
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