von jan » 06.11.2013, 20:15
Hallo zusammen
es tut mir leid, dass ich in den vergangenen Tagen nicht dazu gekommen bin, auf diese interessante Diskussion zu antworten. In der Tat spannend und ein guter Gedanke.
Dieses Thema wurde von CML-Experten seit der Verfügbarkeit von Imatinib intensiv diskutiert. G-CSF, das das Wachstum von Granulozyten bei sich teilenden Stammzellen beschleunigt, wird ja in der Leukämietherapie seit Jahrzehnten eingesetzt - einerseits in Hochdosis, um Stammzellen im Knochenmark so massiv zu vermehren, damit sie aus den Knochen ausschwemmen und man sie dann mit einem Zellseparator für eine autologe Transplantation aus dem peripheren Blut fischen kann, und andererseits, um bei zu niedrigen Blutwerten die Bildung von Blutkörperchen anzuregen, um die Infektanfälligkeit zu überwinden.
Von der Theorie klang es daher sehr reizvoll, bei der CML mit G-CSF die "restlichen schlafenden Stammzellen" zu mobilisieren und in Kombination mit einem TKI zu killen. Im Reagenzglas schien das auch zu funktionieren. Der Frage haben sich 2006-2009 einige japanische und englische Experten angenommen.
Ich verstehe die damalige Diskussion ungefähr so:
2009 kam man aber zum Schluss, dass das nicht funktioniert bzw. eventuell im Körper eines CML-Patienten sogar kontraproduktiv sein könnte, wenn G-CSF nicht aus anderen Gründen erforderlich ist. Ein Team aus Tessa Holoyake aus England, eine der führenden Grundlagenforscher im CML-Bereich, und ein US-Team am Memorial Sloan-Kettering Krebszentrum in New York hat 2009 eine Veröffentlichung hierzu geschrieben, die auf einer kleinen klinischen Studie mit Menschen sowie einem mathematischen Modell basierte. Der Grund scheint zu sein, dass die "schlafenden Stammzellen" ja schlafen und sich eben gerade nicht teilen, so dass sie von TKIs nicht erreicht werden. G-CSF mobilisiert aber sich teilende Zellen, und daher könnte es gerade die in einer guten Remission trotzdem noch vorhandenen restlichen sich teilenden CML-Zellen im Wachstum begünstigen (auch solche ggf mit Mutation), während die schlafenden Stammzellen weiterschlafen - und man somit das Risiko einer Resistenz eher erhöhe.
Es gab auch eine japanische Studie 2006, in der bei Patienten mit CML in fortgeschrittenen Phasen, bei denen man wegen zu niedriger Blutwerte G-CSF einsetzen musste, beobachtete, dass es bei den Patienten durch G-CSF zu einer Vermehrung der Blasten kam. Daher rieten sie, G-CSF bei niedrigen Blutwerten zusätzlich einzusetzen, aber die Dynamik der CML der Patienten noch genauer zu beobachten.
In einer Studie am MD Anderson Krebsentrum von 2010 hat man sogar die Kombination von Hochdosis-Imatinib (800mg/Tag) mit Peg-IFN-alpha-2b und G-CSF gegenüber Hochdosis-Imatinib alleine bei 94 Patienten verglichen. Die Kombinationsgruppe erhielt erst 600mg nur Imatinib und ab dann die Kombination. Sie zeigte keine höheren Raten von kompletter zytogenetischer Remission oder kompletter molekularer Remission, aber viele Therapieabbrüche, weil die Kombination mit hochdosiertem Imatinib und recht hoch dosierte, rigide angewendeten Peg-IFN wohl zu heftig war.
Für mich mal wieder ein Beispiel dafür, dass was im Reagenzglas des Labors gut funktioniert, im komplexen System des Körpers aus vielen guten Gründen das Gegenteil bewirken kann, und G-CSF ist sicherlich ein gutes Mittel, um bei zu niedrigen Blutwerten die Leukozyten zu erhöhen, aber in guter Remission und guten Blutwerten scheint es nicht gegen die schlafenden Stammzellen zu helfen.
Wohlgemerkt, dies bezieht sich alles auf G-CSF. Interferon ist eine andere Geschichte, weil man da weiss, dass T-Zellen gegen die CML-Zellen aktiviert werden und der Effekt auch nach Absetzen des Medikaments fortbestehen kann.
Viele Grüße
Jan
PS: Wer's auf Englisch nachlesen mag:
PLoS Comput Biol. 2009 Sep;5(9):e1000503. Epub 2009 Sep 11.
Eradication of Chronic Myeloid Leukemia Stem Cells: A Novel Mathematical Model Predicts No Therapeutic Benefit of Adding G-CSF to Imatinib.
Foo J, Drummond MW, Clarkson B, Holyoake T, Michor F.
Cancer. 2010 Sep 30.
Immune modulation of minimal residual disease in early chronic phase chronic myelogenous leukemia: a randomized trial of frontline high-dose imatinib mesylate with or without pegylated interferon alpha-2b and granulocyte-macrophage colony-stimulating factor.
Cortes J, Quintás-Cardama A, Jones D, Ravandi F, Garcia-Manero G, Verstovsek S, Koller C, Hiteshew J, Shan J, O'Brien S, Kantarjian H.
Acta Haematol. 2006;116(1):8-18.
Effect of imatinib mesylate combined with granulocyte colony-stimulating factor on leukaemic blast cells derived from advanced-stage chronic myelogenous leukaemia patients.
Ota S, Musashi M, Kondo K, Toyoshima N, Toubai T, Onozawa M, Mori A,
Hashino S, Tanaka J, Matsuno K, Imamura M, Asaka M.
Leukemia (2003) 17, 805-807. doi:10.1038/sj.leu.2402869
G-CSF for Imatinib-induced neutropenia
D Heim1, M Ebnöther2, S Meyer-Monard2, D Tsakiris2, M Linn3, A
Tichelli2 and A Gratwohl1
Hallo zusammen
es tut mir leid, dass ich in den vergangenen Tagen nicht dazu gekommen bin, auf diese interessante Diskussion zu antworten. In der Tat spannend und ein guter Gedanke.
Dieses Thema wurde von CML-Experten seit der Verfügbarkeit von Imatinib intensiv diskutiert. G-CSF, das das Wachstum von Granulozyten bei sich teilenden Stammzellen beschleunigt, wird ja in der Leukämietherapie seit Jahrzehnten eingesetzt - einerseits in Hochdosis, um Stammzellen im Knochenmark so massiv zu vermehren, damit sie aus den Knochen ausschwemmen und man sie dann mit einem Zellseparator für eine autologe Transplantation aus dem peripheren Blut fischen kann, und andererseits, um bei zu niedrigen Blutwerten die Bildung von Blutkörperchen anzuregen, um die Infektanfälligkeit zu überwinden.
Von der Theorie klang es daher sehr reizvoll, bei der CML mit G-CSF die "restlichen schlafenden Stammzellen" zu mobilisieren und in Kombination mit einem TKI zu killen. Im Reagenzglas schien das auch zu funktionieren. Der Frage haben sich 2006-2009 einige japanische und englische Experten angenommen.
Ich verstehe die damalige Diskussion ungefähr so:
2009 kam man aber zum Schluss, dass das nicht funktioniert bzw. eventuell im Körper eines CML-Patienten sogar kontraproduktiv sein könnte, wenn G-CSF nicht aus anderen Gründen erforderlich ist. Ein Team aus Tessa Holoyake aus England, eine der führenden Grundlagenforscher im CML-Bereich, und ein US-Team am Memorial Sloan-Kettering Krebszentrum in New York hat 2009 eine Veröffentlichung hierzu geschrieben, die auf einer kleinen klinischen Studie mit Menschen sowie einem mathematischen Modell basierte. Der Grund scheint zu sein, dass die "schlafenden Stammzellen" ja schlafen und sich eben gerade nicht teilen, so dass sie von TKIs nicht erreicht werden. G-CSF mobilisiert aber sich teilende Zellen, und daher könnte es gerade die in einer guten Remission trotzdem noch vorhandenen restlichen sich teilenden CML-Zellen im Wachstum begünstigen (auch solche ggf mit Mutation), während die schlafenden Stammzellen weiterschlafen - und man somit das Risiko einer Resistenz eher erhöhe.
Es gab auch eine japanische Studie 2006, in der bei Patienten mit CML in fortgeschrittenen Phasen, bei denen man wegen zu niedriger Blutwerte G-CSF einsetzen musste, beobachtete, dass es bei den Patienten durch G-CSF zu einer Vermehrung der Blasten kam. Daher rieten sie, G-CSF bei niedrigen Blutwerten zusätzlich einzusetzen, aber die Dynamik der CML der Patienten noch genauer zu beobachten.
In einer Studie am MD Anderson Krebsentrum von 2010 hat man sogar die Kombination von Hochdosis-Imatinib (800mg/Tag) mit Peg-IFN-alpha-2b und G-CSF gegenüber Hochdosis-Imatinib alleine bei 94 Patienten verglichen. Die Kombinationsgruppe erhielt erst 600mg nur Imatinib und ab dann die Kombination. Sie zeigte keine höheren Raten von kompletter zytogenetischer Remission oder kompletter molekularer Remission, aber viele Therapieabbrüche, weil die Kombination mit hochdosiertem Imatinib und recht hoch dosierte, rigide angewendeten Peg-IFN wohl zu heftig war.
Für mich mal wieder ein Beispiel dafür, dass was im Reagenzglas des Labors gut funktioniert, im komplexen System des Körpers aus vielen guten Gründen das Gegenteil bewirken kann, und G-CSF ist sicherlich ein gutes Mittel, um bei zu niedrigen Blutwerten die Leukozyten zu erhöhen, aber in guter Remission und guten Blutwerten scheint es nicht gegen die schlafenden Stammzellen zu helfen.
Wohlgemerkt, dies bezieht sich alles auf G-CSF. Interferon ist eine andere Geschichte, weil man da weiss, dass T-Zellen gegen die CML-Zellen aktiviert werden und der Effekt auch nach Absetzen des Medikaments fortbestehen kann.
Viele Grüße
Jan
PS: Wer's auf Englisch nachlesen mag:
PLoS Comput Biol. 2009 Sep;5(9):e1000503. Epub 2009 Sep 11.
Eradication of Chronic Myeloid Leukemia Stem Cells: A Novel Mathematical Model Predicts No Therapeutic Benefit of Adding G-CSF to Imatinib.
Foo J, Drummond MW, Clarkson B, Holyoake T, Michor F.
Cancer. 2010 Sep 30.
Immune modulation of minimal residual disease in early chronic phase chronic myelogenous leukemia: a randomized trial of frontline high-dose imatinib mesylate with or without pegylated interferon alpha-2b and granulocyte-macrophage colony-stimulating factor.
Cortes J, Quintás-Cardama A, Jones D, Ravandi F, Garcia-Manero G, Verstovsek S, Koller C, Hiteshew J, Shan J, O'Brien S, Kantarjian H.
Acta Haematol. 2006;116(1):8-18.
Effect of imatinib mesylate combined with granulocyte colony-stimulating factor on leukaemic blast cells derived from advanced-stage chronic myelogenous leukaemia patients.
Ota S, Musashi M, Kondo K, Toyoshima N, Toubai T, Onozawa M, Mori A,
Hashino S, Tanaka J, Matsuno K, Imamura M, Asaka M.
Leukemia (2003) 17, 805-807. doi:10.1038/sj.leu.2402869
G-CSF for Imatinib-induced neutropenia
D Heim1, M Ebnöther2, S Meyer-Monard2, D Tsakiris2, M Linn3, A
Tichelli2 and A Gratwohl1