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von jan » 07.10.2012, 21:21
Hallo zusammen,
ich würde das ganze evtl etwas weniger systemkritisch fassen, sondern es vielleicht so formulieren: Die bisherigen Studien geben, wenn man unter 0,1% landet, nur wenig Aufschluss darüber, ob "noch kleiner" eben "noch besser" ist - die Stop-Studien werden uns vielleicht verraten, ob "noch länger noch kleiner" vielleicht eine höhere Chance auf "Absetzen ohne Rückfall" gibt.
Widersprechen muss ich aber der Aussage, dass "noch mehr erwünschte Medikamentenwirkung noch mehr unerwünschte Nebenwirkungen" heiße. Dies war bei Chemotherapien früher so, ist aber bei gezielten Therapien wie TKIs, die auf bestimmte molekulare Mechanismen der Tumorzelle abzielen, nicht mehr der Fall. Wirkung und Nebenwirkung passieren auf unterschiedlichen Wegen, Wirkung und Nebenwirkung sind entkoppelt.
Bei den CML-Medikamenten ist es so, dass die Wirkung durch die spezifische Hemmung von bcr-abl passiert. Je stärker das Medikament bcr-abl hemmt, desto geringer die Chance, dass eine CML-Zelle sich noch teilen kann.
Die Nebenwirkungen passieren aber, weil der "molekulare Schlüssel" des Medikaments auch in "andere Schlösser" passt, was man als "Off-Target-Hemmung" bezeichnet. Denn neben bcr-abl hemmen Medikamente wie Imatinib und Nilotinib auch die Tyrosinkinase KIT oder den PDGF-Rezeptor, was z.B. die Nebenwirkungen der Haut oder die Wassereinlagerungen verursacht.
Nilotinib oder Dasatinib sind, was bcr-abl-Hemmung angeht, um ein Hundertfaches stärker als Imatinib, aber Flüssigkeitseinlagerungen, Übelkeit und Durchfall sind mit diesen viel seltener als bei Imatinib. Dafür gibt es andere Nebenwirkungen, die man unter Imatinib nicht so häufig beobachtete (z.B. Hautrötungen bei Nilotinib, Pleuraergüsse bei Dasatinib). Es gibt nur wenig "Cross-Intoleranz", d.h. dass Patienten, die Imatinib nicht vertrugen, unter Dasa oder Nilo unter denselben schweren Nebenwirkungen leiden.
Ich will damit nur verdeutlichen: mehr Wirkung bedeutet NICHT mehr Nebenwirkung, sondern ANDERES Medikament bedeutet ANDERE Nebenwirkungen. NEU ist per se nicht besser, aber GEZIELTER oder STÄRKER kann besser sein, steht ggf aber im Zielkonflikt mit UNBEKANNTER oder TEURER.
"Optimierung" kann aus verschiedenen Gründen angesagt sein, z.B. wegen auftretender Nebenwirkungen beim individuellen Patienten, wegen fehlendem oder verlorengegangenem Ansprechen.
In dem Zusammenhang halte ich aber Aussagen wie "zu Tode optimiert ist aber auch gestorben" für unglücklich, da sie bei Patienten unbegründete Angst vor den Zweitgenerationsmedikamenten schürt, die nachweislich schneller wirken und bei einem größeren Teil Patienten tiefere Remissionen erzeugen, aber nicht unverträglicher sind.
Ich möchte keinem Arzt unterstellen, dass er Patienten ohne medizinischen Grund auf ein anderes Medikament wechselt. Den Grund sollte man aber natürlich schlüssig erklärt bekommen.
Viele Grüße
Jan