ASH Education Session: "Die Qual der Wahl"

DSC00837Die diesjährige CML-Weiterbildungssitzung bei der Jahrestagung der Amerikanischen Gesellschaft für Hämatologie ("ASH Education Session") trug den Titel "Verfeinerung und Neudefinition des Standes der Technik in der Behandlung der Chronisch-Myeloischen Leukämie". Die ASH-Weiterbildungssitzungen beinhalten üblicherweise einen breiten Überblick über aktuelle Fortschritte zum Verständnis der Erkrankung, wie sich diese in klinische Anstrengungen zur Vermeidung von Progression der Erkrankung und Resistenzentwicklungen gegenüber den Medikamenten übersetzen lassen, sowie Forschungsstrategien zur langfristigen Kontrolle der Erkrankung und schließlich zur Heilung. Im Vergleich zu früheren Jahren, in denen sich die Vorlesungen auf Therapien zur Verbesserung der Lebenserwartung fokussierten, zeigte die diesjährige Sitzung, dass der Blickwinkel bei der CML sich langsam in Richtung einer Ära verschiebt, in der die Lebenserwartung von CML-Patienten derjenigen der gesunden Bevölkerung entspricht und sich die Anstrengungen auf behandlungsfreie Remissionen und die Lebensqualität beschränken. Heilung für alle wäre der nächste bedeutende große Schritt, aber obwohl viel geforscht wird, ist die Heilung für die meisten Patienten noch ein fernes Ziel.

Welcher TKI? Die Qual der Wahl (Dr. Tim Hughes)

Dr. Tim Hughes aus Australien hielt den ersten Vortag des diesjährigen ASH-CML-Programms, in dem er die drei wichtigsten Ziele der heutigen Behandlung der CML diskutierte.
DSC008661.    Normale Lebenserwartung durch Vermeidung der Progression der CML und von durch die Therapie verursachten Organschäden
2.    Normale Lebensqualität durch Minimierung der Nebenwirkungen der Medikamente
3.    Erreichen einer Remission, die eine weitere Behandlung unnötig macht (durch nachhaltiges tiefes molekulares Ansprechen und durch das Immunsystem kontrollierte Unterdrückung der Erkrankung).

Zur normalen Lebenserwartung wurde die Wirksamkeit und Sicherheit der vielen Optionen zur Erstlinienbehandlung, die den Patienten heute in vielen Ländern zur Verfügung stehen, angesprochen. Im Vergleich mit Imatinib zeigten alle zugelassenen Medikamente der zweiten Generation, Nilotinib, Dasatinib und Bosutinib ein schnelleres, tieferes Ansprechen und ein signifikant niedrigeres Risiko einer Progression der CML. Allerdings weist Imatinib die geringste Toxizität auf. 30% der mit Nilotinib behandelten Patienten haben Gefäßprobleme erfahren, dabei wiesen allerdings die meisten betroffenen Patienten bereits vorher Risikofaktoren für Gefäßerkrankungen auf. Bei Dasatinib waren viele Patienten von Pleuraergüssen betroffen, deren Häufigkeit mit der Behandlungsdauer und dem Alter der Patienten zunahm (7% im ersten Jahr, und jeweils zusätzlich 5% in den Jahren 2-4). Unter Imatinibbehandlung erreichen etwa 40% der Patienten ein tiefes molekulares Ansprechen, während dieser Wert für Nilotinib und Dasatinib bei 60-80% geschätzt wird. Tiefes molekulares Ansprechen ist die Voraussetzung für einen sicheren Behandlungsstop, der dann bei etwa 40% der Patienten erfolgreich verlief.

DSC00876Als Empfehlung für neu diagnostizierte Patienten umriss Dr. Hughes ein maßgeschneidertes Herangehen: zum Zeitpunkt der Diagnose soll der Patient entsprechend des Vorliegens einer oder mehrerer Begleiterkrankungen, dem individuellen CML-Risikoprofil (tief, mittel, hoch) und der individuellen Priorität, eine nicht mehr behandlungsbedürftige Remission zu erreichen, eingestuft werden. Während bei Patienten mit hoher Risikoeinstufung oder dem Wunsch, die Behandlung nach Erreichen einer tiefen Remission absetzen zu können, mit einem TKI der zweiten Generation begonnen werden sollte, könnten alle anderen die Behandlung mit Imatinib beginnen und bei suboptimalem Ansprechen auf ein Medikament der zweiten Generation wechseln können. Für die Auswahl des Medikamentes und die Kontrolluntersuchungen sollten auch andere Erkrankungen wie z.B. Gefäßerkrankungen und Lungenerkrankungen im Auge behalten werden.

Bezüglich der besten Wahl eines TKI nach Therapieversagen eines TKI der zweiten Generation ist die Suche nach Mutationen ein kritischer Faktor. Einige Patienten würden noch auf einen anderen TKI der zweiten Genration ansprechen. Ponatinib wurde als hoch wirksam angesehen, ist aber mit einem hohen Risiko von Gefäßnebenwirkungen bei Patienten mit entsprechendem Risikoprofil verbunden. In diesen Fällen sei eine wirksame Behandlung von Bluthochdruck, Blutfettwerten und die tiefst mögliche Dosis von Ponatinib ratsam.

Aktualisierung der Empfehlungen zur Überwachung der Patienten: Hinweise für die klinische Praxis, Dr. Vivian Oehler

DSC00932Dr. V. Oehler vom Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle USA, gab einen Überblick über angemessene zytogenetische und molekulare Überwachungsprozeduren, die während der ersten Jahre der Behandlung angemessen sind, wo das Hauptaugenmerk auf der Prävention eines Fortschreitens der Erkrankung oder Resistenzentwicklungen liegt. Entsprechend den aktuellen Empfehlungen des European Leukemia Net und dem NCCN unterscheiden sich die Meilensteine der Therapie der Medikamente der ersten und der zweiten Generation nicht. Allerdings bedeute ein frühes molekulares Ansprechen auf unter 10% BCR-ABL einen Vorteil von 10%-15% des progressionsfreien Überlebens. Ein schlechteres Ansprechen könnte ein Signal einer schwierigeren Natur der individuellen Krankheit sein - oder ein Hinweis auf mangelhafte Therapietreue. Wenn eine MMR nach 12 oder 18 Monaten erreicht wird, ist die Wahrscheinlichkeit eines Verlustes des Ansprechens sehr gering. Ein noch tieferes molekulares Ansprechen hat keinen Einfluss mehr auf die Lebenserwartung, es spielt wahrscheinlich nur noch eine Rolle, wenn der Patient die Möglichkeit, die Behandlung absetzen zu können, erreichen will. Auf jeden Fall sollte die Behandlung weiterhin nur innerhalb klinischer Studien abgesetzt werden.

Zur Frage, in welchen Fällen nach Mutationen gesucht werden sollte, riet Dr. Oehler zu einer solchen Untersuchung, wenn BCR-ABL nach 3 Monaten noch >10% sei, wenn kein vollständiges zytogenetisches Ansprechen nach 12 bzw. 18 Monaten erreicht werde, wenn ein Verlust der MMR oder ein Anstieg des BCR-ABL um eine Zehnerpotenz beobachtet werde, im Fällen des Verlusts des hämatologischen oder zytogenetischen Ansprechens und vor einem Wechsel des TKI.

Wenn die Behandlung der nächsten Linie auszuwählen sei, kann eine Mutationsanalyse dabei helfen, die richtige Behandlung auszuwählen. Einige Mutationen sind nur gegen einen DSC00938der TKI Nilotinib, Dasatinib oder Bosutinib resistent, wohingegen im Fall einer T315I-Mutation Ponatinib die einzige TKI-Option bleibe. Dr. Oehler legte dar, dass die frühe Durchführung einer Stammzelltransplantation als brauchbare Option in vor einem Wechsel auf die dritte Linie der TKI in Betracht gezogen werden sollte. Gemäß der Daten des Fred Hutchinson Cancer Research Center von mehr als 800 transplantierten Patienten zwischen 1995 und heute betrug die Überlebenswahrscheinlichkeit nach 13 Jahren bei Patienten, die in chronischer Phase transplantiert wurden, etwa 70%, die derjenigen in TKI-induzierter Remission nach einer Blastenkrise transplantierten etwa bei 35%, und die derjenigen während der Blastenkrise transplantierten, nur noch etwa 20%. Eine Transplantation solle also rechtzeitig, z.B. vor eventuellem Wechsel auf den 3. TKI, in Betracht gezogen werden.

Dr. Oehler erläuterte auch die Gründe für eine Langzeit-Überwachung von BCR-ABL durch PCR, vor allem auch zum Erkennen von mangelnder Therapietreue sowie zur Bestätigung des Erreichens einer tiefen molekularen Remission. (Bemerkenswert: Unsere Therapietreueuntersuchung des CML Advocates Network wurde von der Referentin zitiert, als die Therapietreue diskutiert wurde!)

Alternative Ansätze zur Auslöschung des malignen Klons: Kombinationen mit Tyrosinkinasehemmern und darüber hinaus gehende Ansätze, Dr. Richard van Etten

Dr. Richard van Etten vom Tufts Medical Center in Boston trug alternative Ansätze zur Auslöschung der CML-Stammzellen vor. Er umriss, dass entsprechend der Datenlage der laufenden Stop-Studien die TKI-Monotherapie der Mehrheit der CML-Patienten keine Heilung bringen könne. Die wichtigste Frage bezüglich einer Heilung bleibe immer noch, ob die CML-Stammzelle die Ursache des Rückfalles sei, und wenn das so sei, ob man sie angreifen könne, und ob sich ein derartiger Ansatz dann auch in die klinische Praxis übersetzen ließe.

Dr. Van Etten erläuterte dann die für das Überleben der CML-Stammzellen kritischen Signalwege und beschrieb die aussichtsreichsten Ansätze zur völligen Auslöschung der CML. DSC00958Neun verschiedene biologische Mechanismen werden zur Zeit in 26 klinischen Studien zur Auslöschung der CML (auf clinical trials.gov zu finden) untersucht: JAK2-Inhibitoren (z.B. Ruxolitinib), Inhibitoren von mTOR, COX, GSK-3beta, MNK, Hedgehog, SMO, 5-LO und HSP90 sowie Arsenik, Autophagieinhibitoren (Chloriquine), Pan-HDAC-Inhibitoren (wie LBH 589), SIRT1-Inhibitoren, PAN-BCL2-Inhibitoren und Proteinsyntheseinhibitoren. Eine Reihe dieser Substanzen werden zur Zeit in frühen PhaseI/II-Studien untersucht. Darüber hinaus werden auch Interferon alpha (z.B. in der deutschen TIGER-Studie), vier verschiedene Impfstoffe (z.B. CML0206), ein monoklonaler Antikörper und weitere auf die Zelloberfläche spezifische Antigene untersucht. Auch das "Aufwecken" schlafender Stammzellen mit G-CSF unter Imatinibbehandlung wird seit mehr als 5 Jahren geprüft.

Zusammenfassend sagte Dr. Van Etten: Obwohl viele potentiell wirksame Medikamente zur Hand seien, würde es sehr schwer werden, den Unterschied nachzuweisen - auch weil eine große Anzahl verschiedener Patientenkohorten unter ähnlichen TKI-Therapien über sehr lange Zeit beobachtet werden müssten. Schon die Rekrutierung von Patienten für solche Studien könne sich als schwierig erweisen, besonders vor dem Hintergrund der guten Wirksamkeit und Verträglichkeit der heutigen Therapien mit TKI. Deshalb muss jede neue Behandlungsform ähnlich sicher und gut verträglich wie die heutigen TKI sein, um bei den Patienten Akzeptanz finden zu können.

Giora Sharf, Jan Geissler, mit Unterstützing durch Niko
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