ESH-iCMLf Konferenz in Washington D.C. (USA): Bericht aus Patientensicht

Vom 24.-26. September 2010 fanden sich auf der ESH-iCMLf Konferenz über chronisch myeloische Leukämie (CML) über 400 CML-Experten aus aller Welt in Washington, D.C., in den USA ein. Die Referenten und das Publikum diskutierten über die biologischen Mechanismen der Krankheit und ihrer Behandlung und ebenfalls über Neuigkeiten aus klinischen Studien mit Therapien der 3. Generation.

Ich hatte das Vergnügen, an dieser Konferenz teilzunehmen. Zusätzlich war ich vor Ort, um die Entwicklung eines Weiterbildungsprogrammes zu unterstützen, das die International CML Foundation (iCMLf) im Rahmen der Konferenz der American Society of Hematology (ASH) im Dezember vorstellen wird, um CML-Experten in Schwellenländern zu unterstützen.

In den ersten beiden Tagen des Programms der ESH-iCMLf ging es um Stammzellbiologie, das Abzielen auf Stammzellen, mathematische Modellierung, Kinasewirkungen und Genominstabilität, immunologische Aspekte von CML, Resistenz einschließlich TKI-Mutationen, Mechanismen hinter einer Progression in die fortgeschrittene Phase, Diagnosetests und prognostische Marker. Am dritten Tag lag der Schwerpunkt auf den klinischen Aspekten der Therapie von CML, einschließlich neuer Medikamente bei der Entwicklung und derzeitigen klinischen Kontroversen bei der Behandlung von CML.

Das vollständige Programm ist online unter http://www.esh.org/agenda10/cml/cmlprog.html zu finden.

Da ich kein Arzt und auch kein Biologe bin, sondern lediglich ein recht gut informierter Patient, muss ich zugeben, dass ich im Laufe der ersten beiden Tage Schwierigkeiten hatte, einigen der sehr wissenschaftlichen Präsentationen über Biologie, Genomik und Signalwegen zu folgen. Ich sehe mich zwar als einen gebildeten Patientenvertreter, der schon mit wissenschaftlichen Erkenntnissen umgehen kann, aber viele der Präsentation waren dann doch zu harter Tobak für mich (es war allerdings aufbauend, dass mir einige CML-Experten verrieten, dass es für sie ebenfalls eine Herausforderung war).

Ich war jedoch sehr beeindruckt von der Intensität der Forschung, die darauf ausgelegt ist, wie leukämische Stammzellen trotz der derzeitigen TKI-Behandlung überleben, und welche Mechanismen verwendet werden könnten, um schlafende Stammzellen zu aktivieren und die verbleibende Leukämie zu beseitigen, wie das Rückfallrisiko bei Patienten, die die Behandlung unterbrechen, vorhergesagt werden könnte, welche Rolle die Immunantwort beim Kampf gegen CML spielt, wie die Verwandlung der Krankheit in fortgeschrittene Phasen funktioniert, und welche unterschiedlichen Wege verwendet werden könnten, um mutierte Klone und resistente Stammzellen zu bekämpfen.

Durch die Präsentationen wurde meine Hoffnung bestärkt, dass zusätzlich zu dem Fortschritt bei klinischen Studien mit TKIs erster, zweiter und dritter Generation, in den Laboren sehr viel wichtige Arbeit geleistet wird. Es besteht Hoffnung, dass uns dies schließlich dabei helfen wird, CML vollständig zu besiegen. Angesichts der Tatsache, dass ASH-Präsentationen sich normalerweise mehr auf die (wichtigste) grüne Seite des CML-Baums (= Fortschritt bei klinischen Studien bei heutigen Patienten) konzentrieren, ging es bei den Sitzungen dieser Konferenz hauptsächlich darum, CML direkt bei den Wurzeln zu packen. Meine Wünsche und Hoffnungen liegen bei all diesen engagierten Forschern, die alle in den Laboren arbeiten, auf dass ihre Arbeit sich ebenfalls rasch in Fortschritt am Patientenbett umwandeln möge. Wir benötigen wirklich dringend ein Heilmittel gegen CML, ebenso wie aus finanzieller Sicht auch unsere Gesundheitssysteme.

Am dritten Tag hielt die Konferenz jedoch einen wahren Höhepunkt für mich bereit. Der Schwerpunkt lag an diesem Tag auf Studienergebnissen und innovativen Studienansätzen bei der Handhabung von CML-Resistenz und CML-Resterkrankung. Es ging um die neuesten Ergebnisse aus den Studien mit Bosutinib (vormals SKI-606), Omacetaxin, SMO-Inhibitoren, Ponatinib (AP24534), DCC 2036, Danusertib (vormals PHA-739358), XL-228, den neuen Erstlinientherapien, die Rolle (oder Rückkehr) von Interferon alpha, und die prognostische Wichtigkeit von kompletter molekularer Remission.

Leider gelang es mir nicht, während der meisten Präsentationen schnell genug mitzuschreiben. Ich möchte jedoch drei Punkte hervorheben, die für mich am überraschendsten waren.

Zuerst die Ergebnisse von Ponatinib (Ariad), vorgestellt von Jorge Cortes: Wie wir alle wissen, ist die Überlebenschance bei denjenigen Patienten, die die T315I-Mutation entwickeln, heutzutage immer noch recht schlecht, da alle TKIs der ersten und zweiten Generation nicht anschlagen. Glücklicherweise entwickelt lediglich ein geringer Anteil der Patienten, ca. 2 % aller neu diagnostizierten Patienten (geschätzt 15 % mit T315I der 15 % der Patienten, die eine Resistenz entwickeln), die T315I-Mutation. Wenn dies jedoch geschieht, gibt es nach der Stammzelltransplantation nicht mehr viele Behandlungsmöglichkeiten, wenn überhaupt.

Ponatinib als ein oral verabreichtes Medikament, das einmal täglich eingenommen wird, scheint sich zu einem aufregenden Kandidaten zu entwickeln: Es zielt auf eine Anzahl an Tyrosin-Kinasen ab - nicht nur BCR-ABL, sondern auch VEGF-, FGF- und PDGF-Rezeptoren, c-KIT und SRC-Kinase. Gemäß den ersten Ergebnissen der Phase I Studien, die bei der ESH-iCMLf Konferenz vorgestellt wurden, scheint das Medikament gut verträglich zu sein. Die Nebenwirkungen jeden Grades sind Thrombozytopenie, Anämie, erhöhte Lipasewerte, Übelkeit, Ausschlag, Arthralgie, Müdigkeit und Pankreatitis bei weniger als einem Viertel der Patienten. Lediglich 5 von 57 Patienten mussten die Medikamentendosis aufgrund von Ausschlag und Nebenwirkungen in der Bauchspeicheldrüse reduzieren. Am interessantesten ist die Tatsache, dass von diesen 9 Patienten (von 38), die die T315I-Mutation aufwiesen, 6 Patienten ein weitgehendes zytogenetisches Ansprechen, 5 Patienten ein vollständiges zytogenetisches Ansprechen und 4 Patienten sogar ein gutes molekulares Ansprechen erfuhren. Man darf ebenfalls nicht vergessen, dass die Patienten, die an dieser Phase I Studie teilnahmen, bereits im Vorfeld stark behandelt wurden, sodass die Ergebnisse in den früheren Stufen der Krankheit sogar noch vielversprechender sein sollten. Phase II Studien wurden im September 2010 in den USA eingeleitet - und europäische Studien sind ebenfalls in Kürze geplant.

Die ersten Zwischenergebnisse einer Phase I Studie mit DCC-2036 (von Deciphera) wurden ebenfalls vorgestellt. Dies ist ein weiteres oral einzunehmendes Medikament, das gegen T315I wirksam ist, das seine Wirksamkeit auch gegen Gatekeeper, P-Loop- und A-Loop-Mutanten aufrechterhält, und welches ebenfalls vielversprechend scheint hinsichtlich dem ersten Ansprechen und der Verträglichkeit.

In einer weiteren Präsentation von Jorge Cortes ging es um die Probleme bei den neuen Erstlinienbehandlungen mit Nilotinib und Dasatinib, was die Fragen aufwarf, ob es gerechtfertigt ist, mit den teureren Medikamenten der zweiten Generation zu beginnen, und ob diese erwartungsgemäß bessere Ergebnisse im Vergleich zu Imatinib, gefolgt von Dasatinib/Nilotinib nur in dem Falle, wenn Imatinib nicht anschlägt, erzielen. Die Meinungen scheinen immer noch weit auseinander zu gehen: Im Vergleich zu 12 Jahren Erfahrung mit Imatinib sind keine neuen überraschenden Langzeitnebenwirkungen von Dasatinib und Nilotinib in den 6-7 Jahren Erfahrung seit dem Beginn der Phase I Studien beobachtet worden, was bekräftigt, dass alle diese Medikamente als gleichermaßen sicher erachtet werden könnten. Jedoch ist jeder klinische Langzeitvorteil von "Vorbeugen gegenüber Behandeln des Nichtanschlagens von Imatinib" weiterhin unklar. Behandlungskosten sind selbstverständlich weiter ein Thema, wobei sowohl Dasatinib als auch Nilotinib zum heutigen Zeitpunkt im Wesentlichen zweimal so teuer sind wie Imatinib - und besonders wenn man das Ablaufen des Patents auf Imatinib im Jahr 2016 mit Vorfreude erwartet. Zu diesem Zeitpunkt müssen die Behörden klare Antworten auf die Fragen liefern, was die sehr teure Erstlinienbehandlung rechtfertigt, wie mehrere Sprecher, wie Steve O'Brien und Charles Schiffer, anmerkten.

Ein weiterer Höhepunkt war die Präsentation von Andreas Hochhaus mit dem Titel "Sollte IFN zurückkommen?". Er verwies darauf, dass eine Anzahl an Studien gezeigt hat, dass Interferon nicht nur T-Lymphozyten gegen CML-Zellen aktiviert, sondern sogar schlafende CML-Stammzellen aktivieren kann und diese empfindlich gegenüber TKI macht. Chronische Stimulation der Stammzellen durch Interferon könnte zu ihrer Auslöschung führen. Eine kleinere deutsche Studie mit 20 Patienten hat ebenfalls gezeigt, dass, anders als bei den STIM-Studien, stabile Remission auf Erhaltungstherapie mit Interferon nach dem Absetzen von Imatinib nur zu einer Rückfallrate von 25 % führte, wobei alle rückfälligen Patienten anschließend auf Imatinib ansprachen. Weitere Forschungen, z. B. die erwartete deutsche, zweiarmige CML Studie V, sollen mehr Klarheit bringen. Sie wird die Monotherapie mit Nilotinib, gefolgt von einem Abbruch der Therapie bei Erreichen molekularer Remission und Aufrechterhalten für mindestens 12 Monate, mit Nilotinib+Interferon, gefolgt von einer IFN-Monotherapie bei geringer Dosis nach mehr als 18 Monaten guter molekularer Remission, gefolgt von einer Beendigung aller Therapien, wenn ein Minimum von 12 Monaten vollständiger molekularer Remission erreicht ist, vergleichen.

Kurzum, dies waren nach meinem Empfinden die Haupt-Höhepunkte der ESH-iCMLf 2010 - was natürlich eine sehr subjektive Auswahl ist und auf keinen Fall eine faire Darstellung der gesamten großartigen Arbeit ist, die von allen CML-Experten aus aller Welt vorgestellt wurde. Es wurden noch viel mehr eindrucksvolle Forschungen vorgestellt, von denen ich einfach keine Notizen vorliegen habe oder an die ich mich aufgrund meines Jetlags nicht mehr ordentlich erinnern kann - oder bei denen ich aufgrund meiner mangelnden medizinischen Ausbildung die stark biologischen Mechanismen nicht nachvollziehen konnte.

Meiner Meinung nach hat es sich sehr gelohnt, diese Konferenz zu besuchen, was mir Hoffnung gegeben hat, dass es auf beiden Seiten der CML viel Eigendynamik gibt: die grundlegende Forschung im Labor auf dem Weg zur Heilung, und die klinische Auswertung neuer Therapien gegen multi-resistente CML und minimale Resterkrankung bei heutigen Patienten.

Ich freue mich auf die ASH-Konferenz in Orlando im Dezember 2010 und darauf, mehr ermutigende Ergebnisse von Studien von den verschiedenen Forschungsnetzwerken zu sehen. Ich befürchte, ich werde von Orlando genauso wenig sehen wie von Washington D.C.: Für den Tourismus bleibt halt einfach keine Zeit, wenn man wirklich Zeuge großartiger Forschung auf dem Weg zu einem Heilmittel gegen CML sein möchte.

Kontakt


CML Advocates Network
http://www.cmladvocates.net


Leukämie-Online e.V. (Deutschland)
http://www.leukaemie-online.de
Jan Geissler