Hallo Friedrich,
schön, dass du den Weg hierher gefunden hast.
Zunächst einmal hätte ich ein paar Fragen an dich, um deine Situation besser einschätzen zu können.
Hat dein Arzt etwas dazu gesagt, in welchem Stadium die Krankheit bei dir ist und wie das Risiko eingeschätzt wird? Z.B. anhand der Leukozyten-Skalen oder eines Scores.
Bei den meisten Patienten wird die CML ja recht früh diagnostiziert und die Entwicklung ist in der chronischen Phase sehr langsam.
Meine Frage zielt darauf ab, wie lange man sich Zeit nehmen kann mit dem Therapiebeginn und somit auch der Entscheidung.
Wenn du männlich bist (was dein Name vermuten lässt) und nicht ausschließt, dass du noch einmal Kinder bekommen willst, solltest du außerdem darüber nachdenken, vor Therapiebeginn Spermien einzufrieren. Das sollte in Fällen wie deinem (neu diagnostizierte Leukämie) kurzfristig möglich sein. Das Thema hat man zu Therapiebeginn nicht unbedingt auf dem Schirm. Zwar kann man trotz TKI-Therapie Kinder zeugen, es wird aber eigentlich nicht empfohlen (die Diskussion ist kompliziert). Außerdem weiß man ja nie, ob man nicht doch irgendwann eine andere Therapie braucht. Daher ist es u.U. sinnvoll, diese Option auch zu haben.
Beides hängt damit zusammen, wann du mit der Therapie beginnst. Ich meine, von Ärzten gehört zu haben, dass so viel Zeit in der Regel ist. Das kannst du ggf. auch deinen Arzt fragen. Natürlich sollte man trotzdem nicht trödeln und bald anfangen, der CML zu Leibe zu rücken.
Hinsichtlich deiner Unsicherheit kann ich nur versuchen, dich zu beruhigen: Die meisten Patienten kommen mit dem Medikamenten gut klar und haben eine hohe Lebensqualität. Natürlich haben die Medikamente Nebenwirkungen, aber die sind in aller Regel handhabbar. (Ich persönlich habe 2 Jahre Nilotinib genommen und davon, abgesehen von den lästigen Fastenzeiten, gar nichts gemerkt.)
Wie Niko schon andeutete, sind Vorerkrankungen ein wichtiger Faktor bei der Wahl der Therapie. Das sollte der Arzt berücksichtigen. (Einfache Empfehlungen gibt es hier soweit ich weiß bislang nicht.)
Es gibt ja aktuell 3 für die Behandlung der CML in Erstlinie zugelassene TKI. Weitere Medikamente stehen parat, wenn es Probleme gibt (hinsichtlich Ansprechen oder Nebenwirkungen).
Es spricht aus meiner Sicht viel für die Zweitgenerations-TKI Nilotinib (Tasigna) und Dasatinib (Sprycel). Diese Medikamente sind eben wirksamer als Imatinib (Glivec). Wir haben ja heute die Hoffnung, nicht dauerhaft die Tabletten schlucken zu müssen. Die Chancen, die Therapie später absetzen zu können, sind bei den neueren Medikamenten soweit ich weiß höher.
Bei den Nebenwirkungen habe ich das Gefühl: Imatinib ist zwar für viele "unangenehm", aber nicht viele "schleichende" Nebenwirkungen, die sich erst nach längerer Einnahme zeigen. Dagegen merkt man von Dasatinib und Nilotinib zunächst oft wenig, aber nach längerer Einnahme gibt es manchmal auch schwerere Nebenwirkungen. Wenn man auf Dauer nicht absetzen kann, ist daher eine Umstellung auf Imatinib evtl. auch eine Option (die ich auch persönlich in Betracht ziehe, sollte ich wieder Medikamente brauchen).
Ganz wichtig ist deshalb, dass es jederzeit möglich ist, die Therapie zu wechseln. Eine Therapieentscheidung gilt nur so lange, bis man sich wieder anders entscheidet...
Bei mir persönlich war es so, dass ich 2013 auch wegen meines Kinderwunschs an der TIGER-Studie teilgenommen habe. Dort ist das Absetzen so früh wie sonst nirgends möglich. Ich war nicht so mutig, unter TKI ein Kind zu zeugen, aber hatte in "meinem" Studienarm nur 2 Jahre Nilotinib. Mittlerweile bin ich seit 2 Jahren TKI-frei, seit einem Jahr komplett ohne Therapie und das Baby ist auch schon ein Jahr alt
Ich denke, dass man auf jeden Fall zunächst schauen muss, ob es klare (subjektive, also auf dich bezogene) Argumente für oder gegen eine bestimmte Therapie gibt. Allgemein kann man durchaus sagen, dass alle 3 Optionen sehr gute Optionen sind.
Wenn man die Optionen vorsortiert hat, kann man nach Studien schauen.
Wenn möglich, ist die Teilnahme an einer Studie grundsätzlich eine gute Sache, aus den von den anderen beschriebenen Gründen.
Für die Erstlinie kommen aus meiner Sicht primär DasaHIT (für Dasatinib) und TIGER (für Nilotinib, soweit ich weiß ist die Studie noch bis zum Monatsende offen) in Frage.
Aber, wie gesagt, das sollte nicht unbedingt das ausschlaggebende Argument bei der Therapiewahl sein. Wenn es allerdings sonst keine wirklichen Argumente gibt, kann man das auch gelten lassen
Ich hoffe, dir mit meinen Gedanken mehr zu helfen als dich zu verwirren.
Und natürlich, dass du eine gute Entscheidung triffst und dass es dann klappt und wirkt wie erhofft!
Viele Grüße
Jonathan (ebenfalls CML-Patient und medizinischer Laie)
PS: Dass der Patient die Therapieentscheidung selbst trifft (natürlich gemeinsam mit dem Arzt, der formell die Verantwortung für die Behandlung hat), finde ich übrigens konsequent. Es geht um uns, und wir müssen mit diesen Entscheidungen leben. Wir müssen nur die Informationen haben, um die Entscheidungen zu treffen. Dafür haben wir ja das Forum...