von jan » 21.10.2006, 11:39
Lieber Pascal,
dass man bei einer Studienteilnahme genau die Chancen und Risiken abwägen muss, ist unbestritten richtig.
Dies ist immer eine Kombination u.a. von Faktoren wie <!-- BBCode ulist Start --><UL>
<LI>Chancen und Risiken der zugelassenen Therapie vs der zu erprobenden Therapie
<LI>Ungewißheit bzgl Nebenwirkungen vs. Ungewißheit bzgl. Langzeitchancen der Standardtherapie
<LI>Qualität der Diagnostik und Betreuung innerhalb vs außerhalb der Studie
<LI>Umfang der Aufklärung durch den Studienarzts über alle Pros und Cons
<LI>Kontakt zu anderen Patienten, die bereits an der Studie teilnehmen</UL><!-- BBCode ulist End -->
All diese Punkte kann man mit dem Studienarzt und anderen Patienten besprechen und danach für sich selbst abwägen. Da es um unser Leben geht, glaube ich nicht, dass sich hier jemand "blindlings in eine Studie stürzt". Abgesehen davon gibt es klare Vorschriften für die Patientenaufklärung vor einer Studienteilnahme unter Nennung aller bekannten Risiken, deren Unterlagen von Ethikkomissionen freigegeben werden, und die der Patient unterschreiben muß. Sicher hast Du diese in der Studie, an der Du gerade teilnimmst, auch erhalten.
Allerdings finde ich es erneut sehr unglücklich, dass Du hier erneut Vergleiche zur TGN-Studie in England ziehst, die einfach mit den Studien, über die wir hier reden, ganz und gar nichts zu tun hat. Ich habe Dir dies schon in meinem <!-- BBCode Start --><A HREF="
http://www.leukaemie-online.de/modules. ... &topic=676" TARGET="_blank">Artikel vom 17.03.2006</A><!-- BBCode End --> versucht zu erklären, wiederhole es aber gerne nochmals:
Klinische Studien werden unterteilt in vier Phasen:
Phase-I-Studien finden nach Labor- und Tierversuchen zum ersten Mal im menschlichen Körper statt, entweder bei freiwilligen, bezahlten Probanden, oder bei Patienten mit lebensbedrohlichen Erkrankungen, bei denen jede andere Option gescheitert ist und die ohne Therapieoption vermutlich versterben würden. Die unglückliche TGN-Studie in England war eine Phase I-Studie mit 6 bezahlten Probanden, die zudem unprofessionell durchgeführt wurde. Laut ClinicalTrials.gov laufen im Moment rund 3.600 Phase-I-Studien (wobei die Datenbank gerade in Phase I unvollständig ist), wovon nun eine (die in England) schief ging. Rund 11% aller Krebspatienten (nicht Probanden) profitieren statistisch von Phase-I-Studien - man muss hier aber sehen, dass diese keine Therapiealternative mehr hatten.
Phase II testet die Verträglichkeit eines in Phase I nicht als problematisch erkannten Wirkstoffs. Viele Wirkstoffe scheitern hier am Thema Nebenwirkungen. Bei Krebsstudien ist die Teilnahmevoraussetzung meist das Scheitern der zugelassenen Standardtherapie (Resistenz, Unverträglichkeit) bei Nichtanwendbarkeit oder Nichtverfügbarkeit von anderen zugelassenen Alternativen. Beispiel: die nun abgeschlossenen Tasigna/Nilotinib- und Sprycel/Dasatinib-Studien.
Sind die Nebenwirkungen erträglich, vergleicht üblicherweise Phase III dann die zugelassene Standardtherapie mit der Studientherapie, um aus diesen Daten die Zulassung abzuleiten. Sind die Daten wissenschaftlich aussagekräftig und belegen sie einen signifikanten Vorteil gegenüber der bisherigen Standardtherapie, wird bei der Zulassungsbehörde der Antrag auf Marktzulassung eingereicht.
In Phase IV, also nach der freien Verfügbarkeit über Ärzte, Apotheken und Krankenhäuser, werden in einer Studie einerseits Langzeitdaten gesammelt, und andererseits Therapieverbesserungsstudien durchgeführt, um z.B. Nebenwirkungen zu minimieren, durch Kombinationen das Ansprechen zu verbessern oder zu verlängern. Wenn man irgendwann in Richtung einer Langzeitprognose kommen möchte, sind die Phase-IV-Studien extrem wichtig, denn wenn jeder Arzt das Medikament für sich alleine anwendet und die Daten nirgendwo zusammenfließen, werden seltene Nebenwirkungen und deren Überwindungsstrategien nie bekannt. Der Unterschied zur Therapie "auf Rezept" ist in Phase IV demnach das Sammeln von Daten, die strukturierte Beobachtung, sowie die Optimierung der zugelassenen Therapie z.B. in Kombination mit anderen zugelassenen Medikamenten.
So - die CML-Studie IV ist eine Phase-IV-Studie. Das Terrain in diesen Studien ist - anders als in Phasen I/II, wo noch gar keine ausreichenden Daten vorliegen, oder Phase III, in der noch längerfristige Daten fehlen, kaum ungewiss. Ob die Chancen und Risiken der zugelassenen Standardtherapie ("funktioniert die Glivec-Monotherapie langfristig?") oder der Phase-IV-Studientherapie ("bekomme ich mehr Nebenwirkungen in der Kombination oder höheren Dosis?") höher sind, zeigt eben die Studie. Und das Studiendesign einer Phase-IV-Studie baut eben meist auf neuen Erkenntnissen auf, die man nach den Zulassungsdaten erworben hat - die 400mg-Dosierungsempfehlung von Glivec als Standard-Monotherapie "auf Rezept" ist ja z.B. von bis 2001 erhobenen Daten, spiegelt also nicht unbedingt das aktuellste Wissen wider. Heute weiss man mehr über Resistenzentwicklung und denkt daher in der CML-IV über Beschleunigung des Ansprechens (800mg) oder mehrfache Angriffswege (Glivec-IFN-Kombination) nach.
Man darf bei Studien einfach nicht alles in einen Topf werfen und immer wieder, weil es so einfach ist, die englische TGN-Studie zitieren, ohne sauber zu differenzieren und die Hintergründe der Studien zu verstehen. Jedenfalls hilfst Du hier niemandem, wenn Du mit solchen Vergleichen Angst produzierst.
Also bitte -- wir können gerne in einem separaten Thread über die Hintergründe der TGN-Studie in England diskutieren, mit der ich mich sehr intensiv auseinandergesetzt habe und Dir vermutlich alle bekannten Hintergründe liefern kann. Ich wäre Dir aber dankbar, wenn Du aufhörtest, immer wieder Leukämiepatienten, die sich die Teilnahme in einer Phase III- oder IV-Studie überlegen, mit einer Referenz auf diese schiefgegangene Phase-I-Studie bei gesunden Probanden zu verunsichern. Wir können gerne über Pros und Contras einer Studienteilnahme in Phase-III oder Phase-IV sachlich diskutieren, denn natürlich gibt es bei allem Chancen und Risiken - aber bitte nicht alles durcheinander.
Gruß
Jan
Lieber Pascal,
dass man bei einer Studienteilnahme genau die Chancen und Risiken abwägen muss, ist unbestritten richtig.
Dies ist immer eine Kombination u.a. von Faktoren wie <!-- BBCode ulist Start --><UL>
<LI>Chancen und Risiken der zugelassenen Therapie vs der zu erprobenden Therapie
<LI>Ungewißheit bzgl Nebenwirkungen vs. Ungewißheit bzgl. Langzeitchancen der Standardtherapie
<LI>Qualität der Diagnostik und Betreuung innerhalb vs außerhalb der Studie
<LI>Umfang der Aufklärung durch den Studienarzts über alle Pros und Cons
<LI>Kontakt zu anderen Patienten, die bereits an der Studie teilnehmen</UL><!-- BBCode ulist End -->
All diese Punkte kann man mit dem Studienarzt und anderen Patienten besprechen und danach für sich selbst abwägen. Da es um unser Leben geht, glaube ich nicht, dass sich hier jemand "blindlings in eine Studie stürzt". Abgesehen davon gibt es klare Vorschriften für die Patientenaufklärung vor einer Studienteilnahme unter Nennung aller bekannten Risiken, deren Unterlagen von Ethikkomissionen freigegeben werden, und die der Patient unterschreiben muß. Sicher hast Du diese in der Studie, an der Du gerade teilnimmst, auch erhalten.
Allerdings finde ich es erneut sehr unglücklich, dass Du hier erneut Vergleiche zur TGN-Studie in England ziehst, die einfach mit den Studien, über die wir hier reden, ganz und gar nichts zu tun hat. Ich habe Dir dies schon in meinem <!-- BBCode Start --><A HREF="http://www.leukaemie-online.de/modules.php?op=modload&name=phpBB_14&file=index&action=viewtopic&topic=676" TARGET="_blank">Artikel vom 17.03.2006</A><!-- BBCode End --> versucht zu erklären, wiederhole es aber gerne nochmals:
Klinische Studien werden unterteilt in vier Phasen:
Phase-I-Studien finden nach Labor- und Tierversuchen zum ersten Mal im menschlichen Körper statt, entweder bei freiwilligen, bezahlten Probanden, oder bei Patienten mit lebensbedrohlichen Erkrankungen, bei denen jede andere Option gescheitert ist und die ohne Therapieoption vermutlich versterben würden. Die unglückliche TGN-Studie in England war eine Phase I-Studie mit 6 bezahlten Probanden, die zudem unprofessionell durchgeführt wurde. Laut ClinicalTrials.gov laufen im Moment rund 3.600 Phase-I-Studien (wobei die Datenbank gerade in Phase I unvollständig ist), wovon nun eine (die in England) schief ging. Rund 11% aller Krebspatienten (nicht Probanden) profitieren statistisch von Phase-I-Studien - man muss hier aber sehen, dass diese keine Therapiealternative mehr hatten.
Phase II testet die Verträglichkeit eines in Phase I nicht als problematisch erkannten Wirkstoffs. Viele Wirkstoffe scheitern hier am Thema Nebenwirkungen. Bei Krebsstudien ist die Teilnahmevoraussetzung meist das Scheitern der zugelassenen Standardtherapie (Resistenz, Unverträglichkeit) bei Nichtanwendbarkeit oder Nichtverfügbarkeit von anderen zugelassenen Alternativen. Beispiel: die nun abgeschlossenen Tasigna/Nilotinib- und Sprycel/Dasatinib-Studien.
Sind die Nebenwirkungen erträglich, vergleicht üblicherweise Phase III dann die zugelassene Standardtherapie mit der Studientherapie, um aus diesen Daten die Zulassung abzuleiten. Sind die Daten wissenschaftlich aussagekräftig und belegen sie einen signifikanten Vorteil gegenüber der bisherigen Standardtherapie, wird bei der Zulassungsbehörde der Antrag auf Marktzulassung eingereicht.
In Phase IV, also nach der freien Verfügbarkeit über Ärzte, Apotheken und Krankenhäuser, werden in einer Studie einerseits Langzeitdaten gesammelt, und andererseits Therapieverbesserungsstudien durchgeführt, um z.B. Nebenwirkungen zu minimieren, durch Kombinationen das Ansprechen zu verbessern oder zu verlängern. Wenn man irgendwann in Richtung einer Langzeitprognose kommen möchte, sind die Phase-IV-Studien extrem wichtig, denn wenn jeder Arzt das Medikament für sich alleine anwendet und die Daten nirgendwo zusammenfließen, werden seltene Nebenwirkungen und deren Überwindungsstrategien nie bekannt. Der Unterschied zur Therapie "auf Rezept" ist in Phase IV demnach das Sammeln von Daten, die strukturierte Beobachtung, sowie die Optimierung der zugelassenen Therapie z.B. in Kombination mit anderen zugelassenen Medikamenten.
So - die CML-Studie IV ist eine Phase-IV-Studie. Das Terrain in diesen Studien ist - anders als in Phasen I/II, wo noch gar keine ausreichenden Daten vorliegen, oder Phase III, in der noch längerfristige Daten fehlen, kaum ungewiss. Ob die Chancen und Risiken der zugelassenen Standardtherapie ("funktioniert die Glivec-Monotherapie langfristig?") oder der Phase-IV-Studientherapie ("bekomme ich mehr Nebenwirkungen in der Kombination oder höheren Dosis?") höher sind, zeigt eben die Studie. Und das Studiendesign einer Phase-IV-Studie baut eben meist auf neuen Erkenntnissen auf, die man nach den Zulassungsdaten erworben hat - die 400mg-Dosierungsempfehlung von Glivec als Standard-Monotherapie "auf Rezept" ist ja z.B. von bis 2001 erhobenen Daten, spiegelt also nicht unbedingt das aktuellste Wissen wider. Heute weiss man mehr über Resistenzentwicklung und denkt daher in der CML-IV über Beschleunigung des Ansprechens (800mg) oder mehrfache Angriffswege (Glivec-IFN-Kombination) nach.
Man darf bei Studien einfach nicht alles in einen Topf werfen und immer wieder, weil es so einfach ist, die englische TGN-Studie zitieren, ohne sauber zu differenzieren und die Hintergründe der Studien zu verstehen. Jedenfalls hilfst Du hier niemandem, wenn Du mit solchen Vergleichen Angst produzierst.
Also bitte -- wir können gerne in einem separaten Thread über die Hintergründe der TGN-Studie in England diskutieren, mit der ich mich sehr intensiv auseinandergesetzt habe und Dir vermutlich alle bekannten Hintergründe liefern kann. Ich wäre Dir aber dankbar, wenn Du aufhörtest, immer wieder Leukämiepatienten, die sich die Teilnahme in einer Phase III- oder IV-Studie überlegen, mit einer Referenz auf diese schiefgegangene Phase-I-Studie bei gesunden Probanden zu verunsichern. Wir können gerne über Pros und Contras einer Studienteilnahme in Phase-III oder Phase-IV sachlich diskutieren, denn natürlich gibt es bei allem Chancen und Risiken - aber bitte nicht alles durcheinander.
Gruß
Jan