Weltweites Treffen von CML- und GIST-Patientengruppen in Italien

Die 6. internationale Konferenz "Neue Horizonte in der Krebsbehandlung für Patientenorganisationen mit CML oder GIST" fand in diesem Jahr in Baveno am Lago Maggiore (Italien) vom 27. bis 29. Juni 2008 statt. Die von Novartis organisierte Konferenz "New Horizons in treating cancer" bringt nunmehr seit 6 Jahren aus aller Welt Patientenvertreter von Selbsthilfegruppen für CML und GIST zusammen, um diese in der Selbsthilfearbeit weiterzubilden sowie den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen den Patientenorganisation zu fördern. 

Erstmals wurde die Konferenz im Jahr 2003 in Diessenhofen bei Zürich mit ca. 20 Patientenvertretern veranstaltet. In diesem Jahr waren es schon mehr als 100 Patientenvertreter von 35 Patientengruppen von allen Kontinenten. Diese trafen sich für drei Tage, um gemeinsam in Vorträgen und Workshops medizinische Neuigkeiten zu erfahren und zu diskutieren. Desweiteren wurden Themen rund um die Selbsthilfe und Organisation von Patientengruppen behandelt und auch ausreichend Zeit zum persönlichen kennenlernen war gegeben. Für die nicht englischsprechenden Teilnehmer wurden Simultanübersetzungen der Vorträge und Diskussionen in Japanisch, Spanisch, Griechisch und Russisch angeboten.

Als Referenten für die medizinischen Vorträge zur CML waren u.a. Dr. Eduardo Olavarria (Hammersmith Hospital, London UK), Dr. Francisco Cervantes (Universitätsklinik Barcelona, Spanien), Prof. Alain Astier (Henri Mondor University Hospital, Creteil Frankreich), Dr. Dina Ben Yehuda (Direktorin der hämatologischen Abteilung am Hadassah Klinikum, Jerusalem, Israel) und Carolyn Blasdel (OHSU-Oregon Health & Science University in Portland, Oregon USA) anwesend, die insbesondere den Bereich der CML-Therapie erläuterten. Hochinteressante Vorträge für den GIST-Bereich wurden von Priv.-Doz. Dr. Peter Reichardt (Helios Klinikum Bad Saarow, Sarkomzentrum Berlin-Brandenburg), Dr. Jonathan Fletcher (Harvard Medical School, Boston USA) und Markus Wartenberg (Das Lebenshaus e.V.) gehalten. Weiterhin wurde die Entwicklung der im letzten Jahr vorgestellten Webplattform "CML Advocates Network" vorgestellt und die "CML-Erklärung von Baveno" von den anwesenden Patientenvertretern gemeinsam erstellt und unterzeichnet.

Dr. Peter Reichardt referierte über die Herausforderung in der Entwicklung von Krebsmedikamenten, insbesondere über die Medikamentsuche am Beispiel Imatinib, welche als klassisches Beispiel einer geplanten Entwicklung im Gegensatz zum bisher angewandten traditionellen Screening dient. In der Vergangenheit wurden mögliche Wirkstoffe geprüft, gegen welche Krankheit sie nützlich sein könnten. Bei der Ph+ CML ist man den umgekehrten Weg gegangen, es wurde speziell ein Wirkstoff gesucht, der die Tyrosinkinase (Signalweg), die zum bösartigen bcr-abl-Protein führt, unterbindet. Weiterhin wurde der Verlauf und die Fragestellungen der der einzelnen Phasen der Medikamentenentwicklung in Studien von Phase 1 (Dosis-Wirkungs-Studie), die Phase 2 (Open-Label-Studie) bis hin zur Phase 3 (randomisierte Studie) ausführlich erläutert.

Dr. Francisco Cervantes gab einen umfassenden Überblick über den aktuellen Stand der CML-Therapie mit den Tyrosinkinasehemmern Imatinib, Dasatinib und Nilotinib. Sie erklärte dabei die biologischen Grundlagen der CML, die Mechanismen der Entwicklung der Krebszellen, die Funktionsweise der neuartigen Tyrosinkinasehemmer, die Entwicklung von Resistenzen sowie der Überwindung durch Dosiserhöhung oder Medikamente der zweiten Generation. Außerdem gab er einen Überblick über bisherige Studienergebnisse sowie Nebenwirkungsprofile aller drei Therapien.

Dr. Eduardo Olavarria (Hammersmith Hospital, London) stellte ein Update der bereits im letzten Jahr vorgestellten innovativen Methode einer Kombination von dosisreduzierter Stammzelltransplantation mit nachfolgender Imatinib-Erhaltungstherapie und verzögerter Spenderlymphozytengabe (DLIs) vor. Seine Studie zeigt deutliche Verbesserung bei der Behandlung gegenüber der üblichen Stammzelltransplantation, da die dosisreduzierte Stammzellentransplantation geringere Nebenwirkungen durch Toxizität aufweist, die verzögerte Spenderlymphozytengabe die Graft-versus-Host-Disease-Risiken minimiert, und die Imatinib-Gabe das Rezidivrisiko nach der Transplantation verringert. Insgesamt wurde in der Pilotstudie eine geringe transplantationsbedingte Mortalität und eine hohe Rate erfolgreicher, rückfallsfreier Heilungen beobachtet. Dabei wurde nach der Transplantation 12 Monate lang Imatinib verabreicht, und dann erst Spenderlymphozyten angewendet. Fast alle Patienten erreichten eine Reduktion um 3-log-Stufen.

Carolyn Blasdel (Krebskrankenschwester bei Dr. Druker an der Oregon State University) stellte eine umfangreiche Übersicht vor, wie Nebenwirkungen durch die bei der CML eingesetzten Medikamente entgegnet werden kann. Es wurden viele praktische Tipps und Tricks vermittelt, um die Nebenwirkungen bzw. auch das Versagen bei Glivec (Imatinib), Sprycel (Dasatinib) und Tasigna (Nilotinib) zu mildern und die Patienten vor Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten zu sensibilisieren. Bekannt sind z.B. der Verzicht auf Grapefruitsäfte, Johanniskraut und bestimmte Antibiotika. Viele dieser Hilfestellungen dürften den Lesern von Leukaemie-Online schon aus dem Forum bekannt sein. Zusammenfassend lässt sich sagen , das alle drei Tyrosinkinaseinhibitoren im Vergleich zur traditionellen Chemotherapie bzw. zu Interferon gut verträglich sind. Die meisten Nebenwirkungen lassen im Laufe der Zeit deutlich nach bzw. lassen sich durch geeignetes Nebenwirkungsmanagement deutlich mildern. Besonders wichtig bei allen bereits genannten Inhibitoren ist die Therapietreue ("Compliance"), da einige Patienten sich subjektiv "gut fühlen" und deshalb nach der Anfangsphase Ihre Medikamente nicht mehr regelmäßig einnehmen -- eine große Gefahr für die Resistenzbildung und mögliches Therapieversagen.

Im Anschluß standen Dr. Dina Ben Yehuda (Abteilung Hämatologie des Hadassah Hebrew University Medical Center) , Carolyn Blasdel (OHSU), Eduardo Olavarria und Roger Waltzman (Novartis) im Rahmen einer "Frage den Experten"-Sitzung für 1,5 Stunden für Fragen der Patientenvertreter zur Verfügung. Die Sitzung wurde sehr intensiv genutzt, und da einige der Referenten über mehrere Tage anwesend waren, gab es auch in den Kaffeepausen sowie nach dem Essen bis spät in die Nacht Gelegenheit, Fragen an die Experten zu stellen.

Prof. Alain Astier hielt eine sehr interessante Präsentation über die Pharmakologie von Tyrosinkinaseinhibitoren. Gezielte molekulare Therapien (z.B. Tyrokinaseinhibitoren) sind ein wesentlicher Fortschritt in der modernen Krebsbehandlung geworden. Sie wirken im Gegensatz zur klassischen Krebsbehandlung, die auf Hemmung der Zellproliferation auf DNA-Ebene abzielt, auf Hemmung der intrazellulären Signalwege (Tyrosinkinasen) und wirken daher spezifischer, so dass die Wirkung auf normale Zellen nicht toxisch bzw. nur moderat toxisch ist. Die Wirkungsweise von Tyrosinkinaseinhibitoren ist stark abhängig von individuellen Merkmalen der einzelnen Patienten. Das können Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, Essen, Alkohol, aber auch Erblichkeit oder andere Einflüsse sein. Als Beispiel wurde die Nahrungsaufnahme am Beispiel Nilotinib erläutert. So ist bei Nilotinib zum Beispiel erforderlich, das man 2 Stunden vor und mind. 1 Stunde nach der Einnahme keine Nahrung zu sich nimmt. Im Rahmen der der Präsentation wurde als Fazit präsentiert: Bei den Tyrosinkinaseinhibitoren handelt es sich um leistungsfähige Behandlungsmöglichkeiten für CML, GIST und andere Malignome, deren beste Wirksamkeit nur erreicht wird, wenn man die medikamentös bedingten Nebenwirkungen, die Toxizität, die Einflussnahme von Wechselwirkungen und die unzureichende Einhaltung der Medikamenteneinnahme kontrolliert. Bei der Erreichung dieses Ziel spielt die Erziehung jedes einzelnen Patienten eine wichtige Rolle, unterstützt sollten diese von Ärzten, Apothekern, Krankenschwestern und Patientenvertretern werden.

Jan Geissler (Vorsitzender von Leukaemie-Online und Vize-Präsident von ECPC) gab ein Update zur Webplattform "CML Advocates Network", welche im letzten Jahr auf der Konferenz in Bad Nauheim vorgestellt wurde. Die "New Horizons"-Konferenzen haben starke und wichtige Verbindungen zwischen den teilnehmenden Patientengruppen geschaffen. Allerdings sei "nach der Konferenz oft vor der Konferenz", da danach der Austausch nur sporadisch erfolgte. Das "CML Advocates Network" soll die Patientengruppen dauerhaft vernetzen und den gegenseitigen Austausch und Unterstützung organisieren. Due Plattform wird von Patientengruppen betrieben und finanziert und ist daher unabhängig. Zur Zeit sind 30 Interessensgruppen mit 41 Vertretern über die Webplattform miteinander vernetzt. Ein erster Erfolg des Netzwerks war eine Kampagne zur Weiterführung der Dasatinib-START-Studien, um Langzeitdaten zu ermitteln. Weiterhin wurde ein spanischsprechendes Forum eröffnet werden und durch offene Briefe an die Gesundheitsminister von Polen und Bulgarien der Zugang zu CML-Therapien verbessert.

Weiterhin fanden parallel diverse Workshops zur Weiterbildung der Patientenvertreter in effektiver Selbsthilfearbeit statt:
  • "Ihre Botschaft durch effektives Schreiben rüberbringen" (Kathrin Schuster, Lebenshaus e.V.)
  • "Markenaufbau für Patientengruppen" (Dr. Herbert Thum)
  • "E‐Advocacy - wie das Internet die Arbeit von Patientengruppen verändert" (Jan Geißler, Leukämie-Online)
  • "Kommunikation von Arzt und Patient" - (Doris Schmitt, Mamazone e.V.)
  • "Effektive Besprechungsarbeit" (Markus Wartenberg, Lebenshaus e.V., Giora Sharf, Israel CML Patient Organisation)

Die CML-Erklärung von Baveno


Die versammelten CML-Vertreter haben im Rahmen der Konferenz eine "CML-Erklärung von Baveno" verfaßt und unterzeichnet, um weltweit auf Verbesserungspotential der CML-Therapie aufmerksam zu machen und die ausnahmslose Anwendung internationaler Therapiestandards zu fordern. Die Vertreter der weltweiten Gemeinschaft der CML-Patientengruppen fordern in der Deklaration gemeinsam alle für die Behandlung und Pflege von CML-Patienten Verantwortlichen zu Folgendem auf:

  1. Die Zusammenarbeit Aller mit dem ultimativen Ziel: Das Finden einer nicht invasiven Heilung für CML
  2. Die Behandlung muß gemäß international anerkannter Therapieleitlinien im Einklang mit international anerkannter Evidenz erfolgen, die durch das ELN (European Leukemia Net) und das NCCN (National Compehensive Cancer Network) festgelegt werden.
  3. Es muß sichergestellt werden, dass alle Patienten eine schnell und akkurate Diagnosestellung erhalten.
  4. Es muß sichergestellt werden, dass alle Patienten die gleiche optimale Betreuung und Behandlung bekommen, unabhängig von Rasse, Geschlecht, Alter, Nationalität, Glauben, wirtschaftlichen Verhältnissen oder Wohnort.
  5. Patienten sollen mit den Informationen und Mitteln versorgt werden, die sie benötigen, um von CML-Experten behandelt werden zu können.
  6. Es soll sichergestellt sein, dass alle Patienten ihre Therapie und Versorgung durch spezialisierte Zentren, vorzugsweise durch multidiziplinäre Teams, erhalten. Diese Zentren und Ärzte sollten an Studien teilnehmen, die durch internationale CML-Netzwerke organisiert werden, um sicherzustellen, dass Patienten immer die beste verfügbare Therapie erhalten.
  7. Der Zugang zu international standardisierter zytogenetischer und molekularer Diagnostik, Mutationsanalyse sowie Pathologie durch Experten soll gewährleistet sein, damit Ärzte und Patienten eine gut informierte Therapientscheidungen fällen können. Bei suboptimalen Ansprechen oder starken Nebenwirkungen sollen pharmakokinetische Untersuchungen des Blutplasmaspiegels durchgeführt werden.
  8. Patienten müssen zu jeder Zeit Einblick in Ihre Krankenakte bzw. zu Ihren Laborergebnissen nehmen können, unabhängig von nationalen Beschränkungen.
  9. Die Patienten sollen in die Lage versetzt werden, zytogenetische Befunde, FISH und PCR-Untersuchungen zu verstehen, um Ängste zu minimieren, die durch Verspätungen bzw. Verständnisprobleme der Testergebnisse entstehen könnten.
  10. Es muß Patienten auf Wunsch problemlos möglich sein, eine Zweitmeinung einzuholen.
  11. Patientenvertreter sollen an Entscheidungsprozessen zur Forschung sowie zum Zugang zu Therapien teilnehmen.
  12. Es muß sichergestellt sein, das Patienten Zugang zu den Informationen aller relevanten klinischen Studien erhalten. Die Teilnahme an Studien muß auch über Ländergrenzen hinweg unterstützt werden.
  13. Alle Patienten sollen psychologische und soziale Unterstützung erhalten, wenn sie diese benötigen.
  14. Patienten sollen Zugang zu einer angemessenen Finanzierung der Therapien erhalten, damit keine Behandlung aufgrund ökonomischer Zwänge unterbleibt. Dies beinhaltet die angemessene Kostenerstattung zugelassener Therapien, sowie Therapiezugangsprogramme bis zu dem Zeitpunkt, an dem die volle Kostenerstattung durch das Gesundheitssystem erfolgt.

Persönliches Kennenlernen


Einer der wichtigsten Punkte dieser Konferenz sollte aber das gegenseitige Kennenlernen der Teilnehmer sein. Dies wurde schon in der Begrüßung durch den Gastgeber Harout Semerjian (Novartis) ausdrücklich gewünscht, in dem er forderte, das am Ende der drei Tage jeder mindestens fünf neue Teilnehmer kennengelernt haben sollte. Durch ausreichend Zeit in den Pausen, beim Mittag- und Abendessen und in der Zeit zwischen den Tagesordnungspunkten konnte wohl jeder der Teilnehmer diesen Wunsch erfüllen. Weiterhin wurden natürlich auch viele bestehende Bekanntschaften intensiviert.

Bericht verfaßt von Marc und Jan.

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