von Watson » 11.11.2015, 00:09
Hallo liebe Forenteilnehmer,
pünktlich zum 50-Geburtstag im August dieses Jahres hat auch mich die Diagnose CLL ereilt oder besser gesagt erschlagen. Nachdem ich einige Zeit hier nur interessierter Leser war, nun ein erster Beitrag. Ich hoffe es langweilt niemanden, wenn ich kurz über den "Werdegang" meiner Krankheit berichte. Vielleicht entdeckt ja jemand Parallelen in seinem Verlauf.
Seit ungefähr 15 Jahren ließ ich mich einmal jährlich beim Hausarzt kontrollieren, weil ich schubweise unter extremen Müdigkeitsanfällen litt. Diese Kontrollen verliefen bis Anfang 2011 ohne aufregenden, aber auch ohne handfesten Befund. Als Vorerkrankungen habe ich
- zeitlebens Allergien aller Art
- als Jugendlicher häufige Anginen (Arzt verordnete hammerweise AB) und rheumaartige
Gelenkbeschwerden
- seit ca. 15 Jahren leichte Gastritis C mit Refluxösophagitis (Bedarfsbehandlung mit PPI)
- auch seit ca. 15 Jahren unklare Darmentzündungen (Bedarfsbehandlung mit Salofalk)
- seit ca. 10 Jahren Eisenmangel samt B12- und Folsäuremangel (Behandlung Eiseninfusion)
Als Betriebswirt, Informatiker und kleiner Hypochonder

blieb es natürlich nicht aus, dass ich seit 2001 eine Statistik meiner Befunde geführt habe. Aus dieser sieht man rückwirkend, dass meine Laborwerte bis Anfang 2011 tadellos waren, lediglich ein paar gelegentliche Entzündungen (CRP) und dem besagten Eisenmangel. Die Leukos lagen durchgängig um die 7.500, sofern Lymphozyten bestimmt wurden, lagen diese stets um die 35 Prozent. Als naheliegendste Ursache für die Fatique nahm man stets den Eisenmangel und die gelegentlichen Entzündungen im Magen/Darm an.
Der (messbare) Anfang der CLL, sofern man den überhaupt bestimmen kann, dürfte sich irgendwo Anfang 2011 markieren. Nach einer Erkältung 02/11 flippte das Blut plötzlich etwas aus (Leukos und Thrombos unter Referenzwert, CRP hoch, Eisenmangel, Glucose hoch), war dann bei einer Kontrolle einen Monat wieder normal. Bis auf die Leukozyten - die gingen nun erstmalig über den Referenzwert (10.000), und erreichten seither nie wieder Normalwerte. Da ich -bis auf meine bekannte Müdigkeit und die Magen-/Darmprobleme- keine Symptome hatte, maßen weder ich noch der Hausarzt der leichten Leukozytose eine größere Bedeutung bei. Im Nachhinein gesehen, hat mich dieser Umstand noch ein paar Jahre vor größeren Sorgen bewahrt.
Ich habe das dann bis 2014 nicht mehr so oft kontrollieren lassen, es pendelte so um die 12.000 Leukos. Anfang 2015 allerdings erstaunte den Hausarzt etwas, dass (bei besagter milder Leukozytose) die Lymphozyten im Differenzialblutbild auf 54 % hochgegangen sind. Nachdem mir ein Hämatologe aufgrund von Eisenmangel 3 x 1g Eisen infundierte, ging ein ziemlicher Spuk los: Ich fühlte mich tagelang elend, und landete schließlich mit einer innerhalb von Stunden entstandenen Mandelabszess mit hohem Fieber und Beteiligung des gesamten lymphatischen Rachenrings, was ich dann noch ein paar Tage verschleppt habe, im Notfall-OP. Während dieser Zeit dann die Leukos um die 30.000, was aber durch die Infektion erklärbar war (CRP war hoch und die Lymphozyten hatten sich mit 33 % offenbar allesamt im Infektionsgebiet verkrümelt oder sind der Kortison- und AB-Therapie zum Opfer gefallen).
Letztlich normalisierte sich alles wieder und ich hatte angenommen, dass nun vielleicht auch die Leukozytose auf Normalwerte zurückgeht. Tat sie aber nicht. Im Juni 2015 war sie wieder/noch auf 12.500 (bei 52 % Lymphozyten), zwei Monate später auf 13.000 (bei 57 % Lymphozyten), weitere zwei Monate später 16.200 (bei 62 % Lymphozyten). Hb ist noch normal, Thrombozyten am unteren Referenzwert. Komischerweise gehen die Leberwerte (GPT) immer weiter nach oben. Mir ist (aus euren Beiträgen

) bekannt, dass das alles noch keine dramatischen Werte sind und man den Verlauf nicht hochrechnen kann. Aber irgendwie beunruhigt mich die jetzt eingetretene Dynamik schon. An Begleitsymptomen habe ich seit 2011 ein sehr unangenehmes Zungenbrennen und immer wieder Schmerzen am bzw. im Bereich des Schwertfortsatzes (was auch immer dort sitzt).
Der Hämatologe/Onkologe hielt es jetzt für angebracht, das ganze Programm abzufahren. Blutausstrich, KM-Biopsie/Punktion, zytogenetische Untersuchung. Da das Ergebnis noch "ganz frisch" ist und wohl auch noch einige Ergebnisse fehlen, kann ich noch nicht mit genauem Material aufwarten. Ich habe noch nichts in der Hand. Er sagte lediglich, dass die Ergebnisse zeigen, dass ich eine chronisch-lymphatische Leukämie, also Krebs, habe. Patsch, das war wie ein Schlag in die Magengrube. Seine anschließende Erklärung, es deute einiges darauf hin, dass es eine prognostisch günstige Typisierung wird und die Lebenserwartung dadurch eher nicht wesentlich eingeschränkt ist, konnte mich nicht wirklich aus dem Schockzustand befreien. Zumal er noch nachreichte, dass das alles gar nicht so schlimm ist, und wenn doch, gäbe es gute Therapien. Was mich wiederum etwas verärgerte, weil es klang ein wenig wie "Sie haben zwar eine praktisch unheilbare, tödliche Krankheit, aber wir nehmen's sportlich". Jedoch versuchte ich mich in den Arzt hinein zu versetzen und wie ich an seiner Stelle so eine Nachricht verpacken würde. Ich kam zum Ergebnis, dass er es letztlich doch gut so gemacht hat, wie er es gemacht hat. Lediglich das derzeitige Informationsvakuum macht mich völlig krank.
Wie man sich nach so einer Diagnose fühlt und was einem alles durch den Kopf geht, weiß ja jeder von euch selbst nur zu gut. Ich habe noch nicht den Ansatz von Bewältigungsstrategien gefunden und wüsste auch gar nicht, wo ich anfangen soll. Bis vor wenigen Wochen bin ich noch wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass nun die "besseren" 50 Jahre anfangen und noch viele Pläne gehabt. Seit längerem arbeite ich daran, nebenberuflich mein halbfertiges Psychologie-Studium zum Ende zu bringen. Meine Frau und ich haben uns, nach langer finanzieller Entbehrung, 2012 ein kleines Haus gekauft und ich wollte es uns als "Altersrückzug" schön machen. Die Natur genießen und über den Garten freuen.
Mit einem Schlag wird das alles in Frage gestellt. Ratlosigkeit, Schreckensszenarien, Verdrängungsmechanismen und Verlustängste geben sich gleichzeitig die Hand. Ich mache meine Arbeit zwar unverändert weiter, erlebe mich aber zurzeit wie mitten in einem Albtraum. Gedanken, es könne eine Fehldiagnose sein, wechseln sich mit Gedanken darüber, was man "falsch" gemacht haben könnte, ab. Das Schlimmste ist für mich als relativ kontrollbezogenen Menschen aber die völlig neue Erkenntnis, dass sich mein -bislang noch gut funktionierender- Körper gerade Stück für Stück selbst zerstört, ohne dass ich auch nur das Geringste dagegen tun kann.
Hoffentlich habe ich mit meinem langen Bericht niemanden gelangweilt. Vielleicht hilft er jemandem, der in einer ähnlichen Situation ist. Nicht ganz uneigennützig, denn vielleicht hat auch jemand ein paar Tipps für mich zu Dingen, die mir bislang noch unklar sind.
Vielen Dank und liebe Grüße an alle Mitbetroffenen!
Hallo liebe Forenteilnehmer,
pünktlich zum 50-Geburtstag im August dieses Jahres hat auch mich die Diagnose CLL ereilt oder besser gesagt erschlagen. Nachdem ich einige Zeit hier nur interessierter Leser war, nun ein erster Beitrag. Ich hoffe es langweilt niemanden, wenn ich kurz über den "Werdegang" meiner Krankheit berichte. Vielleicht entdeckt ja jemand Parallelen in seinem Verlauf.
Seit ungefähr 15 Jahren ließ ich mich einmal jährlich beim Hausarzt kontrollieren, weil ich schubweise unter extremen Müdigkeitsanfällen litt. Diese Kontrollen verliefen bis Anfang 2011 ohne aufregenden, aber auch ohne handfesten Befund. Als Vorerkrankungen habe ich
- zeitlebens Allergien aller Art
- als Jugendlicher häufige Anginen (Arzt verordnete hammerweise AB) und rheumaartige
Gelenkbeschwerden
- seit ca. 15 Jahren leichte Gastritis C mit Refluxösophagitis (Bedarfsbehandlung mit PPI)
- auch seit ca. 15 Jahren unklare Darmentzündungen (Bedarfsbehandlung mit Salofalk)
- seit ca. 10 Jahren Eisenmangel samt B12- und Folsäuremangel (Behandlung Eiseninfusion)
Als Betriebswirt, Informatiker und kleiner Hypochonder :wink: blieb es natürlich nicht aus, dass ich seit 2001 eine Statistik meiner Befunde geführt habe. Aus dieser sieht man rückwirkend, dass meine Laborwerte bis Anfang 2011 tadellos waren, lediglich ein paar gelegentliche Entzündungen (CRP) und dem besagten Eisenmangel. Die Leukos lagen durchgängig um die 7.500, sofern Lymphozyten bestimmt wurden, lagen diese stets um die 35 Prozent. Als naheliegendste Ursache für die Fatique nahm man stets den Eisenmangel und die gelegentlichen Entzündungen im Magen/Darm an.
Der (messbare) Anfang der CLL, sofern man den überhaupt bestimmen kann, dürfte sich irgendwo Anfang 2011 markieren. Nach einer Erkältung 02/11 flippte das Blut plötzlich etwas aus (Leukos und Thrombos unter Referenzwert, CRP hoch, Eisenmangel, Glucose hoch), war dann bei einer Kontrolle einen Monat wieder normal. Bis auf die Leukozyten - die gingen nun erstmalig über den Referenzwert (10.000), und erreichten seither nie wieder Normalwerte. Da ich -bis auf meine bekannte Müdigkeit und die Magen-/Darmprobleme- keine Symptome hatte, maßen weder ich noch der Hausarzt der leichten Leukozytose eine größere Bedeutung bei. Im Nachhinein gesehen, hat mich dieser Umstand noch ein paar Jahre vor größeren Sorgen bewahrt.
Ich habe das dann bis 2014 nicht mehr so oft kontrollieren lassen, es pendelte so um die 12.000 Leukos. Anfang 2015 allerdings erstaunte den Hausarzt etwas, dass (bei besagter milder Leukozytose) die Lymphozyten im Differenzialblutbild auf 54 % hochgegangen sind. Nachdem mir ein Hämatologe aufgrund von Eisenmangel 3 x 1g Eisen infundierte, ging ein ziemlicher Spuk los: Ich fühlte mich tagelang elend, und landete schließlich mit einer innerhalb von Stunden entstandenen Mandelabszess mit hohem Fieber und Beteiligung des gesamten lymphatischen Rachenrings, was ich dann noch ein paar Tage verschleppt habe, im Notfall-OP. Während dieser Zeit dann die Leukos um die 30.000, was aber durch die Infektion erklärbar war (CRP war hoch und die Lymphozyten hatten sich mit 33 % offenbar allesamt im Infektionsgebiet verkrümelt oder sind der Kortison- und AB-Therapie zum Opfer gefallen).
Letztlich normalisierte sich alles wieder und ich hatte angenommen, dass nun vielleicht auch die Leukozytose auf Normalwerte zurückgeht. Tat sie aber nicht. Im Juni 2015 war sie wieder/noch auf 12.500 (bei 52 % Lymphozyten), zwei Monate später auf 13.000 (bei 57 % Lymphozyten), weitere zwei Monate später 16.200 (bei 62 % Lymphozyten). Hb ist noch normal, Thrombozyten am unteren Referenzwert. Komischerweise gehen die Leberwerte (GPT) immer weiter nach oben. Mir ist (aus euren Beiträgen :wink:) bekannt, dass das alles noch keine dramatischen Werte sind und man den Verlauf nicht hochrechnen kann. Aber irgendwie beunruhigt mich die jetzt eingetretene Dynamik schon. An Begleitsymptomen habe ich seit 2011 ein sehr unangenehmes Zungenbrennen und immer wieder Schmerzen am bzw. im Bereich des Schwertfortsatzes (was auch immer dort sitzt).
Der Hämatologe/Onkologe hielt es jetzt für angebracht, das ganze Programm abzufahren. Blutausstrich, KM-Biopsie/Punktion, zytogenetische Untersuchung. Da das Ergebnis noch "ganz frisch" ist und wohl auch noch einige Ergebnisse fehlen, kann ich noch nicht mit genauem Material aufwarten. Ich habe noch nichts in der Hand. Er sagte lediglich, dass die Ergebnisse zeigen, dass ich eine chronisch-lymphatische Leukämie, also Krebs, habe. Patsch, das war wie ein Schlag in die Magengrube. Seine anschließende Erklärung, es deute einiges darauf hin, dass es eine prognostisch günstige Typisierung wird und die Lebenserwartung dadurch eher nicht wesentlich eingeschränkt ist, konnte mich nicht wirklich aus dem Schockzustand befreien. Zumal er noch nachreichte, dass das alles gar nicht so schlimm ist, und wenn doch, gäbe es gute Therapien. Was mich wiederum etwas verärgerte, weil es klang ein wenig wie "Sie haben zwar eine praktisch unheilbare, tödliche Krankheit, aber wir nehmen's sportlich". Jedoch versuchte ich mich in den Arzt hinein zu versetzen und wie ich an seiner Stelle so eine Nachricht verpacken würde. Ich kam zum Ergebnis, dass er es letztlich doch gut so gemacht hat, wie er es gemacht hat. Lediglich das derzeitige Informationsvakuum macht mich völlig krank.
Wie man sich nach so einer Diagnose fühlt und was einem alles durch den Kopf geht, weiß ja jeder von euch selbst nur zu gut. Ich habe noch nicht den Ansatz von Bewältigungsstrategien gefunden und wüsste auch gar nicht, wo ich anfangen soll. Bis vor wenigen Wochen bin ich noch wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass nun die "besseren" 50 Jahre anfangen und noch viele Pläne gehabt. Seit längerem arbeite ich daran, nebenberuflich mein halbfertiges Psychologie-Studium zum Ende zu bringen. Meine Frau und ich haben uns, nach langer finanzieller Entbehrung, 2012 ein kleines Haus gekauft und ich wollte es uns als "Altersrückzug" schön machen. Die Natur genießen und über den Garten freuen.
Mit einem Schlag wird das alles in Frage gestellt. Ratlosigkeit, Schreckensszenarien, Verdrängungsmechanismen und Verlustängste geben sich gleichzeitig die Hand. Ich mache meine Arbeit zwar unverändert weiter, erlebe mich aber zurzeit wie mitten in einem Albtraum. Gedanken, es könne eine Fehldiagnose sein, wechseln sich mit Gedanken darüber, was man "falsch" gemacht haben könnte, ab. Das Schlimmste ist für mich als relativ kontrollbezogenen Menschen aber die völlig neue Erkenntnis, dass sich mein -bislang noch gut funktionierender- Körper gerade Stück für Stück selbst zerstört, ohne dass ich auch nur das Geringste dagegen tun kann.
Hoffentlich habe ich mit meinem langen Bericht niemanden gelangweilt. Vielleicht hilft er jemandem, der in einer ähnlichen Situation ist. Nicht ganz uneigennützig, denn vielleicht hat auch jemand ein paar Tipps für mich zu Dingen, die mir bislang noch unklar sind.
Vielen Dank und liebe Grüße an alle Mitbetroffenen!