birdy_b hat geschrieben:
Vielen Dank fuer Eure Antworten und Einschätzungen. Fuer mich persönlich ist die Schwangerschaft nicht so wichtig, aber meine Frau sieht das anders. Aber ich denke, da ist noch nicht das letzte Wort gesprochen und Kopf und Bauch muessen noch einiges abwägen. Ja, und auch Adoption ist eine Option. Wichtig ist fuer mich, dass sie weiterhin gut auf Sprycel anspricht and die Werte nicht wieder ansteigen, das steht absolut im Vordergrund. Es war ein ganz schöner Schock Gleevec, das ja so vielen hilft, bei ihr nur langsam und nicht optimal wirkte (letztendlich Therapieversagen). Aber das gehört nicht mehr zu dem Thema "CLM und Schwangerschaft".
Lieber Christian,
ich habe ein paar Tage überlegt, wie ich Dir auf Deine Nachricht antworten soll. Wie Du an der Verzögerung siehst, ist es mir nicht leicht gefallen, und es tut es auch weiterhin nicht.
Natürlich kann ich Euer Bedürfnis nach Kindern nur allzu gut nachvollziehen. Trotz allem muss man aber überlegen, ob der
eigene Wunsch nach Kindern das Dominierende sein sollte, denn ich finde, dass man in die Risikoabwägung auch das Risiko des Kindes einbeziehen sollte - man möchte schließlich nicht nur ein (möglichst gesundes) Kind auf die Welt bringen, sondern auch eines, das mit seiner Mutter aufwachsen darf. Und daher muss man das Lebensrisiko für die Mutter ebenfalls betrachten, und je weniger stabil die CML ist, desto höher ist das Risiko für die werdende Mutter -- und für das Kind, in früher Jugend ein Halbwaise zu werden.
Ich entschuldige mich dafür, wenn dies nun etwas direkt ist, aber in Eurem Fall liegen mehrere Risikofaktoren vor, die bei anderen jüngere CML-Patientinnen in langjähriger Vollremission unter Imatinib nicht unbedingt so vorliegen: Deine Frau ist 42, so dass die Prädisposition für eine Schwierigkeit beim Kind auch ohne CML nicht mehr unerheblich ist. Bis zur Geburt wäre sie mindestens noch ein Jahr älter. Imatinib hat bei ihr versagt und sie bekommt seit 8 Monaten Dasatinib, mit gutem Ansprechen, aber auch noch weit von PCR-negativ entfernt. Die Wahrscheinlichkeit eines Erhalts der Remission in Therapiepause über 9 Monate ist vermutlich recht gering. Eine Einnahme der aktuellen Dasatinib-Therapie während der Schwangerschaft ist eher auszuschließen: es gibt - im Gegensatz zu Imatinib - keinerlei Erfahrungen auf die Auswirkungen auf eine Schwangerschaft (genau einen einzigen publizierten Fall bisher).
Oder direkt, als meine persönliche Laieninterpretation: Wenn Ihr Euch entscheidet, dass Deine Frau ein Kind bekommt, geht sie selbst ein recht deutliches Lebensrisiko ein. Ihr könnt natürlich aufs Prinzip Hoffnung setzen, Dasatinib absetzen, abwarten bis das Medikament den Körper verlassen hat, Hormonstimulation beginnen, Eizellen ernten, diese per ICSI befruchten lassen, sie einsetzen und dann hoffen. Evtl könnt dabei entscheiden, diese IVF in anderen Ländern wie NL machen zu lassen, weil dort Präimplantationsdiagnostik erlaubt ist, so dass Ihr die befruchteten Eizellen selektieren könnt, die sich ins 16-Zell-Stadium gut entwickelt haben, also so die Erfolgswahrscheinlichkeit größer ist, einen Embryo einzusetzen, der auch anwächst. Danach muss Deine Frau aber 9 Monate ohne Therapie, oder ggf. mit Blutwäsche (falls die Leukos über 100.000 steigen) oder Interferon versuchen, die CML einigermaßen unter Kontrolle zu halten, denn steigende Werte sind bei erst so kurz und nicht sehr tief bestehender Remission wahrscheinlich. Die Wahrscheinlichkeit, dass Deine Frau nach der Schwangerschaft auch wieder bei den PCR-Werten landet, die sie heute hat, ist sehr ungewiss.
Um ganz ehrlich zu sein, ich würde die Adoption als die realistischste Option für Euch sehen, zu Kindern zu kommen. Eine natürliche oder semi-natürliche Schwangerschaft ist in Eurem Fall schon recht riskant. Ich weiß, es ist doof, unfair und gemein, weil andere CML-Patientinnen die Chance hatten, Kinder zu bekommen - weil sie jünger waren, weil sie seit Jahren mit Imatinib in stabiler Remission waren, weil sie Imatinib und kein "neueres, unbekannteres" Medikament bekamen - aber ist man bereit, sein Leben für ein noch nicht mal gezeugtes Kind zu riskieren? Ihr habt ja die Entscheidung, die die meisten CML-Patientinnen mit Schwangerschaften nicht hatten, weil sie unter CML-Therapie ungewollt schwanger wurden.
Falls Ihr Euch aber ganz sicher seid, diese RIsiken einzugehen, möchte ich Euch ein Video von Dr. Jane Apperley empfehlen, die wohl die weltweit erfahrenste CML-Expertin für CML und Schwangerschaften ist. Wir haben es kürzlich beim ESH in Baltimore - zur Weiterbildung von Ärzten, nicht Patienten - aufgenommen. Sie teilt dort ihre Einschätzung der Sachlage. Sie geht da auch auf den doch recht häufig von über 40jährigen geäußerten Kinderwunsch ein.
Sie teilt die Überlegung, mindestens 24 Monate lang in MMR (bcr-abl <0,1%), oder besser noch in PCR-Negativität, zu sein, bevor man überhaupt daran denkt, schwanger zu werden. Dann wäre - für Patienten über 40 - IVF sicherlich die präferierte Methode, weil sie das Absetzen gegenüber der natürlichen Zeugung auf 9 Monate beschränkt, während es auf natürlichem Wege ja viel mehr Monate dauern kann. Im ersten Trimester sollte keinesfalls eine Therapie erfolgen, im 2. könnte man Interferon erwägen, falls die PCR über MMR gestiegen ist.
Auch wenn die iCMLf das Video offiziell noch nicht freigegeben hat (erst am 6. Dez. 2012), teile ich es hier schon mit Euch:
http://www.cml-foundation.org/index.php ... -pregnancy
Dies nur als Hintergrund. Da das Thema Schwangerschaft bei CML-Patientinnen medizinisch so schwierig ist - und selbst unter Imatinib bei etwa 10% der Schwangerschaften ein Geburtsfehler vorlag und 15% ungeplant abbrachen - unbedingt nochmal meinen Vorbehalt: ich bin kein Arzt, möchte keinesfalls einen Rat geben, und kann keine Verantwortung für die Richtigkeit des oben Gesagten geben. Reine Laiensicht eines Mitbetroffenen.
Liebe Grüße, viel Glück bei den Diskussionen,
Jan