von jan » 01.06.2014, 12:27
Hallo zusammen,
sicherlich kann man sich trefflich darüber auseinandersetzen, ob eine komplett verstaatlichtes Gesundheitssystem ohne wirtschaftliche Anreize und ohne Konkurrenz effizienter, kostengünstiger und für die Gesellschaft zielführender funktionieren würde oder nicht. Ich persönlich bin der Meinung, dass wir gerade in Deutschland bis vor 25 Jahren gesehen haben, dass man für ein völlig verstaatlichtes System auch Mauern und Stacheldraht braucht, oder eben sich die ganze restliche Welt diesem Modell anschließen muss, weil die Zeit der Wirtschaftsinseln vorbei ist.
Ich selbst bedauere sehr, dass die öffentlichen Mittel für die rein akademische klinische Forschung immer weiter zurückgefahren werden, während man die administrativen Auflagen zu unserer Sicherheit immer weiter nach oben schraubt, was zu steigenden Entwicklungskosten führt, die über völlig irrational hohe Preise wieder zurückgeholt werden. Deshalb hat man AMNOG eingeführt, um den völlig außer Rand und Band geratenen Arzneimittelpreismodellen Einhalt zu gebieten. Dies ist aber Politik - und da stimme ich Pascal zu - und insofern operieren die Unternehmen in einem staatlich und gesellschaftlich klar definierten und von Mehrheiten gewollten System.
Aber ich denke, das ist hier nicht Thema dieses Forums und auch nicht ein spezielles Thema des Gesundheitssystems, sondern ein Thema jeglicher quasi-öffentlicher Güter wie Grundlagenforschung, Bildung, Gesundheit, Schwimmbäder, Energie oder Straßenbau, in der staatlich/gesellschaftlich gewünschte Versorgung auf wirtschaftlich orientierte Erbringungsstrukturen trifft.
Ohne Zweifel ist ein Arzneimittelhersteller ein Wirtschaftsunternehmen, und deren Interesse ist, mit ihren Produkten im gesetzlich und gesellschaftlich vereinbarten Rahmen wirtschaftlich möglichst erfolgreich zu sein. Auch wissen wir, dass das Patent von Glivec nach wirtschaftlich für dieses Produkt extrem fruchtbaren Jahren im Jahr 2016 ausläuft, das von Tasigna, Sprycel, Bosulif und Iclusig aber noch Jahre währt. Auch ist klar, dass im Bereich der Zweitlinienmedikamente seit einiger Zeit ein Marketingboxkampf stattfindet, in der Glivec und zwei weitere Medikamente sich mehr oder weniger den Markt aufteilen, und zwei weitere Zweit/Drittlinienmedikamente vermutlich niemals wirtschaftlich erfolgreich sein werden bzw. isoliert auf dieses Produkt betrachtet niemals die Investitionen wieder einspielen werden, sie aber trotzdem für manche Patienten wie z.B. CML mit T315I-Mutation, extrem wichtig sind. Nach rein wirtschaftlicher, auf das Einzelprodukt betrachteter Rechnung gäbe es die letzteren zwei Produkte gar nicht (mehr). Auch wissen wir, dass zwei der Hersteller im Moment STOPP-Studien wie ENESTop, ENESTpath, ENESTfreedom und DASFREE durchführen und Studien wie CML-V/TIGER unterstützen, was ja dem Schwarz-Weiss-Bild des ausschliesslich an Chronifizierung und nicht an Heilung interessierten Pharmariesen irgendwie wiederspricht. Auch können wir beobachten, dass die Kassen keinen Finger rühren, um die rein akademisch betriebene EUROSKI-Studie mitzufinanzieren, obwohl sie die Hauptnutznießer des Absetzens der teuren TKI-Therapien wären. Auch wissen wir, dass mit Generika kräfig Geld verdient wird und die Preise für EMA-zugelassene Imatinib-Generika z.B. in Litauen nur zwei Drittel des Preises des Originalpräparatspreises betragen, obwohl die ein Produktionskosten des Medikaments pro Tablette im Bereich der Cents bis Euro liegen dürften und TEVA, Actavis und andere keinen Euro in die CML-Forschung investiert haben. Selbstlosigkeit gibt weder bei den Herstellern von Originalpräparaten, noch denen der Generika, und Kassen handeln vor allem im kurzfristigen Budgetinteresse, nicht zwingend im Interesse des Versicherten im Leistungsfall oder im Interesse der Gesellschaft.
All dies muss man als komplexes Gesamtsystem betrachten, in dem viel Geld verdient und manchmal auch viel Geld verloren wird - manchmal vertikal in einer einzelnen Erkrankung, manchmal auf ein ganzes Produktportfolio gesehen. Es gibt völlig gesponnene Preise, wenige radikale Innovationen und einige nutzlose Me-too-Produkte. Es gibt Pharmamitarbeiter z.B. im Außendienst, deren Gehalt sich am regionalen Umsatz bei Ärzten und in Apotheken misst, und es gibt Mitarbeiter, die die Arbeit in der CML nicht ihres Gehalts wegen tun, sondern weil sie versuchen, von innen heraus das Richtige zu bewirken - vielleicht auch, weil sie, wie viele andere Bundesbürger, selbst oder in der Familie von Krebs, MS oder Parkinson betroffen sind. Wie in jeder Branche gibt es gute und schlechte Beispiele, Erfolg und Misserfolg, Unternehmen mit Rekordrendite und Unternehmen, die mangels Erfolg geschluckt werden oder verschwinden oder tausende von Mitarbeitern entlassen. Schwarz/Weiss wäre die Welt am Einfachsten zu erklären, aber leider ist sie das nicht.
Nun aber zurück zur ursprünglichen Fragestellung. Ich denke, mit etwas Nachdenken sollte einem klar sein, dass ein eintägiges Gespräch mit ein, zwei Dutzend Patienten keinen Einfluss auf Umsatz, Kosten oder die Marktposition (gegenüber Konkurrenzprodukten oder z.B. auch in Richtung Generika, die in Deutschland nicht vor 2016 kommen) haben kann. Man muss vielleicht bedenken, dass die, die in einem Pharmaunternehmen an einem bestimmten Produkt einer bestimmten Erkrankung arbeiten, selbst kaum Patientenkontakt haben, da sie weder CML behandeln, noch die Studien selbst durchführen, noch in der Apotheke stehen. Vieles von dem, was sie tun, geht komplett an den Patientenbedürfnissen vorbei, weil sie nur mit denen sprechen, die vorgeben, sie wüßten, was Patienten wollen - und nicht mit Patienten selbst. Das Ziel eines solchen Treffens ist für die Unternehmen Lernen, nicht Werbung. Solche Treffen sind dazu gedacht, direkte Rückmeldung zu bekommen - z.B. wie problematisch die Einnahme mit den Fastenzeiten ist. Wie die Verpackung, die Packungsbeilage und der Blister genutzt und verstanden wird. Wie wir Patienten mit Therapieunterbrechungen und Therapie-STOPP psychologisch umgehen. Wie die vom Hersteller bereitgestellten Informationsbroschüren verstanden werden und was fehlt - und so weiter.
Ob man das nun gut oder schlecht, unterstützenswert oder abzulehnend finded, bleibt jedermanns Interpretation überlassen. Muss ja niemand hingehen.
Ich selbst bin ein Freund von Dialog, und wenn jemand Patienten dazu einlädt, ihre ehrliche Meinung zu sagen ihre Vorschläge und Kritik loszuwerden, finde ich das grundsätzlich positiv. Und wer hinfährt, sollte vor allem ehrlich sein - schließlich bezahlen unsere Kassenbeiträge deren Gehalt, also sollen sie damit das tun, was für uns Patienten am Besten ist.
Viele Grüße
Jan
(der, wie gesagt, weder involviert in das Novartis-Patientengespräch ist, noch selbst daran teilgenommen hat, und der selbst Novartis, BMS etc, den Politikern, den Behörden, den Kassen immer recht klar sagt, was er von den Studien, Materialien, Preispolitik und ähnlichem hält).
Hallo zusammen,
sicherlich kann man sich trefflich darüber auseinandersetzen, ob eine komplett verstaatlichtes Gesundheitssystem ohne wirtschaftliche Anreize und ohne Konkurrenz effizienter, kostengünstiger und für die Gesellschaft zielführender funktionieren würde oder nicht. Ich persönlich bin der Meinung, dass wir gerade in Deutschland bis vor 25 Jahren gesehen haben, dass man für ein völlig verstaatlichtes System auch Mauern und Stacheldraht braucht, oder eben sich die ganze restliche Welt diesem Modell anschließen muss, weil die Zeit der Wirtschaftsinseln vorbei ist.
Ich selbst bedauere sehr, dass die öffentlichen Mittel für die rein akademische klinische Forschung immer weiter zurückgefahren werden, während man die administrativen Auflagen zu unserer Sicherheit immer weiter nach oben schraubt, was zu steigenden Entwicklungskosten führt, die über völlig irrational hohe Preise wieder zurückgeholt werden. Deshalb hat man AMNOG eingeführt, um den völlig außer Rand und Band geratenen Arzneimittelpreismodellen Einhalt zu gebieten. Dies ist aber Politik - und da stimme ich Pascal zu - und insofern operieren die Unternehmen in einem staatlich und gesellschaftlich klar definierten und von Mehrheiten gewollten System.
Aber ich denke, das ist hier nicht Thema dieses Forums und auch nicht ein spezielles Thema des Gesundheitssystems, sondern ein Thema jeglicher quasi-öffentlicher Güter wie Grundlagenforschung, Bildung, Gesundheit, Schwimmbäder, Energie oder Straßenbau, in der staatlich/gesellschaftlich gewünschte Versorgung auf wirtschaftlich orientierte Erbringungsstrukturen trifft.
Ohne Zweifel ist ein Arzneimittelhersteller ein Wirtschaftsunternehmen, und deren Interesse ist, mit ihren Produkten im gesetzlich und gesellschaftlich vereinbarten Rahmen wirtschaftlich möglichst erfolgreich zu sein. Auch wissen wir, dass das Patent von Glivec nach wirtschaftlich für dieses Produkt extrem fruchtbaren Jahren im Jahr 2016 ausläuft, das von Tasigna, Sprycel, Bosulif und Iclusig aber noch Jahre währt. Auch ist klar, dass im Bereich der Zweitlinienmedikamente seit einiger Zeit ein Marketingboxkampf stattfindet, in der Glivec und zwei weitere Medikamente sich mehr oder weniger den Markt aufteilen, und zwei weitere Zweit/Drittlinienmedikamente vermutlich niemals wirtschaftlich erfolgreich sein werden bzw. isoliert auf dieses Produkt betrachtet niemals die Investitionen wieder einspielen werden, sie aber trotzdem für manche Patienten wie z.B. CML mit T315I-Mutation, extrem wichtig sind. Nach rein wirtschaftlicher, auf das Einzelprodukt betrachteter Rechnung gäbe es die letzteren zwei Produkte gar nicht (mehr). Auch wissen wir, dass zwei der Hersteller im Moment STOPP-Studien wie ENESTop, ENESTpath, ENESTfreedom und DASFREE durchführen und Studien wie CML-V/TIGER unterstützen, was ja dem Schwarz-Weiss-Bild des ausschliesslich an Chronifizierung und nicht an Heilung interessierten Pharmariesen irgendwie wiederspricht. Auch können wir beobachten, dass die Kassen keinen Finger rühren, um die rein akademisch betriebene EUROSKI-Studie mitzufinanzieren, obwohl sie die Hauptnutznießer des Absetzens der teuren TKI-Therapien wären. Auch wissen wir, dass mit Generika kräfig Geld verdient wird und die Preise für EMA-zugelassene Imatinib-Generika z.B. in Litauen nur zwei Drittel des Preises des Originalpräparatspreises betragen, obwohl die ein Produktionskosten des Medikaments pro Tablette im Bereich der Cents bis Euro liegen dürften und TEVA, Actavis und andere keinen Euro in die CML-Forschung investiert haben. Selbstlosigkeit gibt weder bei den Herstellern von Originalpräparaten, noch denen der Generika, und Kassen handeln vor allem im kurzfristigen Budgetinteresse, nicht zwingend im Interesse des Versicherten im Leistungsfall oder im Interesse der Gesellschaft.
All dies muss man als komplexes Gesamtsystem betrachten, in dem viel Geld verdient und manchmal auch viel Geld verloren wird - manchmal vertikal in einer einzelnen Erkrankung, manchmal auf ein ganzes Produktportfolio gesehen. Es gibt völlig gesponnene Preise, wenige radikale Innovationen und einige nutzlose Me-too-Produkte. Es gibt Pharmamitarbeiter z.B. im Außendienst, deren Gehalt sich am regionalen Umsatz bei Ärzten und in Apotheken misst, und es gibt Mitarbeiter, die die Arbeit in der CML nicht ihres Gehalts wegen tun, sondern weil sie versuchen, von innen heraus das Richtige zu bewirken - vielleicht auch, weil sie, wie viele andere Bundesbürger, selbst oder in der Familie von Krebs, MS oder Parkinson betroffen sind. Wie in jeder Branche gibt es gute und schlechte Beispiele, Erfolg und Misserfolg, Unternehmen mit Rekordrendite und Unternehmen, die mangels Erfolg geschluckt werden oder verschwinden oder tausende von Mitarbeitern entlassen. Schwarz/Weiss wäre die Welt am Einfachsten zu erklären, aber leider ist sie das nicht.
Nun aber zurück zur ursprünglichen Fragestellung. Ich denke, mit etwas Nachdenken sollte einem klar sein, dass ein eintägiges Gespräch mit ein, zwei Dutzend Patienten keinen Einfluss auf Umsatz, Kosten oder die Marktposition (gegenüber Konkurrenzprodukten oder z.B. auch in Richtung Generika, die in Deutschland nicht vor 2016 kommen) haben kann. Man muss vielleicht bedenken, dass die, die in einem Pharmaunternehmen an einem bestimmten Produkt einer bestimmten Erkrankung arbeiten, selbst kaum Patientenkontakt haben, da sie weder CML behandeln, noch die Studien selbst durchführen, noch in der Apotheke stehen. Vieles von dem, was sie tun, geht komplett an den Patientenbedürfnissen vorbei, weil sie nur mit denen sprechen, die vorgeben, sie wüßten, was Patienten wollen - und nicht mit Patienten selbst. Das Ziel eines solchen Treffens ist für die Unternehmen Lernen, nicht Werbung. Solche Treffen sind dazu gedacht, direkte Rückmeldung zu bekommen - z.B. wie problematisch die Einnahme mit den Fastenzeiten ist. Wie die Verpackung, die Packungsbeilage und der Blister genutzt und verstanden wird. Wie wir Patienten mit Therapieunterbrechungen und Therapie-STOPP psychologisch umgehen. Wie die vom Hersteller bereitgestellten Informationsbroschüren verstanden werden und was fehlt - und so weiter.
Ob man das nun gut oder schlecht, unterstützenswert oder abzulehnend finded, bleibt jedermanns Interpretation überlassen. Muss ja niemand hingehen.
Ich selbst bin ein Freund von Dialog, und wenn jemand Patienten dazu einlädt, ihre ehrliche Meinung zu sagen ihre Vorschläge und Kritik loszuwerden, finde ich das grundsätzlich positiv. Und wer hinfährt, sollte vor allem ehrlich sein - schließlich bezahlen unsere Kassenbeiträge deren Gehalt, also sollen sie damit das tun, was für uns Patienten am Besten ist.
Viele Grüße
Jan
(der, wie gesagt, weder involviert in das Novartis-Patientengespräch ist, noch selbst daran teilgenommen hat, und der selbst Novartis, BMS etc, den Politikern, den Behörden, den Kassen immer recht klar sagt, was er von den Studien, Materialien, Preispolitik und ähnlichem hält).