Infektion oder Abstoßungsreaktion? - Die Gratwanderung in der SZT

Die Arbeitsgruppe von Dr. Andreas Beilhack an der Universität Würzburg entwickelt in einem von der Wilhelm Sander-Stiftung geförderten Projekt einen Bluttest zur Vorhersage einer bedrohlichen Abstoßungsreaktion nach Stammzelltransplantation.

Die Stammzelltransplantation kann in Leukämie- und Lymphompatienten eine ersehnte Heilung von Krebs bringen. Anders als bei der Organtransplantation wird bei der Stammzelltransplantation durch den Transfer von aus dem Knochenmark kommenden Stammzellen ein neues Immunsystem im Krebspatienten aufgebaut. Wenn die Stammzellen von einem gesunden Spender kommen, kann man sehr oft eine Abwehrreaktion des neu entstehenden Immunsystems gegen die Krebszellen beobachten. - Eine wunderbare Sache. Warum wird diese Therapie dann nicht viel breiter eingesetzt?

Das Problem ist, dass die Stammzelltherapie noch immer eine sehr risikoreiche Therapieform ist. Dies erklärt sich daraus, dass einerseits das neue Immunsystem Zeit braucht, um sich im Patienten zu entfalten: Kostbare Zeit, die ein hohes Risiko birgt, durch unzureichenden Selbstschutz der Körperabwehr schwerste Infektionen zu erleiden. Andererseits fürchtet man, dass sich das neue Immunsystem von einem gesunden, aber genetisch unterschiedlichen Spender, gegen den Patienten richten kann und dadurch eine schwere Abstoßungsreaktion auslöst. In der Fachsprache nennt man diese Form der Abstoßungsreaktion Graft-versus-Host Disease (Spender-gegen-Empfänger Erkrankung), kurz GVHD. Vorallem die akute Form der GVHD ist lebensbedrohlich.

Das Dilemma für den Stammzelltransplanteur ist nun, einerseits zu versuchen durch Medikamente, sogenannte Immunsuppressiva, das körpereigene Abwehrsystem möglichst zu dämpfen, um eine GVHD zu verhindern. Allerdings steigt dadurch das Infektionsrisiko enorm - und das neue Immunsystem wird in der Bekämpfung der Krebszellen behindert. Bislang gibt es keine verläßlichen klinischen Tests, um eine akute GVHD vorherzusagen. Die Diagnose einer GVHD kann zur Zeit erst gestellt werden, wenn diese schon voll im Gang ist. Daher stellt diese Situation eine äußerst heikle Gratwanderung für den Patienten und den behandelnden Arzt dar. Kurz gesagt, hätte man geeignete Tests, könnte man rechtzeitig Patienten mit hohem GVHD-Risiko identifizieren. Nur diese würden vorbeugende Immunsuppressiva bekommen. Patienten ohne einem erhöhten GVHD-Risiko würde man nicht durch diese Medikamente einer verstärkten Infektionsgefahr aussetzen.

Mit der Hilfe von Transplantationsexperimenten in Mäusen konnte Dr. Andreas Beilhack gemeinsam mit Kollegen an der Universität Stanford, USA, den sehr dynamischen Krankheitsprozess der akuten GVHD untersuchen. Um dies zu bewerkstelligen schleuste er, gemeinsam mit einem Kollegen der Stanford Universität, Mäusen ein Gen eines Glühwürmchens (Photinus Pyralis) ein. Von diesen Mäusen wurden dann leuchtende Zellen in nicht-leuchtende Mäuse als Stammzellempfänger transplantiert. Dadurch waren die Wissenschaftler in der Lage, in lebenden Mäusen die anatomisch und zeitlich in Phasen verlaufende akute GVHD mit Hilfe einer sehr lichtempfindlichen Kamera genau zu charakterisieren. Eine wichtige Beobachtung war, dass die ersten klinischen Symptome einer Abstoßungsreaktion erst lange nachdem der gesamte Krankheitsprozess einer GVHD sich entfalten konnte, auftreten. Eine weitere wichtige Beobachtung war, dass die GVHD ausschließlich in den lymphatischen Organen (Lymphknoten, Milz) beginnt, daraufhin die Immunzellen über die Blutbahn schlagartig auswandern und gezielt in den Darm, die Leber und die Haut einwandern. Dort äußert sich die lebensbedrohliche Abstoßungsreaktion erst zeitlich versetzt, nämlich dann, wenn diese Immunzellen bereits den Großteil der Organe zerstört haben.

Wie kommen die Immunzellen, die diese Abstoßungsreaktion verursachen, in diese Organe, um so eine massive Zerstörung auszulösen? Dr. Beilhack und seine Kollegen stellten fest, dass diese aggressiven Immunzellen bestimmte Rezeptoren an der Oberfläche bilden müssen, um von den lymphatischen Organen über die Blutbahn in den Darm, die Leber oder die Haut zu gelangen.

Nun soll durch die Arbeitsgruppe von Dr. Beilhack an der Universität Würzburg, in Zusammenarbeit mit Prof. Hermann Einsele und Prof. Paul-Gerhardt Schlegel, die Leiter des Stammzelltransplantationszentrums für Erwachsene und Kinder, in Transplantationspatienten ein Bluttest entwickelt werden, in dem diese Zellen anhand ihres Rezeptorprofils bereits Tage oder vielleicht sogar Wochen vor dem Auftreten der akuten GVHD nachgewiesen werden. Ist dieser Test erfolgreich, könnte die Therapie einer Abstoßungsreaktion viel gezielter eingesetzt werden. Bildlich gesprochen: Gelänge es unter vielen Zügen, den mit dem gefährlichen Ladegut rechtzeitig ausfindig zu machen, würde dies genügend Zeit geben, schon rechtzeitig den Zug vor dem Verlassen des Bahnhofs aufzuhalten. Es wäre dann nicht mehr nötig, wie bisher, als Sicherheitsvorkehrung alle Züge mit angehaltener Bremse losfahren zu lassen, bzw. zu versuchen, bei einem ICE in voller Fahrt die Notbremse zu ziehen.

Würde es uns gelingen, die GVHD rechtzeitig und gezielt zu verhindern, dann steht einer breiteren Anwendung der Stammzelltransplantation nichts mehr im Wege. Man denke da an eine Stammzelltransplantation für Patienten mit anderen Krebserkrankungen. Oder man könnte vielleicht sogar in Patienten mit Autoimmunerkrankungen oder mit chronischen Infektionen, durch den Austausch des körpereigenen Abwehrsystems durch Immunzellen von gesunden Infektions-resistenten Spendern, ein neues und effektiveres Immunsystem wiederaufbauen.

Quelle: idw-Pressemitteilung vom 07.04.2008