Die beschleunigte Zulassung von Onkologie-Arzneimitteln: Lehren aus dem Ponatinib-Fall

Am 31. Oktober 2013 setzte die amerikanischen Zulassungsbehörde FDA die Vermarktung und den Verkauf des BCR-ABL-Tyrosinkinasehemmers Ponatinib (Iclusig, Ariad Pharmaceuticals) in den USA aus. Nur 7 Wochen später, am 20. Dezember 2013 nahm die FDA die Entscheidung zurück und liess die Nutzung des Medikamentes für einen eingeschränkten Indikationsbereich wieder zu. Ponatinib war das sechste für die Behandlung der CML oder der Philadelphia-positiven ALL zugelassene Medikament, angezeigt für Patienten mit resistenter Erkrankung oder Unverträglichkeit gegenüber Behandlung mit anderen Tyrosinkinasehemmern. Ein Artikel im Fachmagazin „JAMA“ diskutiert nun an am Beispiel die regulatorische Komplexität des beschleunigten Zulassungsverfahrens, das einerseits Patienten mit dringenden medizinischen Bedürfnissen in unheilbaren Erkrankungen frühzeitigen Zugang zu neuen Therapien verschafft, andererseits aber oftmals entscheidende Sicherheitsdaten erst nach Zulassung verfügbar werden.

Ponatinib wurde im beschleunigten Zulassungsverfahren der FDA zugelassen, dessen Ziel es ist, Medikamente in den Markt zu bringen, unerfüllte medizinische Bedürfnisse zu befriedigen. Der wesentliche Vorteil bzw. Nutzen von Ponatinib ist seine einzigartige Fähigkeit, die sogenannte „Torwächter“-Mutation des BCR-ABL-Proteins zu überwinden, die gegenüber allen anderen zugelassenen Tyrosinkinasehemmern resistente T315I-Mutation. Zum Zeitpunkt des Rückzugs von Ponatinib gab die FDA an, die Nachteile des Medikamentes, eine substantielle Zunahme arterieller und venöser Thrombosen, überwögen dessen Vorteile. Die Zulassung, deren schnelle Rücknahme und die Wiedereinführung illustrieren die Komplexität des beschleunigten Zulassungsverfahrens und wie prompte Reaktionen der Regulierungsbehörden die öffentliche Gesundheit schützen können.

Ponatinib wurde am 14. Dezember 2012 auf der Grundlage einer einarmigen Phase II Studie an 449 Patienten mit einer mittleren Beobachtungsdauer von 10 Monaten zugelassen. Zum Zeitpunkt der Zulassung waren die Ergebnisse der Phase II-Studie noch nicht publiziert worden. Die meisten der eingeschlossenen Patienten waren resistent oder intolerant gegenüber mehreren TKI, obwohl 32 (7%) vorher nur mit einem einzigen Wirkstoff behandelt wurden und 128 (29%) als Träger der T315I-Mutation bekannt waren. Die primären Endpunkte für die Wirksamkeit waren hämatologisches und zytogenetisches Ansprechen. Zum Zeitpunkt der Zulassung zeigten etwa 50% der Patienten mit CML in chronischer Phase gutes zytogenetisches Ansprechen, welche anhaltend war (die mittlere Dauer wurde nicht erreicht). 50% der Patienten mit CML in akzelerierter Phase zeigten gutes hämatologisches Ansprechen (mittlere Dauer 9.5 Monate). Zum Zeitpunkt der Zulassung unterstützten demnach die Daten die Annahme, dass als Ersatzendpunkt die Krankheit unter Kontrolle gebracht werden kann, eine Schlussfolgerung bezüglich der Sterblichkeit konnte aber nicht gezogen werden.

Ponatinib zeigt gute Wirksamkeit unter Patienten mit der T315I-Mutation. Diese Mutation, die ungefähr 15% der Patienten mit therapieresistenter CML in chronischer Phase betrifft, verändert die Bindungstasche des BCR-ABL-Proteins, indem die Tasche mit einer sperrigen Isoleucingruppe gefüllt wird, die die Bindung mit allen anderen zugelassenen TKI behindert. Insgesamt 45 von 64 Patienten (70%) mit CML in chronischer Phase und T315I-Mutation hatten ein gutes zytogenetisches Ansprechen auf die Behandlung mit Ponatinib. Unter den zur Behandlung der CML zugelassenen Medikamenten zeigt nur Omacetaxin, ein nicht-TKI-Wirkstoff, eine Aktivität bei Vorhandensein der T315I-Mutation. Trotzdem betraf die initiale Zulassung der FDA für Ponatinib nicht ausschliesslich Patienten mit T315I-Mutation, sondern alle Patienten, die nicht von den bereits zugelassenen TKI profitieren konnten oder nicht einen einzigen der vier zugelassenen Wirkstoffe vertrugen.

Zum Zeitpunkt der Ponatinib-Zulassung gab es Hinweise auf unerwünschte Nebenwirkungen. Das Fachinformation des Medikamentes wies darauf hin, dass 8% der mit diesem Medikament behandelten Patienten „kardiovaskuläre, cerebrovaskuläre und periphere Thrombosen einschliesslich tödlicher Infarkte und Schlaganfällen“ erlitten. Nur einen Monat vor der Zulassung durch die FDA wurden Ergebnisse der Phase I-Studie mit Ponatinib  veröffentlicht, in  der die Daten von 81 Patienten und einer mittleren Beobachtungsdauer von 56 Wochen berichtet wurden. Aber in dieser Publikation wurde nur wenig über das Vorliegen von Nebenwirkungen auf Gefässe erwähnt, Thrombosen oder Schlaganfälle fanden keine Erwähnung.

Der Rückzug von Ponatinib vom Markt beruhte auf neuen Daten, die über  höhere Raten arterieller und venöser Thrombosen als vorher dokumentiert, hinwiesen. Nach einer mittleren Beobachtungsdauer von 1.3 Jahren, erfuhren etwa 108 Patienten (24%) der Phase II-Studie Herzinfarkte, Schlaganfälle, Ischämien der Gliedmassen, Verengungen von Herzgefässen, Extremitäten und des Gehirns, die eine notfallmässige chirurgische Verbesserung der Durchblutung erforderten. Nach einer mittleren Beobachtungsdauer von 2.7 Jahren wurde im Rahmen der Phase-I-Studie über Gefässnebenwirkungen bei ungefähr 39 Patienten (48%) berichtet. Obwohl behauptet wurde, dass zugrundeliegende Herz-Kreislauf-Risikofaktoren für diese Vorfälle verantwortlich seien, ist das unwahrscheinlich, weil diese Gefässzwischenfälle bei Studien späterer Phasen mit anderen TKI und ähnlichen Patienten nicht auffällig wurden. Darüber hinaus gab es keine sichere Behandlungszeit und keine risikofreien Patienten. Die Zwischenfälle traten bereits zwei Wochen nach Beginn der Behandlung auch bei Patienten ohne kardiovaskuläre Risikofaktoren oder Patienten in der Altersgruppe ab 20 Jahren auf.
 
Am 20. Dezember 2013 stellte die FDA die Leitlinien zur Wiedereinführung von Ponatinib in den US-Markt bereit. Bemerkenswerterweise wurde die Indikation auf Patienten mit T315I-Mutation oder solche, bei denen alle anderen TKI versagt hatten, eingeengt. Der Hersteller wurde verpflichtet, die Warnaufschriften unter Berücksichtigung der Tatsache von Gefässnebenwirkungen in mehr jedem vierten Patienten zu revidieren, sowie eine nachträgliche Untersuchung unter Berücksichtigung von Dosis, Ansprechen und Toxizität durchzuführen. Unter diesen Bedingungen wird die Rückkehr von Ponatinib im Markt zu Beginn des Jahres 2014 erwartet.

Was sind die wichtigen Lektionen aus der Ponatinib-Geschichte? Erstens deckt Ponatinib die Spannungen im Kern des beschleunigten Zulassungsverfahrens auf. Obwohl unheilbare Krebserkrankungen als „unerfüllte medizinische Bedürfnisse“ betrachtet wurden, gibt es einen bedeutenden Unterschied zwischen einem Patienten mit CML in chronischer Phase, der Imatinib wegen Übelkeit nicht verträgt und einem Patienten mit CML in chronischer Phase, der die Behandlungen mit  Imatinib, Dasatinib, Nilotinib und Bosutinib durchlaufen hat. Trotzdem wurde bei der erstmaligen Zulassung für Ponatinib nicht zwischen diesen Szenarios unterschieden; die FDA-Experten erwarteten vermutlich, dass die Ärzte erst die anderen Wirkstoffe verschreiben würden. Deshalb sollten beschleunigte Zulassungen so eingeschränkt wie möglich erteilt werden, mit dem Schwerpunkt auf Patienten, denen nur wenige oder keine Optionen zur Behandlung zur Verfügung stehen. In diesem Fall hätte die revidierte Zulassung leicht als erste Zulassung dienen können, und Patienten ohne T315I-Mutation hätten vor einer Behandlung mit Ponatinib mit den anderen TKI behandelt werden können.

Zweitens wirft der Ponatinib-Fall das Thema der angemessenen Berichterstattung über unerwünschte Nebenwirkungen auf. Der wichtigste Aspekt der Phase I-Studie von Ponatinib war, dass es nach der mittleren Beobachtungsdauer von 56 Wochen keine Berichte über arterielle Thrombosen gab. Nach 2.7 Jahren waren geschätzt 39 Patienten (48%) von dieser Komplikation betroffen. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Differenz auf biologische Ursachen zurückzuführen ist, aber viel wahrscheinlicher die Konsequenz aus dem Versagen, die Thrombosen mit dem Studienmedikament in Verbindung zu bringen und der Möglichkeit, dass die Nebenwirkungen mit der Behandlungsdauer zunehmen. Das generelle Übersehen eines Musters ist in der Medizin selten. Mit der zunehmend fragmentierten Natur kommerzieller Phase I-Studien hat fast keiner der teilnehmenden Ärzte die Möglichkeit, solche Muster aufzudecken, weil jeder einzelne Arzt bis zur Auswertung einer Studie nur wenige Patienten betreut. Das bringt eine grössere Last für jeden Forscher mit sich, die Daten sehr genau auf unerwünschte Nebenwirkungen hin zu untersuchen.

Drittens zeigt der Fall von Ponatinib die wichtige Rolle der Regulierungsbehörden für den Schutz der öffentlichen Gesundheit. Die Vermarktungsaussetzung von Ponatinib lenkte prompte Aufmerksamkeit auf ernste Schäden und minderte das Risiko aus der ursprünglichen Medikamentenzulassung. Gleichzeitig löste die Entscheidung Bedenken und Reaktionen aus. Dabei verließ man sich auf anekdotische Fälle von Patienten, denen es unter der Behandlung gut ergangen ist oder auf ein generelles Vertrauen, dass Ärzte und Patienten die richtige Wahl ohne regulatorische Einschränkungen treffen könnten. Wenn ein Medikament schnell in den Markt eingeführt wird, hinken die den Regulierern zur Verfügung stehenden Daten den publizierten und den Ärzten zur Verfügung stehenden Informationen hinterher. Zur Zeit bleibt es ein heikler Balanceakt zwischen der Entscheidung, ein Medikament schneller einzuführen und den unvermeidbaren Fällen, ein Medikament genauso schnell wieder zurückzuziehen oder die Indikationen anzupassen.

Viertens ist die derzeitige Position der FDA umsichtig. Für Patienten, die zur Zeit Ponatinib nehmen und nicht ansprechen, oder für diejenigen außerhalb des revidierten Indikationsbereiches gibt es mehrere vorzuziehende Therapien. Für Patienten, die das Medikament nehmen und damit gut fahren, ist die fortgesetzte Gabe von Ponatinib unter Federführung eines verantwortlichen Arztes vernünftig. Die Einverständniserklärung sollte nach ausführlicher Diskussion der neuen Erkenntnisse über Gefahren neu eingeholt werden. Für Patienten mit T315I-Mutationen, die eine Progression der Erkrankung während die Behandlung mit Omacetaxin erfahren haben, oder solche, bei denen alle anderen TKI versagt haben, wird Ponatinib wieder zu einer Behandlungsmöglichkeit. Ponatinib sollte aber nur im vollen Verständnis der Tatsache, dass Risiken und Nutzen unsicher und möglicherweise ungünstig sind, und dass andere Behandlungsmöglichkeiten einschliesslich klinischer Versuche oder allogener Stammzelltransplantationen existieren, angewendet werden. Ponatinib ist nur das neueste Kapitel in der Geschichte des BCR-ABL, die Schlussfolgerung der Geschichte muss jedoch erst noch geschrieben werden.

Quelle: The Accelerated Approval of Oncologic Drugs Lessons From Ponatinib, Vinay Prasad, Sham Mailankody, Journal of the American Medical Association (Jama), 22/29 Januar 2014, Volume 311, Number 4. Übersetzung aus dem Englischen, ohne Gewähr auf Richtigkeit und Vollständigkeit.