von jan » 12.06.2011, 17:25
Hallo Martin
es stimmt, da ist einiges an Phantasie drin
Ich habe es bisher wie folgt verstanden: Warum die CML entsteht und warum die körpereigenen Notfallsysteme es nicht schaffen, die entstandenen CML-Zellen am Anfang der Erkrankung in den programmierten Zelltod zu treiben, weiß man nicht.
Man erkennt aber immer besser, warum auch bei hochaktiver CML-Therapie ein paar Stammzellen übrig bleiben, obwohl die existierenden Medikamente den Zellteilungsmechanismus blockieren und ihm die Energielieferung (ATP) entziehen, so dass die Zelle abstirbt. Das aktuelle Verständnis ist wohl, dass einige Stammzellen in einem Stadium verbleiben, in dem sie sich nicht teilen. Da die Tyrosinkinasehemmer Imatinib, Dasatinib und Nilotinib (TKI) nur wirken, wenn die Zelle Energie zur Teilung braucht, werden sie vom Medikament nicht erreicht. Es scheint sogar so zu sein, dass die TKIs die Zellen teilweise selbst in einen Schlafmodus schicken. Die Forscher um Holyoake haben nun auch nachgewiesen, dass diese CML-Stammzellen im Reagenzglas überleben, wenn man sie mit einer für Menschen nicht verkraftbar hohen Dasatinib-Dosis versieht. Dies bedeutet, das Überleben dieser Stammzellen ist unabhängig von den Mechanismen, die die TKI blockieren. Dies bedeutet auch, dass TKIs eben die systembedingt CML nicht heilen, sondern auf ein Minimalmaß runterfahren und dort einfrieren.
Daher denkt man über die Kombination von TKIs mit weiteren Medikamenten nach, die zusätzlich zur bewiesermaßen sehr effektiven Hemmung von bcr-abl auf einen anderen, speziell für diese Stammzellen typischen Mechanismus abzielen. Von Interferon weiß man, dass es einerseits die Eigenschaft hat, Stammzellen aus dem Schlafmodus zu wecken, und andererseits, dass es Immunzellen gezielt gegen bestimmte Eigenschaften der CML aktiviert. Da Interferon erstens ein körpereigenes Protein ist und zweitens bei der CML seit etwa 20 Jahren eingesetzt wird, ist das die einzige heute verfügbare Option zur Aktivierung der Immuneffekte. Sowohl die französische SPIRIT-Studie als auch die schwedische CML002-Studie haben gezeigt, dass das Ansprechen der Kombination besser ist als Imatinib alleine, und die Mannheim-Studie, in der ich seit 2001 bin, hat ja bei 15 von 20 Teilnehmern gezeigt, dass ein Absetzen in guter Remission (selbst unter meßbarer Restleukämie / MMR) unter Interferon-Erhaltungstherapie meist gut und langfristig funktioniert.
Weitere experimentelle Wirkstoffe, die man in Kombination mit den TKIs in Erwägung zieht, zielen entweder ebenfalls auf das "Wecken" (und dann Zelltod durch TKI), auf gezielten Zelltod auf anderer Weise, oder auf Mechanismen, die die schlafenden CML-Stammzellen im "Stammzellenarrest" am Leben halten. Zu letzterem: die schlafenden CML-Stammzellen teilen sich zwar nicht, brauchen aber trotzdem andere Mechanismen und Botenstoffe, um nicht abzusterben. Forscher wie Tessa Holyoake erforschen genau diese Mechanismen, die sich bei CML-Stammzellen wohl von normalen anderen Blutstammzellen unterscheiden. Es gibt da verschiedene Wirkstoffkandidaten, die das im Reagenzglas wohl ganz gut adressieren. Ob die aber im Körper verträglich sind, weil der Mensch ja kein Reagenzglas ist, weiss man noch nicht, dazu ist es noch zu früh.
Zusätzlich versucht man rauszufinden, warum in den französischen STOP-Studien, bei denen Patienten mit über 2 Jahren nicht nachweisbarer Resterkrankung alle Medikations absetzen, trotzdem nur 60% und nicht alle Patienten einen Rückfall erleiden. Dazu laufen Forschungsarbeiten, um rauszufinden, was bei den restlichen 40% anders läuft - das könnten Immunfunktionen sein, aber auch andere Mechanismen. Auf EHA wurden heute erstmals Daten vorgestellt, die Absetzversuche auch für Dasatinib und Nilotinib dokumentieren - einerseits erreichen ca. 25% unter den Medikamenten eine komplette molekulare Remission (statt 10% unter Imatinib), aber andererseits sind die Rückfallraten - soweit man in den ersten 10 Monaten das beurteilen kann - wohl auch ungefähr 50:50.
In jeden Fall passiert in der Forschung eine ganze Menge. Die Zeit spielt in dem Fall für uns, denn in ein paar Jahren weiss man mehr und hat für die Schrauben vielleicht auch den passenden Schraubenzieher.
Ich denke daher immer - ich würde heute nicht auf eigene Faust Absetzversuche machen oder Naturheilselbstversuche machen, denn TKIs heilen nicht, und Absetzen ist ein Vabanquespiel. Absetzen sollte nur innerhalb von STOP-Studien erfolgen, in denen man dann mit monatlicher PCR sofort bei Rückfall wieder mit der Therapie beginnt. Medikation mit höchster Therapietreue und in der empfohlenen Dosis nehmen, denn Tabletten auslassen oder Wechselwirkungen riskieren ist das sicherste Mittel, die Remission zu verlieren oder die TKI-Therapie plötzlich nicht mehr zu vertragen.
Und nach ein paar Jahren CML als chronischer CML unter Dauertherapie, wenn die CML-Therapie sich in Zukunft entsprechend weiterentwickelt hat, dann die Schraube reindrehen.
Herzliche Grüße aus London,
Jan
Hallo Martin
es stimmt, da ist einiges an Phantasie drin :-)
Ich habe es bisher wie folgt verstanden: Warum die CML entsteht und warum die körpereigenen Notfallsysteme es nicht schaffen, die entstandenen CML-Zellen am Anfang der Erkrankung in den programmierten Zelltod zu treiben, weiß man nicht.
Man erkennt aber immer besser, warum auch bei hochaktiver CML-Therapie ein paar Stammzellen übrig bleiben, obwohl die existierenden Medikamente den Zellteilungsmechanismus blockieren und ihm die Energielieferung (ATP) entziehen, so dass die Zelle abstirbt. Das aktuelle Verständnis ist wohl, dass einige Stammzellen in einem Stadium verbleiben, in dem sie sich nicht teilen. Da die Tyrosinkinasehemmer Imatinib, Dasatinib und Nilotinib (TKI) nur wirken, wenn die Zelle Energie zur Teilung braucht, werden sie vom Medikament nicht erreicht. Es scheint sogar so zu sein, dass die TKIs die Zellen teilweise selbst in einen Schlafmodus schicken. Die Forscher um Holyoake haben nun auch nachgewiesen, dass diese CML-Stammzellen im Reagenzglas überleben, wenn man sie mit einer für Menschen nicht verkraftbar hohen Dasatinib-Dosis versieht. Dies bedeutet, das Überleben dieser Stammzellen ist unabhängig von den Mechanismen, die die TKI blockieren. Dies bedeutet auch, dass TKIs eben die systembedingt CML nicht heilen, sondern auf ein Minimalmaß runterfahren und dort einfrieren.
Daher denkt man über die Kombination von TKIs mit weiteren Medikamenten nach, die zusätzlich zur bewiesermaßen sehr effektiven Hemmung von bcr-abl auf einen anderen, speziell für diese Stammzellen typischen Mechanismus abzielen. Von Interferon weiß man, dass es einerseits die Eigenschaft hat, Stammzellen aus dem Schlafmodus zu wecken, und andererseits, dass es Immunzellen gezielt gegen bestimmte Eigenschaften der CML aktiviert. Da Interferon erstens ein körpereigenes Protein ist und zweitens bei der CML seit etwa 20 Jahren eingesetzt wird, ist das die einzige heute verfügbare Option zur Aktivierung der Immuneffekte. Sowohl die französische SPIRIT-Studie als auch die schwedische CML002-Studie haben gezeigt, dass das Ansprechen der Kombination besser ist als Imatinib alleine, und die Mannheim-Studie, in der ich seit 2001 bin, hat ja bei 15 von 20 Teilnehmern gezeigt, dass ein Absetzen in guter Remission (selbst unter meßbarer Restleukämie / MMR) unter Interferon-Erhaltungstherapie meist gut und langfristig funktioniert.
Weitere experimentelle Wirkstoffe, die man in Kombination mit den TKIs in Erwägung zieht, zielen entweder ebenfalls auf das "Wecken" (und dann Zelltod durch TKI), auf gezielten Zelltod auf anderer Weise, oder auf Mechanismen, die die schlafenden CML-Stammzellen im "Stammzellenarrest" am Leben halten. Zu letzterem: die schlafenden CML-Stammzellen teilen sich zwar nicht, brauchen aber trotzdem andere Mechanismen und Botenstoffe, um nicht abzusterben. Forscher wie Tessa Holyoake erforschen genau diese Mechanismen, die sich bei CML-Stammzellen wohl von normalen anderen Blutstammzellen unterscheiden. Es gibt da verschiedene Wirkstoffkandidaten, die das im Reagenzglas wohl ganz gut adressieren. Ob die aber im Körper verträglich sind, weil der Mensch ja kein Reagenzglas ist, weiss man noch nicht, dazu ist es noch zu früh.
Zusätzlich versucht man rauszufinden, warum in den französischen STOP-Studien, bei denen Patienten mit über 2 Jahren nicht nachweisbarer Resterkrankung alle Medikations absetzen, trotzdem nur 60% und nicht alle Patienten einen Rückfall erleiden. Dazu laufen Forschungsarbeiten, um rauszufinden, was bei den restlichen 40% anders läuft - das könnten Immunfunktionen sein, aber auch andere Mechanismen. Auf EHA wurden heute erstmals Daten vorgestellt, die Absetzversuche auch für Dasatinib und Nilotinib dokumentieren - einerseits erreichen ca. 25% unter den Medikamenten eine komplette molekulare Remission (statt 10% unter Imatinib), aber andererseits sind die Rückfallraten - soweit man in den ersten 10 Monaten das beurteilen kann - wohl auch ungefähr 50:50.
In jeden Fall passiert in der Forschung eine ganze Menge. Die Zeit spielt in dem Fall für uns, denn in ein paar Jahren weiss man mehr und hat für die Schrauben vielleicht auch den passenden Schraubenzieher.
Ich denke daher immer - ich würde heute nicht auf eigene Faust Absetzversuche machen oder Naturheilselbstversuche machen, denn TKIs heilen nicht, und Absetzen ist ein Vabanquespiel. Absetzen sollte nur innerhalb von STOP-Studien erfolgen, in denen man dann mit monatlicher PCR sofort bei Rückfall wieder mit der Therapie beginnt. Medikation mit höchster Therapietreue und in der empfohlenen Dosis nehmen, denn Tabletten auslassen oder Wechselwirkungen riskieren ist das sicherste Mittel, die Remission zu verlieren oder die TKI-Therapie plötzlich nicht mehr zu vertragen.
Und nach ein paar Jahren CML als chronischer CML unter Dauertherapie, wenn die CML-Therapie sich in Zukunft entsprechend weiterentwickelt hat, dann die Schraube reindrehen.
Herzliche Grüße aus London,
Jan