- Published on 11.07.2013, 17:34
- Von Marc
Arsen, genauer Arsentrioxid, das wohl berüchtigste Mordgift der Geschichte, kann– in der richtigen Dosis und zum passenden Zweck eingesetzt – Menschenleben retten. Bei der Promyelozytenleukämie, der einstmals schlimmsten Variante der akuten myeloischen Leukämie, kann Arsentrioxid die Heilungschancen verbessern, wie die Ergebnisse einer Phase-III-Studie im New England Journal of Medicine (2013; 369: 111-121) zeigen.
Die akute promyelozytäre Leukämie (APL) führte früher immer zu einem raschen Tod. Infolge einer Gerinnungsstörung verbluteten die Patienten innerhalb weniger Wochen nach der Diagnose innerlich. Die Gefahr eines ausgeprägten hämorrhagischen Syndroms ist auch heute noch Grund für rasches Handeln. Viele Hämatologen warten vor Therapiebeginn nicht einmal die Bestätigung der Diagnose ab.
In den 70er Jahren wurde entdeckt, dass Zytostatika die Promyelozyten abtöten, die der Ausgangspunkt der APL sind. Eine anthrazyklinbasierte Therapie erzielte bei 35 bis 45 Prozent langfristige Remissionen. In den 80er Jahren wurde mit der All-trans-Retinolsäure (ATRA) erstmals eine Therapie eingeführt, die die Promyelozyten nicht abtötet, sondern deren normale Weiterentwicklung zu Granulozyten ermöglicht.
Diese Massen-Differenzierung wird durch Ausschaltung der Translokation t(15;17) erreicht, die vermutlich Ursache der APL ist. Sie fusioniert ein Promyelozytenleukämie-Protein mit dem Retinsäurerezeptor alpha, was die weitere Entwicklung der Promyelozyten einfriert. ATRA löst diese Blockade und war damit ein frühes Beispiel für eine gezielte („targeted“) Krebstherapie. In Kombination mit einer anthrazyklinbasierten Chemotherapie erzielt ATRA bei mehr als 90 Prozent der Patienten eine komplette Remission.
ATRA wurde zuerst in China eingesetzt – vielleicht, weil die Zytostatika nach der Kulturrevolution knapp waren, vielleicht aber auch aus einer konfuzianischen Überlegung heraus, nach der es besser sei, seinen Gegner zu erziehen (zur Differenzierung) statt ihn anzugreifen.
Die dortigen Hämatologen experimentierten dort auch mit Arsentrioxid, ein altes naturheilkundliches Mittel, das sie heute mit ATRA kombinieren. Mit erstaunlichen Erfolgen. So berichteten chinesische Mediziner vor einigen Jahren über 5-JahresÜberlebensratevon 90 Prozent, die westliche Kollegen erneut hellhörig machten. Arsentrioxid soll wie ATRA seinen Angriffspunkt am Fusionsprotein haben. Die Wirkung ist jedoch anders. Neben einer Differenzierung kommt es auch zum Absterben von Tumorzellen durch Apoptose.
Eine gemeinsame Studie der Gruppo Italiano Malattie Ematologiche dell’Adulto (GIMEMA) und der Deutsch-Österreichische Studiengruppe Akute Myeloische Leukämie (AMLSG) hat an 156 APL-Patienten mit niedrigem bis intermediärem Risiko untersucht, ob Arsentrioxid die Anthrazyklin-basierte Chemotherapie als Partner einer ATRATherapie ersetzen kann. Die Ergebnisse, die Francesco Lo-Coco von der Universität Tor Vergata in Rom und Mitarbeiter jetzt publizieren, sind vielversprechend. Alle 77 Patienten erzielten unter der ATRA-Arsentrioxid-Kombination eine komplette Remission im Vergleich zu 75 von 79 Patienten unter der ATRA–Chemotherapie-Kombination. Das rechnerische 2-Jahres-ereignisfreie Überleben beträgt laut Lo-Coco unter der ATRAArsentrioxid- Kombination 97 Prozent gegenüber 86 Prozent unter der ATRA–Chemotherapie-Kombination. Auch das Gesamtüberleben war mit 99 Prozent gegenüber 91 Prozent besser.
Die Vorteile der ATRA-Arsentrioxid-Kombination seien dabei weniger auf eine bessere antileukämische Wirkung zurückzuführen, als auf eine geringe Hämatotoxizität, vermutet Lo-Coco. Die ATRA-Arsentrioxid-Kombination war jedoch nicht in allen Punkten besser verträglich. Es kam häufiger zu Leberschäden (laut Lo-Coco aber reversibel) und zu einer Verlängerung des QT-Intervalls im EKG, die Ausgangspunkt von Herzrhythmusstörungen sein kann. Auch wenn nach einer mittleren Beobachtungszeit von 34,4 Monaten noch keine sicheren Aussagen möglich sind, könnte es dank der ATRA-Arsentrioxid-Kombination erstmals möglich sein, die APL auch ohne konventionelle Chemotherapie zu heilen. Ein nächster Schritt könnte der Verzicht auf die ATRA-Komponente sein. Zwei Kliniken aus Indien und dem Iran haben in den letzten Jahren über erfolgreiche Versuche einer Monotherapie mit Arsentrioxid berichtet. Westliche Zentren haben sich das offenbar noch nicht getraut.
aerzteblatt.de vom 11.07.2013
Differenzierung
In einem vielzelligen Organismus wie dem Menschen ist eine reibungslose Funktionsfähigkeit nur durch Arbeitsteilung möglich. Dazu erfolgt eine Spezialisierung von Zellen. Diese strukturelle und funktionelle Ausdifferenzierung von Zellen zu bestimmten Zelltypen (z.B. Muskelzellen, Blutzellen, Nervenzellen) bezeichnet man als Zelldifferenzierung.
Chemotherapie
Wird häufig mit Zytostatikabehandlung gleichgesetzt. Unter Chemotherapie versteht man aber auch die Behandlung mit Antibiotika. Zytostatika sind Medikamente, die die Zellvermehrung oder das Zellwachstum hemmen.
Translokation
Chromosomenmutation, bei der ein Stückaustausch zwischen verschiedenen Chromosomen stattfindet. Nomenklatur: beispielsweise bedeutet t(8,21)(q22,q11) eine Translokation mit der Vereinigung beim Band q22 des Chromosoms 8 und q11 beim Chromosom 21 (akute myeloblastische Leukämie).
Granulozyten
Klasse von weißen Blutzellen (Leukozyten), die im Knochenmark heranreifen und dann überall im Körper Fremdkörper, Bakterien, Pilze oder abgestorbene Zellen aufnehmen und die Krankheitskeime durch eigene Giftstoffe abtöten.
Monotherapie
Behandlung mit nur einem Medikament
Hämatologe
Arzt, der sich auf Erkrankungen des Blutes, darunter auch Leukämien, spezialisiert hat (Der Wortstamm „Häm-" kommt aus dem Griechischen und "bedeutet „Blut")
Toxizität
Giftwirkung einer Substanz, zum Beispiel einer Chemotherapie. Diese führen zu unerwünschten Nebenwirkungen.
Remission
Vorübergehende oder dauerhafte Rückbildung von Krankheitszeichen. Bei Krebs: Partielle Remission = teilweises Verschwinden oder Verkleinerung von Krebszellen, komplette Remission = keine Krebszellen nachweisbar
myeloisch
das Knochenmark betreffend. Im engeren Sinne die Bildung von bestimmten weißen Blutzellen, den Granulozyten, im Knochenmark betreffend
Apoptose
Durch die Zelle aktiv ausgelöster (programmierter) Zelltod.
Rezeptor
Bindungsstelle für Signalstoffe, Hormonrezeptor
Leber
Die Leber (griech. Hepar) ist das zentrale Organ des gesamten Stoffwechsels. Zu den wichtigsten Funktionen gehören die Produktion lebenswichtiger Eiweißstoffe wie z. B. Gerinnungsfaktoren, die Verwertung von Nahrungsbestandteilen, die Galleproduktion und damit einhergehend der Abbau und Ausscheidung von Stoffwechselprodukten, Medikamenten und Giftstoffen. Nährstoffe, die aus dem Darm ins Blut aufgenommen werden, gelangen zur Leber und werden dann von dieser je nach Bedarf ans Blut abgegeben oder aus dem Blut entfernt. Sie ist maßgeblich für die Umsetzung von Medikamenten verantwortlich.
akut
plötzlich einsetzend, heftig, von kurzer Dauer
Gen
Informationseinheit des Erbgutes, enthält meist den Bauplan für ein Protein. Die Gene liegen im Zellkern in Form von DNS vor.
RNA
Die Ribonukleinsäure (RNA) ist der kleine Bruder der DNA . Sie ist ein einzelsträngiges kettenförmiges Molekül, das aus DNA umgeschriebene Erbinformation eines einzigen Genes enthält, und im Plasma der Zellen in das Genprodukt (= Eiweißmolekül, Protein) umgeschrieben wird (Biosynthese).
Ras
Ras ist ein G-Protein, das nach Aktivierung durch Wachstumsfaktoren mit Tyrosinaseaktivität GTP bindet und damit die Signaltransduktionskaskade weiterleitet.
DLI
Gabe von Spenderlymphozyten nach rezidivierter allogener Stammzelltransplantation (DLI = Donor Lymphocyte Infusion)
APL
Akute Promyelozytenleukämie
CHR
Komplette hämatologische Remission (complete haematologic response).
ELN
Das Europäische Leukämie Netz ist eine von der EU finanzierte Organisation bestehend aus Medizinern, Wissenschaftlern und Patienten aus dem Leukämie-Bereich, das zum Ziel hat, die Behandlung von Leukämie-Erkrankungen zu verbessern, Wissen zu generieren und dieses Wissen in Europa zu verbreiten.
Zytostatikum
Medikamente bzw. Zellgifte, die die Zellvermehrung verhindern oder deutlich verzögern. Sie wirken gegen Tumorzellen bzw. sich schnell teilende Zellen ausgeprägter als gegen gesunde bzw. sich langsam teilende Zellen. Diese Art Zellgifte werden üblicherweise im Rahmen einer Chemotherapie eingesetzt.
Hämatologe
Arzt, der sich auf Erkrankungen des Blutes, darunter auch Leukämien, spezialisiert hat (Der Wortstamm „Häm-" kommt aus dem Griechischen und "bedeutet „Blut")
myeloisch
das Knochenmark betreffend. Im engeren Sinne die Bildung von bestimmten weißen Blutzellen, den Granulozyten, im Knochenmark betreffend
myeloisch
das Knochenmark betreffend. Im engeren Sinne die Bildung von bestimmten weißen Blutzellen, den Granulozyten, im Knochenmark betreffend
akut
plötzlich einsetzend, heftig, von kurzer Dauer
akut
plötzlich einsetzend, heftig, von kurzer Dauer