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von jan » 10.12.2011, 17:42
Hallo zusammen,
ich halte zwar die Geschichte der zwei Afrikareisenden CML-Patienten auch für eine etwas überspitzte Version eines Arzts, der seinem Patient mit einer drastischen Geschichte die Ernsthaftigkeit des Themas klarmachen möchte, aber ich möchte trotzdem kurz ein paar Dinge sortieren:
Die STOP-Studien aus Frankreich fanden in einem sehr eng kontrollierten Umfeld statt. Dies bedeutet: monatliche PCR vom Zeitpunkt des Absetzens, und sofortige Wiederaufnahme der Therapie bei deutlich ansteigenden Werten. Dies bedeutet, der CML wurde keine Zeit gelassen, sich zu entwickeln und ggf weitere Mutationen zu entwickeln. Das ist genau der Grund, warum von einem Absetzen außerhalb von Studien dringend abgeraten wird, denn ohne diese enge Verlaufskontrolle mit einer qualitativ hochwertigen PCR in einem guten Labor kann ein Absetzversuch sehr schiefgehen. Die Studien haben auch gezeigt, dass bei denen, bei denen der Rückfall nach Absetzen kam, dieser auch recht schnell und kräftig kam. Dies bedeutet, dass nach Absetzen die CML sich nicht gemütlich vom Sofa erhebt, sondern der Tiger schon im Käfig ziemlich stinkig war, vielleicht, weil er noch nicht lang genug eingesperrt und resigniert war, oder weil man ihn einfach nicht lang genug mit Psychopharmaka im Käfig sediert hat (entschuldigt diesen etwas blöden Vergleich, ist vermutlich mein Jetlag).
Allerdings möchte ich Pascals Theorie kontern, dass die übriggebliebenen Zellen unter TKI-Therapie "die durch Evolution aussortierte übelste Sorte wären". Dafür gibt es keinen Beleg, im Gegenteil. Dieser von Pascal beschriebene Selektionsmechanismus ist meines Wissens bei Resistenzen und Mutationen der Fall, bei dem unter TKI-Therapie die nur mit "normalem" BCR-ABL versehenen Zellen erwischt werden, während die instabileren, mutierten Zellen übrig bleiben, weil der TKI-Schlüssel dort nicht mehr ins verbogene Schloss paßt.
Dieser beschriebene Selektionsvorgang ist aber NICHT der, der bei minimaler stabiler Rest-CML, den "schlafenden, kaum mehr messbaren Rest-Stammzellen", der Fall ist. Die aktuelle Forschung (z.B. von einer der führenden Stammzellforschern bei CML, Tessa Holyoake ) geht davon aus, dass eine Gruppe von CML-Stammzellen schläft und sich anhand von bcr-abl unabhängigen Mechanismen am Leben erhält, ohne sich aber zu vermehren. Es sind also nicht die wildesten mutierten Zellen, die übrig bleiben, sondern deren Erhaltung funktioniert einfach ohne den BCR-ABL-Mechanismus - wenn die Tür zu bleibt (BCR-ABL), braucht man auch keinen Schlüssel im Schloss (TKI). Die aktuelle Forschung untersucht im Moment diese Erhaltungsmechanismen und versucht diese zu unterbrechen, so dass auch die restlichen schlafenden Stammzellen verhungern. Auf EHA gab es dazu eine hochinteressante Präsentation von Tessa Holyoake, bin gespannt was ich hier auf ASH sehen werde.
Tut mir leid wegen dieser ausführlichen Antwort, aber ich wollte nicht, dass hier jemand in Angst lebt, dass er in gute molekularen Remission gerade die "aussortierte übelste Sorte von CML-Zellen" im Körper hat - dem ist nicht so. Die CML ist und bleibt ein bissiger Tiger, bis man ein Mittel gefunden hat, den letzten Käfig zu leeren - selbst den mit dem Tiger, der asketisch lebt.
Viele Grüße aus San Diego,
Jan