- Published on 21.07.2010, 19:36
- Von Jan Geissler
Ärzte debattieren, ob sie Patienten mit Lymphomen und Leukämien wieder gesund machen können. Wie ist jedoch der von Pharmaunternehmen bezeichnete Durchbruch in der Leukämietherapie zu bewerten? Ein Artikel der Süddeutschen Zeitung beleuchtet einige Aspekte der aktuellen Diskussion der
NHL- und CLL-Therapie in Fachkreisen.
Originaltext "An der Grenze zur Heilung" der Süddeutschen Zeitung vom 27.01.2004:Vorsicht ist geboten, wenn Pharmafirmen und Mediziner das D-Wort benutzen. D wie Durchbruch. Was ist ein "Durchbruch" bei der Therapie einer bislang unheilbaren Krankheit? Reicht es, dass "signifikant mehr" Patienten auf eine neue Kombinationsbehandlung "ansprechen", dass das "krankheitsfreie Intervall" messbar zunimmt oder die Zahl entarteter Zellen sich halbiert?
Solche Fragen bewegen derzeit vermehrt die
Hämatologen, jene Spezialisten also, die sich mit Krebserkrankungen des Lymphsystems und des Bluts befassen. Auf Fachkongressen wie in der vergangenen Woche auf Schloss Elmau oder kürzlich bei der American Society of Hematology (
ASH) im kalifornischen San Diego scheint die Angst der Zuversicht zu weichen. Das Bedürfnis, die eigenen Erfolge zu verkünden, gewinnt ? besonders in der Pharmaindustrie ? die Oberhand gegenüber der Sorge, unberechtigte Hoffnungen zu wecken.
"Lymphome sind heilbar - Neue Therapie kann jährlich 1000 Menschenleben retten", verkündete beispielsweise das Unternehmen Hoffman-La Roche und meldete schon im Juni vergangenen Jahres den "Durchbruch" bei der Behandlung des aggressiven Non-Hodgkin-Lymphoms (
NHL). Mit nur acht Infusionen des
monoklonalen Antikörpers Rituximab könne der Anteil der "geheilten" Patienten bei dieser häufigen Form des Lymphdrüsenkrebs um rund die Hälfte gesteigert werden. Heilung wird hier allerdings gleichgesetzt damit, drei Jahre nach der Behandlung noch am Leben zu sein. In der Tat stagnierte die Wahrscheinlichkeit dafür ein Vierteljahrhundert lang bei etwa 33 Prozent. Erst als man zusätzlich zur
Chemotherapie den
Antikörper Rituximab gab, stieg der Anteil der Überlebenden nach drei Jahren auf 53 Prozent. Dies bestätigte auf der
ASH-Tagung erneut der Leiter einer französischen Studie, Félix Reyes.
Fast ebenso häufig wie die "aggressive" Form des
NHL sind so genannte indolente Lymphome mit langsamer Zellteilung und Verbreitung im Körper. "Beim indolenten
Non-Hodgkin-Lymphom gibt es bisher kein etabliertes Verfahren, das eine Heilung verspricht", sagt Wolfgang Hiddemann, Direktor der medizinischen Klinik III am Klinikum der Universität München. Dennoch hätten deutsche
Hämatologen hier ebenfalls einen "Meilenstein" gesetzt: In einer viel beachteten Studie mit 800 Patienten verbesserte wiederum Rituximab das krankheitsfreie Überleben nach drei Jahren auf 70 Prozent, gegenüber 40 Prozent bei Versuchsteilnehmern, die lediglich eine
Chemotherapie erhalten hatten. Zum gleichen Zeitpunkt waren 95 Prozent derjenigen Probanden am Leben, die eine Kombinationsbehandlung bekommen hatten, aber "nur" 85 Prozent mit alleiniger
Chemotherapie; viele hatten jedoch
Symptome.
Noch ist offen, ob diese Zahlen eine "Heilung" bedeuten. "Dazu müssten die Lebenserwartung dieser Patienten ebenso groß sein wie die von nicht erkrankten Altersgenossen", versucht sich Hiddemann an einer Definition. Dies werde man allerdings erst in acht bis zehn Jahren beantworten können.
Neben der seit 18 Jahren von Hiddemann geleiteten German Low Grade Lymphoma Study Group haben sich hierzulande weitere Forschungsverbände zum aggressiven
NHL sowie zum Hodgkin-Lymphom etabliert. Gemeinsam behandeln diese Netzwerke etwa ein Fünftel der deutschen Lymphompatienten im Rahmen
klinischer Studien - ein Anteil, der viermal so groß ist wie bei anderen Krebserkrankungen.
"Das Wort Heilung überlasse ich den Ärzten", sagt Anita Waldmann, Vorsitzende der "Deutschen Leukämie- & Lymphom-Hilfe" und Mutter eines mit 27 Jahren an Blutkrebs verstorbenen Sohnes. Auf jeden Fall seien die
Antikörper ein "Meilenstein" der Therapie, weil sie vergleichsweise wenig Nebenwirkungen verursachten. Jedoch müsse man bedenken, dass das indolente
NHL eine Fülle unterschiedlicher Erkrankungen umfasst, darunter auch solche, bei denen sich
Antikörper noch bewähren müssen.
Wo genau die Grenzlinie zwischen Fortschritt und Heilung verläuft, ist unter Experten umstritten, wie die Diskussion dieser Konzepte bei der
Chronisch Lymphatischen Leukämie (CLL) verdeutlicht, dem häufigsten Blutkrebs in westlichen Ländern. Hier konnte man mit der bislang üblichen
Chemotherapie ? etwa mit der Substanz Fludarabin ? bei einem Drittel der Betroffenen eine "vollständige
Remission" erzielen. Dieses Kriterium galt als erfüllt, wenn die Patienten nach der Therapie keine Krankheitszeichen mehr aufwiesen, die
Lymphknoten nicht tastbar waren und die Zahl der Blutzellen im
Knochenmark sich innerhalb "normaler" Grenzwerte bewegte.
Mit den weitaus empfindlicheren Methoden der Molekularbiologie finden Ärzte fast immer entartete Zellen in Blut oder Rückenmark. Diese Patienten sind streng genommen nicht geheilt, auch wenn viele von ihnen fünf Jahre und länger keinerlei Beschwerden haben. Einige der neuesten Studien, die auf dem US-Hämatologenkongress präsentiert wurden, zielten deshalb nicht auf die
Remission, sondern auf die vollständige Beseitigung der verbliebenen Krebszellen. Dies lässt sich im Gegensatz zur einfachen
Chemotherapie offenbar mit dem
Antikörper Alemtuzumab erreichen, betonten Experten auf einer Veranstaltung der Firma Schering, die diesen
Antikörper in Deutschland vertreibt. Bei etwa der Hälfte von 58 Patienten, die bereits eine
Chemotherapie hinter sich hatten, beseitigte Alemtuzumab nach spätestens acht Wochen die "
minimale Resterkrankung", berichtete auf der
ASH-Tagung Susan O?Brien von der Universität Texas.
"Wir hoffen, dass das einer Heilung gleichkommt", sagte die Hämatologin vorsichtig. Für Patienten, die an dieser Grenze stehen, könnten so genannte Radioantikörper einen noch größeren Anteil der Resterkrankung beseitigen. Mehr noch als von "nackten" Antikörpern wie Rituximab erhoffen sich viele Mediziner von diesen Präparaten, die als Anhängsel radioaktive Moleküle tragen. Als erster Radioantikörper in Europa wurde vergangene Woche Ibritumomab zugelassen, dessen Fracht aus Yttrium besteht. Statt den ganzen Körper zu bestrahlen, verbindet Ibritumomab sich mit den Blutzellen und setzt 90 Prozent seiner Strahlungsenergie in einem Umkreis von fünf Millimetern frei.
Das Mittel darf zwar erst eingesetzt werden, wenn andere Präparate nicht mehr wirken. Dennoch erwartet man binnen drei Jahren einen Spitzenumsatz von rund 50 Millionen Euro, verbreitete die Firma Schering gestern in einem Webcast aus London. Unterdessen hat Roche beantragt, Rituximab beim indolenten Lymphom nicht erst nach Rückfällen einsetzen zu dürfen, sondern in Kombination mit einer
Chemotherapie schon für die Erstbehandlung der Patienten. Über 300 000 Kranken haben dieses Mittel bislang erhalten; mit einem Umsatz von jährlich rund zwei Milliarden Dollar hält Roche damit den Löwenanteil an diesem ständig wachsenden Markt.
Hans-Jochem Kolb, glaubt, dass ihm die Arbeit dennoch nicht ausgehen wird. Der Spezialist für Knochenmarkstransplantationen an Hiddemanns Klinik in München muss oftmals eingreifen, wenn alle anderen Therapien versagt haben. Auch Kolb hätte eine "Heilungschance von 80 bis 90 Prozent" zu bieten, wenn die Methode schon sehr früh zum Einsatz käme. Die restlichen zehn bis 20 Prozent allerdings würden für diesen radikalen Eingriff mit ihrem Leben bezahlen.
Quelle: Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 27.01.2004 Minimale Resterkrankung
Eine Art von tiefer Remission bei CML, bei der BCR-ABL dennoch mittels PCR nachweisbar ist
Non-Hodgkin-Lymphom
Unter Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) wird eine Gruppe von malignen Tumoren des lymphatischen Systems mit ganz unterschiedlichem Malignitätsgrad zusammengefasst. Histologisch sind die NHL durch eine follikuläre oder diffuse Proliferation maligner lymphatischer Zellen, vorwiegend B-Zellen, charakterisiert. Unterscheidet sich im Zellbild vom Hodgkin- Lymphom.
Transplantation
Übertragung von Gewebe. Für die Transplantation können eigene Zellen autologe T. oder fremde Zellen allogene T. verwandt werden.
Chemotherapie
Wird häufig mit Zytostatikabehandlung gleichgesetzt. Unter Chemotherapie versteht man aber auch die Behandlung mit Antibiotika. Zytostatika sind Medikamente, die die Zellvermehrung oder das Zellwachstum hemmen.
Nebenwirkung
Unerwünschte Begleiteffekte einer Therapie, besonders bei Chemotherapien begrenzen Nebenwirkungen die maximal verträgliche Dosis.
Knochenmark
Das Innere der großen Knochen - vor allem des Hüftknochens und des Oberschenkels. Dort werden die Blut- und Immunzellen gebildet. Das Knochenmark bildet sich ständig neu.
Antikörper
Von Immunzellen (B-Lymphozyten) gebildete Proteine, die gezielt Strukturen (Antigene) auf der Oberfläche von Krankheitserregern, Zellen oder Molekülen erkennen und sich an sie binden. Antikörper dienen dem Immunsystem zur Erkennung und Zerstörung von Erregern oder abnormen Zellen.
Lymphknoten
Kleine, etwa bohnenförmige Organe, die im ganzen Körper entlang der Lymphbahnen angeordnet sind. Sie beherbergen weiße Blutkörperchen (besonders Lymphozyten) mit wichtigen Abwehrfunktionen und dienen als Filter für Bakterien und auch für Krebszellen.
Hämatologe
Arzt, der sich auf Erkrankungen des Blutes, darunter auch Leukämien, spezialisiert hat (Der Wortstamm „Häm-" kommt aus dem Griechischen und "bedeutet „Blut")
monoklonal
von einem einzigen, genetisch identischen Zell-Klon ausgehend oder gebildet
Remission
Vorübergehende oder dauerhafte Rückbildung von Krankheitszeichen. Bei Krebs: Partielle Remission = teilweises Verschwinden oder Verkleinerung von Krebszellen, komplette Remission = keine Krebszellen nachweisbar
chronisch
langanhaltend, sich langsam entwickelnd
indolent
nicht schmerzhaft
Symptom
Krankheitszeichen (griechisch Zufall, Begebenheit, Begleiterscheinung)
Klon
Meist Zellklon gemeint. Gruppe von genetisch identischen Zellen, die alle durch Teilung aus einer einzigen Mutterzelle hervorgegangen sind und identische Merkmale haben
Gen
Informationseinheit des Erbgutes, enthält meist den Bauplan für ein Protein. Die Gene liegen im Zellkern in Form von DNS vor.
DLI
Gabe von Spenderlymphozyten nach rezidivierter allogener Stammzelltransplantation (DLI = Donor Lymphocyte Infusion)
ASH
Amerikanische Gesellschaft für Hämatologie (engl. American Society of Hematology). Oftmals wird ASH als Synonym für den jedes Jahr im Dezember stattfindenden Jahreskongress der Gesellschaft verwendet.
CHR
Komplette hämatologische Remission (complete haematologic response).
ELN
Das Europäische Leukämie Netz ist eine von der EU finanzierte Organisation bestehend aus Medizinern, Wissenschaftlern und Patienten aus dem Leukämie-Bereich, das zum Ziel hat, die Behandlung von Leukämie-Erkrankungen zu verbessern, Wissen zu generieren und dieses Wissen in Europa zu verbreiten.
Arm
= Behandlungsgruppe. Eine klinische Studie ist einarmig, wenn es nur eine Behandlungsgruppe und keine Kontrollgruppe gibt. In den meisten Studien gibt es zwei oder mehr Arme.
Monoklonaler Antikörper
Antikörperpräparation, die nur eine einzige Struktur erkennt. Monoklonale Antikörper werden im Labor mit Hilfe von unsterblich gemachten Immunzellen gebildet, die einer einzelnen Vorläuferzelle entstammen. Gleichartige Nachkommen eines einzelnen Vorläufers nennt man Klon.
Monoklonaler Antikörper
Antikörperpräparation, die nur eine einzige Struktur erkennt. Monoklonale Antikörper werden im Labor mit Hilfe von unsterblich gemachten Immunzellen gebildet, die einer einzelnen Vorläuferzelle entstammen. Gleichartige Nachkommen eines einzelnen Vorläufers nennt man Klon.
Minimale Resterkrankung
Eine Art von tiefer Remission bei CML, bei der BCR-ABL dennoch mittels PCR nachweisbar ist
Non-Hodgkin-Lymphom
Unter Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) wird eine Gruppe von malignen Tumoren des lymphatischen Systems mit ganz unterschiedlichem Malignitätsgrad zusammengefasst. Histologisch sind die NHL durch eine follikuläre oder diffuse Proliferation maligner lymphatischer Zellen, vorwiegend B-Zellen, charakterisiert. Unterscheidet sich im Zellbild vom Hodgkin- Lymphom.
Klinische Studie
Wissenschaftliche Forschungsarbeit zur Behandlung von Krankheiten beim Menschen nach strengen medizinischen und ethischen Regeln
Transplantation
Übertragung von Gewebe. Für die Transplantation können eigene Zellen autologe T. oder fremde Zellen allogene T. verwandt werden.
Lymphatisches
Gesamtheit der lymphatischen Gewebe wie Lymphknoten, Milz, Thymus, Mandeln, anatomische Grundlage des Immunsystems
Hämatologe
Arzt, der sich auf Erkrankungen des Blutes, darunter auch Leukämien, spezialisiert hat (Der Wortstamm „Häm-" kommt aus dem Griechischen und "bedeutet „Blut")
monoklonal
von einem einzigen, genetisch identischen Zell-Klon ausgehend oder gebildet
monoklonal
von einem einzigen, genetisch identischen Zell-Klon ausgehend oder gebildet
Symptom
Krankheitszeichen (griechisch Zufall, Begebenheit, Begleiterscheinung)
Gen
Informationseinheit des Erbgutes, enthält meist den Bauplan für ein Protein. Die Gene liegen im Zellkern in Form von DNS vor.
Gen
Informationseinheit des Erbgutes, enthält meist den Bauplan für ein Protein. Die Gene liegen im Zellkern in Form von DNS vor.
Gen
Informationseinheit des Erbgutes, enthält meist den Bauplan für ein Protein. Die Gene liegen im Zellkern in Form von DNS vor.