2020 03 09 18 02 12 Hochhaus et al 2020 Leukemia.pdf Adobe Acrobat Pro 2017Die therapeutische Landschaft zur Behandlung der chronischen myeloischen Leukämie (CML) hat sich in den vergangenen Jahren rasant entwickelt. Nachdem 2006 die ersten Therapieempfehlungen von einem Expertenteam des Europäischen Leukämie-Netzes (ELN) veröffentlicht wurden, gab es 2009 und 2013  weitere Update s[1,2]. An diesen Empfehlungen orientierten sich Hämatologen bei der Behandlung ihrer Patienten. Die Fortschritte bei der Behandlung der CML, insbesondere in Bezug auf Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI), erfordern eine regelmäßige Aktualisierung der Konzepte und des Managements. Anfang 2020 wurde nun eine erneute Anpassung dieser Behandlungsempfehlungen in dem renommierten wissenschaftlichen Journal „Leukemia“ mit freiem Zugang für alle Interessierten veröffentlicht ([3], siehe auch komplette Übersetzung der ELN-Therapieempfehlungen auf Leukämie-Online).

CML hat sich dank hochwirksamer Medikamente von einer in früheren Jahren immer tödlich verlaufenden zu einer chronischen Erkrankung entwickelt. Weil heute verschiedene TKI verfügbar sind, haben sich die Behandlungskonzepte weiterentwickelt und so können nach einer CML Diagnose individuelle Therapieziele definiert und die Therapie individuell angepasst werden. Dabei spielen beispielsweise Alter, Begleiterkrankungen, Kinderwunsch und in zunehmendem Maß die Lebensqualität eine wichtige Rolle. Dementsprechend wurde ein neuer Risikoscore eingeführt und die Meilensteine des Therapieansprechens wurden strenger definiert. Mit welchem TKI die CML Therapie begonnen wird, sollte sich an diesen Kriterien orientieren.

Während in den Empfehlungen von 2013 vor allem die Daten verschiedener Studien ausgewertet und auf dieser Grundlage Therapieempfehlungen erarbeitet wurden, gehen die Autoren 2020 in der neuen Version in eine detailliertere Diskussion der Therapiemöglichkeiten auf der Grundlage neuer Erkenntnisse und persönlicher Erfahrungen der Mitglieder des Panels. Unser Mitglied Conny hat hier die Veränderungen der ELN-Therapieempfehlungen von 2013 auf 2020 gegenübergestellt.

Erstlinientherapie und Diagnostik

Nach den Richtlinien von 2013 standen für die Erstlinientherapie Imatinib, Nilotinib oder Dasatinib zur Verfügung. 2020 wurden die ELN-Empfehlungen um generisches Imatinib und Bosutinib ergänzt und das generische Imatinib als Alternative zu Glivec empfohlen. Welche diagnostischen Untersuchungen bei der Diagnose erforderlich sind, wird in dem aktualisierten Dokument ausführlicher beschrieben als noch 2013:

  • zytogenetische Untersuchung des Knochenmarks
  • Chromosomenanalyse
  • FISH (Fluoreszenz in situ Hybridisierung) im Fall von Ph-Negativität
  • qualitative PCR (Polymerase-Kettenreaktion) mit Bestimmung des BCR-ABL-Transkript-Typs
  • körperliche Untersuchung unter der besonderen Berücksichtigung von Milz- und Lebergröße
  • Elektrokardiogramm (EKG)
  • Erstellen eines Differentialblutbildes mit mikroskopischer Differenzierung
  • Erstellen eines biochemischen Standardprofils mit Hepatitis B-Serologie

Risikoscores

Anhand einfacher klinischer und hämatologischer Daten wird CML zum Diagnosezeitpunkt verschiedenen Risikogruppen zugeordnet. Durch diese Zuordnung kann eine Vorhersage auf das Ansprechen der Therapie und das Überleben getroffen werden. 2013 nutzte man die prognostischen Scores Sokal, Euro oder EUTOS. Seit die Mehrzahl der Patienten durch die effektive Behandlung mit TKI und dem Erreichen stabiler Remissionsraten meist an anderen Erkrankungen als an CML verstirbt, wurde ein neuer Risikoscore entwickelt. Er berücksichtigt, zusätzlich zu den Parametern der anderen Scores, die Wahrscheinlichkeit an CML im Zeitalter der TKI zu versterben. Um das Verlaufsrisiko der Erkrankung nach der Diagnose CML in chronischer Phase zu bewerten, empfehlen die Autoren 2020 als Ausgangsbasis nun die Anwendung des neuen ELTS-Scores (EUTOS Long Term Survival Score). Die Unterteilung der Patienten in Niedrigrisiko-, Mittel- und Hochrisikogruppen wird beibehalten.

In den Jahren bis zur Aktualisierung der Behandlungsempfehlungen wurden mehrere zusätzliche Risikofaktoren identifiziert, die das Ansprechen auf die TKI-Therapie und den Krankheitsverlauf beeinflussen. Mit Ausnahme der Beurteilung des Fasergehalts im Knochenmark in Biopsien und der bei Diagnose zusätzlich vorhandenen chromosomalen Veränderungen wurde jedoch bisher kein Weiterer validiert und als nützlich eingestuft. Zu den zusätzlichen chromosomalen Veränderungen (ACA, Additional Chromosomal Aberration) mit Hochrisiko gehören +8, ein zusätzliches Philadelphia-Chromosom (+Ph), i(17q), +19, -7/7q-, 11q23, oder 3q26.2 Aberrationen und komplexe Karyotypen. In der letzten Version der Empfehlungen von 2013 wurden ACAs als "Warnung" eingestuft. 2020 wird empfohlen, Patienten mit Hochrisiko-ACAs als Hochrisikopatienten zu behandeln.

Definition des molekularen Ansprechens

Die Behandlungsziele bei der chronischen myeloischen Leukämie (CML) in der chronischen Phase (CP) sind Progressionsvermeidung in die akzelerierte Phase (AP) oder Blastenkrise (BK), die Vermeidung unerwünschter Ereignisse (UE) und die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der Lebensqualität. Der wichtigste prognostische Faktor für das Erreichen dieser Ziele ist das Ansprechen auf die Therapie mit Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) zu bestimmten Zeitpunkten. Diese Meilensteine wurden 2013 für die Erst- und Zweitlinientherapie definiert und sind in Tabelle 1 und 2 dargestellt. Die aus der PCR resultierenden BCR-ABL1-Werte, die einen optimalen Therapieverlauf anzeigen bzw. die bei nicht Erreichen als Richtwerte für eine Therapieänderung dienen, wurden 2020 angepasst und sind nun übersichtlicher als 2013 dargestellt (Tabelle 4).:

Definition des Ansprechens auf alle TKI in der Erstlinientherapie (2013, alte ELN-Empfehlungen)

 

Optimal

Warnung

Versagen

bei Diagnose

-

Hochrisiko oder CCA/Ph+, major route

-

3 Monate

BCR-ABL1 ≤ 10% und/oder PH+ ≤ 35%

BCR-ABL1 > 10%

und/oder Ph+ 36-95%

Keine CHR und/oder Ph+ >95%

6 Monate

BCR-ABL1 < 1% und/oder PH+ 0

BCR-ABL1 1-10% und/oder Ph+ 1-35%

BCR-ABL1 > 10% und/oder Ph+ > 35%

12 Monate

BCR-ABL1 ≤ 0,1%

BCR-ABL1 > 0,1-1%

BCR-ABL1 > 1% und/oder PH+ > 0

danach und zu jeder Zeit

BCR-ABL1 ≤ 0,1%

CCA/Ph- (-7, or 7q-)

Verlust CHR,

Verlust CCyR,

Bestätigter Verlust der MMR*,

Mutationen,

CCA/Ph+

Die Definitionen sind die gleichen für Patienten in CP, AP und BP und gelten auch für die Zweitlinienbehandlung, wenn die Erstlinienbehandlung wegen Unverträglichkeit geändert wurde. Das Ansprechen kann entweder mit einem molekularen oder einem zytogenetischen Test beurteilt werden, aber wenn möglich, werden beide empfohlen. Zur Definition der Grenzen zwischen Optimum und Warnung sowie zwischen Warnung und Misserfolg wurden Grenzwerte verwendet. Da Grenzwerte Schwankungen unterworfen sind, wird bei zytogenetischen oder molekularen Daten, die nahe an den angegebenen Werten liegen, eine Wiederholung der Tests empfohlen. Wenn nach 12 Monaten eine MMR erreicht ist, kann die Reaktion alle 3 bis 6 Monate durch eine Echtzeit-quantitative Polymerase-Kettenreaktion (RQ-PCR) bewertet werden. Eine Zytogenetik ist nur im Falle eines Misserfolgs oder wenn keine standardisierten molekularen Tests verfügbar sind, erforderlich. Beachten Sie, dass die MMR (MR3,0 oder besser) optimal für das Überleben ist, dass aber wahrscheinlich ein tieferes Ansprechen für einen erfolgreichen Therapie-Stop erforderlich ist.

MMR: BCR-ABL1 ≤0.1% = MR3.0 oder besser; CCA/Ph+: klonale chromosomale Anomalie in Ph+ Zellen; CCA/Ph–, klonale chromosomale Anomalie in Ph- Zellen; CHR: vollständige hämatologische Remission; CCyr: vollständige zytogenetische Remission

*In 2 aufeinanderfolgenden Tests, davon einer mit einem BCR-ABL1 ≥1%.

Tabelle 1

Die in Tabelle 1 angegebenen Werte sind für die Erst- und Zweitlinienbehandlung gültig, wenn die Erstlinienbehandlung wegen Unverträglichkeit geändert wurde. Die Meilensteine des Ansprechens nach einem Wechsel wegen Versagens der Therapie mit Imatinib sind in den Empfehlungen von 2013 mit anderen Werten definiert (Tabelle 2).

Tabelle 2:
Definition des Ansprechens in der Zweitlinientherapie, wenn unter der Therapie mit Imatinib kein ausreichendes Ansprechen erzielt werden kann (2013, alte ELN-Empfehlungen)

 

Optimal

Warnung

Versagen

Bei Diagnose

-

Keine oder Verlust von CHR unter Imatinib oder fehlende CCyr auf den Erstlinien-TKI oder Hochrisiko

-

3 Monate

BCR-ABL1 ≤ 10% und/oder PH+ < 65%

BCR-ABL1 > 10%

und/oder Ph+ 65-95%

Keine CHR und/oder Ph+ > 95%

6 Monate

BCR-ABL1 < 10% und/oder Ph+ < 35%

Ph+ 35-65%

BCR-ABL1 > 10% und/oder Ph+ > 65% und /oder neue Mutationen

12 Monate

BCR-ABL1 < 1% und/oder Ph+ 0

BCR-ABL1 1-10% und/oder Ph+ 1-35%

BCR-ABL1 > 10% und oder PH+ > 35% und/oder neue Mutationen

Danach und zu jeder Zeit

BCR-ABL1 ≤ 0,1%

CCA/Ph- (-7, or 7q-) oder BCR-ABL1 > 0,1%

Verlust CHR,

Verlust CCyR oder PCyR,

Bestätigter Verlust der MMR*,

neue Mutationen,

CCA/Ph+

Diese Definitionen basieren hauptsächlich auf Daten, die für Nilotinib und Dasatinib gemeldet wurden, können aber vorläufig auch für Bosutinib und Ponatinib verwendet werden, bis mehr Daten verfügbar sind. Diese Definitionen können nicht auf die Bewertung des Ansprechens auf die Drittlinienbehandlung angewendet werden.

MMR: BCR-ABL1 ≤0.1% = MR3.0 oder besser; CCA/Ph+: klonale chromosomale Anomalie in Ph+ Zellen; CCA/Ph–, klonale chromosomale Anomalie in Ph- Zellen; CHR: vollständige hämatologische Remission; CCyr: vollständige zytogenetische Remission; PCyR: partielle zytogenetische Remission

*In 2 aufeinanderfolgenden Tests, davon einer mit einem BCR-ABL1 ≥1%.

 

Wie auch in den ELN-Empfehlungen von 2013 wird auch 2020 für die Definition des Ansprechens die Durchführung der PCR in einem nach internationalem Standard zertifizierten Labor vorausgesetzt. Die molekulare Ansprechrate muss nach der Internationalen Skala (IS) als Verhältnis der BCR-ABL1-Transkripte zu den ABL1-Transkripten oder zu anderen international akzeptierten Kontroll-Transkripten (z.B. Beta-Glucuronidase, GUSB) angeben werden (Tabelle 3).

Tabelle 3:
Erforderliche Anzahl an Referenzgenen zur Bewertung des molekularen Ansprechens

 

MMR

MR4

MR4.5

MR5

Minimale Anzahl des Referenzgen-Transkripts

10.000 ABL1ᵃ

24.000 GUSB

10.000 ABL1

24.000 GUSB

32.000 ABL1

77.000 GUSB

100.000 ABL1

240.000 GUSB

BCR-ABL1 Transkriptlevel nach ISᵇ

≤0,1%

≤0,01%

≤0,0032%

≤0,001%

ᵃ minimale Empfindlichkeit für genaue Quantifizierung

Internationale Skala, IS

 

Der Wert wird in BCR-ABL1 % auf einer logarithmischen Skala ausgewiesen. Dabei entspricht 1 %, 0,1 %, 0,01%, 0,0032% und 0,001% einer Reduktion um 2, 3, 4, 4,5 bzw. 5 Logstufen unter die in der IRIS-Studie standardisierten Basislinie (Tabelle 4).

Tabelle 4:
Meilensteine des Therapieansprechens 2020, BCR-ABL1% entsprechend IS

 

Optimal

Warnung

Versagen

Bei Diagnose

-

Hochrisiko ACA, Hochrisiko ELTS Score

-

3 Monate

BCR-ABL1 ≤ 10%

BCR-ABL1 > 10%

BCR-ABL > 10% falls bestätigt innerhalb von 1-3 Monaten

6 Monate

BCR-ABL1 ≤ 1%

BCR-ABL1 > 1-10%

BCR-ABL1 > 10%

12 Monate

BCR-ABL1 ≤ 0,1%

BCR-ABL1 > 0,1-1%

BCR-ABL1 > 1%

Danach und zu jeder Zeit

BCR-ABL1 ≤ 0,1%

BCR-ABL > 0,1-1%

Verlust ≤ 0,1% (MMR) ͣ

BCR-ABL1 > 1%, Resistenzmutationen, Hochrisiko ACA

Für Patienten, die eine TFR anstreben, ist die optimale Antwort (zu jeder Zeit) BCR-ABL1 ≤ 0,01% (MR4).

Eine Änderung der Behandlung kann in Erwägung gezogen werden, wenn die MMR nach 36-48 Monaten nicht erreicht ist.

TFR: Therapiefreie Remission; ACA: zusätzliche Chromosomenanomalien in Ph+ Zellen, ELTS Long Term Survival Score.

 ͣVerlust von MMR (BCR-ABL1 > 0,1%) deutet auf Versagen nach TFR hin

 

Kontrolle des Therapieansprechens

Zur Überwachung des Krankheitsverlaufs beziehen sich die Empfehlungen von 2013 auf 4 verschiedene Zeitpunkte während der Erkrankung:

  • bei Diagnose:
    • Chromosomenbänderungsanalyse (CBA) an Metaphasen aus Knochenmarkszellen
    • FISH (Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung) im Falle von Philadelphia-Chromosom-Negativität, um Varianten und kryptische Translokationen zu identifizieren
    • qualitative PCR zur Bestimmung des Trankripttyps
  • die Zeit während der Therapie:
    • Bestimmung des BCR-ABL1-Transkript-Levels nach IS mit quantitativer Echtzeit-PCR (QR-PCR)
      • alle 3 Monate, bis MMR erreicht wurde
      • danach alle 3-6 Monate
    • und/oder
      • CBA aus mindestens 20 Metaphasen nach 3,6 und 12 Monaten, bis CCyR erreicht wurde, danach alle 12 Monate
      • wurde CCyR erreicht, kann eine FISH-Analyse aus peripherem Blut erfolgen
      • kann ein adäquates molekulares Monitoring gewährleistet werden, können zytogenetische Untersuchungen eingespart werden.
  • bei Warnhinweisen:
    • Durchführung häufigerer molekularer und zytogenetischer Tests
    • bei Myelodysplasie oder CCA/Ph- mit Beteiligung von Chromosom 7 werden CBA aus Metaphasen des Knochenmarks empfohlen
  • Bei Therapieversagen oder Progression:

Das Ansprechen könne je nach den Möglichkeiten der örtlichen Laboreinrichtungen entweder nur mit molekularen oder nur mit zytogenetischen Tests bewertet werden. Wann immer möglich werden jedoch sowohl zytogenetische als auch molekulare Tests empfohlen, bis eine vollständige zytogenetische Remission und eine MMR erreicht sind. Dann könne eine RQ-PCR allein ausreichend sein. Eine Mutationsanalyse mittels konventioneller Sanger-Sequenzierung wird bei Progression, Therapieversagen und Warnhinweisen empfohlen. Bei Therapieversagen, Warnhinweisen und der Entwicklung myelodysplastischer Merkmale wie unerwartete Leukopenie, Thrombozytopenie oder Anämie sollte eine CBA der Knochenmarkzellmetaphasen erfolgen.

Zusätzlich zu den Empfehlungen von 2013 wird in der überarbeiteten Version von 2020 angeraten:

      • 14-tägiges Blut- und Differentialblutbild bis zum vollständigen hämatologischen Ansprechen, bei hämatologischer Toxizität auch häufiger
      • zytogenetische Untersuchungen (Chromosomenbänderungsanalyse, CBA) allein sind nicht ausreichend, um das Therapieansprechen zu bewerten
      • zytogenetische Untersuchungen sollten bei Patienten mit atypischen Translokationen, seltenen oder atypischen BCR-ABL1-Transkripten, die nicht mittels RQ-PCR gemessen werden können, zum Ausschluss von ACA und bei Progression zur akzelerierten Phase oder Blastenkrise durchgeführt werden
      • die Überwachung mittels FISH kann bei Patienten mit atypischen Transkripten erforderlich sein

Therapieempfehlungen zur Erstlinientherapie

2013 beschränkten sich die Therapieempfehlungen in der Erstlinie nach einer CML Diagnose in chronischer Phase auf:

2020 stehen den Patienten weitere Medikamente in der Erstlinientherapie zur Verfügung:

      • 400 mg Bosutinib (1 x täglich), wobei auch eine geringere Dosis in Erwägung gezogen werden kann, wenn 400 mg wegen schwerwiegenden Nebenwirkungen nicht toleriert wird und das Ansprechen optimal ist
      • Radotinib (dieses Medikament ist nur in Südkorea zugelassen)
      • generisches Imatinib

Therapieempfehlungen zur Zweitlinientherapie

Für die Zweitlinientherapie wurden in den Empfehlungen von 2013 folgende TKIs und Dosierungen angegeben:

      • Imatinib (400 mg 2 x täglich)
      • Nilotinib (400 mg 2 x täglich)
      • Dasatinib (70 mg 2 x täglich oder 140 mg 1 x täglich)
      • Bosutinib(500 mg 1 x täglich) – zugelassen für Patienten mit Resistenzen oder Unverträglichkeiten auf vorherige TKIs
      • Ponatinib ((45 mg 1 x täglich) für Patienten mit Resistenzen oder Unverträglichkeiten auf vorherige TKIs
      • Radotinib – verfügbar nur in Südkorea
      • Omacetaxine (Nicht-TKI, zugelassen von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA)
      • Busulfan – wird nicht empfohlen
      • Hydroxyurea – kann kurzzeitig bis zum Beginn einer TKI-Therapie angewendet werden
      • rIFNα als alleiniges Medikament – kann nur in seltenen Fällen empfohlen werden, wenn TKIs nicht zur Verfügung stehen
      • die Anwendung von TKI und rIFNα wird untersucht
      • allogene Stammzelltransplantation – empfohlen nach Therapieversagen mit TKI

In den Empfehlungen zur Zweitlinientherapie 2020 werden die verfügbaren Medikamente und ihre Dosierungen nicht explizit aufgeführt, denn hier hat sich nichts verändert. Die Empfehlungen von 2013 basieren auf einer kritischen Bewertung der Wirksamkeit, jedoch sollten bei der Wahl des TKI die Verträglichkeit und Sicherheit sowie die individuellen Patientencharakteristika (insbesondere Alter und Begleiterkrankungen) berücksichtigt werden. Sie können für bestimmte Toxizitäten bei den verschiedenen TKI prädiktiv sein.

In den ELN-Empfehlungen 2020 wird angemerkt, dass ein Therapiewechsel aus verschiedenen Gründen erfolgen könne. Sind Therapieversagen und Resistenzen die Ursache, sei der Wechsel auf ein anderes Medikament zwingend erforderlich. Vor dem Wechsel sollte eine Mutationsanalyse durchgeführt werden. Beruhe der Wechsel auf einer Intoleranz oder behandlungsbedingten Komplikationen, dann sei die Entscheidung zum Teil subjektiv und abhängig vom Patienten, Arzt, unterstützender Pflege und nicht zuletzt von der Tiefe des Ansprechens auf das aktuelle Medikament. Gibt es Warnsignale sei ein Wechsel auch davon bestimmt, welches Therapieziel verfolgt wird. Patientenbezogene Faktoren wie Alter, Lebensstil, Komorbiditäten und Toleranz sollten berücksichtigt werden. Können keine Mutationen in der ABL1 Tyrosin-Kinase-Domäne nachgewiesen werden, gibt es keine klare Empfehlung für einen bestimmten TKI der zweiten Generation. Alle TKI der zweiten Wahl sind wirksam, aber es gibt keine vergleichenden Studien der TKI untereinander.

Im Unterschied zu 2013 sollten 2020 in der Zweitlinientherapie dieselben Meilensteine erreicht werden wie in der Erstlinientherapie (Tabelle 4).

Spätere Therapieempfehlungen

Für spätere Therapielinien konnten bisher keine Empfehlungen festgelegt werden. Es sei jedoch bekannt, dass ein BCR-ABL1 Transkriptionsniveau >1% oder ein fehlendes zytogenetisches Ansprechen für ein optimales Überleben nicht ausreichend sind. Bei einem suboptimalen Ansprechen auf zwei oder mehr TKI sollte eine allogene Stammzelltransplantation in Erwägung gezogen werden.

Toxizitäten, Nebenwirkungen und Komplikationen

Die Empfehlungen unterscheiden sich 2020 nicht wesentlich zu denen von 2013. Sie werden jedoch detaillierter beschrieben. 2013 wurden unerwünschte Nebenwirkungen in drei Kategorien unterteilt. Nebenwirkungen Grad 3/4 treten typischerweise in der ersten Behandlungsphase auf und sind beherrschbar. Sie können eine temporäre Behandlungsunterbrechung oder eine Dosisreduktion erfordern und führen bei 10% der Patienten zu einem Therapiewechsel. Grad 1/2 Nebenwirkungen treten auch in einer frühen Behandlungsphase auf. Sie können jedoch persistieren und chronifizieren. Zwar sind sie kontrollierbar, können sich jedoch negativ auf die Lebensqualität auswirken. Dies wiederum könne zu einer ungenügenden Therapietreue führen, die einer der Hauptgründe für ein Therapieversagen sei. Die dritte Kategorie sind spät auftretende Komplikationen. Sie können das Herz-Kreislauf-System, Herzkranz- und Blutgefäße, das respiratorische System, Leber, Bauchspeicheldrüse, die Immunabwehr, bösartige Zweiterkrankungen, Calcium-, Zucker- und Fettstoffwechsel betreffen. Es sei bekannt, dass alle TKI toxische Nebenwirkungen hervorrufen können. Aus diesem Grund müssen Grunderkrankungen des Patienten bei der Wahl des TKI berücksichtigt werden.

2020 wird beim Auftreten von Toxizitäten empfohlen:

    1. hämatologische und nicht-hämatologische unerwünschte Nebenwirkungen sollten unabhängig voneinander betrachtet werden.
    2. Bei nicht-hämatologischen unerwünschte Nebenwirkungen sollten zwei Gruppen unterschieden werden:
      1. Nebenwirkungen mit einem negativen Effekt auf Tolerabilität und Lebensqualität; Sie führen bei ca. 30% der Patienten zu einem Therapiewechsel.
      2. Schwerere Komplikationen, die bei bis zu 15% der Patienten die Gesundheit und Lebensqualität signifikant verschlechtern und auch zum Tod führen können.

    Die unterschiedlichen Nebenwirkungsprofile der TKI seien inzwischen gut bekannt und müssen bei der Therapieentscheidung für jeden Patient individuell berücksichtigt werden.

    CML-Therapie in fortgeschrittenen Phasen

    Hier wird nach wie vor zwischen Patienten, die in einer fortgeschrittenen CML-Phase diagnostiziert wurden und denen, die bereits mit TKI vorbehandelt wurden, unterschieden. Frühe Indikatoren einer Progression seien zusätzliche chromosomale Veränderungen und Mutationen. Auch eine Krankheitsverschlechterung ohne offensichtliche Ursache könne zu einer Progression führen. Es wird zwischen lymphatischer und myeloischer Blastenkrise unterschieden. Für lymphatische Blastenkrisen stünden mehr Therapieoptionen zur Verfügung und ihre Behandlung führe zu einem besseren Ergebnis. Nach einer Mutationsanalyse bestehe die Behandlung aus einer intensiven Kombinationschemotherapie mit oder ohne TKI in Vorbereitung auf eine möglichst zeitnahe Allo-SCT. Bei Patienten mit Resistenz gegen einen TKI der zweiten Generation ohne spezifische Mutationen würde Ponatinib einem Wechsel auf einen anderen Zweitgenerations-TKI vorgezogen, es sei denn, es bestehen kardiovaskuläre Risikofaktoren. Für Patienten, die eine intensive Chemotherapie nicht vertragen, sollte ein palliative, weniger intensive Therapie in Betracht gezogen werden (Tabellen 5 und 6).

    Tabelle 5:
    Behandlungsstrategie für CML in akzelerierter Phase (AP) und Blastenkrise (BK) 2013

    AP und BK neu diagnostizierten, nicht mit TKI vorbehandelten Patienten

    • Imatinib 400 mg 2x täglich oder Dasatinib 70 mg 2x täglich oder Dasatinib 140 mg 1x täglich
    • Stammzellspendersuche
    • Allo-SCT für alle Patienten in BK und für Patienten in AP, die kein optimales Ansprechen erreichen
    • um die Erkrankung zu kontrollieren, kann eine Chemotherapie notwendig sein

    AP und BP als Progression der CML aus der chronischen Phase (CP) bei mit TKI vorbehandelten Patienten

    Für nicht vorbehandelten Patienten wird angenommen, dass die AP der CP der der Hochrisikogruppe zugeordneten Patienten entspricht, so dass TKIs Priorität haben. Bei Patienten, bei denen sich während der TKI-Therapie eine AP oder BP entwickelt, ist das Ansprechen auf jede nachfolgende Behandlung schlechter und weniger dauerhaft, so dass eine allogene Stammzelltransplantation für alle Patienten empfohlen wird, die dafür in Frage kommen. Um eine Stammzelltransplantation durchführen zu können, sollte der Patient wieder eine Remission erreichen. Dafür kann neben der Therapie mit TKI auch eine zytotoxische Chemotherapie erforderlich sein. Bei unkontrolliertem, resistentem Blutdruck wird eine allogene Stammzelltransplantation nicht empfohlen. Alle Empfehlungen für eine Transplantation setzen voraus, dass der Patient für dieses Verfahren in Frage kommt. Es ist zu beachten, dass Nilotinib für die Behandlung von BP getestet, aber nicht zugelassen wurde.

    Allo-SCTallogene Stammzelltransplantation

    Tabelle 6:
    Behandlungsempfehlungen für CML in der Endphase – Managementstrategien 2020

    Progressionsverhinderung durch Elemination von BCR-ABL1

    Sicherstellung einer wirksamen TKI-Behandlung

    Auftreten von zusätzlichen chromosomalen Anomalien mit hohem Risiko

    genau überwachen, Intensivierung der Behandlung erwägen (Ponatinib, frühe allogene Stammzelltransplantation)

    primäre Blastenkrise

    Wenn die Therapie mit Imatinib gestartet wurde, Wechsel auf ein 2GTKI entsprechend Mutationsprofil

    Resistenz auf ein 2GTKI (Erst- oder Zweitlinientherapie)

    Ponatinib oder experimentelle Substanz

     

    Versagen von Ponatinib

    Bei hohem Progressionsrisiko wird eine frühe allogene Stammzelltransplantation empfohlen

    Akzelerierte Phase

    Behandlung als Hochrisikopatient; allogene Stammzelltransplantation, wenn das Ansprechen nicht optimal ist

    Progression zur Blastenkrise

    Versuch der Rückführung in eine zweite Chronische Phase

    Ergebnis ist mit derzeit verfügbaren TKI schlecht

    Eine zusätzliche Chemotherapie entsprechend AML-Schema für myeloische BP (wie Dasatinib oder Ponatinib + FLAG-IDA) oder ALLE Schemata für lymphatischen BP (wie Imatinib oder Dasatinib + hyperfraktionierte CVAD) wird empfohlen.

    Die Wahl der TKI sollte auf der Grundlage der vorherigen Therapie und des BCR-ABL1 KD-Mutationsstatus erfolgen.

    Nach Erreichen von CP2 unverzüglich zur allogenen Stammzelltransplantation.

     

    2GTKITKI der zweiten Generation, AML – akute myeloische Leukämie, ALL – akute lymphatische Leukämie, KD – Kinase Domäne, FLAG-Ida, CVAD – Chemotherapie-Protokolle, CP2 – zweite chronische Phase

    Allogene Stammzelltransplantation

    2013 wird die allogene Stammzelltransplantation als einzig kurative Therapie beschrieben, die auch weiterhin eine wichtige Behandlungsoption für Patienten ist, die nicht dauerhaft auf TKI ansprechen. In den letzten 14 Jahren habe sich der Zeitpunkt der Transplantation nach Versagen der Zweitlinien-TKI auf die dritte oder vierte Linie verschoben. Die derzeitige Situation sei jedoch komplexer, da die Patienten im Vorfeld mit unterschiedlichen TKI behandelt werden können. Es erscheine vernünftig, dass bei Patienten in chronischer Phase die Transplantation denjenigen vorbehalten werden sollte, die gegen mindestens ein TKI der zweiten Generation resistent oder intolerant seien. Die mit einer Stammzelltransplantation verbundene verfahrensbedingte Morbidität und Mortalität schrecke nach wie vor stark ab.

    In der ersten chronische Phase hat die allogene Stammzelltransplantation auch 2020 noch immer ihre Bedeutung bei der Behandlung der kleinen Zahl von Patienten mit Krankheitsresistenz oder Unverträglichkeit gegenüber verschiedenen TKI und für die sehr seltenen Patienten mit unzureichender Erholung der normalen Blutbildung. In ressourcenarmen Ländern habe Allo-SCT möglicherweise Vorrang vor der TKI-Behandlung, da die einmaligen Ausgaben für eine Transplantation wirtschaftlicher sind als die lebenslangen Medikamentenkosten.

    Lebensqualität

    Durch die guten Therapiemöglichkeiten hat die Lebensqualität im Alltag der CML Patienten in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. In den Therapieempfehlungen von 2013 wird Lebensqualität nur kurz angesprochen. Sie sei schon allein dadurch beeinträchtigt, dass das Leben mit einer potenziell tödlich verlaufenden Erkrankung eine Krebserkrankung sei, die emotionale und soziale Folgen für die Familien- und Karriereplanung hat und von einem unterschiedlichen Grad an Unsicherheit und Angst begleitet wird. Es sei nicht überraschend, dass sowohl die körperliche als auch die geistige Gesundheit bei älteren Patienten besser und näher am Normalzustand sei als bei jüngeren Patienten, weil jüngere Menschen mehr und andere Erwartungen haben - nicht nur an ein normales Leben, sondern auch an ein Leben ohne Leukämie und ohne Behandlung. 2013 wurde als Haupttherapieziel das Überleben benannt. Es sei anerkannt, dass das Leben ohne Behandlung und ohne nachweisbare Leukämie ein Hauptthema für die klinische Untersuchungen sein wird, was jedoch eine tiefere molekulare Remission erfordere.

    Durch die wirkungsvolle Therapie mit TKI entspricht die Lebenserwartung der CML Patienten 2020 nahezu der der Allgemeinbevölkerung. TKI haben das Überleben verbessert, so dass die Lebensqualität während der Behandlung an Bedeutung gewonnen hat. Trotzdem gibt es nur wenige quantitative Studien. Viele konzentrieren sich auf den Vergleich der Verträglichkeit der verschiedenen TKI, was nur ein Aspekt der Lebensqualität sei. Da alle Patienten TKI über viele Jahre hinweg einnehmen und die meisten es derzeit noch unbegrenzt weiterhin müssen, würde zusätzliche Forschung in diesem Bereich gefördert werden. Dafür nimmt die Verwendung von Fragebögen mit Patientenberichten für klinische Studien einen immer größeren Raum ein. Diese sollen als Grundlage zur Quantifizierung und Behandlung chronischer Probleme von CML-Patienten dienen.

    Behandlungsfreie Remission

    Eine Therapieunterbrechung wurde 2013 nur in wenigen Ausnahmefällen als Versuch in klinischen Studien unter sehr streng definierten Voraussetzungen empfohlen. 2020 erreicht ein signifikanter Anteil der Patienten mit Hilfe der bekannten TKI eine tiefe molekulare Remission (DMR), die als BCR-ABL1-Spiegel von MR4 und MR4,5 auf der Internationalen Skala (IS) definiert ist. Ein Behandlungsabbruch wird nun immer dann erwogen, wenn eine anhaltende DMR von ausreichend langer Dauer erreicht wurde. Ein einheitliches Einschlusskriterium in den meisten Studien war eine Mindestdauer der TKI-Therapie von 3 Jahren und eine anhaltende DMR von mindestens 1 Jahr. Die Auswertung dieser inzwischen zahlreichen klinischen Studien hat gezeigt, dass sich mehr als 80% Rückfälle in den ersten 6-8 Monaten nach dem Therapiestopp ereignen. Deshalb ist ein engmaschiges Monitoring unerlässlich. Ein Therapiestopp ist immer dann unbedenklich, wenn der Patient die Absetzkriterien erfüllt und in einer Einrichtung mit Zugang zu einem standardisierten PCR Monitoring betreut wird. In den Studien wurde ein Verlust der MMR nach 1 Jahr TFR nur selten beobachtet. Trotzdem wird eine kontinuierliche Langzeitüberwachung empfohlen, da die Nachbeobachtungzeit in all diesen Studien bisher weniger als 10 Jahre beträgt. Es sei nicht bekannt, ob und wie oft ein später Rückfall auftreten könne. Der Mechanismus, welcher ein Rezidiv verhindert, sei noch nicht verstanden und würde derzeit erforscht. Der Schwerpunkt der Untersuchungen beruhe auf einer möglichen immunvermittelten Kontrolle der Resterkrankung. Es wurde bereits über verschiedene prognostische Faktoren für den TFR-Erfolg berichtet. Eine längere Dauer der TKI-Therapie und DMR sowie die vorherige Behandlung mit IFNα wurden als wichtige Indikatoren für die Aufrechterhaltung der MMR nach 6 Monaten in der EURO-SKI, der bisher größten TFR-Studie, identifiziert. Dabei scheint die Dauer der DMR der wichtigste Faktor zu sein. Das Gremium des Europäischen Leukämienetzwerkes fasst die Empfehlungen für einen Therapiestopp 2020 wie folgt zusammen:

    Tabelle 7:
    Anforderungen für die Beendigung der Therapie mit TKI 2020

    Grundlegende Voraussetzungen

    • CML in erster chronischer Phase (außerhalb dieses Kontexts fehlen Daten)
    • motivierte Patienten mit klarer Kommunikationsfähigkeit
    • Zugang und schnelle Auswertung einer qualitativ hochwertige PCR nach IS
    • Zustimmung des Patienten zu einem häufigeren Monitoring nach Abbruch der Behandlung (monatlich während der ersten 6 Monate, alle 2 Monate während der Monate 6-12 und danach alle 3 Monate).

    Minimale Voraussetzungen (Stopp möglich)

    • Erst- oder Zweitlinientherapie, wenn eine Unverträglichkeit der einzige Grund für den TKI-Wechsel war
    • typische e13a2- oder e14a2-BCR-ABL1-Transkripte
    • Dauer der TKI-Therapie > 5 Jahre (> 4 Jahre bei 2GTKI)
    • Dauer der DMR (MR4 oder besser) > 2 Jahre
    • Kein vorheriges Therapieversagen

    Optimale Voraussetzungen (Stopp sollte in Erwägung gezogen werden)

    • Dauer der TKI-Therapie > 5 Jahre
    • Dauer DMR > 3 Jahre in MR4
    • Dauer DMR >2 Jahre in MR4,5

    Schwangerschaft und Familienplanung

    Schwangerschaften sind unter der Einnahme von TKI kontraindiziert. 2013 ging die Empfehlung dahin, dass für Frauen im gebärfähigen Alter bei stabilem optimalem Ansprechen über mindestens zwei Jahre ein Abbruch der TKI-Behandlung mit oder ohne Verwendung von Interferon-α in Betracht gezogen werden konnte, um ihrem Kinderwunsch zu entsprechen. Eine sehr häufige molekulare Überwachung wurde empfohlen.

    2020 kann für Empfehlungen zu Schwangerschaft und Familienplanung auf die langjährige Erfahrung mit TKI in der CML-Therapie zurückgegriffen werden. Erstmals wird in der Leitlinie Stellung bezogen, ob die Einnahme von TKI für Männer ein Risiko bezüglich angeborener Fehlbildungen für ihre Nachkommen birgt: Bei Männern, die Imatinib, Bosutinib, Dasatinib oder Nilotinib einnehmen, bestehe kein erhöhtes Risiko für angeborene Fehlbildungen bei ihren Nachkommen. Die Spermienqualität und -morphologie würde durch Imatinib nicht verändert. Daher müssen Männer, die eine Vaterschaft planen, die Behandlung mit Imatinib oder einem 2GTKI nicht abbrechen Die Daten für Ponatinib und Asciminib sind zum jetzigen Zeitpunkt spärlich bzw. nicht vorhanden.

    Für Frauen, die unter einer TKI-Therapie schwanger werden, muss die Behandlung individualisiert werden. Die Einnahme von TKI sollte im ersten Trimester abgebrochen werden, sobald die Schwangerschaft bestätigt ist. Bei dem Ungeborenen sollte sofort eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt werden. Das Für und Wider sowohl für die Fortsetzung oder den Abbruch der Behandlung als auch für eine Fortsetzung oder den Abbruch der Schwangerschaft, sollten ausführlich diskutiert werden. TKI wirken teratogen. Das bedeutet, sie können beim Embryo zu strukturellen oder funktionalen Organstörungen oder -Fehlbildungen führen. Imatinib sei zwar im zweiten und dritten Trimester bereits sicher angewendet worden, trotzdem erlaube die unzureichende Erfahrung keine routinemäßige Anwendung.

    Frauen, die die Voraussetzungen für eine TFR erfüllen, können ihre TKI-Einnahme gefahrlos abbrechen, um schwanger zu werden. Das Management nach dem Stopp hängt von der Aufrechterhaltung oder dem Verlust der MMR ab. Für Frauen, die bei Verlust ihrer MMR bereits schwanger sind, ist es wahrscheinlich, dass sie die Schwangerschaft beenden können, ohne dass eine klinische Notwendigkeit für eine Wiederaufnahme der Behandlung entsteht. Frauen, die beim Verlust ihrer MMR und noch nicht schwanger sind, sollten die Behandlung wieder aufnehmen, eventuell mit einem stärkeren TKI. Sie könnten versuchen die Behandlung dann erneut abbrechen, wenn die tiefe molekulare Reaktion wiederhergestellt und für einen angemessenen Zeitraum aufrechterhalten worden sei. Eine größere Herausforderung ist der Wunsch nach einer Schwangerschaft für Frauen ohne anhaltende DMR. Mögliche Lösungen seien hier der Ersatz des TKI durch Interferon-α oder die Empfehlung anderer alternativer Methoden zur Empfängnis.

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    Zusammenfassung

    Die ELN-Empfehlungen von 2013 basieren in erster Linie auf der antileukämischen Wirkung der TKI. Die Wahl der Behandlung sollte jedoch auch von Faktoren wie Lebensqualität, Nebenwirkungen, schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen und späten Behandlungsfolgen beeinflusst werden. Die Bewertung der therapeutischen Wirksamkeit der Behandlung stützt sich auf Studienergebnisse wie progressionsfreies Überleben (PFS) und Gesamtüberleben (OS) und bedarf einer sehr lange Beobachtungszeit. Einen sehr bedeutenden praktischen Wert hat die Definition therapeutischer Meilensteine, denn sie sind die Grundlage für eine Fortsetzung oder die Änderung einer Behandlung. Ein Therapiewechsel sollte nicht direkt nach 3 Monaten erfolgen, auch wenn die definierten Meilensteine nicht erreicht wurden. Ein zweiter Test nach 6 Monaten sollte abgewartet werden. Gehört der Patient einer Gruppe mit einem erhöhten Krankheitsrisiko an, wird eine zusätzliche molekulargenetische Untersuchung zwischen dem 3. und 6. Monat empfohlen. Molekulare Untersuchungen sind außerordentlich wichtig, weil sie von prognostischer Bedeutung sind. Die Wahl der Therapie sollte nicht nur von ihrer Effektivität abhängig gemacht werden, denn eine lebenslange Behandlung kann die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Unverträglichkeiten können den Wechsel auf ein anderes Medikament auch bei gutem Ansprechen rechtfertigen.

    2020 zeigen randomisierte klinische Studien, dass TKI der 2. Generation keinen Vorteil für das Gesamtüberleben bringen, obwohl schneller ein tiefes molekulares Ansprechen erzielt wird. Die Studien ermöglichten einen besseren Einblick in die Sicherheit und Wirksamkeit der Medikamente. Die Studienergebnisse zum molekularen Ansprechen dienen als Grundlage für eine individualisierte Behandlung und die Aussicht, einem Teil der Patienten den Abbruch der Behandlung zu ermöglichen.

    Die Überlebensrate nähert sich immer mehr der der Normalbevölkerung. Inzwischen versterben CML-Patienten häufiger an CML-unabhängigen Ursachen als an CML. Eine weitere positive Erkenntnis ist, dass unter Imatinib in den letzten Jahren keine neuen schwerwiegenden Spätfolgen aufgetreten sind. Chronische Müdigkeit und Muskelkrämpfe seien jedoch auch weiterhin für viele Patienten ein Problem.

    Eine weitere wichtige Entwicklung war die Erkenntnis, dass die Behandlung bei einigen Patienten erfolgreich beendet werden kann. Dafür sind die Dauer der Behandlung und eine anhaltende tiefe molekulare Remission (DMR) entscheidend. Die therapiefreie Remission (TFR) wird als wichtiges neues Therapieziel in den Behandlungsempfehlungen der ELN 2020 bei der Behandlung der CML definiert.

    Im Gremium des ELN gab es bei der Erarbeitung der Therapieleitlinien 2020 ohne eine abschließende Einigung umfangreiche Diskussionen darüber, ob ein Wechsel von Imatinib auf ein TKI der 2. Generation für diejenigen Patienten zu empfehlen sei, die sich in einer vollständigen zytogenetischen (CCyR) oder molekularen Remission (MMR) befinden, jedoch keine tiefe molekulare Remission (< MR4) erreichen, denn für sie kann ein Therapiestopp nicht empfohlen werden. Befürworter des Wechsels argumentieren, dass die Anzahl der durch einen Therapiewechsel für einen Therapiestopp geeigneten Patienten ansteigen könnte. Gegenargumente seien die durch die TKI der 2. Generation verursachten potentiell schwerwiegenderen Nebenwirkungen und ihre höheren Kosten. Derzeit fehlen Daten über die Anzahl der Patienten, die tatsächlich von einem Wechsel profitieren würden. Aus diesen Gründen empfiehlt das Expertengremium weder einen TKI der 2. Generation für die Erstlinientherapie noch einen Wechsel auf diese, wenn er zum Zweck des Erreichens einer schnelleren tiefen molekularen Remission erfolgt. Sie befürworten jedoch einen Wechsel für ausgewählte Patienten. Zu ihnen gehören jüngere Patienten mit geringem oder mittlerem Krankheitsrisiko, Patienten, für die TFR eine hohe Priorität hat, und Frauen, die schwanger werden möchten.

    Ein Wechsel von einem TKI der 2. Generation zu Imatinib könne in Betracht gezogen werden, wenn innerhalb von 5 Jahren keine DMR erreicht wird, um das Risiko langfristiger Toxizitäten zu vermeiden.

    Der neue ELTS-Risiko-Score habe sich bei der Vorhersage der Sterblichkeitsrate für CML bei TKI-behandelten Patienten als hilfreich erwiesen. Das Gremium empfiehlt, diesen Score anstelle der älteren zu verwenden. Zu erwähnen sei, dass der ELTS-Score die gleichen Variablen wie der Sokal-Score, jedoch mit unterschiedlicher Gewichtung, verwendet.

    Qualitativ hochwertige molekulare Tests sind jetzt weltweit verfügbar und ersetzen in den meisten Situationen die zytogenetische Untersuchung. So wird in vielen Fällen die Entnahme von Knochenmark überflüssig. Wenn eine Änderung der Therapie wegen unzureichendem Ansprechen oder dem Krankheitsverlauf (z.B.: Arzneimittelresistenz) erwogen wird, wird eine Knochenmarkspunktion empfohlen, um die zytogenetische klonale Entwicklung zu beurteilen. Die BCR-ABL1 Mutationsanalyse der Kinasedomäne sollte unter solchen Umständen auf jeden Fall durchgeführt werden.

    Für die Erstlinientherapie gibt es seit 2013 neue Entwicklungen. Inzwischen sei generisches Imatinib weltweit zu niedrigen Kosten erhältlich. Auch Dasatinib würde bald zu einem Generikum. Bosutinib ist für die Erstlinientherapie erhältlich. Es unterscheide sich jedoch bezüglich des Sicherheitsprofils von anderen TKI der 2. Generation. Radotinib ist in Korea für die Erstlinientherapie zugelassen. Ponatinib ist nach wie vor der einzige gegen die T315I-Mutation wirksame TKI. Es sollte wegen seinem Nebenwirkungsprofil nicht für die Erstlinientherapie eingesetzt werden. Mit Hilfe derzeit laufender Studien soll beurteilt werden, ob das hohe Ansprechniveau mit niedrigeren Ponatinib-Dosen aufrechterhalten werden kann, um das Herz-Kreislauf-Risiko zu verringern. Asciminib scheint ein weiteres vielversprechendes Medikament zu sein. Zur sicheren Beurteilung seien jedoch weitere Studienergebnisse erforderlich.

    Eine strikte Therapietreue vorausgesetzt sprechen eine anhaltende CCyR (entsprechend ≤1% BCR-ABL1 IS), MMR und DMR für ein ausgezeichnetes Langzeitüberleben. Eine Progression in die fortgeschrittene Phase ist selten (< 2 pro tausend Patientenjahre für Patienten in MMR). Ein kontinuierliches molekulares Monitoring auf unbestimmte Zeit wird empfohlen.

    Die Allo-SCT ist nach wie vor eine wichtige Option für Patienten, die gegen zwei oder mehr TKI resistent oder intolerant sind und für die etwa 6% der Patienten, die noch immer eine Blastenkrise entwickeln.

    Alle TKI sind teratogen und während der Schwangerschaft kontraindiziert.

    PEG-IFNα in Kombination mit einem TKI kann das Erreichen eines molekularen Ansprechens beschleunigen oder vertiefen, wird aber gegenwärtig noch untersucht. Randomisierte Vergleiche von Nilotinib mit und ohne PEG-IFNα werden derzeit durchgeführt.

    Die Vision für die nächsten 5 Jahre sei, dass mehr CML-Patienten erfolgreich eine TFR erreichen und dass es möglich sein wird, zuversichtlicher über die Heilbarkeit von CML zu sprechen.

    Quellen

      1. Baccarani M1, Cortes J, Pane F, Niederwieser D, Saglio G, Apperley J, Cervantes F, Deininger M, Gratwohl A, Guilhot F, Hochhaus A, Horowitz M, Hughes T, Kantarjian H, Larson R, Radich J, Simonsson B, Silver RT, Goldman J, Hehlmann R; European LeukemiaNet. Chronic myeloid leukemia: an update of concepts and management recommendations of European LeukemiaNet. [PubMed: PMC4979100]
      2. Michele Baccarani,corresponding author, Michael W. Deininger, Gianantonio Rosti, Andreas Hochhaus, Simona Soverini, Jane F. Apperley, Francisco Cervantes, Richard E. Clark, Jorge E. Cortes, François Guilhot Henrik Hjorth-Hansen, Timothy P. Hughes, Hagop M. Kantarjian, Dong-Wook Kim, Richard A. Larson, Jeffrey H. Lipton, François-Xavier Mahon, Giovanni Martinelli, Jiri Mayer, Martin C. Müller, Dietger Niederwieser, Fabrizio Pane, Jerald P. Radich, Philippe Rousselot, Giuseppe Saglio, Susanne Saußele, Charles Schiffer, Richard Silver, Bengt Simonsson, Juan-Luis Steegmann, John M. Goldman and Rüdiger Hehlmann; European LeukemiaNet recommendations for the management of chronic myeloid leukemia: 2013 [PubMed: PMC4915804]
      3. A. Hochhaus, M. Baccarani, R. T. Silver, C. Schiffer, J. F. Apperley, F. Cervantes, R. E. Clark, J. E. Cortes, M. W. Deininger, F. Guilhot, H. Hjorth-Hansen, T. P. Hughes, J. J. W. M. Janssen, H. M. Kantarjian, D. W. Kim, R. A. Larson, J. H. Lipton, F. X. Mahon, J. Mayer, F. Nicolini, D. Niederwieser, F. Pane, J. P. Radich, D. Rea, J. Richter, G. Rosti, P. Rousselot, G. Saglio, S. Saußele, S. Soverini, J. L. Steegmann, A. Turkina, A. Zaritskey, R. Hehlmann; European LeukemiaNet 2020 recommendations for treating chronic myeloid leukemia [PubMed: PMID32127639]

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