von jan » 11.11.2005, 09:19
Liebe Chrissie,
wie Marc schreibt, beziehst Du Dich vermutlich auf den Artikel in der Neuen Züricher Zeitung. Bei der Interpretation muss man etwas vorsichtig sein, da der Redakteur die tatsächlichen Zusammenhänge etwas unglücklich darstellt. Insbesondere ist die Unterscheidung im Artikel zwischen "schnell teilenden Tumorzellen" und "weniger oft teilenden Stammzellen" im Zusammenhang mit CML unrichtig.
Zum Grundverständnis folgendes: Glivec greift in einer bestimmten Phase des Zellteilungszyklus an, blockiert dort die Zelle, so dass sie sich nicht mehr teilen kann und dann abstirbt. Dies bedeutet, dass Glivec aber nur Zellen erreicht, die sich im Zellteilungszyklus befinden, nicht aber die, die sich nicht teilen. Diese sogenannten "schlafenden Zellen" bleiben daher unbehelligt - sorgen aber aufgrund der Tatsache, dass sie sich nicht teilen, auch für keine neuen Leukämiezellen. Die Krankheit ist somit unter Kontrolle - und wenn die Zelle aufwacht, wird sie höchstwahrscheinlich von Glivec gekillt.
Mehrere Beobachtungen aus der klinischen Praxis bestätigen dies: Patienten, die ein bestimmtes Niveau der Resterkrankung unterschreiten (vollständige molekulare Remission, momentan definiert als BCR-ABL/ABL <0,12%), erleben keinen Rezidiv, da die Krankheit auf einem minimalen Level im Griff ist, aber eben noch nachweisbar, was an den "schlafenden Zellen" liegen könnte. Allerdings erlebten die Patienten, die nach Erreichen von PCR-Negativität (BCR-ABL/ABL unter der Nachweisgrenze heutiger Methoden) das Medikament absetzten, wieder leicht nachweisbare CML - dies spricht auch dafür, dass eben "aufwachende Zellen" dann mangels Glivec wieder die Vermehrung begannen.
Insofern keine Panik - wir wissen, dass Glivec nicht heilt, aber wir wissen auch aus klinischen Daten, dass, sobald ein sehr gutes Ansprechen erreicht ist, die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls sehr gering wird. Daher spricht man auch sehr begründet von der Hoffnung, mit Glivec und den anderen neuen Medikamenten die Krankheit ein langes Leben lang im Griff zu haben.
Daher ist auch der Satz "Die Wahrscheinlichkeit für einen erneuten Ausbruch der Leukämie sei deshalb unter der Therapie mit diesem Medikament recht hoch" falsch - sie ist hoch, wenn man das Medikament absetzt, und sie ist hoch, wenn man kein gutes molekulares Ansprechen erreicht. Der Autor vergleicht meines Erachtens Äpfel mit Birnen, wenn er scheibt, dass an einem Rückfall "höchstwahrscheinlich immer Krebsstammzellen schuld, denen die gängigen Therapeutika nichts anhaben könnten" - wo wir wissen, dass Glivec bei der CML gerade die Stammzellen mit dem CML-typischen BCR-ABL-Gen blockiert. Hier wird die bei vielen soliden Tumoren gängige und wirksame "chemotherapeutische Giftkeule" (Zytostatikum, d.h. Zellgift, das alle schnell teilenden Zellen erreicht und damit besonders Krebs-, Haut- und Samenzellen killt) in Zusammenhang mit CML gesetzt - und Glivec ist mit seinem sehr gezielten Angriff auf ein bestimmtes Gen (BCR-ABL) eben eine ganz andere Kategorie von Krebstherapie.
Insofern: Vergleich von Äpfel mit Birnen, und kein Grund zur Sorge. Glivec greift gerade die Stammzellen an, und im Reagenzglas hat man gesehen, dass BMS-354825/Dasatinib wohl auch CML-Zellen in anderen Teilungsphasen erreicht - man muss sehen, was die klinischen Studien ergeben. Was man heute weiss: Viele, die auf Glivec nicht mehr ansprechen, kommen mit AMN107 und Dasatinib wieder in gute Remissionen. Und vielleicht gibt es in ein paar Jahren dann auch einen Cocktail aus verschiedensten Wirkstoffen a la Glivec/Dasatinib/AMN107, die dann auf mehreren Angriffswegen auch die letzte CML-Zelle beseitigen.
Viele Grüße
Jan
Liebe Chrissie,
wie Marc schreibt, beziehst Du Dich vermutlich auf den Artikel in der Neuen Züricher Zeitung. Bei der Interpretation muss man etwas vorsichtig sein, da der Redakteur die tatsächlichen Zusammenhänge etwas unglücklich darstellt. Insbesondere ist die Unterscheidung im Artikel zwischen "schnell teilenden Tumorzellen" und "weniger oft teilenden Stammzellen" im Zusammenhang mit CML unrichtig.
Zum Grundverständnis folgendes: Glivec greift in einer bestimmten Phase des Zellteilungszyklus an, blockiert dort die Zelle, so dass sie sich nicht mehr teilen kann und dann abstirbt. Dies bedeutet, dass Glivec aber nur Zellen erreicht, die sich im Zellteilungszyklus befinden, nicht aber die, die sich nicht teilen. Diese sogenannten "schlafenden Zellen" bleiben daher unbehelligt - sorgen aber aufgrund der Tatsache, dass sie sich nicht teilen, auch für keine neuen Leukämiezellen. Die Krankheit ist somit unter Kontrolle - und wenn die Zelle aufwacht, wird sie höchstwahrscheinlich von Glivec gekillt.
Mehrere Beobachtungen aus der klinischen Praxis bestätigen dies: Patienten, die ein bestimmtes Niveau der Resterkrankung unterschreiten (vollständige molekulare Remission, momentan definiert als BCR-ABL/ABL <0,12%), erleben keinen Rezidiv, da die Krankheit auf einem minimalen Level im Griff ist, aber eben noch nachweisbar, was an den "schlafenden Zellen" liegen könnte. Allerdings erlebten die Patienten, die nach Erreichen von PCR-Negativität (BCR-ABL/ABL unter der Nachweisgrenze heutiger Methoden) das Medikament absetzten, wieder leicht nachweisbare CML - dies spricht auch dafür, dass eben "aufwachende Zellen" dann mangels Glivec wieder die Vermehrung begannen.
Insofern keine Panik - wir wissen, dass Glivec nicht heilt, aber wir wissen auch aus klinischen Daten, dass, sobald ein sehr gutes Ansprechen erreicht ist, die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls sehr gering wird. Daher spricht man auch sehr begründet von der Hoffnung, mit Glivec und den anderen neuen Medikamenten die Krankheit ein langes Leben lang im Griff zu haben.
Daher ist auch der Satz "Die Wahrscheinlichkeit für einen erneuten Ausbruch der Leukämie sei deshalb unter der Therapie mit diesem Medikament recht hoch" falsch - sie ist hoch, wenn man das Medikament absetzt, und sie ist hoch, wenn man kein gutes molekulares Ansprechen erreicht. Der Autor vergleicht meines Erachtens Äpfel mit Birnen, wenn er scheibt, dass an einem Rückfall "höchstwahrscheinlich immer Krebsstammzellen schuld, denen die gängigen Therapeutika nichts anhaben könnten" - wo wir wissen, dass Glivec bei der CML gerade die Stammzellen mit dem CML-typischen BCR-ABL-Gen blockiert. Hier wird die bei vielen soliden Tumoren gängige und wirksame "chemotherapeutische Giftkeule" (Zytostatikum, d.h. Zellgift, das alle schnell teilenden Zellen erreicht und damit besonders Krebs-, Haut- und Samenzellen killt) in Zusammenhang mit CML gesetzt - und Glivec ist mit seinem sehr gezielten Angriff auf ein bestimmtes Gen (BCR-ABL) eben eine ganz andere Kategorie von Krebstherapie.
Insofern: Vergleich von Äpfel mit Birnen, und kein Grund zur Sorge. Glivec greift gerade die Stammzellen an, und im Reagenzglas hat man gesehen, dass BMS-354825/Dasatinib wohl auch CML-Zellen in anderen Teilungsphasen erreicht - man muss sehen, was die klinischen Studien ergeben. Was man heute weiss: Viele, die auf Glivec nicht mehr ansprechen, kommen mit AMN107 und Dasatinib wieder in gute Remissionen. Und vielleicht gibt es in ein paar Jahren dann auch einen Cocktail aus verschiedensten Wirkstoffen a la Glivec/Dasatinib/AMN107, die dann auf mehreren Angriffswegen auch die letzte CML-Zelle beseitigen.
Viele Grüße
Jan