Schwanger, und plötzlich wird ein Tumor diagnostiziert - dies passiert in Deutschland jedes Jahr bei etwa 700 Frauen. Viele Ärzte sind dann verunsichert, was zu tun ist. Doch eine Schwangerschaft spricht nicht grundsätzlich gegen eine optimale
Chemotherapie.
Ein Dreivierteljahr ist es jetzt her, als an der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe der Charité Berlin das Deutsche Zentrum für
Neoplasie und Schwangerschaft eröffnet wurde. Die Leiterin des Zentrums, Privatdozentin Ines Schönborn, ist überzeugt, dass das die richtige Entscheidung war: "Wir erhalten Anrufe aus dem ganzen Bundesgebiet. Viele der betroffenen Frauen sind völlig verunsichert. Auch viele niedergelassene Kollegen wissen nicht, wie sie sich in dieser Situation verhalten sollen."
Das wundert nicht, denn schwangere Frauen mit Krebs sind selten. Als Faustregel gilt, dass bei mindestens einer von 1000 Schwangeren während der Schwangerschaft eine
maligne Erkrankung diagnostiziert wird. Bei 700 000 Schwangerschaften im Jahr bedeutet dass bundesweit mindestens 700 Krebspatientinnen. Doch dabei bleibt es nicht: "Schon jetzt ist jede fünfte Schwangere älter als 35 Jahre. Wir können beobachten, dass die Zahl der Schwangeren mit Krebs aus diesem Grund steigt", so Schönborn. Entsprechend den Altersgipfeln der unterschiedlichen Tumorentitäten haben es Ärzte bei Schwangeren in aller Regel mit Lymphomen oder Leukämien, mit Brustkrebs oder - seltener - mit Zervixkarzinomen zu tun.
Plötzlich haben es Ärzte mit zwei Patienten zu tun
Das Schwierige an der Konstellation besteht darin, dass Ärzte es plötzlich mit zwei Patienten zu tun haben, der Mutter und dem ungeborenen Kind. Im Interesse der Mutter muss eine möglichst optimale Therapie erfolgen, und das heißt in diesem Alter in aller Regel eine
Chemotherapie. Das Kind freilich kriegt diese Therapien zu spüren: "Es ist damit zu rechnen, dass alle Chemotherapiewirkungen, die bei der Mutter auftreten, auch beim Kind auftreten", so Schönborn.
Was also tun? Schön strukturierte Entscheidungsalgorithmen gibt es nicht, Studien auch nicht. Am Ende ist das Vorgehen immer ganz individuell. Wichtig ist vor allem die enge Abstimmung aller beteiligten Ärzte. Allgemeinzustand der Mutter, Stadium und Aggressivität der Krebserkrankung und natürlich das Stadium der Schwangerschaft sind Faktoren, die in die Entscheidung einfließen. "Wenn ein Kind bei der Krebsdiagnose der Mutter 28 oder mehr Wochen alt ist, dann kann man schon überlegen, es vorzeitig zu entbinden", so Schönborn. Die vollen 40 Wochen einer normalen Schwangerschaft durchlaufen die Kinder ohnehin eher selten: "Die meisten Frauen mit Krebs entbinden zwischen der 32. und 34. Woche", so Schönborn.
Auf Radiotherapien sollte verzichtet werden
"Generell gilt, dass eine Schwangerschaft kein Grund sein darf, nicht die optimale Therapie einzusetzen", betonte Professor Emiel Rutgers vom niederländischen Cancer Institute bei der 6. Europäischen Brustkrebskonferenz in Berlin. Nicht alles geht: Auf Radiotherapien sollte verzichtet werden. Auch Hormontherapien inklusive Trastuzumab sind in der Schwangerschaft keine Option. "Diese Behandlungen können aber problemlos sofort nach der Entbindung begonnen werden. Die meisten anderen Therapien sind auch schon vorher möglich", so Rutgers.
Schönborn sieht das ähnlich: "
DNA-wirksame Substanzen gehen nicht, aber sonst können wir die meisten Therapien, die wir brauchen, auch einsetzen." Gerade mit den Anthrazyklinen gibt es mittlerweile reichlich Erfahrung in der Schwangerschaft. Sie sind vergleichsweise unproblematisch. "Bei den Taxanen gibt es noch nicht genug Daten, aber es sieht so aus, als ob das in Zukunft auch möglich sein wird", sagt Privatdozentin Sibylle Loibl von der Universität Frankfurt am Main, die sich wissenschaftlich mit dem Thema Schwangerschaft und Brustkrebs auseinandersetzt.
Der Entbindungszeitpunkt ist entscheidend
Wichtig ist in jedem Fall, ein Auge auf das Kind zu haben. Der richtige Entbindungszeitpunkt etwa ist entscheidend für das Komplikationsrisiko. Entwickeln Mutter und Kind eine
Leukopenie unter
Chemotherapie, dann bedeutet eine Entbindung ein erhöhtes Infektionsrisiko. Deshalb empfehlen Experten, das Kind nicht innerhalb der ersten zehn Tage nach Ende eines Chemo-Zyklus auf die Welt zu bringen. "Während der Schwangerschaft müssen die Kinder zudem engmaschig überwacht werden", betont Schönborn. Vor allem die Doppler-Untersuchung ist aufschlussreich: Eine erhöhte Flussgeschwindigkeit in der Arteria cerebri media des Ungeborenen sind ein Hinweis auf eine schwere
Anämie. Die Arteria uterina der Mutter und die Umbilikal-Gefäße lassen Rückschlüsse auf die allgemeine Durchblutungssituation zu.
Die entscheidende Botschaft, die die Gynäkologen vermitteln wollen, lautet, dass das Kind in aller Regel durchkommt, und dass es den bisherigen Daten zufolge auch keine Schäden davon trägt, wenn die Mutter adäquat behandelt wird. Das sagt Schönborn auch jenen Frauen und Kollegen, die die Hotline des Berliner Zentrums anrufen. Knapp 90 Anrufer haben sich bisher gemeldet.
Die Kryokonservierung ist inzwischen ausgereift
Häufig drehen sich die Fragen auch um künftige Schwangerschaften: Kinderwunsch nach einer Krebstherapie - auch das gewinnt an Bedeutung, je höher das Alter der Mütter ist. "Entscheidend ist hier, dass die behandelnden Ärzte das Thema rechtzeitig ansprechen", betont Privatdozent Ralf Dittrich von der Frauenklinik der Uni Erlangen. Rechtzeitig heißt: vor der Therapie. Dann sind noch mehrere Optionen verfügbar.
Eine davon ist die
Kryokonservierung von Ovarialgewebe und die Retransplantation. Sie ist mittlerweile technisch ausgereift und hat weltweit zu drei dokumentierten Geburten geführt. Die Alternative: ein IVF-Zyklus zur Gewinnung von Eizellen. Diese werden befruchtet oder unbefruchtet eingefroren. Der Nachteil ist die sehr begrenzte Zahl an Eizellen: Mehr als zehn lassen sich in einem IVF-Zyklus kaum gewinnen, mehrere Zyklen dauern zu lange. Schließlich gibt es die Möglichkeit einer medikamentösen Ruhigstellung des Ovars durch GnRH-Analoga während der Krebstherapie: "Das ist jedoch etwas umstritten und gibt in jedem Fall keine 100-prozentige Garantie auf spätere
Fertilität", so Dittrich.
Kryokonservierung: Der Natur auf die Finger geschaut
Andere Länder haben es vorgemacht. Und seit vergangenem Sommer gibt es auch in Deutschland erstmals eine Frau, bei der vor einer Krebstherapie entnommenes Ovarialgewebe nach der
Kryokonservierung wieder orthotop reimplantiert wurde. Ziel dieser Maßnahme ist, eine Schwangerschaft nach der Krebsbehandlung zu ermöglichen. "International gibt es bisher drei dokumentierte Geburten nach einer solchen Retransplantation. Zumindest eine davon geschah spontan", sagt Privatdozent Ralf Dittrich von der Uni Erlangen.
Das Problem war lange Zeit der Gefrierprozess: "Das haben wir mittlerweile im Griff", so Dittrich. Das mit Gefrierschutzmittel versetzte Gewebe wird schonend auf minus 196 Grad Celsius abgekühlt. Dadurch wird den Zellen Wasser entzogen: Sie frieren streng genommen nicht ein, sondern sie trocknen, ohne dabei intrazellulär Kristalle zu bilden. "So ähnlich machen das auch viele Pflanzen im Winter", so Dittrich.
Besteht nach einer Krebserkrankung ein Kinderwunsch, dann kann das Gewebe im Bereich der Beckenwand retransplantiert werden. Im Idealfall nehmen die Eizellen dann den natürlichen Weg über die Tuba uterina. Der große Vorteil der Methode: Die Zahl der Eizellen ist nahezu unbegrenzt.
Um die
Kryokonservierung in Deutschland bekannter zu machen, haben die Unikliniken "FertiProtekt" gegründet. Es hat beratende Funktion und arbeitet an Empfehlungen, bei welchen Therapien die
Kryokonservierung besonders sinnvoll ist.
Ausschlusskriterien sind
akute Leukämien und ein schlechter Allgemeinzustand der Frau.
Quelle: Ärzte Zeitung vom 15.08.2008Weiterführende Informationen:
Kryokonservierung
Einfrieren und Lagerung von biologischem Material bei extrem tiefen Temperaturen (z.B. durch Verwendung von flüssigem Stickstoff bei -196 Grad Celsius)
Transplantation
Übertragung von Gewebe. Für die Transplantation können eigene Zellen autologe T. oder fremde Zellen allogene T. verwandt werden.
Chemotherapie
Wird häufig mit Zytostatikabehandlung gleichgesetzt. Unter Chemotherapie versteht man aber auch die Behandlung mit Antibiotika. Zytostatika sind Medikamente, die die Zellvermehrung oder das Zellwachstum hemmen.
Fertilität
Fruchtbarkeit, Fähigkeit zur Zeugung von Kindern
Leukopenie
Zustand mit zu wenig Leukozyten im Blut
teratogen
Die Entstehung von Fehlbildungen bei Embryonen von Menschen und Tieren fördernd. Die Einwirkung bestimmter chemischer Substanzen vor allem zu einem frühen Zeitpunkt der Schwangerschaft kann Fehlanlagen und Störungen unterschiedlichster Organsysteme verursachen. Viele Zytostatika gelten als teratogen.
Neoplasie
Neubildung von Körpergewebe. Damit kann sowohl die physiologische Regeneration eines Gewebes gemeint sein, als auch die autonome, pathologische Gewebevermehrung eines Tumors. Klinisch wird "Neoplasie" am häufigsten als Gattungsbezeichnung für maligne Tumoren verwendet.
Imatinib
Imatinib, Handelsname Glivec/Gleevec, Laborname STI-571, ein BCR-ABL-Tyrosinkinasehemmer der ersten Generation. Zugelassen seit Jahr 2002 für die Behandlung der CML und Ph-positiven ALL.
maligne
Bösartig (z. B. von Gewebsveränderungen)
Anämie
Blutarmut, Mangel an roten Blutkörperchen oder Verminderung ihres Gehaltes an rotem Blutfarbstoff (Hämoglobin)
Glivec
Imatinib wird unter dem Handelsnahmen Glivec (Hersteller Novartis) vertrieben.
akut
plötzlich einsetzend, heftig, von kurzer Dauer
DNA
Desoxyribonukleinsäure,bildet bei den meisten Lebewesen das genetische Material (Erbgut), ist im Zellkern, in den Chromosomen lokalisiert, Träger der genetischen Information eines Lebewesens
Gen
Informationseinheit des Erbgutes, enthält meist den Bauplan für ein Protein. Die Gene liegen im Zellkern in Form von DNS vor.
RNA
Die Ribonukleinsäure (RNA) ist der kleine Bruder der DNA . Sie ist ein einzelsträngiges kettenförmiges Molekül, das aus DNA umgeschriebene Erbinformation eines einzigen Genes enthält, und im Plasma der Zellen in das Genprodukt (= Eiweißmolekül, Protein) umgeschrieben wird (Biosynthese).
Ras
Ras ist ein G-Protein, das nach Aktivierung durch Wachstumsfaktoren mit Tyrosinaseaktivität GTP bindet und damit die Signaltransduktionskaskade weiterleitet.
DLI
Gabe von Spenderlymphozyten nach rezidivierter allogener Stammzelltransplantation (DLI = Donor Lymphocyte Infusion)
ASH
Amerikanische Gesellschaft für Hämatologie (engl. American Society of Hematology). Oftmals wird ASH als Synonym für den jedes Jahr im Dezember stattfindenden Jahreskongress der Gesellschaft verwendet.
ELN
Das Europäische Leukämie Netz ist eine von der EU finanzierte Organisation bestehend aus Medizinern, Wissenschaftlern und Patienten aus dem Leukämie-Bereich, das zum Ziel hat, die Behandlung von Leukämie-Erkrankungen zu verbessern, Wissen zu generieren und dieses Wissen in Europa zu verbreiten.
Ausschlusskriterium
Ausschlusskriterien bestimmen, wer an einer klinischen Studie nicht teilnehmen darf (z.B. Raucher, Schwangere, Patienten mit Herzerkrankungen, zu alt, zu jung). Ausschlusskriterien sind dazu da, das Risiko verfälschender Einflüsse auf das Studienergebnis gering zu halten. Auch sollen die Versuchspersonen geschützt werden, zum Beispiel dürfen Patienten mit einer Herzerkrankung nicht Medikamente testen, die den Kreislauf belasten.
teratogen
Die Entstehung von Fehlbildungen bei Embryonen von Menschen und Tieren fördernd. Die Einwirkung bestimmter chemischer Substanzen vor allem zu einem frühen Zeitpunkt der Schwangerschaft kann Fehlanlagen und Störungen unterschiedlichster Organsysteme verursachen. Viele Zytostatika gelten als teratogen.
akut
plötzlich einsetzend, heftig, von kurzer Dauer
Gen
Informationseinheit des Erbgutes, enthält meist den Bauplan für ein Protein. Die Gene liegen im Zellkern in Form von DNS vor.
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