- Published on 28.07.2010, 15:23
- Von Marc
Der Traum von einem Medikament, das eine Krebserkrankung gezielt beseitigen kann, ohne daß andere Gewebe in Mitleidenschaft gezogen werden, ist mindestens so alt wie die Geschichte der onkologischen Pharmakotherapie. Am 28.10.2005 wurde in Berlin der Robert Koch-Preis 2005 an Professor Brian Druker vom Krebsinstitut in Portland im US-Bundesstaat Oregon vergeben. Damit wird ein Forscher geehrt, der der Verwirklichung dieses Traums zumindest recht nahe gekommen ist.
In enger Zusammenarbeit mit der Forschungsabteilung von Novartis Pharmaceuticals hat Druker mit der Substanz
Imatinib das erste und bislang erfolgreichste kleine Molekül entwickelt.
"Small molecules", wie sie in der internationalen Literatur genannt werden, blockieren nicht unspezifisch die
DNA-Synthese oder die Zellteilung wie klassische Chemotherapeutika. Stattdessen schalten sie gezielt tumorspezifische Eiweiße, etwa Enzyme, aus und töten dadurch die Krebszellen.
Für Tumorpatienten ist der Unterschied gewaltig: Kämpfen sie bei der klassischen
Chemotherapie mit unerwünschten Wirkungen wie Haarausfall, Durchfällen oder gefährlichen Veränderungen des
Blutbilds, so sind die unerwünschten Wirkungen von kleinen Molekülen sehr viel weniger ausgeprägt, weil sie proliferierende Gewebe wie das Darmepithel oder das blutbildende Gewebe in Ruhe lassen. Bei Leukämie
Remissionsrate von 98 Prozent erreichbar
Das von Wissenschaftlern der Abteilung Novartis Oncology unter Leitung von Nicholas Lydon und Alex Matter synthetisierte
Imatinib wurde von Druker und seinen Mitarbeitern seit Mitte der 90er Jahre in Zellkulturexperimenten und Tierversuchen getestet und rasch weiterentwickelt.
Die wichtigste Zielstruktur von
Imatinib ist eine
Tyrosinkinase, und zwar die des vom
BCR-ABL-
Onkogen kodierten Eiweißmoleküls bei
chronischer myeloischer Leukämie (CML).
Bereits in Phase-I-Studien konnte eine hämatologische
Remissionsrate von bei CML-Patienten bis dahin nicht für möglich gehaltenen 98 Prozent erreicht werden.
Insgesamt drei Phase-3-Studien mit Patienten in der
chronischen Phase der CML, die nicht mehr auf eine
Interferon-Behandlung ansprachen, sowie bei fortgeschrittenen CML-Patienten in der Akzelerationsphase und in der
akuten Blastenkrise verliefen erfolgreich.
Das klinische Studienprogramm resultierte in der raschen Zulassung von
Imatinib für die
Indikation CML keine drei Jahre nach Beginn der ersten Phase-1-Studie. Werden CML-Patienten mit positivem Nachweis des Philadelphia-
Chromosoms innerhalb der
chronischen Phase ihrer Erkrankung mit
Imatinib behandelt, dann können sie heute mit einer Drei-Jahres-Überlebensrate von über 90 Prozent rechnen.
Die Forschungsarbeiten Drukers, der an der Universität von Kalifornien in San Diego Medizin studiert hat und die erste Zeit seines Forscherlebens an der Harvard Medical School in Boston verbrachte, sind auch deswegen so bedeutsam, weil sie zum Paradebeispiel für die Möglichkeiten der molekularen Medizin geworden sind. "Von der genetischen Grundlagenforschung zum paßgenauen Medikament", diese Vision verkörpert Druker wie niemand sonst.
Druker, 1955 im US-Bundesstaat Minnesota geboren, hatte sich schon lange vor
Imatinib mit Tyrosinkinasen und mit der CML beschäftigt. Seit 1973 war bekannt, daß es bei der Mehrheit der Patienten zu einer Umlagerung von Chromosomenabschnitten zwischen den
Chromosomen 9 und 22 kommt.
Die Bedeutung dieses auch diagnostisch wertvollen, als
Translokation bezeichneten Vorganges, bei dem das
Philadelphia-Chromosom entsteht, wurde erst viel später klar: Sie bewirkt, daß bei CML-Patienten ein neues, krankheitsspezifisches
Gen entsteht, das
BCR-ABL-
Onkogen. Es führt seinerseits zur übermäßigen Synthese eines Enzyms der molekularen Signalübermittlung, einer
Tyrosinkinase.
Dieser Vorgang mündet letztlich in der
malignen Proliferation der betroffenen Zellen. Das Entscheidende an
Imatinib ist, daß es bei CML hochspezifisch genau diese krankmachende,
BCR-ABL-abhängige
Tyrosinkinase hemmt, und nicht die mehr als hundert anderen Tyrosinkinasen im Körper.
Es stellte sich rasch heraus, daß
Imatinib noch eine weitere pathogenetisch bedeutsame Zellstruktur blockiert: die Kit-
Tyrosinkinase. Sie kommt bei 90 Prozent der Patienten mit gastrointestinalem Stromatumor (GIST) vor. Auch für diese
Indikation ist
Imatinib inzwischen zugelassen.
Die Erfolgsstory dieser Substanz lehrt, daß aufwendige Forschung und ein wenig Glück tatsächlich zur Entwicklung von Medikamenten führen können, die einer Wunderwaffe zumindest nahe kommen. Die Entwicklung von
Imatinib lehrt aber auch, daß Wunderwaffen Maßarbeit sind. Bis jede Krebserkrankung ihr eigenes
Imatinib hat, ist es noch ein weiter Weg.
Quelle: Ärzte Zeitung vom 28.10.2005 Philadelphia-Chromosom
Charakteristisches Merkmal der chronisch myeloischen Leukämie. Die Chromosomenmutation entsteht durch Transfer des Hauptteils des langen Arms von Chromosom 9 nach Chromosom 22 (= Translokation).
Klinische Studie
Wissenschaftliche Forschungsarbeit zur Behandlung von Krankheiten beim Menschen nach strengen medizinischen und ethischen Regeln
hämatologisch
das Blut bzw. die Blutbildung betreffend
Remissionsrate
Prozentualer Anteil von behandelten Patienten, bei denen durch eine spezifische Tumortherapie ein partielles oder komplettes Ansprechen (Remission) erreicht wird
Chemotherapie
Wird häufig mit Zytostatikabehandlung gleichgesetzt. Unter Chemotherapie versteht man aber auch die Behandlung mit Antibiotika. Zytostatika sind Medikamente, die die Zellvermehrung oder das Zellwachstum hemmen.
Proliferation
Vermehrung von Zellen
Translokation
Chromosomenmutation, bei der ein Stückaustausch zwischen verschiedenen Chromosomen stattfindet. Nomenklatur: beispielsweise bedeutet t(8,21)(q22,q11) eine Translokation mit der Vereinigung beim Band q22 des Chromosoms 8 und q11 beim Chromosom 21 (akute myeloblastische Leukämie).
Tyrosinkinase
Enzym, das das Wachstum von Leukämiezellen anregt und therapeutisch durch Tyrosinkinase-Hemmer (Tyrosinkinase-Inhibitoren) gehemmt werden kann.
Blastenkrise
Die dritte Phase der Entwicklung von CML; sie entsteht nach der chronischen und akzelerierten Phase. Ihr Merkmal ist das Vorkommen einer zunehmenden Anzahl von unreifen Blutkörperchen („Blasten") im Blut oder Knochenmark.
Chromosomen
Träger des Erbguts im Zellkern. Sie enthalten die riesigen Kettenmoleküle der DNA kompakt verdrillt und gefaltet als Aggregate mit speziellen Proteinen. Die Chromosomen dienen unter anderem bei der Zellteilung der gleichen Verteilung des Erbguts auf die Tochterzellen. Die normalen menschlichen Körperzellen haben 46 Chromosomen. Bei Krebszellen kann die Zahl und/oder Struktur der Chromosomen verändert sein.
Indikation
Begründung der Verordnung eines bestimmten diagnostischen oder therapeutischen Verfahrens in einem bestimmten Krankheitsfall
Interferon
Im Zusammenhang mit Leukämien üblicherweise Interferon-Alpha gemeint. Interferon (von engl. to interfere eingreifen, sich einmischen) ist ein Protein, das eine immunstimulierende und Tumorzellen angreifende Wirkung entfaltet. Es wird als körpereigenes Gewebshormon gebildet, v.a. von Leukozyten, Monozyten und Fibroblasten, kann aber auch als Medikament in körperunüblich hohen Dosen gegen Leukämien eingesetzt werden.
Remission
Vorübergehende oder dauerhafte Rückbildung von Krankheitszeichen. Bei Krebs: Partielle Remission = teilweises Verschwinden oder Verkleinerung von Krebszellen, komplette Remission = keine Krebszellen nachweisbar
chronisch
langanhaltend, sich langsam entwickelnd
myeloisch
das Knochenmark betreffend. Im engeren Sinne die Bildung von bestimmten weißen Blutzellen, den Granulozyten, im Knochenmark betreffend
Blutbild
Untersuchung der Zusammensetzung der Blutzellen nach Art und Anzahl, besonders genau im Differentialblutbild
Imatinib
Imatinib, Handelsname Glivec/Gleevec, Laborname STI-571, ein BCR-ABL-Tyrosinkinasehemmer der ersten Generation. Zugelassen seit Jahr 2002 für die Behandlung der CML und Ph-positiven ALL.
maligne
Bösartig (z. B. von Gewebsveränderungen)
Blasten
Unreife Zellen, z. B. Blutzellvorläufer im Blut oder Knochenmark
Onkogen
Gen eines Tumorvirus, das für die Transformation einer befallenen Zelle verantwortlich ist. Auch gesunde Zellen besitzen Onkogene. Onkogene kodieren für zelluläre Wachstumsfaktoren und deren Rezeptoren oder Teile der Proliferationsmechanismen von Tumorzellen.
Phase I
Die klinische Erprobung eines Medikaments erfolgt in der Regel in drei Phasen, um Menschen vor noch unbekannten gefährlichen und unerwünschten Nebenwirkungen zu schützen und um die finanziellen Mittel möglichst effizient einzusetzen. In einer Phase-I-Studie wird ein Medikament von wenigen Testpersonen eingenommen. Dabei wird untersucht, ob das Medikament gut verträglich ist, welche Nebenwirkungen auftreten und welche Dosierungsart optimal ist. Diese Studien werden ohne Kontrollgruppe durchgeführt.
BCR-ABL
BCR-ABL ist ein Fusionsgen auf Chromosom 22. Das Chromosom mit diesem Gen wird als Philadelphia-Chromosom bezeichnet. Es kommt bei fast 95 Prozent der Patienten mit CML (Chronisch Myeloischer Leukämie) vor. Das Gen ABLim Fusionsgen enthält den Bauplan für ein Enzym, eine Tyrosinkinase. Dieses Enzym ist wesentlich an der Übertragung von Signalen beteiligt, die für die Regulation des Zellwachstums und der Zelldifferenzierung erforderlich sind. Durch die Fusion der beiden Gene wird das Tyrosinkinase-Gen aktiviert. Die Folge: Zellen mit diesem Gen vermehren sich unkontrolliert. Das molekulare Ereignis wird als Hauptursache für die Entstehung der CML angesehen.
Onko
Bestandteil der Begriffe Onkologie (Wissenschaft und Lehre von den Krebserkrankungen)
akut
plötzlich einsetzend, heftig, von kurzer Dauer
Port
Zuführendes System, meist eine unter die Haut eingepflanzte Kunststoffkammer mit Venenkatheter, um eine kontinuierliche Medikamentengabe zu ermöglichen.
DNA
Desoxyribonukleinsäure,bildet bei den meisten Lebewesen das genetische Material (Erbgut), ist im Zellkern, in den Chromosomen lokalisiert, Träger der genetischen Information eines Lebewesens
Gen
Informationseinheit des Erbgutes, enthält meist den Bauplan für ein Protein. Die Gene liegen im Zellkern in Form von DNS vor.
RNA
Die Ribonukleinsäure (RNA) ist der kleine Bruder der DNA . Sie ist ein einzelsträngiges kettenförmiges Molekül, das aus DNA umgeschriebene Erbinformation eines einzigen Genes enthält, und im Plasma der Zellen in das Genprodukt (= Eiweißmolekül, Protein) umgeschrieben wird (Biosynthese).
Ras
Ras ist ein G-Protein, das nach Aktivierung durch Wachstumsfaktoren mit Tyrosinaseaktivität GTP bindet und damit die Signaltransduktionskaskade weiterleitet.
CHR
Komplette hämatologische Remission (complete haematologic response).
Arm
= Behandlungsgruppe. Eine klinische Studie ist einarmig, wenn es nur eine Behandlungsgruppe und keine Kontrollgruppe gibt. In den meisten Studien gibt es zwei oder mehr Arme.
Chronische Phase
Die früheste Phase in der Entwicklung von CML
Chromosomen
Träger des Erbguts im Zellkern. Sie enthalten die riesigen Kettenmoleküle der DNA kompakt verdrillt und gefaltet als Aggregate mit speziellen Proteinen. Die Chromosomen dienen unter anderem bei der Zellteilung der gleichen Verteilung des Erbguts auf die Tochterzellen. Die normalen menschlichen Körperzellen haben 46 Chromosomen. Bei Krebszellen kann die Zahl und/oder Struktur der Chromosomen verändert sein.
Chromosomen
Träger des Erbguts im Zellkern. Sie enthalten die riesigen Kettenmoleküle der DNA kompakt verdrillt und gefaltet als Aggregate mit speziellen Proteinen. Die Chromosomen dienen unter anderem bei der Zellteilung der gleichen Verteilung des Erbguts auf die Tochterzellen. Die normalen menschlichen Körperzellen haben 46 Chromosomen. Bei Krebszellen kann die Zahl und/oder Struktur der Chromosomen verändert sein.
chronisch
langanhaltend, sich langsam entwickelnd
chronisch
langanhaltend, sich langsam entwickelnd
myeloisch
das Knochenmark betreffend. Im engeren Sinne die Bildung von bestimmten weißen Blutzellen, den Granulozyten, im Knochenmark betreffend
myeloisch
das Knochenmark betreffend. Im engeren Sinne die Bildung von bestimmten weißen Blutzellen, den Granulozyten, im Knochenmark betreffend
Blutbild
Untersuchung der Zusammensetzung der Blutzellen nach Art und Anzahl, besonders genau im Differentialblutbild
maligne
Bösartig (z. B. von Gewebsveränderungen)
Onko
Bestandteil der Begriffe Onkologie (Wissenschaft und Lehre von den Krebserkrankungen)
akut
plötzlich einsetzend, heftig, von kurzer Dauer
akut
plötzlich einsetzend, heftig, von kurzer Dauer
Gen
Informationseinheit des Erbgutes, enthält meist den Bauplan für ein Protein. Die Gene liegen im Zellkern in Form von DNS vor.
Arm
= Behandlungsgruppe. Eine klinische Studie ist einarmig, wenn es nur eine Behandlungsgruppe und keine Kontrollgruppe gibt. In den meisten Studien gibt es zwei oder mehr Arme.