von jan » 13.09.2007, 00:14
Hallo Baba,
auch ich kann die gesetzliche Lage in der Schweiz nicht beurteilen und habe daher auch mit einer Antwort gezögert. In Deutschland gibt es beim Bewerbungsgespräch keine Offenbarungspflicht für schwere Erkrankungen, soweit sie nicht aller Voraussicht nach die Arbeitsleistung maßgeblich beeinflussen werden. Strittig ist, ob eine Offenbarungspflicht bei offiziell beantragtem und bewilligtem Schwerbehindertenstatus besteht - hier widersprechen sich die juristischen Interpretationen. Aber ganz klar ist - solange man in Deutschland keinen solchen "offiziellen Behindertenstatus" bewilligt bekommen hat, darf man auch auf explizite Nachfragen des potentiellen Arbeitgebers bewußt eine Erkrankung leugnen und ist auch später, wenn die CML sich bemerkbar machen sollte, nicht angreifbar.
Aber vielleicht ist das in der Schweiz anders - kann ich nicht beurteilen.
Ganz anders ist die nicht-juristische Fragestellung. Kann ich es als CML-Patient wagen, mich aus einem "sicheren" Anstellungsverhältnis in eine mit Probezeit und Unsicherheit besetzte neue Anstellung wagen, wenn ich mit meinem aktuellen Job unzufrieden bin? Wird meine CML stabil bleiben, bis ich auch dort "sicher" bin? Muss ich meinem neuen Arbeitgeber etwas erzählen, den Kollegen? Werden sie, wenn sie es wissen, mich bei Beförderungen oder Empfehlungen überhaupt berücksichtigen, oder bin ich als Krebspatient "gebrandmarkt"?
Diese Fragen habe ich mir in den letzten sechs Jahren seit meiner CML-Diagnose andauernd gestellt. Meine Diagnose war 2001, ich nahm an einer Studie teil, die anfangs wöchentliche Kliniktermine erforderte, aber ich habe ausschließlich meinen guten Freund, der gleichzeitig mein Chef war, informiert, und er hielt mir bei den wöchentlichen Arztbesuchen den Rücken frei. Niemand sonst hat bei meinem damaligen Arbeitgeber von meiner Erkrankung erfahren - ich habe aber auch krankheitsbedingt kaum einmal fehlen müssen. 2003 war ich aber sehr unzufrieden in meinem Job und beschloss, nachdem die CML sich als sehr stabil zeigte, den Job zu wechseln. Ich habe mich also beworben, führte gute Gespräche, bekam ein Angebot - und da ich mich seit meiner Diagnose nie ungesund oder arbeitsseitig eingeschränkt fühlte, habe ich zugesagt, gewechselt, geschwiegen.
Bis im Juli diesen Jahres, da ich das immer mehr ausufernde Doppelleben, mich einerseits für Leukämie-Online und ECPC zeitmäßig sehr zu engagieren, andererseits aber 50-60 Stunden/Woche in meinem Job zu arbeiten, nicht mehr ertragen habe - ich wollte die Geheimhaltung reduzieren und zumindest von meinen Vorgesetzten Rückendeckung und Einverständnis haben, falls dank Google oder meiner Unvorsichtigkeit etwas über mein Engagement und meine Erkrankung herauskäme. Also habe ich im Juli meine beiden Chefs eingeweiht - und hatte große Angst vor diesem Schritt, da ich erstens mit Mitte 30 noch nicht am Ende der Möglichkeiten meines Berufslebens sein wollte, und zweitens, weil mir unklar war, wie sie auf die Geheimhaltung, mein Mißtrauen und mein Doppelleben der letzten vier Jahre reagieren würden.
Insgesamt war deren Reaktion sehr sehr positiv, und darüber hinaus haben sie mir ihre Unterstützung bei meinem ehrenamtlichen Engagement zugesagt. Ich bin sehr froh, diesen Schritt gemacht zu haben, und hoffe, ohne den bisherigen psychischen Spagat Beruf und Ehrenamt noch besser kombinieren zu können.
Meine Zurückhaltung war also umsonst oder nicht erforderlich. Generalisieren läßt sich das aber nicht, da meine Chefs sozialen Engagements und gesellschaftlichen Themen extrem aufgeschlossen gegenüberstehen und wir uns sehr gut verstehen. Es mag genauso sein und man hört immer wieder entsprechende Geschichten, dass mancher Arbeitgeber einen als Krebspatienten wirklich "abschreibt". Insofern ist es eine sehr individuelle Angelegenheit, die sehr von Personen, deren Einstellungen und Vorbehalten abhängt.
Als "Grundtenor" würde ich aber sagen: Beim Vorstellungsgespräch würde ich persönlich die CML keinesfalls erwähnen, denn es existieren Vorbehalte und Vorurteile. Wenn mancher Personaler die Wahl zwischen einem engagierten Hobbyfußballer, der mit gewisser Wahrscheinlichkeit verletzungsbedingt längere Zeit ausfällt, und einem CML-Patienten, der vermutlich deshalb wenig fehlen wird, hat, wird er vermutlich den Fußballer wählen, weil man Krebspatienten ja aus dem Fernsehen als die kennt, die nicht mehr lange zu leben haben und ständig krank sind.
Wenn man erstmal eingestellt ist, kann man später immer noch mit seinem "Coming-Out" bewußt machen, dass Krebs auch eine chronische Erkrankung wie viele andere auch sein kann, und aktiv Vorurteile abbauen... Im Vorstellungsgespräch aber nicht, wenn man die Gegenüber nicht kennt.
Dies nur als einige Gedanken von meiner Seite...
Viele Grüße, und gute Entscheidungen,
Jan
Hallo Baba,
auch ich kann die gesetzliche Lage in der Schweiz nicht beurteilen und habe daher auch mit einer Antwort gezögert. In Deutschland gibt es beim Bewerbungsgespräch keine Offenbarungspflicht für schwere Erkrankungen, soweit sie nicht aller Voraussicht nach die Arbeitsleistung maßgeblich beeinflussen werden. Strittig ist, ob eine Offenbarungspflicht bei offiziell beantragtem und bewilligtem Schwerbehindertenstatus besteht - hier widersprechen sich die juristischen Interpretationen. Aber ganz klar ist - solange man in Deutschland keinen solchen "offiziellen Behindertenstatus" bewilligt bekommen hat, darf man auch auf explizite Nachfragen des potentiellen Arbeitgebers bewußt eine Erkrankung leugnen und ist auch später, wenn die CML sich bemerkbar machen sollte, nicht angreifbar.
Aber vielleicht ist das in der Schweiz anders - kann ich nicht beurteilen.
Ganz anders ist die nicht-juristische Fragestellung. Kann ich es als CML-Patient wagen, mich aus einem "sicheren" Anstellungsverhältnis in eine mit Probezeit und Unsicherheit besetzte neue Anstellung wagen, wenn ich mit meinem aktuellen Job unzufrieden bin? Wird meine CML stabil bleiben, bis ich auch dort "sicher" bin? Muss ich meinem neuen Arbeitgeber etwas erzählen, den Kollegen? Werden sie, wenn sie es wissen, mich bei Beförderungen oder Empfehlungen überhaupt berücksichtigen, oder bin ich als Krebspatient "gebrandmarkt"?
Diese Fragen habe ich mir in den letzten sechs Jahren seit meiner CML-Diagnose andauernd gestellt. Meine Diagnose war 2001, ich nahm an einer Studie teil, die anfangs wöchentliche Kliniktermine erforderte, aber ich habe ausschließlich meinen guten Freund, der gleichzeitig mein Chef war, informiert, und er hielt mir bei den wöchentlichen Arztbesuchen den Rücken frei. Niemand sonst hat bei meinem damaligen Arbeitgeber von meiner Erkrankung erfahren - ich habe aber auch krankheitsbedingt kaum einmal fehlen müssen. 2003 war ich aber sehr unzufrieden in meinem Job und beschloss, nachdem die CML sich als sehr stabil zeigte, den Job zu wechseln. Ich habe mich also beworben, führte gute Gespräche, bekam ein Angebot - und da ich mich seit meiner Diagnose nie ungesund oder arbeitsseitig eingeschränkt fühlte, habe ich zugesagt, gewechselt, geschwiegen.
Bis im Juli diesen Jahres, da ich das immer mehr ausufernde Doppelleben, mich einerseits für Leukämie-Online und ECPC zeitmäßig sehr zu engagieren, andererseits aber 50-60 Stunden/Woche in meinem Job zu arbeiten, nicht mehr ertragen habe - ich wollte die Geheimhaltung reduzieren und zumindest von meinen Vorgesetzten Rückendeckung und Einverständnis haben, falls dank Google oder meiner Unvorsichtigkeit etwas über mein Engagement und meine Erkrankung herauskäme. Also habe ich im Juli meine beiden Chefs eingeweiht - und hatte große Angst vor diesem Schritt, da ich erstens mit Mitte 30 noch nicht am Ende der Möglichkeiten meines Berufslebens sein wollte, und zweitens, weil mir unklar war, wie sie auf die Geheimhaltung, mein Mißtrauen und mein Doppelleben der letzten vier Jahre reagieren würden.
Insgesamt war deren Reaktion sehr sehr positiv, und darüber hinaus haben sie mir ihre Unterstützung bei meinem ehrenamtlichen Engagement zugesagt. Ich bin sehr froh, diesen Schritt gemacht zu haben, und hoffe, ohne den bisherigen psychischen Spagat Beruf und Ehrenamt noch besser kombinieren zu können.
Meine Zurückhaltung war also umsonst oder nicht erforderlich. Generalisieren läßt sich das aber nicht, da meine Chefs sozialen Engagements und gesellschaftlichen Themen extrem aufgeschlossen gegenüberstehen und wir uns sehr gut verstehen. Es mag genauso sein und man hört immer wieder entsprechende Geschichten, dass mancher Arbeitgeber einen als Krebspatienten wirklich "abschreibt". Insofern ist es eine sehr individuelle Angelegenheit, die sehr von Personen, deren Einstellungen und Vorbehalten abhängt.
Als "Grundtenor" würde ich aber sagen: Beim Vorstellungsgespräch würde ich persönlich die CML keinesfalls erwähnen, denn es existieren Vorbehalte und Vorurteile. Wenn mancher Personaler die Wahl zwischen einem engagierten Hobbyfußballer, der mit gewisser Wahrscheinlichkeit verletzungsbedingt längere Zeit ausfällt, und einem CML-Patienten, der vermutlich deshalb wenig fehlen wird, hat, wird er vermutlich den Fußballer wählen, weil man Krebspatienten ja aus dem Fernsehen als die kennt, die nicht mehr lange zu leben haben und ständig krank sind.
Wenn man erstmal eingestellt ist, kann man später immer noch mit seinem "Coming-Out" bewußt machen, dass Krebs auch eine chronische Erkrankung wie viele andere auch sein kann, und aktiv Vorurteile abbauen... Im Vorstellungsgespräch aber nicht, wenn man die Gegenüber nicht kennt.
Dies nur als einige Gedanken von meiner Seite...
Viele Grüße, und gute Entscheidungen,
Jan