Nabelschnurblut-Stammzellen: Geschäft mit der Angst?

Die Nabelschnur eines neu geborenen Kindes enthält pluripotente Stammzellen. Nach der Geburt wandern sie entweder mit der Nabelschnur in den Abfall, oder sie werden mit großem Aufwand eingefroren. In Stammzellen aus der Nabelschnur setzen viele Mediziner große Hoffnungen. Aber auch kommerzielle Anbieter wittern ein Geschäft und bieten Eltern an, das Nabelschnurblut ihres Kindes zu konservieren, als biologische Lebensversicherung im Falle einer schweren Erkrankung. Die konkreten Einsatzmöglichkeiten sind jedoch noch weitgehend ungeklärt. Ein Geschäft mit der Angst? Ein AP-Artikel gibt nähere Auskunft.

Jeden Tag kommen in Deutschland etwa 2.000 Babys zur Welt. Die Nabelschnur, die sie bis zur Geburt mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt, hat dann ihre eigentliche biologische Aufgabe erfüllt. Sie wird zumeist noch im Kreißsaal entsorgt, zum Leidwesen vieler Wissenschaftler. Denn seitdem die medizinische Forschung das therapeutische Potenzial von Stammzellen erkannt hat, gilt das Blut in der Nabelschnur als kostbares Gut.

Zwar enthalten die darin vorhandenen Stammzellen nicht mehr das therapeutische Potenzial embryonaler Stammzellen, sie sind jedoch teilungsfreudiger als die Stammzellen aus dem Knochenmark. Ebenso wie diese können sie sich zu unterschiedlichen Zelltypen entwickeln, wie etwa blutbildende Zellen. Ein weiterer Vorteil: Im Gegensatz zu embryonalen Stammzellen ist ihre Gewinnung aus ethischer Sicht völlig unbedenklich.

Das potenzielle Einsatzspektrum der Nabelschnur-Stammzellen scheint auf den ersten Blick nahezu unbegrenzt: In der Zukunft könnten sie, so zumindest die Hoffnung mancher Mediziner, vielen Leiden ihren Schrecken nehmen, von frühkindlichen Hirnschäden über Herzerkrankungen bis hin zu Parkinson, Alzheimer oder Multipler Sklerose. Gegenwärtig sind die Nutzungsmöglichkeiten für Nabelschnur-Stammzellen allerdings sehr begrenzt. Mit Erfolg werden sie etwa bei Bluterkrankungen eingesetzt wie Anämien oder Leukämie. "Das funktioniert bei Kindern gut, für Erwachsene reicht die geringe Menge der Nabelschnur-Stammzellen aber nicht aus", erklärt Christian Peschel von der Technischen Universität München.

Mit den medizinischen Möglichkeiten wurde auch das kommerzielle Potenzial des wertvollen Nabelschnurblutes erkannt: Als erste private Nabelschnurblutbank Europas ging 1997 das Leipziger Unternehmen Vita 34 an den Markt. Mittlerweile bieten auch andere Privatunternehmen werdenden Eltern an, das Nabelschnurblut ihres Kindes zu konservieren. "Mit der Entnahme von Nabelschnurblut und der Aufbewahrung der darin enthaltenen körpereigenen adulten Stammzellen könnten Sie im Falle einer ernsthaften Erkrankung Ihrem Kind helfen", appelliert etwa die Firma cryocare an die Eltern.

Die Konservierung der wertvollen Stammzellen ist aufwendig: Das Nabelschnurblut muss sofort nach der Geburt entnommen, in einem Labor aufbereitet und anschließend bei minus 196 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff gelagert werden. Dafür zahlen die Eltern bei Privatanbietern zwischen etwa 1.000 und 1.800 Euro - für eine Lagerzeit von 20 Jahren. Allein bei Vita 34 sind zurzeit laut Unternehmenssprecherin Susanne Engel etwa 15.000 Präparate eingelagert. Peschel bewertet die Versprechungen der Anbieter skeptisch: "Da steckt relativ viel Kommerz dahinter, der Nutzen ist zurzeit vollkommen unklar."

Peter Wernet, Direktor der Stammzellbank in Düsseldorf, spricht von einem "Geschäft mit der Angst". Für sinnvoller hält Peschel die öffentlichen Stammzellbanken in Deutschland. In etwa 60 Kliniken bundesweit wird das Nabelschnur-Blut kostenlos entnommen und dann in einer öffentlichen Stammzellbank gelagert. Im Gegensatz zu den Privatbanken dient es dort nicht ausschließlich dem Nutzen der Spenderfamilie, sondern allen Bedürftigen, etwa an Leukämie erkrankten Kindern, wenn keine geeigneten Knochenmark-Spender vorhanden sind.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind auf seine eigenen Nabelschnur-Stammzellen angewiesen sein wird, ist äußerst gering. Eine Eigenanwendung von Nabelschnur-Stammzellen gab es weltweit bislang erst in ganz wenigen Fällen in den USA, Kanada und Brasilien, in Deutschland jedoch laut Engel noch nie. Bei manchen Erkrankungen wie etwa Leukämie vermeide man die Gabe eigener Stammzellen aus medizinischen Gründen sogar und setze eher auf Fremdspender, wie Wernet betont. Auch die Vermehrung der Nabelschnur-Stammzellen ist bislang trotz intensiver Forschung ein ungelöstes Problem. Angesichts all dieser Fragen dämpft Peschel hohe Erwartungen: "Da sind wir noch ganz am Anfang."

Quelle: Yahoo-Artikel vom 20.06.2003.

Hinweis: Auch die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Knochenmark- und Blutstammzell-Transplantation (DAG-KBT) hat am 09.07.2003 eineStellungnahme zur Konservierung für eine spätere Eigennutzung veröffentlicht, die auf der DKMS-Webseite im Volltext einzusehen ist. Deren Auffassung deckt sich mit der oben genannten: "Auch Mütter von gesunden Neugeborenen und ihre Familien sollen wissen, daß es nach dem heutigen Stand des Fachwissens kein Versäumnis darstellt, das Nabelschnurblut des Kindes nicht einzufrieren. Wer diese Maßnahme im individuellen Falle durchführen lassen will und sie selbst finanziert, sollte über ihren derzeit spekulativen Charakter sachlich korrekt aufgeklärt sein."