ASH 2018 CML Education Session: Mit grossem Erfolg kommt auch grosse Verantwortung


„Der Juni 2018 brachte das 20-jährige Jubiläum der klinischen Verwendung des ersten Tyrosinkinasehemmers (TKI) bei CML-Patienten. Seitdem ist die Verbesserung der Prognose der CML-Patienten eine der grössten Erfolgsgeschichten der modernen Krebsmedizin“.

Dies als Einführung für die CML-Sektion des diesjährigen Education Book des ASH erinnert mich daran, wie weit wir in den letztem 20 Jahren gekommen sind. Zwei Jahrzehnte sind seit dem ersten Versuch mit STI571 (jetzt Imatinib genannt) auf Initiative der CML-Experten Brian Druker und John Goldman an Patienten vergangen, entgegen vieler Widerstände anderer etablierter Experten, die den Ansatz mit TKI als wenig erfolgversprechend einschätzten.

Heute, solange sie Zugang zur Behandlung mit TKI haben, müssen sich die Patienten und ihre Ärzte nicht mehr um die Verzögerung der unvermeidlichen Progression in der Zeitspanne bis zur unvermeidlichen Transplantation sorgen, wie es bis 2001 der Fall war. Der heutige Schwerpunkt liegt auf der Auswahl der bestgeeigneten Behandlung unter Berücksichtigung der individuellen molekularen Biologie der Erkrankung, individueller Begleiterkrankungen, Nebenwirkungen und der Lebensqualität. Die Hauptziele der Behandlung sind heute die schnelle Reduktion der Tumorlast, um eine frühe Progression zu verhindern und dann das Erreichen einer tiefen molekularen Remission bei gleichzeitig guter Lebensqualität. Für etwa ein Viertel der Patienten ist die behandlungsfreie Remission nach jahrelanger Behandlung ein erreichbares Ziel.

„Mit grossem Erfolg kommt grosse Verantwortung“ war das Motto der diesjährigen CML Education Session des ASH 2018 – was wiederspiegelt, dass bei der zur Verfügung stehenden Auswahl alles zur Erweiterung der therapeutschen Möglichkeiten zu tun ist, um dem Anspruch, jedem CML-Patient ein normales, gutes und langes Leben zu ermöglichen, gerecht werden zu können. Die drei Referenten, Jane Apperley (Hammersmith Hospital, London), Tim Hughes (Adelaide, Australien) und Charles Craddock (University of Birmingham) stellten diese therapeutischen Fragen an zwei hypothetischen Beispielen dar: dem 55-jährigen übergewichtigen Raucher Bob mit zusätzlichen chromosomalen Abnormalitäten und der 22-jährigen schwangeren Sue. Die drei CML-Experten befassten sich mit den drei wesentlichen therapeutischen Bereichen: der Auswahl der Erstlinienbehandlung, Frequenz der molekularen Überwachung und die Fortschritte bei der Stammzelltransplantation für Patienten, bei denen die TKI versagt haben.

Auswahl der Erstlinienbehandlung

Dr. Jane Apperley betonte, dass das Erreichen eines guten molekularen Ansprechens (MMR) nicht länger das wichtigste Therapieziel sei. Patienten in tiefe molekulare Remission zu führen, minimiere das Risiko eines Rückfalls (gemäss UK-Destiny-Studie). So gab es keine bekannten Rückfälle unter MR4, ausser bei Patienten mit schlechter Therapietreue oder bei Dosisreduktionen wegen nicht tolerabler Nebenwirkungen. Sie sagte, wenn wir alle tiefes molekulares Ansprechen als Therapieziel akzeptierten, was sollte dann die Erstlinientherapie sein? Zusammengefasst haben alle Erstlinien-Studien mit Imatinib, Dasatinib, Nilotinib und Bosutinib vergleichbare Überlebensraten und Wahrscheinlichkeiten einer tiefen molekularen Remission ergeben, die häufigste Todesursache bei CML ist nicht Progression der Erkrankung, sondern Tod durch Begleiterkrankungen. Im Wissen, dass die Medikamente alle verschiedene Nebenwirkungsprofile aufweisen, mit dem erhöhten Herzkreislaufrisiko bei Nilotinib, etwa einem Drittel der Dasatinib-Patienten mit Pleuraergüssen und ein geringfügig höheres Progressionsrisiko bei Imatinib erinnerte Jane Apperley die Zuhörer an die Schwierigkeiten  der Balance zu halten, den Patienten am wenigsten zu schaden, geringere Nebenwirkungen und geringere Kosten von Imatinib gegenüber geringerer Progressionsraten, tiefere Remissionen und bessere Chancen auf eine behandlungsfreie Remission unter der Behandlung mit TKI der zweiten Generation.

Jane Apperley führte die folgenden Indikatoren für Vorteile eines TKI der zweiten Generation als Erstlinien-Behandlung an:

  • Patienten mit hohem ELTS-Score bei Diagnose (ein hoher ELTS-Score korrespondiert mit einem 11%igen Risiko, an der CML zu sterben, mit einem niedrigen Score sind es nur 2%). Die meisten Progressionen können durch Verwendung eines TKI der 2. Generation vermieden werden.
  • Zusätzliche chromosomale Abnormalitäten (wie ein zusätzliches Philadelphia-Chromosom, Trisomie 8, Isochromosom 17q und Trisomie 19) und weitere genetische Abnormalitäten
  • Geringeres Alter (Kinder und junge Erwachsene haben oft ein langsameres Ansprechen auf die TKI nach 3 Monaten Erstlinienbehandlung, höhere Leukozytenzahlen und eine grössere Milz als ältere Patienten) – und den Wunsch nach einer Familienplanung, die schnelleres Ansprechen und frühere behandlungsfreie Remissionen rechtfertigen.

 Die folgenden Indikatoren sprechen für Imatinib als Erstlinienbehandlung:

  • Patienten mit tiefem ELTS-Risiko-Score bei Diagnose.
  • Höheres Alter (bei Dasatinib, weil Pleuraergüsse bei älteren Patienten viel häufiger auftreten)
  • Herz-Kreislauferkrankungen (weil die Herz-Kreislauf-Nebenwirkungen bei Nilotinib viel häufiger als mit Imatinib bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Herzerkrankungen, erhöhte Blutfettwerte und Diabetes sind. Bluthochdruck ist eine eindeutige Kontraindikation für Dasatinib).

Als generelle Anleitung für die Auswahl des TKI auf Grundlage der Begleiterkrankungen des individuellen Patienten hat Jane Apperley die folgende Matrix vorgestellt:

Begleiterkrankung

Bosutinib

Dasatinib

Imatinib

Nilotinib

Bluthochdruck

Koronare Herzerkrankung

Zerebrale Durchblutungsstörungen

Periphere arterielle Verschlusserkrankungen

Verlängertes QT-Intervall

Herzinsuffizienz

Diabetes

Gastrointestinale Blutungen

Pulmonarer Bluthochdruck

Chronische Lungenerkrankung

Pankreatitis

Abnormale Leberfunktion

 Legende:

 

Keine Kontraindikation

Geringes Risiko der Verschlechterung der Begleiterkrankung

Mittleres Risiko der Verschlechterung der Begleiterkrankung

Soweit möglich vermeiden

(Übernommen und angepasst durch Jane Apperley mit der Genehmigung von Dr. Michael Deininger)

Molekulare Überwachung der CML: Wie tief, wie oft und wie sollten die Ergebnisse die Behandlung beeinflussen?

Dr. Tim Hughes vervollständigte diese Ausführungen mit einer Präsentation darüber, wie genau und wie oft die molekulare Überwachung durchgeführt werden solle und wie die Ergebnisse der Überwachung die Behandlung beeinflussen sollten. Tim Hughes hob die Meilensteine der Behandlung, wie sie in den neuesten CML-Therapieleitlinien der NCCN und ESMO definiert wurden, hervor.

Meilensteine für das Ansprechen zu Beginn der Behandlung: NCCN 2018

Meilensteine für das Ansprechen

BCR-ABL1 (IS)

3 Monate

6 Monate

12 Monate

> 12 Monate

>10%

>1%-10%

>0.1%-1%

0.1%

Klinische Abwägungen

Zweitlinienbehandlung und weitere Behandlungsmöglichkeiten

  • Untersuchung von Therapietreue des Patienten und möglichen Wechselwirkungen
  • Mutationsanalyse
  • Umstellung auf alternativen TKI und Stammzelltransplantation erwägen

  • Untersuchung von Therapietreue des Patienten und mögliche Wechselwirkungen
  • Mutationsanalyse
  • Umstellung auf alternativen TKI, oder Weiterbehandlung mit gleichem TKI oder Dosiserhöhung von Imatinib (auf max. 800 mg) und Stammzelltransplantation erwägen

  • Ansprechen und Nebenwirkungen überwachen
  • Therapie fortführen

Zusätzlich schlug Tim Hughes vor, die folgenden Faktoren nach drei Monaten Erstlinienbehandlung mit Imatinib zur Entscheidung heranzuziehen, ob die Behandlung wie bisher fortgesetzt oder auf eine andere Behandlung umgestellt werden sollte.

Faktor

Behandlung fortführen

Abwarten

Behandlung wechseln

Molekulares Ansprechen

<10%

 

>10%

Trend des molekularen Ansprechens

Gute log-Reduktion

 

Minimale oder keine Reduktion

Priorität für behandlungsfreie Remission

Gering

 

Hoch

Risikoscore

Gering

 

Hoch

Begleiterkrankungen

Viele

 

Keine

Verträglichkeit / Nebenwirkungen

Gut

 

Schlecht

Therapieunterbrechungen

Mehrere

 

Keine

Für die molekulare Überwachung mittels PCR schlug Tim Hughes eine dreimonatige Frequenz vor, ausser bei instabilen Situationen. „Instabil“ kann langsames Ansprechen (z.B. wenn BCR-ABL bei >10% verharrt), wenn BCR-ABL bei Patienten, die eine behandlungsfreie Remission versuchen, auf über 0.1% ansteigt, oder wenn die Behandlung nach einem erfolglosen Absetzversuch die Behandlung wieder aufgenommen wird.

Wenn die behandlungsfreie Remission bei langanhaltendem tiefen molekularen Ansprechen erwogen wird, mahnte Tim Hughes an, dass das molekulare Level der Erkrankung und deren Dynamik genauso wie die Priorität des Patienten, die Behandlung abzusetzen, genauso wie Begleiterkrankungen und Risikoprofile berücksichtigt werden müssen. Er schlägt dazu die folgende Matrix zur Bewertung vor, ob Patienten die Behandlung fortsetzen sollten oder diese absetzen könnten:

Faktor

Behandlung fortführen

Abwarten

Behandlung Absetzen

Dauer der MR4

<3 Jahre

>3 Jahre

MR-Level

MR4

MR 4.5

Stabilität der MR

Schwankend

Stabil

Notwendigkeit des Absetzens / Motivation

Gering

Hoch

Verträglichkeit

Gut

Schlecht

Begleiterkrankungen

Keine

Mehrere

Therapietreue

Gering

Hoch

Tim Hughes betonte die Bedeutung der Erfüllung institutioneller Anforderungen und strikter Einhaltung der Zeitpläne der molekularen Überwachung während der Behandlungsfreien Remission und nach molekularen Rückfällen, und die Kriterien für die Wiederaufnahme der Behandlung, wie sie in den EMSO- und NCCN-Leitlinien definiert wurden.

ESMO

NCCN

Institutionelle Anforderungen

Nach IS standardisierte, akkurate und empfindliche RQ-PCR

Nach IS standardisierte RQ-PCR mit einer Sensitivität von mindestens MR4.5

4 Wochen für PCR-Ergebnisse

2 Wochen für PCR-Ergebnisse

Fähigkeit, alle 4-6 Wochen PCR-Messungen durchzuführen

Beratung durch ein auf CML spezialisiertes Zentrum

Strukturierte Verfolgung der Ergebnisse, um im Fall steigender BCR-ABL-Transkripte schnell eingreifen zu können

Kriterien für die Wiederaufnahme der Behandlung

Verlust der MMR

Überwachung während der behandlungsfreien Remission 

·       Monatlich während der ersten 6 Monate

·       Alle 6 Wochen vom 7. bis 12. Monat

·       Danach vierteljährlich

·       Monatlich während des ersten Jahres

·       Alle 6 Wochen während des zweiten Jahres

·       Danach vierteljährlich (solange die Patienten MMR behalten)

Wir transplantieren noch bei CML, nicht wahr?

Charles Craddock (Universität Birmingham, UK) nahm einen anderen Standpunkt ein und erinnerte daran, dass trotz allen mit den TKI und deren für die Mehrheit der Patienten exzellenten Langzeitergebnissen verbundenen Enthusiasmen die Stammzelltransplantation immer noch die wichtigste Option für diejenigen bleibt, bei denen die Behandlung mit TKI versagt.

In seinem Vortrag betonte er die gewaltigen Fortschritte  bei Transplantationstechnologie und Spenderverfügbarkeit während der letzten Jahre. Beispiele:

  • Verbesserungen bei der Spenderauswahl (mit mittlerweile in internationalen Registern eingetragenen 30 Mio. Freiwilligen plus Nabelblutspendern) und bei der unterstützenden Pflege und der Prophylaxe gegen Abstossungsreaktionen haben die Sterblichkeit bei der Transplantation signifikant reduziert.
  • Konditionierung mit verringerter Intensität erlauben mittlerweile auch die Transplantation älterer fitter Patienten, was aber auch ein erhöhtes Rückfallrisiko birgt, das neue präventive Ansätze notwendig macht.
  • Potentielle Wirkungen des Transplantats gegen die Leukämie sind bei Patienten in der ersten chronischen Phase verstärkt. Die Infusion von Spenderlymphozyten ist eine wirksame Rettungsbehandlung für solche Patienten, allerdings haben Spenderlymphozyten bei Patienten in fortgeschrittenen Phasen der Erkrankung nur noch mässige Wirksamkeit.

Während sich die Identifikation von für eine Transplantation geeigneten Patienten verbessert hat, bleiben Rückfälle nach wie vor die Hauptursache für das Therapieversagen. Deshalb müssen für solche Fälle individuell massgeschneiderte Strategien und Verfahren entwickelt werden.

Die Definition der Patienten, die von einer Transplantation profitieren, ist der Schlüssel zur Optimierung der CML-Behandlung. Dr. Craddock stellte die folgenden Kriterien für die Erwägung einer Stammzelltransplantation in Abhängigkeit der Phase der CML-Erkrankung auf:

CML-Patienten in chronischer Phase

  • Versagen des Erstlinien-TKI und prognostiziertes schlechtes Ansprechen auf den Zweitlinien-TKI
  • Versagen des Erst- und Zweitlinien-TKI
  • Gegenwart einer T315I-Mutation und/oder Versagen von Ponatinib

CML-Patienten in fortgeschrittener Phase

  • Noch nicht mit TKI behandelt
  • Noch nicht mit TKI behandelt und suboptimalem Ansprechen auf TKI

CML-Patienten in der Blastenkrise

Die zusätzliche Gabe von Spenderlymphozyten ergibt dauerhafte molekulare Remissionen bei 30%-90% bei Patienten, die in erster chronischer Phase transplantiert wurden. Dabei gibt es weniger Komplikationen durch Abstossungen, wenn Spenderlymphozyten 12 Monate nach der Abstossung oder später gegeben werden. Die Behandlung mit TKI nach einer Transplantation kann ein vollständiges molekulares Ansprechen bei bis zu 60% der Patienten mit Rückfällen ergeben – wiederum ist das am wirksamsten, wenn in der ersten chronischen Phase transplantiert wurde.

Bei Patienten, die in einer fortgeschrittenen Phase der CML transplantiert wurden, scheint die Wirkung des Transplantates gegen die Leukämie vernachlässigbar zu sein, und dann  ergibt auch die Monotherapie mit TKI bei den meisten Patienten kein dauerhaftes Ansprechen.

Die Behandlungsergebnisse von Patienten in aktiver Blastenkrise sind immer noch sehr schlecht. Wenn sie alleine mit TKI behandelt werden, beträgt das 5-Jahresüberleben etwa 10%, während die Kombination von TKI in Kombination mit einer allogenen Stammzelltransplantation das überleben auf etwa 47% erhöht. Deshalb ist die Strategie der Behandlung, den Patienten aus der Blastenkrise zurück in eine zweite chronische Phase zu bringen, um dann eine heilende Transplantation durchführen zu können. In einer myeloischen Blastenkrise wird die Kombination von TKI mit der Induktionschemotherapie vorgeschlagen. Die Auswahl des TKI sollte mittels Mutationsanalysen vorgenommen werden. Bei einer lymphoiden Blastenkrise kann eine HyperCVAD-Therapie zusammen mit Imatinib oder Dasatinib empfohlen werden.

Weil ungefähr 30%-70% nach allogener Stammzelltransplantationn einen Rückfall erleiden, schlug Dr. Craddock vor, dass in den ersten 3 Jahren nach derTransplantationn eine molekulare Überwachung zwingend durchzuführen sei.

Zusammengefasst ist das die Strategie, die Ergebnisse der Transplantation für CML-Patienten zu verbessern:

  1. Reduktion der Tumorlast vor der Transplantation
  2. Optimierung des Konditionierungsverfahrens für den Patienten
  3. Optimierung der Wirkung des Transplantates gegen die Leukämie durch Minimierung der Immunsuppression, und Beherrschung von Rückfällen durch die Verzögerung der Wirkungen des Transplantates gegen die Leukämie, bis die Toxizität des Transplantates reduziert ist.
  4. Anwendung einer wirksamen Rettungsbehandlung mit Spenderlymphozyteninfusionen und TKI.

Weitere Quellen:

 

 

Jan Geissler, 4. Dezember 2018
Übersetzt ins Deutsche durch Niko