- Published on 28.07.2010, 13:15
- Von Marc
Fünf Jahre nach dem Beginn einer Therapie mit dem
Tyrosinkinaseinhibitor Imatinib (Handelsname
Glivec) leben noch 89% der Patienten mit
chronisch myeloischer Leukämie (CML) und nur 5% sind am Malignom gestorben, wie eine Publikation im New England Journal of Medicine (NEJM 2006; 355: 2408-2417) zeigt. Dort bezeichnen Experten das Mittel als eines der wichtigsten Fortschritte in der Krebstherapie der letzten Jahre. Es gibt jedoch Hinweise auf bisher übersehene Langzeitkomplikationen der vermutlich lebenslangen Therapie.
Bei den Patienten, über die Brian Druker von der Universität Portland und Mitarbeiter berichten (NEJM 2006; 355: 2408-2417), handelt es sich um die Teilnehmer der International Randomized Study of
Interferon and STI571 oder
IRIS-Studie, die seinerzeit zur Zulassung des Medikamentes führte. Die Studie hatte
Imatinib mit der damaligen Standardtherapie aus
Interferon alpha plus Cytarabin verglichen. Als bei einer Analyse nach 19 Monaten ein klarer Vorteil von
Imatinib erkennbar war, wurde allen Patienten eine
Imatinib-Therapie angeboten.
Die jetzige Auswertung nach einer medianen Nachbeobachtungsdauer von 60 Monaten zeigt, dass die Anfangserfolge langfristig Bestand haben. Die kumulativen Raten einer vollständigen zytogenetischen
Remission (fehlender Nachweis des Philadelphia-
Chromosoms) betrugen nach 12 Monaten 69 Prozent und nach 60 Monaten sogar 87 Prozent. Nur 7 Prozent der Patienten entwickelten bisher eine Blasenkrise und nur 5 Prozent starben an der CML. Am besten waren die Ergebnisse, wenn auch das für die Erkrankung verantwortliche Fusionsgen
BCR-ABL weitgehend verschwunden war.
Etwas ungünstiger waren die Ergebnisse in einer Hoch-Risiko-Kategorie, zu der Patienten mit (zu Therapiebeginn)
Splenomegalie oder einem hohen Anteil unreifer Leukozyten im
Blutbild zählten. Doch selbst hier wurde noch zu 70 Prozent eine komplette zytogenetische
Remission erzielt, und in diesem Fall waren die Chancen der Patienten unabhängig vom Risikoprofil gleich gut, wie Druker betont. Die Therapieergebnisse seien sechs- bis siebenmal besser als unter der früheren Standardtherapie. Inzwischen befinden sich mit
Dasatinib und
Nilotinib zwei weitere Kinase-Inhibitoren in der Entwicklung, sodass es für Patienten mit Rezidiven weitere Reservemittel geben dürfte.
Dennoch ist nach derzeitigem Kenntnisstand mit
Imatinib oder den anderen Kinase-Inhibitoren keine Heilung möglich. Nach Auskunft Drukers muss beim Absetzen der Medikamente mit einem
Rezidiv gerechnet werden.
Den Patienten steht vermutlich eine lebenslange Therapie bevor, weshalb ein Bericht von Risto Kerkelä und Mitarbeitern vom Jefferson Medical College in Philadelphia jüngst für Aufsehen sorgte. In Nature Medicine (2006; 12: 908-916) beschrieben sie zehn Patienten, bei denen es unter der Therapie mit
Imatinib zu einer Herzinsuffizienz gekommen war. Die Forscher konnten diese Komplikation im Tierexperiment reproduzieren und auch eine plausible pathogenetische Erklärung geben. Danach begünstigt
Imatinib im endoplasmatischen Retikulum der Zellen eine „Stressreaktion“, die eine Akkumulation von ungefalteten
Proteinen und schließlich den Zelluntergang zur Folge hat.
Klaus Strebhardt von der Universität Frankfurt und Axel Ullricht vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried fordern deshalb, dass dieser möglichen Komplikation in weiteren Studien größere Beachtung geschenkt wird (NEJM 2006; 355: 2481-2482). Weitere Komplikationen könnten sich aus einem sekundären Hyperparathyreoidismus ergeben, auf den Andrew Grey und Mitarbeiter der Universität Auckland in Neuseeland hinweisen (NEJM 2006; 355: 2494-2495). Er führt zu einem Phosphatmangel, der langfristig ungünstige Einflüsse auf die Knochendichte haben könnte. Ob dies für die Patienten relevant ist, müssen weitere Studien zeigen.
Quelle: Ärzteblatt vom 07.12.2006Weiterführende Informationen:
Philadelphia-Chromosom
Charakteristisches Merkmal der chronisch myeloischen Leukämie. Die Chromosomenmutation entsteht durch Transfer des Hauptteils des langen Arms von Chromosom 9 nach Chromosom 22 (= Translokation).
Splenomegalie
Milzvergrößerung (splen = die Milz, megas = groß, riesig), bei Krankheiten, die mit dem Immunsystem in Beziehung stehen, wie z.B. bei
den Leukämien, ist die Vergrößerung der Milz oftmals zu beobachten. Bei Vorliegen einer Vergrößerung kann ein geübter Arzt die Milz ertasten. In Befunden bei Leukämie steht daher oft Splenomegalie palpabel, d.h. eine vergrößerte Milz ist durch Tasten an der Körperoberfläche fühlbar.
Tyrosinkinase
Enzym, das das Wachstum von Leukämiezellen anregt und therapeutisch durch Tyrosinkinase-Hemmer (Tyrosinkinase-Inhibitoren) gehemmt werden kann.
Nebenwirkung
Unerwünschte Begleiteffekte einer Therapie, besonders bei Chemotherapien begrenzen Nebenwirkungen die maximal verträgliche Dosis.
IRIS-Studie
Phase-III, in der Imatinib mit Interferon+AraC verglichen wurde, und die zur Marktzulassung von Imatinib führte. Viele der 1106 Patienten werden bis heute weiter in der Studie betreut, wodurch Langzeit-Sicherheitsdaten gesammelt werden. IRIS steht für International Randomized trial of Interferon/Ara-C versus STI571.
Interferon
Im Zusammenhang mit Leukämien üblicherweise Interferon-Alpha gemeint. Interferon (von engl. to interfere eingreifen, sich einmischen) ist ein Protein, das eine immunstimulierende und Tumorzellen angreifende Wirkung entfaltet. Es wird als körpereigenes Gewebshormon gebildet, v.a. von Leukozyten, Monozyten und Fibroblasten, kann aber auch als Medikament in körperunüblich hohen Dosen gegen Leukämien eingesetzt werden.
Remission
Vorübergehende oder dauerhafte Rückbildung von Krankheitszeichen. Bei Krebs: Partielle Remission = teilweises Verschwinden oder Verkleinerung von Krebszellen, komplette Remission = keine Krebszellen nachweisbar
chronisch
langanhaltend, sich langsam entwickelnd
myeloisch
das Knochenmark betreffend. Im engeren Sinne die Bildung von bestimmten weißen Blutzellen, den Granulozyten, im Knochenmark betreffend
Dasatinib
Handelsname Sprycel, Laborname BMS-354825, hemmt u.a. die BCR-ABL- und SRC-Tyrosinkinasen. Zugelassen in der EU seit 2006 für die Behandlung von CML und Ph+ALL.
Nilotinib
Nilotinib, Handelsname Tasigna, Laborname AMN107, hemmt u.a. die BCR-ABL-Tyrosinkinase. Zugelassen in der EU seit 2007 für die Behandlung der CML und Ph+ALL.
Proteine
Große Moleküle, die sich aus über 100 Amonosäuren bzw. Peptiden zusammensetzen
Blutbild
Untersuchung der Zusammensetzung der Blutzellen nach Art und Anzahl, besonders genau im Differentialblutbild
Imatinib
Imatinib, Handelsname Glivec/Gleevec, Laborname STI-571, ein BCR-ABL-Tyrosinkinasehemmer der ersten Generation. Zugelassen seit Jahr 2002 für die Behandlung der CML und Ph-positiven ALL.
Rezidiv
Neuauftreten akuter Krankheitszeichen, Rückfall nach einer Remission
BCR-ABL
BCR-ABL ist ein Fusionsgen auf Chromosom 22. Das Chromosom mit diesem Gen wird als Philadelphia-Chromosom bezeichnet. Es kommt bei fast 95 Prozent der Patienten mit CML (Chronisch Myeloischer Leukämie) vor. Das Gen ABLim Fusionsgen enthält den Bauplan für ein Enzym, eine Tyrosinkinase. Dieses Enzym ist wesentlich an der Übertragung von Signalen beteiligt, die für die Regulation des Zellwachstums und der Zelldifferenzierung erforderlich sind. Durch die Fusion der beiden Gene wird das Tyrosinkinase-Gen aktiviert. Die Folge: Zellen mit diesem Gen vermehren sich unkontrolliert. Das molekulare Ereignis wird als Hauptursache für die Entstehung der CML angesehen.
Glivec
Imatinib wird unter dem Handelsnahmen Glivec (Hersteller Novartis) vertrieben.
Port
Zuführendes System, meist eine unter die Haut eingepflanzte Kunststoffkammer mit Venenkatheter, um eine kontinuierliche Medikamentengabe zu ermöglichen.
Gen
Informationseinheit des Erbgutes, enthält meist den Bauplan für ein Protein. Die Gene liegen im Zellkern in Form von DNS vor.
RNA
Die Ribonukleinsäure (RNA) ist der kleine Bruder der DNA . Sie ist ein einzelsträngiges kettenförmiges Molekül, das aus DNA umgeschriebene Erbinformation eines einzigen Genes enthält, und im Plasma der Zellen in das Genprodukt (= Eiweißmolekül, Protein) umgeschrieben wird (Biosynthese).
ASH
Amerikanische Gesellschaft für Hämatologie (engl. American Society of Hematology). Oftmals wird ASH als Synonym für den jedes Jahr im Dezember stattfindenden Jahreskongress der Gesellschaft verwendet.
CHR
Komplette hämatologische Remission (complete haematologic response).
Chromosomen
Träger des Erbguts im Zellkern. Sie enthalten die riesigen Kettenmoleküle der DNA kompakt verdrillt und gefaltet als Aggregate mit speziellen Proteinen. Die Chromosomen dienen unter anderem bei der Zellteilung der gleichen Verteilung des Erbguts auf die Tochterzellen. Die normalen menschlichen Körperzellen haben 46 Chromosomen. Bei Krebszellen kann die Zahl und/oder Struktur der Chromosomen verändert sein.
Chromosomen
Träger des Erbguts im Zellkern. Sie enthalten die riesigen Kettenmoleküle der DNA kompakt verdrillt und gefaltet als Aggregate mit speziellen Proteinen. Die Chromosomen dienen unter anderem bei der Zellteilung der gleichen Verteilung des Erbguts auf die Tochterzellen. Die normalen menschlichen Körperzellen haben 46 Chromosomen. Bei Krebszellen kann die Zahl und/oder Struktur der Chromosomen verändert sein.
myeloisch
das Knochenmark betreffend. Im engeren Sinne die Bildung von bestimmten weißen Blutzellen, den Granulozyten, im Knochenmark betreffend
myeloisch
das Knochenmark betreffend. Im engeren Sinne die Bildung von bestimmten weißen Blutzellen, den Granulozyten, im Knochenmark betreffend
Proteine
Große Moleküle, die sich aus über 100 Amonosäuren bzw. Peptiden zusammensetzen
Proteine
Große Moleküle, die sich aus über 100 Amonosäuren bzw. Peptiden zusammensetzen
Gen
Informationseinheit des Erbgutes, enthält meist den Bauplan für ein Protein. Die Gene liegen im Zellkern in Form von DNS vor.
TKI
Tyrosinkinaseinhibitor / Tyrosinkinasehemmer sind neuartige Medikamenten-Wirkstoffe, die bisher vor allem bei Tumorerkrankungen zum Einsatz kommen. Tyrosinkinasen spielen eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Tumorerkrankungen, da sie daueraktiviert zu einer ungebremsten Zellteilung und damit zu einem unkontrollierten Tumorwachstum führen. Die neuartigen Hemmstoffe blockieren diesen Mechanismus.