Robert Koch-Preis für Brian Druker für innovative Krebsforschung (Glivec)

Der Traum von einem Medikament, das eine Krebserkrankung gezielt beseitigen kann, ohne daß andere Gewebe in Mitleidenschaft gezogen werden, ist mindestens so alt wie die Geschichte der onkologischen Pharmakotherapie. Am 28.10.2005 wurde in Berlin der Robert Koch-Preis 2005 an Professor Brian Druker vom Krebsinstitut in Portland im US-Bundesstaat Oregon vergeben. Damit wird ein Forscher geehrt, der der Verwirklichung dieses Traums zumindest recht nahe gekommen ist.

In enger Zusammenarbeit mit der Forschungsabteilung von Novartis Pharmaceuticals hat Druker mit der Substanz Imatinib das erste und bislang erfolgreichste kleine Molekül entwickelt.

"Small molecules", wie sie in der internationalen Literatur genannt werden, blockieren nicht unspezifisch die DNA-Synthese oder die Zellteilung wie klassische Chemotherapeutika. Stattdessen schalten sie gezielt tumorspezifische Eiweiße, etwa Enzyme, aus und töten dadurch die Krebszellen.

Für Tumorpatienten ist der Unterschied gewaltig: Kämpfen sie bei der klassischen Chemotherapie mit unerwünschten Wirkungen wie Haarausfall, Durchfällen oder gefährlichen Veränderungen des Blutbilds, so sind die unerwünschten Wirkungen von kleinen Molekülen sehr viel weniger ausgeprägt, weil sie proliferierende Gewebe wie das Darmepithel oder das blutbildende Gewebe in Ruhe lassen. Bei Leukämie Remissionsrate von 98 Prozent erreichbar

Das von Wissenschaftlern der Abteilung Novartis Oncology unter Leitung von Nicholas Lydon und Alex Matter synthetisierte Imatinib wurde von Druker und seinen Mitarbeitern seit Mitte der 90er Jahre in Zellkulturexperimenten und Tierversuchen getestet und rasch weiterentwickelt.

Die wichtigste Zielstruktur von Imatinib ist eine Tyrosinkinase, und zwar die des vom BCR-ABL-Onkogen kodierten Eiweißmoleküls bei chronischer myeloischer Leukämie (CML).

Bereits in Phase-I-Studien konnte eine hämatologische Remissionsrate von bei CML-Patienten bis dahin nicht für möglich gehaltenen 98 Prozent erreicht werden.

Insgesamt drei Phase-3-Studien mit Patienten in der chronischen Phase der CML, die nicht mehr auf eine Interferon-Behandlung ansprachen, sowie bei fortgeschrittenen CML-Patienten in der Akzelerationsphase und in der akuten Blastenkrise verliefen erfolgreich.

Das klinische Studienprogramm resultierte in der raschen Zulassung von Imatinib für die Indikation CML keine drei Jahre nach Beginn der ersten Phase-1-Studie. Werden CML-Patienten mit positivem Nachweis des Philadelphia-Chromosoms innerhalb der chronischen Phase ihrer Erkrankung mit Imatinib behandelt, dann können sie heute mit einer Drei-Jahres-Überlebensrate von über 90 Prozent rechnen.

Die Forschungsarbeiten Drukers, der an der Universität von Kalifornien in San Diego Medizin studiert hat und die erste Zeit seines Forscherlebens an der Harvard Medical School in Boston verbrachte, sind auch deswegen so bedeutsam, weil sie zum Paradebeispiel für die Möglichkeiten der molekularen Medizin geworden sind. "Von der genetischen Grundlagenforschung zum paßgenauen Medikament", diese Vision verkörpert Druker wie niemand sonst.

Druker, 1955 im US-Bundesstaat Minnesota geboren, hatte sich schon lange vor Imatinib mit Tyrosinkinasen und mit der CML beschäftigt. Seit 1973 war bekannt, daß es bei der Mehrheit der Patienten zu einer Umlagerung von Chromosomenabschnitten zwischen den Chromosomen 9 und 22 kommt.

Die Bedeutung dieses auch diagnostisch wertvollen, als Translokation bezeichneten Vorganges, bei dem das Philadelphia-Chromosom entsteht, wurde erst viel später klar: Sie bewirkt, daß bei CML-Patienten ein neues, krankheitsspezifisches Gen entsteht, das BCR-ABL-Onkogen. Es führt seinerseits zur übermäßigen Synthese eines Enzyms der molekularen Signalübermittlung, einer Tyrosinkinase.

Dieser Vorgang mündet letztlich in der malignen Proliferation der betroffenen Zellen. Das Entscheidende an Imatinib ist, daß es bei CML hochspezifisch genau diese krankmachende, BCR-ABL-abhängige Tyrosinkinase hemmt, und nicht die mehr als hundert anderen Tyrosinkinasen im Körper.

Es stellte sich rasch heraus, daß Imatinib noch eine weitere pathogenetisch bedeutsame Zellstruktur blockiert: die Kit-Tyrosinkinase. Sie kommt bei 90 Prozent der Patienten mit gastrointestinalem Stromatumor (GIST) vor. Auch für diese Indikation ist Imatinib inzwischen zugelassen.

Die Erfolgsstory dieser Substanz lehrt, daß aufwendige Forschung und ein wenig Glück tatsächlich zur Entwicklung von Medikamenten führen können, die einer Wunderwaffe zumindest nahe kommen. Die Entwicklung von Imatinib lehrt aber auch, daß Wunderwaffen Maßarbeit sind. Bis jede Krebserkrankung ihr eigenes Imatinib hat, ist es noch ein weiter Weg.

Quelle: Ärzte Zeitung vom 28.10.2005