- Published on 08.10.2010, 16:27
- Von Jan Geissler
Die Konservierung des Nabelschnurbluts als Lebensversicherung für ihr Kind – diese Vorstellung ist für viele Eltern eine beruhigende Zukunftsaussicht. In der emotionalen Situation der Geburt werde ihnen vorgegaukelt, ihr Kind könne im Notfall darauf zurückgreifen, wies Prof. Dr. med. Gerhard Ehninger (Tübingen) im Rahmen des Kongresses der European Group for Blood and Marrow
Transplantation (
EBMT) in Hamburg auf einen weitverbreiteten Fehlschluss hin. Profiteure seien allein kommerzielle Firmen, die viel Geld für diesen Service verlangten – 1.500 Euro oder mehr plus jährliche Gebühren für die dauerhafte Lagerung.
Für diese private Vorsorge gibt es seiner Aussage nach derzeit jedoch keine sinnvolle medizinische Begründung. Wenn das Kind später einmal beispielsweise an Leukämie erkranken und eine Stammzelltransplantation benötigen sollte, dann sind es gerade nicht die eigenen Zellen, die heilen können, sondern solche, die von einem Fremdspender stammen. Als weiteres Argument wird häufig vorgebracht, dass die Zellen vielleicht dem Bruder oder der Schwester helfen könnten, wenn diese erkranken. In diesem Falle wird jedoch gerade kein Nabelschnurblut benötigt, denn es steht ja das (lebende) Geschwister als Spender von peripheren
Stammzellen oder
Knochenmark zur Verfügung.
Die Idee, Zellen des Nabelschnurbluts eventuell für die Herstellung von Organen wie Herz oder Niere zu nutzen, verwies Ehninger in den Bereich Science-Fiction. Zwar vielversprechend, aber noch im Vorstadium eines klinischen Testlaufs, sind Bemühungen für einen biodegradablen Herzklappenersatz auf der Basis von Nabelschnurblut für Kinder mit pränatal diagnostierten Herzfehlern (siehe DÄ, Heft 36/2006).
Ehninger hält selbstverständlich die Konservierung von Nabelschnurblut nicht grundsätzlich für sinnlos – im Gegenteil. Er möchte nur sicherstellen, dass diese wertvolle therapeutische Option jedermann zur Verfügung steht. Denn Nabelschnurblut ist neben Knochenmarkentnahme und der Sammlung von
Stammzellen aus dem peripheren Blut eine weitere wertvolle Quelle für die Zelltransplantation. Das gilt ganz besonders für Patienten mit seltenen Gewebemerkmalen oder für bestimmte Minoritäten mit geringen Chancen, einen "identischen Zwilling" zu finden.
Welche Ressourcen bei der "privaten Vorsorge" vergeudet werden, verdeutlichen auch die von der Universitätsklinik Düsseldorf zusammengestellten Zahlen (www.stammzellbank.de):
Derzeit lagern weltweit in
- mehr als 100 privaten Stammzellblutbanken etwa 1,3 Millionen Einheiten Nabelschnurblut für den Eigenbedarf – berichtet wird bisher von mindestens 14 autologen Transplantationen;
- knapp 40 öffentlichen Stammzellblutbanken etwa 200.000 Einheiten Nabelschnurblut für den Allgemeinbedarf
- dokumentiert sind bisher mehr als 6.000 allogene Transplantationen.
Erfolgschance auch bei nur partieller Gewebeidentität
Die Erkenntnisse, dass Nabelschnur ausreichend
Stammzellen enthält, um den ganzen Körper wieder mit einem blutbildenden System auszustatten, sind noch relativ jung. 1988 wurde Nabelschnurblut zum ersten Mal therapeutisch bei einer Fanconi-
Anämie eingesetzt; der Patient lebt seither krankheitsfrei (Cytotherapy 2005; 7: 219–27). Anfang der 90er-Jahre wurden dann die ersten operationalen Nabelschnurblut-Banken in New York, Mailand und Düsseldorf gegründet.
1997 hat auch die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) begonnen, in Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik in Dresden eine Nabelschnurbank aufzubauen. Der Bestand beträgt 1.200 Nabelschnurblut-Einheiten. Das ist nach Aussage von Ehninger zwar nur etwa ein Promille der in der DKMS-Datei registrierten
Knochenmark-/Stammzellspender. Dafür habe Nabelschnurblut den Vorteil der raschen Verfügbarkeit, weil es schon abgenommen und eingefroren sei.
Geringe Graft-versus-Host-Disease
Auch besitzt Nabelschnurblut andere immunologische Eigenschaften als
Knochenmark oder periphere Blutstammzellen. Deshalb ist ein Human-Lymphozytenantigen-Mismatch tolerabler. Selbst wenn zwei oder drei Gewebemerkmale nicht übereinstimmen, kann noch erfolgreich transplantiert werden. Das geringere Risiko für eine "Graft-versus-Host-Disease" beruht möglicherweise auf der bei Nabelschnurblutzellen nachgewiesenen vermehrten Produktion von antiinflammatorischem Interleukin 10 (Bachetta et al.: J Exp Med 1994; 179: 493–502). Als Nachteile nannte Ehninger die nur einmalige Verfügbarkeit. Man könne auch vom Spender keine zusätzlichen Zellen, beispielsweise
Lymphozyten, zur potenziellen Unterstützung des Therapieeffekts der
Transplantation bekommen.
Die meisten klinischen Erfahrungen liegen für die Nabelschnurblutt-
Transplantation bei Kindern vor – was mit der limitierten Zellzahl in der zur Verfügung stehenden Menge Restblut (70 bis 120 ml) zusammenhängt. Inzwischen gibt es jedoch auch aussichtsreiche Daten zur Anwendung bei Erwachsenen. Als Beispiel führte Ehninger die Untersuchung einer europäischen Arbeitsgruppe bei Patienten mit
akuter Leukämie an. Die Ergebnisse nach Nabelschnurblut-
Transplantation seien fast so gut gewesen wie die nach
Knochenmark-
Transplantation (Rocha et al.: N Engl J Med 2004; 351: 2276–85).
Quelle: Deutsches Ärzteblatt 103, Ausgabe 47 vom 24.11.2006, Seite A-3168Weiterführende Artikel:
Transplantation
Übertragung von Gewebe. Für die Transplantation können eigene Zellen autologe T. oder fremde Zellen allogene T. verwandt werden.
Stammzellen
Stammzellen sind Blutvorläuferzellen, aus denen sich verschiedene Arten von Zelltypen wie die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) und weißen (Leukozythen) Blutzellen sowie Blutplättchen (Thrombozyten) und einige andere Zellen entstehen. Die Stammzellen befinden sich im Knochenmark und teilweise auch im Blut. Es gibt eine Anzahl von verschiedenen Entwicklungsstadien der Stammzellen (z.B. embryonale Stammzellen, aus denen sich der ganze Organismus entwickelt) oder Entwicklungsstadien aus denen nur noch bestimmte Zellarten entstehen können, z.B. Blutstammzellen, aus denen sich alle Blutkörperchen bilden.
Knochenmark
Das Innere der großen Knochen - vor allem des Hüftknochens und des Oberschenkels. Dort werden die Blut- und Immunzellen gebildet. Das Knochenmark bildet sich ständig neu.
Lymphozyten
Untergruppe der weißen Blutkörperchen, die als Träger immunologischer Funktionen von zentraler Bedeutung für die körpereigene Abwehr sind. Die Vorläuferzellen stammen aus dem Knochenmark, die weitere Entwicklung erfolgt in den lymphatischen Organen. Man unterscheidet B- und T- Lymphozyten, mit jeweils unterschiedlichen Aufgaben.
Blutbild
Untersuchung der Zusammensetzung der Blutzellen nach Art und Anzahl, besonders genau im Differentialblutbild
autolog
körpereigen, vom Patienten selbst stammend, z.B. Eigenspende.
allogen
von einem anderen Menschen stammend, z.B. Fremdspende.
Anämie
Blutarmut, Mangel an roten Blutkörperchen oder Verminderung ihres Gehaltes an rotem Blutfarbstoff (Hämoglobin)
Antigen
Molekül, das vom Immunsystem als fremd erkannt wird, Molekül, das von einem Antikörper erkannt wird, z.B. auf der Oberfläche von Zellen
akut
plötzlich einsetzend, heftig, von kurzer Dauer
Gen
Informationseinheit des Erbgutes, enthält meist den Bauplan für ein Protein. Die Gene liegen im Zellkern in Form von DNS vor.
MDS
Das Myelodysplastische Syndrom (MDS) bildet eine grosse Gruppe erworbener klonaler Knochenmarkskrankheiten, die durch ein zunehmendes Versagen der Knochenmarksfunktion gekennzeichnet sind. Im Gegensatz zur aplastischen Anämie ist das Knochenmark zellreich. Da jedoch die Blutbildung (Hämatopoese) ineffektiv ist, kommt es zur peripheren Panzytopenie.
Ras
Ras ist ein G-Protein, das nach Aktivierung durch Wachstumsfaktoren mit Tyrosinaseaktivität GTP bindet und damit die Signaltransduktionskaskade weiterleitet.
DLI
Gabe von Spenderlymphozyten nach rezidivierter allogener Stammzelltransplantation (DLI = Donor Lymphocyte Infusion)
European Society for Blood and Marrow Transplantat
Europäische medizinische Fachgesellschaft mit Sitz in Leiden, die sich mit der hämatopoetischen Stammzelltransplantation mittels peripherem Blut, Knochenmark oder Nabelschnurblut befasst.
Transplantation
Übertragung von Gewebe. Für die Transplantation können eigene Zellen autologe T. oder fremde Zellen allogene T. verwandt werden.
Stammzellen
Stammzellen sind Blutvorläuferzellen, aus denen sich verschiedene Arten von Zelltypen wie die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) und weißen (Leukozythen) Blutzellen sowie Blutplättchen (Thrombozyten) und einige andere Zellen entstehen. Die Stammzellen befinden sich im Knochenmark und teilweise auch im Blut. Es gibt eine Anzahl von verschiedenen Entwicklungsstadien der Stammzellen (z.B. embryonale Stammzellen, aus denen sich der ganze Organismus entwickelt) oder Entwicklungsstadien aus denen nur noch bestimmte Zellarten entstehen können, z.B. Blutstammzellen, aus denen sich alle Blutkörperchen bilden.
autolog
körpereigen, vom Patienten selbst stammend, z.B. Eigenspende.
autolog
körpereigen, vom Patienten selbst stammend, z.B. Eigenspende.
autolog
körpereigen, vom Patienten selbst stammend, z.B. Eigenspende.
allogen
von einem anderen Menschen stammend, z.B. Fremdspende.
akut
plötzlich einsetzend, heftig, von kurzer Dauer
akut
plötzlich einsetzend, heftig, von kurzer Dauer
Gen
Informationseinheit des Erbgutes, enthält meist den Bauplan für ein Protein. Die Gene liegen im Zellkern in Form von DNS vor.
Gen
Informationseinheit des Erbgutes, enthält meist den Bauplan für ein Protein. Die Gene liegen im Zellkern in Form von DNS vor.
Gen
Informationseinheit des Erbgutes, enthält meist den Bauplan für ein Protein. Die Gene liegen im Zellkern in Form von DNS vor.