Viel hilft in der Medizin nicht immer viel. Dies gilt auch für Vitamine, denen seit Jahrzehnten der unverwüstliche Ruf anhaftet, gesundheitlich unbedenklich und gleichermaßen Allheilmittel, Fitmacher und wichtiger Baustein einer gesunden Ernährung zu sein. Wissenschaftler der Universität Kopenhagen verpassen der Vitamin-Euphorie nun einen heftigen Dämpfer: Ihre Ergebnisse belegen, dass die regelmäßige Einnahme von Vitaminzusatzpräparaten das Leben auch verkürzen kann, und dass sich Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung im menschlichen Körper oft anders darstellen.

Weil viele Menschen besorgt sind, dass sie mit der Nahrung nicht genug der vitalen Substanzen aufnehmen, schlucken sie zusätzlich Vitaminpräparate in Form von Brausetabletten, Pillen oder Säften. Manche Ärzte verabreichen Vitamine sogar in sogenannten Aufbauspritzen. Wissenschaftler der Universität Kopenhagen um Christian Gluud verpassen der Vitamin-Euphorie nun einen heftigen Dämpfer. Sie zeigen in der am heutigen Mittwoch erscheinenden Ausgabe des Journal of the American Medical Association, dass die regelmäßige Einnahme antioxidativer Vitaminzusatzpräparate offenbar das Leben verkürzen kann (Bd. 297, S. 842, 2007).

"Unsere Ergebnisse widersprechen bisherigen Beobachtungsstudien, in denen behauptet wird, dass Antioxidantien die Gesundheit verbessern", sagt Goran Bje-lakovic, der Erstautor der Studie. "Wenn man bedenkt, dass zwischen 10 und 20 Prozent der Erwachsenen in Nordamerika und Europa Vitaminzusätze nehmen, hat das erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit von 80 bis 160 Millionen Menschen." Bjelakovic betont, dass Verbraucher ständig Werbung für Vitaminpräparate ausgesetzt seien, die einen - wissenschaftlich bisher unbewiesenen - Nutzen propagieren. In Deutschland wurden zwischen Juli 2005 und 2006 etwa 7,5 Millionen Packungen Vitaminzusatzpräparate verkauft, die einen Umsatz von 58,3 Millionen Euro einbrachten.

Die dänischen Forscher haben in einer Meta-Analyse 68 Studien mit synthetischen Vitaminen mit mehr als 230 000 Teilnehmern ausgewertet. Sie analysierten dazu alle veröffentlichten Untersuchungen, in denen Probanden Beta-Karotin, Vitamin A, Vitamin C, Vitamin E oder Selen genommen hatten und eine Vergleichsgruppe gleichzeitig ein Scheinpräparat bekam. Die Ergebnisse waren eindeutig: Beta-Karotin, Vitamin A und Vitamin E erhöhten die Sterblichkeit, und zwar unabhängig davon, ob sie allein oder kombiniert mit anderen Nah-rungsergänzungsmitteln genommen wurden. Eine Teilauswertung ergab, dass in 47 Studien, in denen methodisch besonders sorgfältig gearbeitet wurde, die Sterblichkeit unter denen, die regelmäßig Vitamin A nahmen, um 16 Prozent erhöht war, während sie bei Vitamin E um vier Prozent und bei Beta-Karotin um sieben Prozent höher lag. Es wurde kein Beleg dafür gefunden, dass Vitamin C und Selen die Sterblichkeit erhöhen. Genauso wenig gab es Hinweise dafür, dass diese Substanzen das Leben verlängern.

"Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung über antioxidative und Krebs verhindernde Eigenschaften von Vitaminen nicht einfach auf Menschen übertragen werden können", sagt Gerd Antes, vom Cochrane-Zentrum in Freiburg, das die Güte medizinischer Studien bewertet. "Der Hinweis auf die erhöhte Sterblichkeit ist dramatisch. Jetzt ist die Medizin gefordert, sich damit auseinanderzusetzen und Erklärungen zu finden."

Bereits in der Vergangenheit sind Vitamine in die Kritik geraten. Da fälschlicherweise angenommen wird, Vitamine könne man nicht genug einnehmen, kommt es immer wieder zu Überdosierungen, den Hypervitaminosen. So löst zu viel Vitamin A Erbrechen, Störungen des Elektrolythaushalts und Schleimhautblutungen aus. In der Schwangerschaft führt zu viel Vitamin A gehäuft zu kindlichen Fehlbildungen. Eine Überdosis Vitamin D entkalkt die Knochen und kann Herzrhythmusstörungen verursachen. Zu viel Vitamin C geht mit Durchfall einher und begünstigt die Bildung von Nierensteinen.

"Wenn sich der massive Verdacht der erhöhten Sterblichkeit erhärtet, haben sich die Vorzeichen umgedreht", sagt Gerd Antes. "Statt antioxidative Vitamine zu fordern, müsste ihr Einsatz zukünftig wohl verteidigt und gut begründet werden."

Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 28.02.2007

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