Glivec-Patentprozess: Kein Zugang der 3. Welt zu Generika?

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Re: Glivec-Patentprozess: Kein Zugang der 3. Welt zu Generik

von jan » 12.01.2017, 17:23

Hallo Jonathan,

ich teile Deine Frustration über die Preise der Generika. Die Generika-Hersteller haben null in Forschung investiert, die Marketingkosten sind minimal, und rein produktionstechnisch kostet die Herstellung einer Glivec-Tablette nicht mehr als einen Euro. Daher ist das der absolute Beweis, dass Generika-Hersteller auch eine "as much as you can get" Strategie haben. Ich habe aber kein Zweifel, dass das nur kurzfristig ist, weil die Kassen mit den Generikaherstellern verhandeln werden und es dort dazu kommen wird, dass sie sich gegenseitig unterbieten, bis ein Boden erreicht ist - ist nur eine Frage der Zeit. In der Schweiz kostet Teva-Imatinib run 1300 CHF im Monat, in anderen EU-Ländern sind die Preise schon dreistellig. (Dass Hexal sich nicht hausintern mit seiner Novartis-Schwester einen Preiskampf liefert, ist keine Überraschung, vor allem, weil das Hexal-Imatinib aus derselben Produktionslinie kommt wie das Novartis-Glivec -- aber die Kassen werden sicher dafür sorgen, dass Wettbewerb passiert).

Auf der EMA-Webseite gibt es nur Informationen, wenn die Medikamente europaweit zentral beantragt und zugelassen sind. Wenn die Generika-Hersteller dies bei der jeweiligen Landesbehörde (in Deutschland BfArM) direkt tun, gibt es auf der EMA-Seite nichts, wohl aber auf den Seiten des DIMDI in Deutschland:
Für Laien: https://portal.dimdi.de/amis-laien/serv ... _DEFANCHOR__
Für Fachkreise: https://portal.dimdi.de/amis-off/servle ... _DEFANCHOR__
Hier nach Imatinib in Kategorie "Stoffname" suchen. Dort findest Du Infos über Amativin, Accord, Activis, Aqvida, Amomed und viele andere Imatinibs. Auch wenn die Info nicht so viel bringt, weil die Seite nicht sonderlich viel Info bietet (auch in der Fachkreis-Info, und ich finde es skandalös, dass die volle Fachinformation 1,82 EUR kostet).

Zu Deiner Frage, wer welches bekommt: Das hängt von den Rabattverträgen der gesetzlichen Kassen ab. Es kann sein, dass Krankenkasse A einen Rabattvertrag mit Hersteller Q hat, und Kasse B mit Hersteller P. Das bedeutet, dass ein CML-Patient, der bei Kasse A versichert ist, in derselben Apotheke Produkt von Q bekommt, in der der CML-Patient mit Kasse B das Produkt P erhalten hat. :-) Privatpatienten müssen zum Teil Generika des Wirkstoffs bekommen, wenn verfügbar, sind aber nicht auf ein bestimmtes Generikaprodukt festgelegt.

Vielleicht hilft dies etwas.

Viele Grüße
Jan

Re: Glivec-Patentprozess: Kein Zugang der 3. Welt zu Generik

von paradoxon » 10.01.2017, 10:13

Hallo khk,

soweit ich weiß, ist das Patent am 21.12.2016 ausgelaufen.
Ich habe am 22.12. mir mal den Spaß gemacht, die Preise anzuschauen, geht z.B. hier: www.sanicare.de
Ich habe nicht schlecht gestaunt, dass die Preise für Imatinib-Generika von ratiopharm und Hexal anscheinend nur 15% unter dem Novartis-Originalpreis von Glivec liegen.
Inzwischen sind viele weitere Generika-Hersteller dazu gekommen, teils mit niedrigeren Preisen. Ich weiß allerdings gar nicht, wo ich Informationen über die Zulassung bekommen kann, zumindest bei der EMA findet sich (noch) nichts? Bei den "günstigeren" (ca. 7000 €/90 St.) Herstellern findet sich z.B. auch Cipla, ein Hersteller aus Indien, wozu es diese wenig vertrauenserweckende Publikation gibt.
@Jan: Ich glaube, das Generika-Register von cmladvocates.net müsste mal aktualisiert werden ;)

Ich frage mich dann auch, was diese Preise überhaupt zu bedeuten haben. Anscheinend zahlen Privatpatienten diese Preise. Werden die zum Kauf eines bestimmten Präparats gezwungen? Welches Präparat bekommen Kassenpatienten? Zahlen die Kassen dieselben Preise oder haben die ihre eigenen Verträge? Werden diese Preise irgendwie reguliert oder soll der Markt das regeln?
Ich hätte eher mit einem Preis im dreistelligen Bereich gerechnet. Denn die Herstellung der Medikamente kann nicht so teuer sein. Novartis hat während des Patentschutzes sein Geld verdient und jetzt sollte es darum gehen, das Medikament breit verfügbar zu machen, oder? In diesem Thread ging es ja ursprünglich mal um Entwicklungsländer - für die ist das auf jeden Fall immer noch viel zu viel Geld.
Vielleicht sehen wir hier nur den Versuch der Generika-Hersteller, möglichst nah an die Glivec-Preise heranzukommen, und der Wettbewerb wird die Preise nach unten drücken.

Ich finde die ganze Situation jedenfalls recht unübersichtlich und würde mich sehr freuen, wenn wir hier Erfahrungsberichte von Patienten lesen könnten, die jetzt Generika bekommen!

Viele Grüße
Jonathan

Re: Glivec-Patentprozess: Kein Zugang der 3. Welt zu Generik

von khk » 10.01.2017, 09:15

Das Patent lief bis 31.12.2016.
Seit dem 01.01.2017 gibt es Generika.
Aber zum Preis von mehr als 8.000.- € für 90 Tabletten.

Hat jemand eine Erklärung dafür ?

Re: Glivec-Patentprozess: Kein Zugang der 3. Welt zu Generik

von Nelly_CML » 11.02.2013, 16:56

Gesundheitskosten: Gericht stoppt Milliardeneinsparung bei Arzneimitteln

Was darf ein Medikament kosten? Mit dem neuen Arzneimittelgesetz sollten die Preise von Pillen strenger geprüft werden. Doch ein Gericht hat nun dem Einspruch des Pharmakonzerns Novartis stattgegeben - die Verbraucher können vorerst nicht mehr auf Milliardenentlastungen hoffen.
Quelle: http://www.spiegel.de/wissenschaft/medi ... 82594.html

Re: Glivec-Patentprozess: Kein Zugang der 3. Welt zu Generik

von Anna » 17.10.2012, 14:19

Die Mitglieder vom Nobel Prize Komitee verstehen wahrscheinlich nicht die Bedeutung von TKI, wie viel es Leben gerettet hat und noch retten wird! Wäre ein CML-er in diesem Komitee gewesen, würde es wahrscheinlich anders auslaufen...

Re: Glivec-Patentprozess: Kein Zugang der 3. Welt zu Generik

von jan » 17.10.2012, 05:39

Anna hat geschrieben:Zur Geschichte von Imatinib, Jürg Zimmermann u Brian Druker: ist ja der wahnsinn, was sie geschafft haben!!! Komisch dass gerade solchn Menschen immer noch kein Nobel Prize verliehen wurde!
Hallo Anna

Brian Druker war letztes Jahr unter den Finalisten für den Nobelpreis für Medizin, am Ende wurden es aber dann doch andere.
http://www.oregonlive.com/news/index.ss ... regon.html

Viele Grüße
Jan

Re: Glivec-Patentprozess: Kein Zugang der 3. Welt zu Generik

von jan » 17.10.2012, 05:07

Hallo Nelly

falls Du Dich durch einen englischsprachigen Artikel kämpfen möchtest, interessiert Dich vielleicht folgender Artikel zur Qualität von in Entwicklungsländern hergestellten Medikamenten - der Autor ist von "Ärzte ohne Grenzen" (Médecins Sans Frontières), also einer durchaus kritischen Quelle: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18631318
Der Volltext ist ebenfalls frei zum Download als PDF verfügbar:
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1 ... x/abstract

"Runter mit den Medikamentenpreisen" in Entwicklungsländern ist in der CML übrigens bei einigen Herstellern seit vielen Jahren Realität - in vielen Entwicklungsländern gibt es dort für Glivec, Tasigna und Sprycel sogenannte "Kauf 1 bekomme X" Programme, wobei X je nach Kaufkraft des Landes variiert. In manchen Ländern müssen die Patienten (nach Sicherstellung der Diagnose durch verlässliche Labore) eine Packung zum regulären Preis erwerben, erhalten dafür aber zwischen 4 und 12 Packungen des Medikaments. Auf diese Weise reduzieren sich die gezahlten Preise auf ein Viertel bis ein Zwölftel des westlichen Preises, es wird aber eine Patentverletzung vermieden, ein Reimport in den Westen verhindert, und die Patienten erhalten das qualitätsgesicherte Originalprodukt. Dies löst natürlich nicht das Problem, dass 3.000 EUR im Jahr immer noch die Möglichkeiten vieler Familien in sehr armen Ländern überschreitet, aber gleichzeitig ist der Preis des Originals dann sehr vergleichbar mit dem Preis der Generika (so soll eine Imatinib-Generika-Monatspackung "Veenat" in Indien ca. 270 EUR kosten, d.h. auch um die 3000 Eur/Jahr).

Wie gesagt, die Dinge sind viel komplexer, als sie auf den ersten Blick erscheinen. Alle Presseberichte verfolgen Interessen und man muss sie daher alle kritisch lesen - manche lanciert von der Pharmaindustrie, weil sie Interesse am Bestandsschutz ihrer Patente und Umsätze hat, manche lanciert von Hilfsorganisationen, die die arme Menschen gerne mit kostenlosen Medikamenten versorgen würden und die daher gerne ein "Schwarz-Weiss-Bild" zeichnen, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte, aber es ist keineswegs so, dass die westlichen Preise gnadenlos in Entwicklungsländern verlangt werden, sondern es werden von allen Parteien Mittelwege gesucht, die einerseits Entwicklungsländer versorgen, aber andererseits die westlichen Märkte nicht durch Reimporte und illegale Generika gefährden.

Aber gefährlich wird es halt, wenn Regierungen anfangen, nicht qualitätsgeprüfte Medikamente an Patienten zu verteilen. Das ist lebensgefährlich.

Viele Grüße
Jan

Re: Glivec-Patentprozess: Kein Zugang der 3. Welt zu Generik

von Anna » 17.10.2012, 02:18

Zur Geschichte von Imatinib, Jürg Zimmermann u Brian Druker: ist ja der wahnsinn, was sie geschafft haben!!! Komisch dass gerade solchn Menschen immer noch kein Nobel Prize verliehen wurde!

Re: Glivec-Patentprozess: Kein Zugang der 3. Welt zu Generik

von Gast » 13.10.2012, 03:38

Hallo Nelly,

ich komme leider erst mit einiger Verzögerung wieder in LO und zu Deinem Beitrag, aber habe in dieser Themenecke ja selbst schon seit Jahren hier immer wieder nicht immer beliebte ... Meinungen geäußert ...
Alles in allem würde ich Dir recht geben.

Nach wie vor sehe ich sowohl das zentrale Problem wie umgekehrt die mögliche Lösung darin, den Bereich der medizinischen Forschung wieder viel stärker von Privaten in die öffentliche Hand zurückzuführen, d.h. staatl. Universitäten bzw. Forschungsinstitute.
Denn das Teuerste - wenn wir von den Gewinnspannen absehen - ist die Forschung. Nicht die Produktion, denn sonst würden die Inder ja nicht billiger sein können (gleiche Qualität mal unterstellt).

Allgemein menschliche Risiken, wie eine nicht durch Leichtsinn oder Dummheit herbeigeführte Krankheit, gehören auch durch die Allgemeinheit abgesichert. Insofern hätten Jans "Freibier" meines Erachtens alle gemeinsam über Steuern zu zahlen - nicht nur die oder deren Krankenkassen, die das Schicksal dann individuell trifft.

Aber das steht natürlich in radikalem Widerspruch zum derzeit herrschenden (wirtschafts)politischen Gebetbuch.
Insofern kommen wir hier nicht nur aus dem Gebiet der CML, sondern der gesamten Gesundheitspolitik heraus in ganz generelle politische Weichenstellungen.

Daher: Bei der nächsten und allen weiteren Gelegenheiten
1) sowieso und überhaupt zur Wahl gehen!
2) nicht mechanisch das Kreuzchen wieder da machen, wo vielleicht schon der Großvater - sondern vorher gründlich alle konkurrierenden Wahlprogramme vergleichen!
3) Im privaten Umfeld andere Werte vorleben und predigen.

Nur dann besteht eine Chance für Veränderungen.

Pascal.

Re: Glivec-Patentprozess: Kein Zugang der 3. Welt zu Generik

von Nelly_CML » 12.10.2012, 07:29

Hallo Jan,

Danke für Deine ausführliche und fundierte Argumentation zu dem Thema. Dass die Generika aus Indien nicht sicher sind, war mir nicht bekannt (siehe auch den Strang „Austauschpräparat). Natürlich ist das ein sehr ernstes Problem, diese Entwicklung muss gestoppt werden.

Die eigentliche Ursache für die Probleme sind aber die völlig überhöhten Preise für lebensnotwendige Medikamente. Das betrifft Glivec in besonderem Maße. Wie mir scheint, will Novartis mit seiner Klage generell das hohe Medikamenten-Preisniveau des Westens auch auf die sogenannten Schwellenländer übertragen, weil sich dort eine finanzkräftige Mittelschicht entwickelt, die diese Preise auch bezahlen kann. Dass dabei ärmere Patienten auf der Strecke bleiben, scheint selbstverständlich. Das betrifft wohl vorrangig die Schwellenländer Indien, China und Brasilien. Andere Wirtschaftszweige verdienen ja mittlerweile auch sehr gut z.B. am Export von Luxusautos nach China.

Eine weitere interessante Frage: Warum kann sich eine arme Frau aus Indien, Pakistan oder Bangladesh keine teuren Medikamente leisten? Vielleicht weil sie unsere preiswerte Kleidung unter unwürdigen Arbeitsbedingungen mit einem Monatsverdienst von 30 Euro herstellt?

Sollte Novartis den Glivec-Patentstreit gewinnen, hätte das unabsehbare Konsequenzen für die gesamte Versorgung der sogenannten Dritten Welt mit Medikamenten:
"Die Bedeutung des Falles für den Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten geht weit über Indien und über ein einzelnes Präparat hinaus", sagte Philipp Frisch, Koordinator der Medikamentenkampagne in Deutschland. "Eine zentrale Quelle für bezahlbare Medikamente könnte versiegen, wenn Indien zukünftig gezwungen wäre, deutlich mehr Patente zu gewähren als bislang. Die Ausweitung der Behandlung von HIV/Aids auf inzwischen acht Millionen Menschen ist nur durch generische Medikamente aus Indien möglich geworden. Sie haben den Preis um 99 Prozent gesenkt. Die Klage von Novartis stellt damit eine ernste Gefahr für das Leben von Millionen von Menschen in ärmeren Ländern dar, die auf die bezahlbaren Medikamente aus Indien angewiesen sind."

Quelle: http://www.epo.de/index.php?option=com_ ... &Itemid=70
Die indischen Generika sind ja eigentlich eine Notlösung, aus der Not geboren, weil die hohen westlichen Preise nicht bezahlt werden können. Auch das Problem der Unsicherheit resultiert letztlich daraus. Es kann nicht sein, dass das grenzenlose Renditestreben der westlichen Konzerne (bzw. der berühmten Shareholder) dafür sorgt, dass Millionen von Menschen der Zugang zu Medikamenten verwehrt wird. Darf ein Konzern wie Novartis Herr über Leben und Tod sein?

Das Gipap-Programm ist mit Sicherheit eine gute Sache, kommt aber nur bei wenigen Menschen an, ist auf Glivec beschränkt und löst das Gesamtproblem nicht.

Die "Ärzte ohne Grenzen" sind für ihre Arbeit in der Dritten Welt auf die Generika aus Indien angewiesen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie generell mit unsicheren Medikamenten arbeiten.

Zwei Lösungswege gäbe es aus meiner Sicht:
Entweder: runter mit den Medikamenten-Preisen für Länder der Dritten Welt.
Oder: Zulassen von Generika mit der Auflage, dass die Qualität gesichert sein muss.
Vielleicht etwas naiv, aber mit gutem Willen doch erreichbar.

Ach ja, die Forschungskosten. Leider ist der Link zu einer Fernsehdokumentation des NDR zum Thema „Medikamente gegen seltene Krankheiten“ nicht mehr aktiv. In dieser Doku wird auf die Kalkulation von Forschungskosten für neue Medikamente eingegangen. Die Entwicklungskosten betragen durchschnittlich 400 Millionen Dollar, als Gesamtkosten werden aber 800 Millionen Dollar angegeben. Grund: Durch die Investition in die Forschungskosten gehen 400 Millionen Dollar Gewinn verloren, die man mit diesem Kapital auf den Finanzmärkten hätte erwirtschaften können. Ganz großes Kino! Wie oft mag Novartis die realen Forschungskosten wieder eingefahren haben? Ich wage es nicht, mir das vorzustellen.

Wäre es nicht besser, die Forschungsarbeit als öffentliche Aufgabe zu organisieren und an den Interessen der Patienten auszurichten? Dann könnte man auch die Forschung intensivieren, die eine wirkliche Heilung z.B. der CML möglich machen würde (schlafende Stammzellen erwischen).

Mich regt das alles wirklich auf!

Lieben Gruß
Nelly

Re: Glivec-Patentprozess: Kein Zugang der 3. Welt zu Generik

von Exil-Hanseat » 11.10.2012, 21:39

Hallo Nelly,

ich empfehle dazu auch den Thread "Glivec-Austauschpräparat".

Ich stimme Jan zu, dass es ein stumpfes ignorieren der Patente nicht funktionieren kann.

Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass ein Medikament für eine relativ kleine Patientengruppe auch teurer sein kann (natürlich nicht muss), um die Entwicklung, oder auch die Weiterentwicklung finanzieren zu können.

Zwischen diesen beiden Polen muss sich die "Fairness" finden, um auch in ärmeren Regionen Zugang zu Neuentwicklungen zu schaffen.

Und um keine ewigen Melkkühe zu erschaffen, läuft ein Patentschutz ja nach einer gewissen Zeit aus.

Gruß
Stephan

Re: Glivec-Patentprozess: Kein Zugang der 3. Welt zu Generik

von jan » 11.10.2012, 07:42

Nelly_CML hat geschrieben: Schon verstanden, Schere im Kopf...............

Dass meine Info in eine Diskussion darüber mündet, wer denn nun der Erfinder von Imatinib ist, verblüfft mich schon. War das Thema so uninteressant?
Hallo Nelly,

nein, das Thema ist hochinteressant. Der Grund, warum ich mich schwertue, auf das Thema zu antworten, ist, weil es keine einfachen Antworten in diesem Thema gibt, auch wenn es so reizvoll zu sei scheint, in "Gut und Gierig" zu polarisieren.

Einerseits sehe ich natürlich das Problem, dass die "westlichen" Medikamentenpreise für Entwicklungsländer unerschwinglich sind. Indien löst dies, indem es Patente schlicht ignoriert und Drittfirmen wie Natco erlaubt, Kopien patentierter Medikamente bereitzustellen. Andererseits stoppen diese ja nicht an Landesgrenzen, sondern wir wissen von CML-Patientengruppen im Libanon, in Argentinien, Venezuela und Serbien, dass die dortigen Regierungen die indischen Medikamente in großen Mengen - auch unter Übergehung der Patente - aus Indien importieren und an CML-Patienten verteilen. Die Patientengruppen dort sind hochnervös, weil die Qualitätssicherung der Herstellung und Distributionswege nicht gegeben ist und z.B. in Südamerika Patienten unter massiven, unter Glivec unbekannten Nebenwirkungen litten, was dafür spricht, dass die Zusammensetzung der Kopien nicht mit dem Original übereinstimmt. Novartis verteilt in Indien an 30.000 CML-Patienten über das GIPAP-Programm kostenlos Imatinib. Das GIPAP-Programm läuft in sehr vielen Entwicklungsländern, und weltweit bekommen rund 80.000 Patienten Glivec kostenlos. Die unabhängige "Max Foundation" (geführt von einer CML-Patientenvertreterin, die ihren Sohn Max an CML verlor) sorgt dafür, dass nicht Novartis entscheidet, wer die Medikamentspende bekommt, sondern eine unabhängige Stiftung, die sicherstellt, dass die Patienten die Medikamente nicht offiziell bekommen können, die Diagnostik eine CML bestätigt hat und die Patienten regelmäßig zur Verlaufskontrolle gehen.

Auch bei der wirtschaftichen Fragestellung gibt es keine einfachen Antworten. Mit Glivec verdient Novartis zweifellos unglaublich viel Geld, und Novartis steht insgesamt finanziell sehr gut da, weil viele von den Neuentwicklungen der letzten Jahre (in Krebs und anderen Bereichen) funktioniert haben, aber keine der größten Umsatzbringer "ausliefen" - und bei Zulassung von Glivec im Jahr 2001 niemand damit rechnete, dass das Medikament langfristig medizinisch funktioniert, denn jeder rechnete damit, dass nach 1-2 Jahren der Therapieabbruch nach Progression kommt. Bei vielen anderen Pharmaherstellern findet jedoch im Moment eine Entlassungswelle nach der anderen statt, weil Patente existierender Medikamente auslaufen und keine neuen Produkte da sind, die die patentbedingten Umsatzausfälle annähernd kompensieren. Wenn ich alleine den "Mikrokosmos CML" ansehe, ist die Frage, ob sich Medikamente wie Ponatinib, Bosutinib oder andere jemals rechnen werden. Was ist, wenn Indien eine Kopie von Ponatinib herstellen würde? Dann könnten wir damit rechnen, dass Ariad das Medikament im Westen einstampfen würde, und für Patienten mit T315I wäre weiterhin kein Medikament verfügbar. Und alleine im Bereich der Onkologie gibt es nur wenige "Kassenschlager" wie Glivec, die einen so hohen dauerhaften Umsatz machen, insofern ist Glivec eher eine Ausnahme als die Regel.

Was ist nun also "richtig", was "falsch"? Ich weiss es ehrlichgesagt nicht, wenn man die Gesamtstory von Produktpipeline über unlizensierte Kopien und Zugangsprogrammen wie GIPAP bis hin zu finanziellen Anreizen für Neuentwicklungen betrachtet.

Als CML-Patient weiss ich aber, dass ich die CML in Zukunft nur los werden werde, wenn weiterhin neue Medikamente für die CML entwickelt werden, die auf Beseitigung der letzten CML-Stammzelle zielen, denn die heutigen Therapien erfüllen diesen Bedarf noch nicht. Entwicklung bis hin zum verfügbaren Produkt passiert nur, wenn die Hersteller eine Aussicht auf Profit haben, und das Patentende von Glivec in 2015/2016 wird den CML-Kuchen massiv schrumpfen lassen und die Geschäftsmodelle aller konkurrierenden Produkte in Frage stellen. Insofern bin ich nicht nur über Entwicklungsländer besorgt, sondern auch für uns hier.

Schön wäre natürlich, wenn es "irgendwie" fairer wäre - kostenlose Medikamente für die Armen, moderate Preise im Westen, moderate Gewinnspannen, mehr innovative Medikamente, am Gemeinnutz orientierte Unternehmen, keine Belastung für den Steuerzahler / Versicherten - nur leider hat noch keiner eine diese Irgendwie-Lösung gefunden, die genug Anreiz für alle in diesem komplexen System schafft - sich beschweren oder Entwicklungen einfach sein zu lassen ist leichter. Es gibt nur Freibier, wenn am Ende trotzdem jemand die Brauerei bezahlt.

Viele Grüße
Jan

Re: Glivec-Patentprozess: Kein Zugang der 3. Welt zu Generik

von Nelly_CML » 10.10.2012, 23:09

Gast hat geschrieben:Da die Herstellerfirma damit 2,5 Milliarden Gewinn -im Jahr- macht wird sie sich das nicht so ohne weiteres irgendwo wegnehmen lassen.
Bisher eine halbe Million EUR mit mir alleine schon.

Dass sich über das angebliche Ethos von Pharmafirmen streiten lässt ist klar.
Aber aus gutem Grund: lieber nicht hier.

Kollegiale Grüsse!
WR
Schon verstanden, Schere im Kopf...............

Dass meine Info in eine Diskussion darüber mündet, wer denn nun der Erfinder von Imatinib ist, verblüfft mich schon. War das Thema so uninteressant?

Für mich persönlich hat mein Überleben einen faden Beigeschmack, wenn es denen verwehrt werden soll, die keine gigantischen Renditen möglich machen. Ich fühle mich auch den CML-Kranken verbunden, die zufällig in Indien oder einem anderen Land der Dritten Welt geboren wurden.

Novartis kann auch ohne den indischen Markt von Jahr zu Jahr wieder neue Rekordumsätze und Rekordgewinne verbuchen:

Novartis-Umsatz 2011: 58,6 Milliarden US-Dollar (16% Steigerung)

Reingewinn 2011: 13,5 Milliarden US-Dollar (12% Steigerung)

Entspricht 23% Reingewinn vom Nettoumsatz

Nicht schlecht! Nur 2% weniger als die Ackermannsche Mindestrendite. Reicht das denn immer noch nicht?

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Novartis#Umsatz_und_Gewinn


Ach, ich vergaß, sowas sollten wir aus gutem Grund lieber nicht diskutieren.

Nelly

Re: Glivec-Patentprozess: Kein Zugang der 3. Welt zu Generik

von jan » 10.10.2012, 19:03

WR hat geschrieben: http://www.uspto.gov/web/offices/pac/da ... 521184.pdf
Hier wird ein Herr Jürg Zimmerman als "Erfinder " angedient, in Wahrheit aber war es Dr. Brian Druker.
Von diesem darf behauptet werden: (Nur) er hat Hunderttausend(en) das Leben nicht gekostet, sondern gerettet.
Ich denke, man muss schon beiden Erfindern von Imatinib die Ehre erweisen - Jürg Zimmerman ist der Chemiker in den Novartis-Laboren, der als erstes das Molekül STI571 (Imatinib) in Kenntnis der molekularen Struktur des BCR-ABL-Proteins synthetisiert hat, und Brian Druker ist der Onkologe, der das Wissen zur CML einbrachte und den Wirkstoff unter vielen auswählte und als erstes in sehr frühen klinischen Studien eingesetzt hat. Beide gelten gemeinsam als die "Erfinder" von Imatinib, und sie sind beide auch als solches in der Patentschrift eingetragen.

Darüber hinaus gibt es eine Kette von weiteren Leuten - in der OHSU-Uni und in Novartis - die dafür essentiell waren, dass es STI571 überhaupt vom Molekül zu klinischen Studien und schließlich zu einem Produkt brachte.

Ohne Jürg Zimmerman und Brian Druker sowie all die anderen engagierten Uni-Wissenschafter und Novartis-Forscher in den Jahren 1993 bis 2001 gäbe es heute kein Imatinib.

Wer alle Namen und die gesamte Geschichte abseits jeder konspirativen Theorie kennen möchte:
http://bloodjournal.hematologylibrary.o ... /4808.full

Grüße
Jan

Re: Glivec-Patentprozess: Kein Zugang der 3. Welt zu Generik

von Gast » 10.10.2012, 18:31

Hallo Nelly,

Hier die ursprüngliche Meldung Madras High Court ...

http://www.flonnet.com/fl2208/stories/2 ... 003000.htm

Mit der Patentverlängerung lt Urkunde würde in den US Ablaufdatum am 4. Jänner 15 sein:

http://www.uspto.gov/web/offices/pac/da ... 521184.pdf
Hier wird ein Herr Jürg Zimmerman als "Erfinder " angedient, in Wahrheit aber war es Dr. Brian Druker.
Von diesem darf behauptet werden: (Nur) er hat Hunderttausend(en) das Leben nicht gekostet, sondern gerettet.
Da die Herstellerfirma damit 2,5 Milliarden Gewinn -im Jahr- macht wird sie sich das nicht so ohne weiteres irgendwo wegnehmen lassen.
Bisher eine halbe Million EUR mit mir alleine schon.

Dass sich über das angebliche Ethos von Pharmafirmen streiten lässt ist klar.
Aber aus gutem Grund: lieber nicht hier.

Kollegiale Grüsse!
WR

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