Nabelschnurblut zwischen Kommerz und Altruismus

Die Konservierung des Nabelschnurbluts als Lebensversicherung für ihr Kind – diese Vorstellung ist für viele Eltern eine beruhigende Zukunftsaussicht. In der emotionalen Situation der Geburt werde ihnen vorgegaukelt, ihr Kind könne im Notfall darauf zurückgreifen, wies Prof. Dr. med. Gerhard Ehninger (Tübingen) im Rahmen des Kongresses der European Group for Blood and Marrow Transplantation (EBMT) in Hamburg auf einen weitverbreiteten Fehlschluss hin. Profiteure seien allein kommerzielle Firmen, die viel Geld für diesen Service verlangten – 1.500 Euro oder mehr plus jährliche Gebühren für die dauerhafte Lagerung.

Für diese private Vorsorge gibt es seiner Aussage nach derzeit jedoch keine sinnvolle medizinische Begründung. Wenn das Kind später einmal beispielsweise an Leukämie erkranken und eine Stammzelltransplantation benötigen sollte, dann sind es gerade nicht die eigenen Zellen, die heilen können, sondern solche, die von einem Fremdspender stammen. Als weiteres Argument wird häufig vorgebracht, dass die Zellen vielleicht dem Bruder oder der Schwester helfen könnten, wenn diese erkranken. In diesem Falle wird jedoch gerade kein Nabelschnurblut benötigt, denn es steht ja das (lebende) Geschwister als Spender von peripheren Stammzellen oder Knochenmark zur Verfügung.

Die Idee, Zellen des Nabelschnurbluts eventuell für die Herstellung von Organen wie Herz oder Niere zu nutzen, verwies Ehninger in den Bereich Science-Fiction. Zwar vielversprechend, aber noch im Vorstadium eines klinischen Testlaufs, sind Bemühungen für einen biodegradablen Herzklappenersatz auf der Basis von Nabelschnurblut für Kinder mit pränatal diagnostierten Herzfehlern (siehe DÄ, Heft 36/2006).

Ehninger hält selbstverständlich die Konservierung von Nabelschnurblut nicht grundsätzlich für sinnlos – im Gegenteil. Er möchte nur sicherstellen, dass diese wertvolle therapeutische Option jedermann zur Verfügung steht. Denn Nabelschnurblut ist neben Knochenmarkentnahme und der Sammlung von Stammzellen aus dem peripheren Blut eine weitere wertvolle Quelle für die Zelltransplantation. Das gilt ganz besonders für Patienten mit seltenen Gewebemerkmalen oder für bestimmte Minoritäten mit geringen Chancen, einen "identischen Zwilling" zu finden.

Welche Ressourcen bei der "privaten Vorsorge" vergeudet werden, verdeutlichen auch die von der Universitätsklinik Düsseldorf zusammengestellten Zahlen (www.stammzellbank.de): 

Derzeit lagern weltweit in
  • mehr als 100 privaten Stammzellblutbanken etwa 1,3 Millionen Einheiten Nabelschnurblut für den Eigenbedarf – berichtet wird bisher von mindestens 14 autologen Transplantationen;
  • knapp 40 öffentlichen Stammzellblutbanken etwa 200.000 Einheiten Nabelschnurblut für den Allgemeinbedarf
  • dokumentiert sind bisher mehr als 6.000 allogene Transplantationen.

Erfolgschance auch bei nur partieller Gewebeidentität


Die Erkenntnisse, dass Nabelschnur ausreichend Stammzellen enthält, um den ganzen Körper wieder mit einem blutbildenden System auszustatten, sind noch relativ jung. 1988 wurde Nabelschnurblut zum ersten Mal therapeutisch bei einer Fanconi-Anämie eingesetzt; der Patient lebt seither krankheitsfrei (Cytotherapy 2005; 7: 219–27). Anfang der 90er-Jahre wurden dann die ersten operationalen Nabelschnurblut-Banken in New York, Mailand und Düsseldorf gegründet.

1997 hat auch die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) begonnen, in Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik in Dresden eine Nabelschnurbank aufzubauen. Der Bestand beträgt 1.200 Nabelschnurblut-Einheiten. Das ist nach Aussage von Ehninger zwar nur etwa ein Promille der in der DKMS-Datei registrierten Knochenmark-/Stammzellspender. Dafür habe Nabelschnurblut den Vorteil der raschen Verfügbarkeit, weil es schon abgenommen und eingefroren sei.

Geringe Graft-versus-Host-Disease


Auch besitzt Nabelschnurblut andere immunologische Eigenschaften als Knochenmark oder periphere Blutstammzellen. Deshalb ist ein Human-Lymphozytenantigen-Mismatch tolerabler. Selbst wenn zwei oder drei Gewebemerkmale nicht übereinstimmen, kann noch erfolgreich transplantiert werden. Das geringere Risiko für eine "Graft-versus-Host-Disease" beruht möglicherweise auf der bei Nabelschnurblutzellen nachgewiesenen vermehrten Produktion von antiinflammatorischem Interleukin 10 (Bachetta et al.: J Exp Med 1994; 179: 493–502). Als Nachteile nannte Ehninger die nur einmalige Verfügbarkeit. Man könne auch vom Spender keine zusätzlichen Zellen, beispielsweise Lymphozyten, zur potenziellen Unterstützung des Therapieeffekts der Transplantation bekommen.

Die meisten klinischen Erfahrungen liegen für die Nabelschnurblutt-Transplantation bei Kindern vor – was mit der limitierten Zellzahl in der zur Verfügung stehenden Menge Restblut (70 bis 120 ml) zusammenhängt. Inzwischen gibt es jedoch auch aussichtsreiche Daten zur Anwendung bei Erwachsenen. Als Beispiel führte Ehninger die Untersuchung einer europäischen Arbeitsgruppe bei Patienten mit akuter Leukämie an. Die Ergebnisse nach Nabelschnurblut-Transplantation seien fast so gut gewesen wie die nach Knochenmark-Transplantation (Rocha et al.: N Engl J Med 2004; 351: 2276–85). 

Quelle: Deutsches Ärzteblatt 103, Ausgabe 47 vom 24.11.2006, Seite A-3168

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