von jan » 26.07.2006, 09:29
Hallo zusammen,
meine Antwort hat ein wenig gedauert, da ich mich erst umhören wollte. Ich bin gerade dabei, die Informationen von verschiedener Seite zu sammeln und habe auch den Nature Medicine-Artikel mittlerweile im Volltext, so dass sich langsam ein umfassendes Bild ergibt. Ich wollte eigentlich die nächsten Tage dazu einen ausführlicheren Artikel schreiben - aufgrund der Diskussion hier aber schonmal vorab, bevor mehr Verunsicherung entsteht:
Grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass diese Nachricht vor allem das Presse-Sommerloch füllen soll. Diese stürzt sich natürlich gerne mit einer kritischen Nachricht eines über Jahre als (fälschlicherweise) nebenwirkungslos bezeichneten Wundermedikaments - ob die Daten nun wirklich klinisch kritisch sind oder nicht. Am Ende erhöhen die sensationsgetriebenen Artikel in der Publikumspresse wie "Zeit", "Daily Telegraph" oder "The Times" aber nur die Verunsicherung bei den rund 100.000 Glivec-Patienten weltweit, ohne irgendjemandem wirklich zu helfen. Und wenn aufgrunddessen irgendein Patient wegen der 10 publizierten Fälle auf eigene Regie das Medikament absetzt oder runterdosiert, wird es tatsächlich lebensgefährlich.
Denn die publizierten Daten sind im klinischen Umfeld keineswegs neu, sondern seltene Nebenwirkungen am Herzen sind bei allen Tyrosinkinaseinhibitoren, die c-ABL hemmen, bekannt. Dazu zählen Imatinib/Glivec, Dasatinib/Sprycel und Nilotinib/Tasigna - bei den letzteren zwei wegen der höheren Dosierung stärker. Bei Glivec ist dies auch seit langem in der Fachinformation für Ärzte enthalten, und bei den Tasigna- und Dasatinib-Studien wurden daher regelmäßige EKGs angeordnet, um diesbezüglich statistisch aussagekräftige Daten zu sammeln. In den Langzeit-Daten der IRIS-Studie hingegen, in der tausende von Glivec-Patienten über mittlerweile fünf Jahre beobachtet wurden, wurde keine im Vergleich zur Normalbevölkerung erhöhte Sterblichkeit durch Herzerkrankungen festgestellt.
Insgesamt muss man die Beobachtungen aber ernst nehmen, und Patienten mit Herzproblemen sollten auf jeden Fall genau auf diese Nebenwirkungen beobachtet werden. Meiner Ansicht ist dies ein Beispiel dafür, dass Patienten möglichst immer in klinischen Studien mit Langzeitbeobachtung behandelt werden sollten, da der Niedergelassene Arzt mit 2-3 CML-Patienten bei solch seltenen Nebenwirkungen wie Herzproblemen oder Hypophosphatamie einfach überfordert ist. Insofern ist auch die schnelle Zulassung von Dasatinib in den USA ein Problem, weil jetzt dort deutlich weniger Dasatinib-Patienten im klinischen Umfeld unter genauer Beobachtung der Langzeit-Nebenwirkungen behandelt werden, bevor man über längere Zeit (wie damals bei IRIS) bei hohen Patientenzahlen klinischen Daten strukturiert sammeln konnte.
Um die Diskussion in der Presse zu rationalisieren, sollte man in Hinsicht auf die neuen Nebenwirkungen abwägen, welche Toxizität Imatinib potentiell verursacht, und diese mit den Nebenwirkungen der Alternativen vergleichen (Depressionsrate und Toxizität unter Interferon, Sterblichkeit und Zweiterkrankungsrisiko der Transplantation). Keine wirksame Therapie ist ohne Nebenwirkungen (auch Imatinib nicht), aber die Tatsache, dass über alle Risikogruppen fünf Jahre nach Therapiebeginn noch 95% der Patienten unter Imatinib am Leben sind, zeigt klar, dass der Überlebensvorteil, den Leukämiepatienten durch das Medikament haben, ungleich höher ist als die potentielle Gefahr von Nebenwirkungen - oder Progression durch nicht ausreichende Therapie.
Nichtsdestotrotz muss man darüber nachdenken, was man nach Jahren (!) der molekularen Vollremission als Erhaltungstherapie macht. Absetzen des Medikaments hat sich schon als nicht praktikabel erwiesen, aber vielleicht könnte die Erhaltungstherapie mit anderen Medikamenten (Interferon, Vakzine, Kombinationen), oder zyklieren der Therapie, ein Gedanke sein. Hieran arbeitet die Forschung momentan.
Hoffe, dass dies dies die Verunsicherungen etwas sortiert.
Viele Grüße
Jan
Hallo zusammen,
meine Antwort hat ein wenig gedauert, da ich mich erst umhören wollte. Ich bin gerade dabei, die Informationen von verschiedener Seite zu sammeln und habe auch den Nature Medicine-Artikel mittlerweile im Volltext, so dass sich langsam ein umfassendes Bild ergibt. Ich wollte eigentlich die nächsten Tage dazu einen ausführlicheren Artikel schreiben - aufgrund der Diskussion hier aber schonmal vorab, bevor mehr Verunsicherung entsteht:
Grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass diese Nachricht vor allem das Presse-Sommerloch füllen soll. Diese stürzt sich natürlich gerne mit einer kritischen Nachricht eines über Jahre als (fälschlicherweise) nebenwirkungslos bezeichneten Wundermedikaments - ob die Daten nun wirklich klinisch kritisch sind oder nicht. Am Ende erhöhen die sensationsgetriebenen Artikel in der Publikumspresse wie "Zeit", "Daily Telegraph" oder "The Times" aber nur die Verunsicherung bei den rund 100.000 Glivec-Patienten weltweit, ohne irgendjemandem wirklich zu helfen. Und wenn aufgrunddessen irgendein Patient wegen der 10 publizierten Fälle auf eigene Regie das Medikament absetzt oder runterdosiert, wird es tatsächlich lebensgefährlich.
Denn die publizierten Daten sind im klinischen Umfeld keineswegs neu, sondern seltene Nebenwirkungen am Herzen sind bei allen Tyrosinkinaseinhibitoren, die c-ABL hemmen, bekannt. Dazu zählen Imatinib/Glivec, Dasatinib/Sprycel und Nilotinib/Tasigna - bei den letzteren zwei wegen der höheren Dosierung stärker. Bei Glivec ist dies auch seit langem in der Fachinformation für Ärzte enthalten, und bei den Tasigna- und Dasatinib-Studien wurden daher regelmäßige EKGs angeordnet, um diesbezüglich statistisch aussagekräftige Daten zu sammeln. In den Langzeit-Daten der IRIS-Studie hingegen, in der tausende von Glivec-Patienten über mittlerweile fünf Jahre beobachtet wurden, wurde keine im Vergleich zur Normalbevölkerung erhöhte Sterblichkeit durch Herzerkrankungen festgestellt.
Insgesamt muss man die Beobachtungen aber ernst nehmen, und Patienten mit Herzproblemen sollten auf jeden Fall genau auf diese Nebenwirkungen beobachtet werden. Meiner Ansicht ist dies ein Beispiel dafür, dass Patienten möglichst immer in klinischen Studien mit Langzeitbeobachtung behandelt werden sollten, da der Niedergelassene Arzt mit 2-3 CML-Patienten bei solch seltenen Nebenwirkungen wie Herzproblemen oder Hypophosphatamie einfach überfordert ist. Insofern ist auch die schnelle Zulassung von Dasatinib in den USA ein Problem, weil jetzt dort deutlich weniger Dasatinib-Patienten im klinischen Umfeld unter genauer Beobachtung der Langzeit-Nebenwirkungen behandelt werden, bevor man über längere Zeit (wie damals bei IRIS) bei hohen Patientenzahlen klinischen Daten strukturiert sammeln konnte.
Um die Diskussion in der Presse zu rationalisieren, sollte man in Hinsicht auf die neuen Nebenwirkungen abwägen, welche Toxizität Imatinib potentiell verursacht, und diese mit den Nebenwirkungen der Alternativen vergleichen (Depressionsrate und Toxizität unter Interferon, Sterblichkeit und Zweiterkrankungsrisiko der Transplantation). Keine wirksame Therapie ist ohne Nebenwirkungen (auch Imatinib nicht), aber die Tatsache, dass über alle Risikogruppen fünf Jahre nach Therapiebeginn noch 95% der Patienten unter Imatinib am Leben sind, zeigt klar, dass der Überlebensvorteil, den Leukämiepatienten durch das Medikament haben, ungleich höher ist als die potentielle Gefahr von Nebenwirkungen - oder Progression durch nicht ausreichende Therapie.
Nichtsdestotrotz muss man darüber nachdenken, was man nach Jahren (!) der molekularen Vollremission als Erhaltungstherapie macht. Absetzen des Medikaments hat sich schon als nicht praktikabel erwiesen, aber vielleicht könnte die Erhaltungstherapie mit anderen Medikamenten (Interferon, Vakzine, Kombinationen), oder zyklieren der Therapie, ein Gedanke sein. Hieran arbeitet die Forschung momentan.
Hoffe, dass dies dies die Verunsicherungen etwas sortiert.
Viele Grüße
Jan