von jan » 03.03.2013, 18:21
lakritz hat geschrieben:
Aber es ist doch wunderbar, wenn man erfolgreich therapiert wird, oder? Ist da ein 0,01 oder 0,02 oder 0,1 oder 0,2 tatsächlich entscheidend für die Lebensqualität oder (genauso wichtig) medizinisch relevant?
Hallo Lakritz,
man muss differenzieren zwischen Lebensqualität (was meist durch Symptome der Erkrankung sowie Nebenwirkungen der Therapie bedingt ist) und medizinische Kontrolle der Erkrankung (d.h. Remission, Vermeidung der Gefahr von Krankheitsfortschritt und Tod).
Für die Nebenwirkungen ist es in chronischer Phase unerheblich, ob man 0.01, 0.02, 0.1 oder 0.2 erreicht hat, da die CML - in guter molekularer Remission - keine krankheitsbedingten Symptome hat, da über 99% der Blutbildung CML-frei ist und damit normal funktioniert. Insofern sind sämtliche lebensqualitätsbedingte Unterschiede in diesem Bereich der Remission therapie- und nicht erkrankungsbedingt.
Medizinisch relevant sind die Unterschiede des Ansprechens ("PCR-Wert") insgesamt schon. Die früheren Studien, die Imatinib mit Interferon, Nilotinib mit Imatinib, oder Dasatinib mit Imatinib verglichen haben, haben recht klar gezeigt, dass man statistisch bei dauerhaftem Unterschreiten der 0,1% im "sicheren Hafen" ist, d.h. bei Fortführung der Therapie ein Fortschreiten der Erkrankung statistisch nahezu unwahrscheinlich ist. Nun ist 0,1% ja kein Wert, wo biologisch ein Schalter umfällt, sondern ein in den Analysen hat man die Patienten in Gruppen "Ansprechen über 10%", "Ansprechen zwischen 10-1%", "Ansprechen zwischen "1-0,1%", "Ansprechen zwischen 0.1-0.032%", und "Ansprechen 0.032%-0.01%" und "Ansprechen unter 0.01%" zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Therapiebeginn unterteilt und dann, mit den Ergebnissen derselben Patienten einige Jahre später berechnet, wie hoch die Wahrscheinlichkeit bei Erreichen oder dauerhaftem Unterschreiten bestimmter Werte ist, dass ein Patient einen Krankheitsfortschritt erleidet. Dabei hat man rausgefunden, dass die Prognose schlechter ist, wenn man nach 3 Monaten die 10% nicht unterschreitet, nach 12 Monaten nicht unter 1% liegt, oder nach 18 Monaten nicht 0,1% erreicht hat (bei einem Labor, das nach einem internationalen Verfahren standardisiert ist).
Das bedeutet nicht, dass die Krankheit automatisch zum Problem wird, wenn man diese Meilensteine "reisst", sondern, dass dann die statistische Wahrscheinlichkeit, dass man langfristig mit der aktuellen Therapie nicht gut fährt, höher ist.
Seit Jahren besteht eigentlich Konsens, dass man mit Unterschreiten von MMR (0,1% BCR-ABL nach Internationaler Skala) im "sicheren Hafen" ist, wenn man die Therapie konsequent fortführt. Im letzten Jahr gab es dazu noch weitere Erkenntnisse: Wenn man nach 3 Monaten nicht mindestens 10% unterschritten hat, ist es unwahrscheinlich, dass man MMR später unter der aktuellen Therapie noch erreicht - ein früher Wechsel zu einem stärkeren Medikament könnte dann also angeraten sein. Zweitens hat man aus den französischen Stop-Studien gelernt, dass der "sichere Hafen 0,1%" nur unter Fortführung der Therapie gilt, aber nicht reicht, wenn man Absetzen möchte. Hier scheinen noch niedrigere Werte und die Dauer der bereits erreichten Remission weitere Faktoren zu sein, die das Absetzen "sicherer machen". Genaueres möchte man in den STOP-Studien rausfinden, und die französischen Studien scheinen auch zu sagen, dass jeder, der sofort nach Fehlschlag des Absetzens wieder therapiert, wieder zur Remission zurückfindet. Auch das möchte man in den STOP-Studien mit höheren Fallzahlen bestätigen, so dass man vielleicht irgendwann herausfinden kann, welche die 10-15% der CML-Patienten sind, die nach einigen Jahren der Therapie ohne weitere Medikation auskommen müssen, während die restlichen 85-90% eben weitertherapieren müssen.
Vielleicht haben wir in ein paar Jahren die kurative CML-Therapie in Tablettenform, die die Restleukämie ausradiert, vielleicht auch nicht. Daher ist die STOP-Methode eine mögliche, aber nicht die einzige, aber aktuell vielleicht die konkreteste Methode, die einen Teil der Patienten ins Ziel einer funktioniellen Heilung führen kann.
Ich hoffe, ich konnte die Erwägungen einigermaßen erklären, und wie ich bereits vorher sagte - wer unter wenig Nebenwirkung und guter Wirkung heute in komfortabler Situation ist, hat wenig Anreiz, daran etwas zu ändern. Wer unangenehme Nebenwirkungen hat oder unzureichend anspricht, möchte bzw muss mögliche andere Optionen prüfen. Und neu diagnostizierte Patienten gehen evtl den Weg, eine möglichst wirksame einleitende Therapie zu wählen, die sie möglichst schnell in den sicheren Hafen bringt.
Viele Grüße
Jan
[quote="lakritz"]
Aber es ist doch wunderbar, wenn man erfolgreich therapiert wird, oder? Ist da ein 0,01 oder 0,02 oder 0,1 oder 0,2 tatsächlich entscheidend für die Lebensqualität oder (genauso wichtig) medizinisch relevant?
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Hallo Lakritz,
man muss differenzieren zwischen Lebensqualität (was meist durch Symptome der Erkrankung sowie Nebenwirkungen der Therapie bedingt ist) und medizinische Kontrolle der Erkrankung (d.h. Remission, Vermeidung der Gefahr von Krankheitsfortschritt und Tod).
Für die Nebenwirkungen ist es in chronischer Phase unerheblich, ob man 0.01, 0.02, 0.1 oder 0.2 erreicht hat, da die CML - in guter molekularer Remission - keine krankheitsbedingten Symptome hat, da über 99% der Blutbildung CML-frei ist und damit normal funktioniert. Insofern sind sämtliche lebensqualitätsbedingte Unterschiede in diesem Bereich der Remission therapie- und nicht erkrankungsbedingt.
Medizinisch relevant sind die Unterschiede des Ansprechens ("PCR-Wert") insgesamt schon. Die früheren Studien, die Imatinib mit Interferon, Nilotinib mit Imatinib, oder Dasatinib mit Imatinib verglichen haben, haben recht klar gezeigt, dass man statistisch bei dauerhaftem Unterschreiten der 0,1% im "sicheren Hafen" ist, d.h. bei Fortführung der Therapie ein Fortschreiten der Erkrankung statistisch nahezu unwahrscheinlich ist. Nun ist 0,1% ja kein Wert, wo biologisch ein Schalter umfällt, sondern ein in den Analysen hat man die Patienten in Gruppen "Ansprechen über 10%", "Ansprechen zwischen 10-1%", "Ansprechen zwischen "1-0,1%", "Ansprechen zwischen 0.1-0.032%", und "Ansprechen 0.032%-0.01%" und "Ansprechen unter 0.01%" zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Therapiebeginn unterteilt und dann, mit den Ergebnissen derselben Patienten einige Jahre später berechnet, wie hoch die Wahrscheinlichkeit bei Erreichen oder dauerhaftem Unterschreiten bestimmter Werte ist, dass ein Patient einen Krankheitsfortschritt erleidet. Dabei hat man rausgefunden, dass die Prognose schlechter ist, wenn man nach 3 Monaten die 10% nicht unterschreitet, nach 12 Monaten nicht unter 1% liegt, oder nach 18 Monaten nicht 0,1% erreicht hat (bei einem Labor, das nach einem internationalen Verfahren standardisiert ist).
Das bedeutet nicht, dass die Krankheit automatisch zum Problem wird, wenn man diese Meilensteine "reisst", sondern, dass dann die statistische Wahrscheinlichkeit, dass man langfristig mit der aktuellen Therapie nicht gut fährt, höher ist.
Seit Jahren besteht eigentlich Konsens, dass man mit Unterschreiten von MMR (0,1% BCR-ABL nach Internationaler Skala) im "sicheren Hafen" ist, wenn man die Therapie konsequent fortführt. Im letzten Jahr gab es dazu noch weitere Erkenntnisse: Wenn man nach 3 Monaten nicht mindestens 10% unterschritten hat, ist es unwahrscheinlich, dass man MMR später unter der aktuellen Therapie noch erreicht - ein früher Wechsel zu einem stärkeren Medikament könnte dann also angeraten sein. Zweitens hat man aus den französischen Stop-Studien gelernt, dass der "sichere Hafen 0,1%" nur unter Fortführung der Therapie gilt, aber nicht reicht, wenn man Absetzen möchte. Hier scheinen noch niedrigere Werte und die Dauer der bereits erreichten Remission weitere Faktoren zu sein, die das Absetzen "sicherer machen". Genaueres möchte man in den STOP-Studien rausfinden, und die französischen Studien scheinen auch zu sagen, dass jeder, der sofort nach Fehlschlag des Absetzens wieder therapiert, wieder zur Remission zurückfindet. Auch das möchte man in den STOP-Studien mit höheren Fallzahlen bestätigen, so dass man vielleicht irgendwann herausfinden kann, welche die 10-15% der CML-Patienten sind, die nach einigen Jahren der Therapie ohne weitere Medikation auskommen müssen, während die restlichen 85-90% eben weitertherapieren müssen.
Vielleicht haben wir in ein paar Jahren die kurative CML-Therapie in Tablettenform, die die Restleukämie ausradiert, vielleicht auch nicht. Daher ist die STOP-Methode eine mögliche, aber nicht die einzige, aber aktuell vielleicht die konkreteste Methode, die einen Teil der Patienten ins Ziel einer funktioniellen Heilung führen kann.
Ich hoffe, ich konnte die Erwägungen einigermaßen erklären, und wie ich bereits vorher sagte - wer unter wenig Nebenwirkung und guter Wirkung heute in komfortabler Situation ist, hat wenig Anreiz, daran etwas zu ändern. Wer unangenehme Nebenwirkungen hat oder unzureichend anspricht, möchte bzw muss mögliche andere Optionen prüfen. Und neu diagnostizierte Patienten gehen evtl den Weg, eine möglichst wirksame einleitende Therapie zu wählen, die sie möglichst schnell in den sicheren Hafen bringt.
Viele Grüße
Jan