Hallo Pathilde
vielen Dank für Deine beiden Beiträge. Dein erster hing leider aus technischen Gründen fest und ich habe ihn erst eben freigeben können - tut mir leid, dass Du Dir die Arbeit des Beitrags zweimal gemacht hast.
Als internationale Patientengemeinschaft beobachten wir die Situation mit Generika seit einiger Zeit schon sehr genau. Im Moment ist es so, dass in 10 EU-Ländern, vor allem osteuropäischen, mehrere Generika-Versionen von Imatinib zugelassen sind. Dies trifft nicht auf Deutschland und die meisten westeuropäischen Länder zu, weil dort das Glivec-Patent noch bis 2016 läuft, während in Lettland, Polen und anderen Ländern das Patent bereits 2013 ausgelaufen ist. Allerdings, wie Du richtig sagst, ist die EMA-Zulassung für TEVA-Imatinib etc. nur für Einsatz bei Kindern (pediatrische CML) und für CML in Blastenkrise - dies hat rein rechtlich-regulatorische, aber keine medizinischen Gründe. Es dürfte demnach bei Erwachsenen nicht eingesetzt werden, es kann aber leider sein, dass sich das polnische Gesundheitssystem darüber hinwegsetzt, um Kosten zu sparen.
Die Imatinib-Generika haben EMA-Zulassung auf Basis von Bioäquivalenzstudien. Dabei wird nicht nur angenommen, dass diese bioäquivalent sind, sondern gesunde Probanden erhalten das Arzneimittel und es wird geprüft, ob derselbe Wirkspiegel des aktiven Wirkstoffs (in dem Fall Imatinib) im Blutplasma erreicht wird wie beim Originalpräparat. Stimmt dies in einem engen Toleranzbereich überein, nimmt man an, dass die Arzneimittel ebenbürtig sind und als Generikum verkauft wird. Dies ist zwar eine neue Situation bei CML, aber ist schon seit vielen Jahren in anderen Erkrankungsarten tägliches Geschäft, da für sehr viele nicht mehr patentgeschützte Wirkstoffe Original- und Generikapräparate verfügbar sind. Ein Beispiel ist ja zum Beispiel die bekannte blaue Pille für Männer.
In Nicht-EU-Ländern wie Serbien und Mazedonien, wo die Vorschriften nicht dem recht strengen Rahmen der EMA entsprechen, werden dagegen weniger qualitätskontrollierte "Kopien", teilweise aus indischer Produktion, eingeführt. Dortige CML-Patienten sind verständlicherweise sehr beunruhigt. Ärzte dort, wie z.B. ein Kliniker in Belgrad, mit dem ich dort in Kontakt stehe, beobachtet die Ansprechraten von Patienten unter Glivec und Patienten unter generischem Imatinib, sowie mögliche Veränderungen nach dem Wechsel von einem zum anderen, aber Ergebnisse stehen noch aus.
Um auf Deine Fragen zurückzukommen - die Erstattung von Arzneimitteln hängt maßgeblich vom Gesundheitssystem in jeweiligen Land (z.B. Polen) ab und es kann gut sein, dass das Gesundheitssystem einen zu dem Wechsel zwingen kann, wenn man selbst nicht die Kosten des Originalpräparats tragen möchte. Ich weiss, dass die polnischen CML-Patientengruppen diesbezüglich momentan in Aufruhr sind, ich sprach erst Anfang April mit einem von dessen Vertretern darüber, als ich im Warschau war.
Ich selbst glaube aber eigentlich nicht (dies ist meine subjektive Sicht), dass von den Imatinib-Generika mit EMA-Zulassung Gefahren ausgehen, da die EMA-Kritierien an Arzneimittelzulassung, die ja nicht nur Bioäquivalenz, sondern auch Produktionsbedingungen, Distributionslogistik, Arzneimittelsicherheit/Pharmakovigilanz usw. beurteilt, recht streng sind. Im Gegensatz zu Arzneimittelkopien unbekannter Herkunft kann man bei EMA-zugelassenen Medikamenten über vertrauenswürdige, staatlich kontrollierte Distributionswege meiner Ansicht davon ausgehen, dass die Generika dem Original ebenbürtig sind. In all diesen Medikamenten ist die entsprechende Menge Imatinib und eine Tablettenzusammensetzung, die die Aufnahme des Wirkstoffs in gleicher Höhe ermöglichen. Es werden im Imatinib-Produktionsprozess bei verschiedenen Herstellern verschiedene kristalline Formen (sogenanntes Alpha und Beta-Kristall) hergestellt, aber nach allem, was ich gehört habe, betrifft dies vor allem die Haltbarkeit von Imatinib (geringer bei den Generika mit Beta-Kristall), aber nicht die Wirksamkeit. Es ist in dem Umfeld auch im Moment politisch auch deswegen ein Minenfeld, weil man nicht weiss, was wirklich Fakt ist und was vom Originalhersteller, was vom Generikahersteller behauptet wird. Daher bin ich bei dem Thema recht vorsichtig in der Urteilsbildung, denn es wird nur wenig konkretes Papier auf allen Seiten veröffentlicht. Als Patienten müssen wir uns für Qualität, aber nicht für Marken einsetzen.
Wir haben aus dem Grund aber bei unserer nächste Woche stattfindenden globalen CML-Patientenkonferenz CML Horizons einen Pharmakologen, eine Ärztin aus China, einen Arzt aus Serbien, und eine Patientenvertreterin aus Canada (die auch schon seit etwa einem Jahr offizielle Imatinib-Generika haben) eingeladen, uns über das Thema Generika bei CML, deren Sichtweise und Erfahrungen zu berichten.
Im Falle Deines Onkels würde ich auf jeden Fall empfehlen, in Kontakt mit der polnischen Patientenorganisation SPBS zu treten, da sich diese momentan aus verständlichen Gründen sehr intensiv mit dem Generika-Thema auseinandersetzt. Und ab 2016 wird es uns auch in Deutschland beschäftigen.
Hier noch ein paar Links, die Dich interessieren könnten, falls Dein Englisch gut ist:
Unsere "CML Horizons 2013"-Konferenz, die ich mitorganisiert habe - dort ist ein Webstream einer Referentin der WHO zum Thema Generika und Arzneimittelkopien, einer Patientenvertreterin aus Serbien, sowie einer Präsentation von mir zu unserer globalen Umfrage zu CML-Generika:
"Ideal World vs. Reality: New Challenges with Substandard Drugs & Generics"
Du findest diese in unserem (englischen) "Wissens- und Resourcen-Center für CML-Generika", das wir letztes Jahr aufgebaut haben. Die inoffizielle CML-Generika-Datenbank enthält auch Links zu den von der EMA zugelassenen Generika. Außerdem listen wir dort alle Publikationen, die wir zur Bioäquivalenz von CML-Generika bisher finden konnten:
Siehe
http://www.cmladvocates.net/generics
Die zwei polnischen CML-Patientenorganisationen findest Du hier:
http://www.cmladvocates.net/cml-groups-list
Wenn Du in der EMA-Datenbank nach dem "Active Ingredient" (INN) Imatinib suchst, findest Du die Informationen zu den vier Imatinib-Generika, die bisher EMA-Zulassung haben.
http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp? ... e=generics
Ich hoffe, das hilft etwas, auch wenn es eine komplizierte Antwort auf eine komplizierte Frage geworden ist
Viele Grüße
Jan