Erste Studienergebnisse zum Einsatz von Glivec bei Kindern mit CML und ALL

Glivec ist wie die meisten Arzneimittel in ihrer Wirksamkeit bisher noch unzureichend speziell für Kinder untersucht worden. Faustregeln wie "Kinder nehmen die Hälfte" oder die Umrechnung nach Körpergröße oder Gewicht gehen in die falsche Richtung - Kinder sind auch rein biologisch keine "kleinen Erwachsenen". Da jedoch bei an CLL oder AML erkrankten Kindern nach einer fehlgeschlagenen Transplantation die medikamentöse Therapie lebensrettend sein kann, sind Studien zur Dosierung, Verträglichkeit und Wirksamkeit dringend nötig. Eine Forschergruppe aus den USA und Kanada hat diese Punkte erstmals in einer Phase-I-Studie untersucht und ihre Ergebnisse nun im Fachmagazin Blood vorgestellt.

Ergebnisse

Hierbei wurden die Ergebnisse einer klinischen Studie an 31 jungen Patienten zwischen 3 und 20 Jahren veröffentlicht, die eine Resistenz in einer Philadelphia-Chromosom-positiven Leukämie (ALL, CML) entwickelt hatten. Ziel der Studie war, dosislimitierende Giftigkeiten und die Pharmakokinetik zu bestimmen. 

Die Teilnehmer der Studie erhielten tägliche Dosen zwischen 260mg und 570mg/m2 über eine Dauer von 28 Tagen (Hinweis: die Dosis wird in Studien bei Kindern anhand der Körperoberfläche in m2 dokumentiert). Die Ergebnisse waren gut: Von 12 CML-Patienten, die eine zytogenetische Antwort zeigten, hatten10 ein komplettes und 1 eine teilweises zytogenetisches Ansprechen. Unter den 10 ALL-Patienten, die ein morphologisches Ansprechen erreichten, erreichten sieben ein M1- und einer ein M2-Knochenmark

Nebenwirkungen waren ähnlich den Erfahrungen bei Erwachsenen: Es wurde in der Studie keine maximal tolerierte Dosis identifiziert. Die aus der Imatinib-Therapie bekannten Nebenwirkungen taten bei weniger als 5% der Patienten auf und schlossen Übelkeit (Grad 1 und 2), Erbrechen, Ermüdung, Durchfall und reversible Zunahmen von Serumtransaminasen ein. Ein Patient, der 440mg/m2 einnahm, zeigte dosiseinschränkende Gewichtszunahme. 

Die tägliche orale Gabe von Imatinib wurde insgesamt von Kindern mit Philadelphia-Chromosom-positiver Leukämie in Dosen von 260-570mg/m2 gut vertragen; die Verabreichung von 260-340mg/m2 liefern eine ähnliche systemische Wirkung wie die bei Erwachsenen übliche Dosis zwischen 400 und 600mg.

Hintergrund

Die meisten Arzneimittel, die Kinderärzte sehr jungen Patienten in Krankenhäusern und Praxen verabreichen, sind in ihrer Wirksamkeit nicht speziell für Kinder untersucht worden. Die Faustregel "Kinder nehmen die Hälfte" ist völlig unzutreffend, denn Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Medikamenten hängen stark vom Stoffwechsel des Patienten ab, der nichts mit der Körpergröße zu tun hat - Kinder sind biologisch keine "kleinen Erwachsenen". Auch die Methode, die Dosis nach dem geringeren Körpergewicht umzurechnen, funktioniert nicht immer: Kleinkinder im Krabbelalter scheiden Medikamente beispielsweise sehr schnell aus und benötigen – bezogen auf ihr Körpergewicht – erheblich höhere Dosen als Erwachsene. 

Das Problem bei Studien mit Kindern: Einerseits werden Studien mit Kindern kontrovers diskutiert, andererseits aber sind genau fehlende Daten das Problem in der klinischen Praxis. Andererseits lohnt es sich nur in den seltensten Fällen finanziell für die Pharmaindustrie, Medikamente auch für die Zulassung bei Kindern zu testen: die Studien sind besonders aufwändig und teuer, gleichzeitig verheißt das Marktsegment "Kinder" nur geringen Umsatz. In den USA wurde hier ein finanzieller Anreiz für die Pharmafirmen geschaffen: wer Medikamente auch an Kindern erprobt, erhält längeren Patentschutz auf die Substanz. In Europa dagegen stecken Bestrebungen, die Situation der kleinen Patienten zu verbessern, noch in den Kinderschuhen; die neue EU-Direktive zur Durchführung klinischer Studien verschärft die bürokratischen Bedingungen für Arzneimittelstudien mit Kindern noch weiter.

Quellen:

  • Artikel im Fachmagazin Blood von Juni 2004: "Imatinib mesylate (STI571) for treatment of children with Philadelphia chromosome-positive leukemia: results from a Children's Oncology Group phase I study"
    Martin A Champagne, Renaud Capdeville, Mark Krailo, Wenchun Qu, Bin Peng, Marianne Rosamilia, Martine Therrien, Ulrike Zoellner, Susan Blaney, and Mark Bernstein 
    Hopital Ste-Justine, Montreal, Quebec, Canada
    Novartis Pharma AG, Basel, Switzerland
    Children's Oncology Group, Arcadia, California, USA
    Baylor College of Medicine, Houston, Texas, USA
  • NDR-Artikel vom 26.11.2002: "Fehlende Studien – Pillen für Kinder unzureichend geprüft"