Expertenmeinung: Behandlung der chronischen-myeloischen Leukämie nach Resistenzen gegenüber Tyrosinkinasehemmern der zweiten Generation

Autoren: Andreas Hochhaus, Massimo Breccia, Giuseppe Saglio, Valentín García-Gutiérrez, Delphine Réa, Jeroen Janssen, Jane Apperley. Quelle: https://doi.org/10.1038/s41375-020-0842-9

Zusammenfassung

Unabhängig von der Linie der Therapie sind die Ziele der Behandlung der chronischen myeloischen Leukämie (CML) in chronischer Phase: Vermeidung einer Progression in die akzelerierte Phase oder eine CML-Blastenkrise, sodass die Patienten eine der Normalbevölkerung vergleichbare Lebenserwartung erreichen; Vermeidung von Nebenwirkungen; und Wiederherstellung und Erhaltung der Lebensqualität. Der für die Erreichung dieser Ziele wichtigste Prognose-Faktor ist das Ansprechen auf die Behandlung mit Tyrosinkinasehemmern (TKI) zu bestimmten wesentlichen Meilensteinen. Für Patienten, bei denen ein TKI versagt, ist ein Therapiewechsel zwingend erforderlich, um das Risiko einer Progression oder Todesfolge zu begrenzen. Es gibt derzeit keine präzise Leitlinie für Patienten, bei denen ein TKI der zweiten Generation versagt, und es herrscht ein Mangel an Daten, um klinische Entscheidungen für solche Fälle anzuleiten. Deshalb gibt es einen ungedeckten Bedarf praktischer und umsetzbarer Empfehlungen zur Behandlung von Patienten, bei denen ein TKI der zweiten Generation versagt.

Auch, wenn der Begriff „Versagen“ Patienten mit Versagen wegen Resistenz oder Unverträglichkeit umfasst, liegt der Schwerpunkt dieses Papiers auf dem Versagen der TKI der zweiten Generation wegen Resistenzen. Patienten, bei denen ein erster TKI der zweiten Generation versagt, benötigen eine potentere Therapie. Bei diesen Patienten ist die wichtigste Frage nach der Angemessenheit einer frühen allogenen hämatopoetischen Stammzelltransplantation oder eines weiteren TKI. Die Auswahl der nächsten Therapielinie nach Versagen eines TKI der zweiten Generation sollte individualisiert sein und muss sich auf patientenspezifische Faktoren stützen, einschliesslich Zytogenetik, Mutationsprofil, Begleiterkrankungen, Alter, Geschichte der Nebenwirkungen bei der vorausgehenden Behandlung mit TKI und des Risikoprofils für Nebenwirkungen der einzelnen TKI. Diese Expertise steht nicht im Konflikt mit den existierenden Therapieempfehlungen, sondern stellt stattdessen eine Evolution früherer Auffassungen, basierend auf neuen Daten, Erkenntnissen und klinischer Erfahrungen, dar. Wir überprüfen die Behandlungsoptionen für Patienten, die gegenüber einer Behandlung mit einem TKI der zweiten Generation resistent sind und stellen unsere klinischen Meinungen und Anleitungen zu Schlüsselfragen für die Entscheidung über die Therapie dar.

Es folgt die inoffzielle Übersetzung des Artikels. Übersetzung von NL, ohne Gewähr.

Einleitung

Tyrosinkinasehemmer (TKI, Tyrosinkinaseinhibitoren) haben das Langzeitergebnis für Patienten mit chronisch-myeloischer Leukämie in chronischer Phase (CP-CML) gewandelt, deshalb ist die Lebenserwartung dieser Patienten jetzt derjenigen der Normalbevölkerung vergleichbar. Allerdings verschleiert der Begriff „chronisch“ bei der CML die Notwendigkeit einer aktiven Behandlung einer Erkrankung, bei der die meisten Patienten einer lebenslangen Behandlung mit TKI bedürfen. Deshalb besteht die Notwendigkeit der Dringlichkeit und rechtzeitigen Eingreifens bei der Behandlung von Patienten, die die empfohlenen Meilensteine der Behandlung nicht erreichen, um sicherstellen zu können, dass die CP-CML nicht in eine aggressivere Erkrankung fortschreitet. Zur Zeit stehen 5 zur Behandlung der CP-CML zugelassene TKI zur Verfügung: Imatinib, der TKI der ersten Generation, Nilotinib, Dasatinib und Bosutinib als TKI der zweiten Generation (2G-TKI) sowie Ponatinib, ein TKI der dritten Generation (3G-TKI). Die Mehrheit der Patienten mit CP-CML erhält Imatinib als Erstlinienbehandlung (1L) und erreichen eine gute langfristige Kontrolle der Erkrankung.

Zunehmend häufiger erhalten die Patienten aus verschiedenen Gründen einen Zweitgenerations-TKI als Erstlinien-Behandlung. Diese umfassen patienten- und krankheitsbezogene Faktoren, behandlungsbezogene Faktoren und das Ziel schnelleren oder besseren Ansprechens und/oder einer schnelleren Wahrscheinlichkeit eines Versuchs der behandlungsfreien Remission (TFR, Treatment Free Remission). Trotz allem konnte bisher kein Vorteil für das Überleben bei der Erstlinienbehandlung mit irgendeinem Zweitgenerations-TKI gegenüber Imatinib gezeigt werden.

Es gibt einige Daten zu den Behandlungsergebnissen mit Zweitgenerations-TKI nach Versagen von Imatinib. Im Gegensatz dazu mangelt es an Daten zur Anleitung klinischer Entscheidungen nach dem Versagen eines Zweitgenerations-TKI sowohl für die Erstlinienbehandlung als auch die Behandlung in zweiter Linie (2L). Derzeit gibt es keine exakte Leitlinie für Patienten, bei denen ein Zweitgenerations-TKI versagt: Die existierenden Empfehlungen beinhalten (auf dem gleichen Level) die Behandlung mit einem anderen Zweitgenerations-TKI, Ponatinib, Teilnahme an einer klinischen Studie oder die allogene hämatopoetische Stammzelltransplantation (allo-HSCT). Deshalb gibt es einen unbefriedigten Bedarf für praktisch und umsetzbare Empfehlungen zur Behandlung von Patienten, bei denen ein Zweitgenerations-TKI versagt.

Absicht des Papiers und Methodik

CML-Patienten, bei denen der erste Zweitgenerations-TKI wegen tatsächlicher Resistenz versagt, benötigen eine potentere Therapie. Bei diesen Patienten ist die wesentliche Frage die Abwägung der Angemessenheit einer frühen allo-HSCT oder der Einsatz eines weiteren TKI. Die Auswahl der nächsten Therapielinie sollte individualisiert durchgeführt werden und muss auf der Grundlage patientenspezifischer Faktoren einschliesslich Zytogenetik, Mutationsprofil, Begleiterkrankungen Alter, Geschichte der Nebenwirkungen bei de bisherigen TKI-Behandlung und dem Risikoprofil für Nebenwirkungen spezifischer TKI getroffen werden. Diese Expertise steht nicht im Konflikt mit den existierenden Therapieempfehlungen, sondern stellt stattdessen eine Evolution früherer Auffassungen, basierend auf neuen Daten, Erkenntnissen und klinischer Erfahrungen, dar. Die Mitglieder der Expertengruppe betrachtet die Behandlungsoptionen für Patienten mit Resistenzen gegenüber einem Zweitgenerations-TKI und stellt ihre klinischen Ansichten und Anleitungen zur Entscheidungsfindung über die Behandlung dar. Die Mitglieder der Expertengruppe korrespondierten mittels Telefonkonferenzen und Emails, um übereinstimmend einen Konsens zu finden. Für dieses Projekt wurden keine Honorare bezogen.

Ziele der Behandlung von CML in Chronischer Phase

Unabhängig von der Linie der Therapie sind die Ziele der Behandlung der CP-CML, eine Progression in eine akzelerierte Phase oder CML-Blastenkrise zu vermeiden, sodass die Patienten eine der Normalbevölkerung vergleichbare Lebenserwartung erreichen, die Vermeidung von Nebenwirkungen und die Wiederherstellung und Erhaltung der Lebensqualität. Für spezifische Patientenkategorien kann auch die Behandlunsgfreie Remission (TFR, Treatment Free Remission) als potentielles Ziel der Erstlinientherapie gesetzt werden, wenn erst einmal angemessenes und anhaltendes klinisches Ansprechen erreicht wurde. Das Ansprechen auf die TKI ist der wichtigste Prognosefaktor: Nur Patienten, die ein vollständiges zytogenetisches Ansprechen (CCyR, Complete Cytogenetic Response) oder ein gutes molekulares Ansprechen (MMR, Major Molecular Response) bei den Schlüsselmeilensteinen erreichen, erreichen ein gutes Therapieergebnis. Für Patienten, bei denen ein TKI versagt, ist ein Therapiewechsel zwingend erforderlich, um das Risiko einer Progression und des Tods zu begrenzen.

Definition des „Versagens“ der TKI-Behandlung

Auch, wenn der Begriff „Versagen“ Patienten mit Versagen wegen Resistenz oder Unverträglichkeit umfasst, liegt der Schwerpunkt dieses Papiers auf dem Versagen der Zweitgenerations-TKI wegen Resistenzen. Primäre Resistenz zeigt einen Fehlschlag beim Erreichen des Ansprechenszieles zu einem bestimmten Zeitpunkt an, sekundäre Resistenz zeigt den Verlust eines bereits erreichten Ansprechens an.

Es gibt präzise Empfehlungen für die Überwachung molekularen durch regelmässige Bewertung der BCR-ABL1-Transskriptlevels zu kritischen Meilensteinen (3, 6 und 12 Monate). Realtime Quantitative Reverse-Transscriptionnnn Polymerase Chain Reaction (RT-Q-PCR) sollte verwendet werden, und die Ergebnisse gemäss der internationalen Skala (IS) unter Verwendung eines angemessenen Kontrollgens berichtet werden. Das European LeukemiaNet (ELN) und die European Society for Medical Oncology (ESMO) haben das TKI-Versagen definiert und generell abgestimmt. Die ELN 2020-Definitionen für ein Therapieversagen sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

Wann sollte für einen Patient aus praktischer Perspektive Therapieversagen eines Zweitgenerations-TKI angenommen werden? Die ELN 2013 – Therapieempfehlungen definierten das Ansprechen in Erstlinien- und Zweitlinien-Therapie mit unterschiedlichen Meilensteinen und waren dabei für die Zweitlinien-Therapie weniger stringent. Die Version von 2020 hat diese Sichtweise geändert. Die Notwendigkeit stringenterer Definitionen des Versagens wurde implementiert, sodass für solche Patienten, die nach 12 Monaten nicht BCR-ABL1 ≤ 1% (bzw. CCyR) erreichen, einschliesslich solcher in Zweitlinien-Therapie, Therapieversagen festgestellt werden sollte.

Tabelle 1; ELN 2020-Definitionen des Versagens von 1L und 2L-Behandlung

Zeit

Definition des TKI-Versagens

3 Monate

BCR-ABL1 (IS) >10%, wenn innerhalb 1-3 Monaten bestätigt

6 Monate

BCR-ABL1 (IS) >10%

12 Monate

BCR-ABL1 (IS) >1%

Jederzeit

BCR-ABL1 (IS) >1%, resistente Mutationen, Hochrisiko ACA

1L: erste Linie, 2L: zweite Linie, ACA: zusätzliche Chromosomale Aberrationen, ELN: European LeukemiaNet, IS : Internationale Skala, TKI: Tyrosinkinasehemmer

 

Abb.1: Schematische Betrachtungen und Behandlungsoptionen nach 2G-TKI-Resistenz

2G-TKI-Resistent bei CP-CML in jeder Therapielinie

Schlüsselfragen:

 

Begleiterkrankungen

 

Mutationsprofil

 

Passender Spender

Behandlungsoptionen:

 

Anderer 2G-TKI

 

Ponatinib a)

 

Transplantation (wenn geeignet und passender Spender vorhanden

 

klinische Studie

a) Ponatinibdosis entsprechend Begleiterkrankungen und Mutationsprofil

Behandlungsoptionen nach Resistenz gegenüber einem Zweitgenerations-TKI

Eine bedeutende Minderheit der Patienten wird gegenüber einem Zweitgenerations-TKI resistent und benötigt eine alternative Behandlung. Bemerkenswert ist, dass die Situation für Patienten mit einem Versagen eines Zweitgenerations-TKI in Erstlinientherapie sich von derjenigen eines Patienten mit Versagen eines Zweitgenerations-TKI in Zweitlinientherapie unterscheidet und die Routen zur Resistenz unterschiedlich sind: Patienten, die in Erstlinientherapie ein Versagen eines Zweitgenerations-TKI erfahren, können eine Patientenpopulation mit schlechter Prognose darstellen.

Bei Patienten mit CP-CML, die gegenüber einem Zweitgenerations-TKI resistent sind, sollte eine Mutationsanalyse durchgeführt, Begleiterkrankungen bewertet und die Suche nach einem geeigneten Spender für eine allo-HSCT eingeleitet werden. Über die Auswahl der Behandlung sollte dann auf der Grundlage des Mutationsprofils und der Begleiterkrankungen (Abb. 1) entschieden werden.

Die BCR-ABL1-Mutationsanalyse sollte in Folge des Versagens eines Zweitgenerations-TKI entweder mittels Sanger-Sequenzierung oder des sensitiveren Next Generation Sequencing (NGS) durchgeführt werden. Die Ergebnisse der Mutationsanalyse können die Auswahl des am besten geeigneten TKI anleiten und die Auswahl eines ungeeigneten TKI verhindern. Es sind „Heat Maps“ und Tabellen zur richtigen Auswahl des Zweitgenerations-TKI anhand der Mutationsart vorhanden. Mit NGS können Mutationen auf niedrigem Niveau auch unterhalb der Nachweisgrenze von Sanger-Sequencing und Compound-Mutationen nachgewiesen werden. Allerdings dürften die zum Zeitpunkt der Resistenz auf niedrigem Niveau nachgewiesenen Mutationen nicht die Treiber der Resistenz gegenüber der TKI-Behandlung sein, und sollten deshalb generell die Auswahl des TKI eher nicht beeinflussen. Eine Ausnahme ist allerdings der Nachweis der T315I-Mutation, der die Verwendung von Ponatinib auslösen würde, sogar bei der Gegenwart nur geringer Mengen. Obwohl die Gegenwart von Compound-Mutationen als Treiber der TKI-Resistenz nicht klar definiert wurde, sind sie von klinischem Belang, und ihr Nachweis würde tendenziell die Auswahl von Ponatinib oder einer allo-HSCT unterstützen. Eine wesentliche Empfehlung ist, die Suche eines Spenders sofort bei der Feststellung eines Zweitgenerations-TKI-Versagens einzuleiten: allo-HSCT kann die Aussicht auf ein langfristiges Überleben geeigneter Patienten bieten. Obwohl ein vollständig zum humanen Leukozyten Antigen (HLA) passender verwandter Spender optimal für die allo-HSCT ist, haben etwa 2/3 der eine HSCT benötigenden Patienten keinen passenden verwandten Spender und verlassen sich auf die Identifikation eines nicht verwandten HLA-passenden oder eines haploidentischen Spenders. Die Suche nach einem passenden, nicht verwandten Spender benötigt im Schnitt 3-4 Monate, währenddessen können die Patienten eine Progression erleiden oder zu unfit für eine Transplantation werden. In einer solchen Situation kann ein haploidentischer Spender die bevorzugte Option sein. Für Patienten, die nicht für eine Transplantation geeignet sind, und bei denen alle verfügbaren TKI erschöpft sind, ist eine Studie mit einer experimentelle Therapie angemessen.

Nach einer Resistenz gegenüber einem Zweitgenerations-TKI könnte ein alternativer Zweitgenerations-TKI eine Option darstellen (z.B. nach Resistenz gegenüber Imatinib und Nilotinib kann die Behandlung mit Dasatinib oder Bosutinib machbar sein, auch in Abhängigkeit von spezifischen Mutationen, falls vorhanden). Trotzdem sollte die Behandlung mit einem 3G-TKI (Ponatinib) für alle geeigneten Patienten in Betracht gezogen werden. Eine frühere Rolle liegt für Ponatinib besonders bei Patienten mit Versagen von Zweitgenerations-TKI in Erstlinien- und Zweitlinien-Behandlung auf der Hand. Unseren Empfehlungen liegen klinische Befunde aus diversen Studien zugrunde. Weniger als 10% der Patienten (N=113), die mit einem Zweitgenerations-TKI (Nilotinib oder Dasatinib) behandelt wurden und eine Fehlschlag beim zytogenetischen Ansprechen erlitten, erreichten das Ziel eines guten zytogenetischen Ansprechens (MCyR, Major Cytogenetic Response) nach 12 Monaten. Obwohl es keine direkt vergleichenden Studien gab, und die bekannten Studien nur geringe Patientenzahlen einschlossen, scheint es in Abwesenheit einer gegenüber einem anderen Zweitgenerations-TKI sensitiven Mutation von begrenztem Wert, einen anderen Zweitgenerations-TKI nach Versagen eines ersten Zweitgenerations-TKI zu benutzen. Ansprechensraten (CCyR) für die Sequenz Nilotinib/Dasatinib reichen von 10% bis 35% in den Studien der dritten Linie (3L) oder später, und viele von den darauf ansprechenden Patienten erhielten den Zweitgenerations-TKI eher wegen Unverträglichkeit als wegen Resistenzen (Tabelle 2). Darüber hinaus blieben nur wenige Patienten unter Behandlung, was auf eine substantielle Versagensrate über alle Studien hindeutet. Die primären Ergebnisse aus der Phase 4-Studie BYOND mit Bosutinib in Zweitlinien- und späteren Therapielinien zeigte eine CCyR-Rate von 84% in der Dritten Linie (n=56, Tabelle 2). Wenn das Ansprechen nach Resistenz oder Unverträglichkeit über die gesamte Population (n=1449 hinweg und ohne Ansehen der Therapielinie bewertet wurde, waren die CCyR-Raten ähnlich (77% und 87% für resistente bzw. Patienten mit Unverträglichkeit), aber die MMR-Raten waren tiefer für resistente Patienten (46%, n=48) im Vergleich zu Patienten mit Unverträglichkeit (81%, n=31).

In einer Phase 1/2-Studie mit Bosutinib in 3L oder später betrug die Wahrscheinlichkeit, CCyR neu zu erreichen, 26% und nach vier Jahren Beobachtung setzten nur noch 24% der Patienten diese Behandlung fort. Eine aktuelle retrospektive Analyse der grössten Patientenkohorte (n=62), die mit Bosutinib in vierte Linie (4L), nach Versagen von Imatinib, Nilotinib und Dasatinib, berichtete über eine 25%ige Wahrscheinlichkeit, CCyR zu erreichen oder zu erhalten und 24%, MMR zu erreichen (Median der Beobachtungsdauer: 14 Monate). Ausserdem war für Patienten, die zum Zeitpunkt des Bosutinib-Starts nicht in CCyR waren, die Wahrscheinlichkeit, MMR zu erreichen, am geringsten (14% Wahrscheinlichkeit einer MMR).

Die PACE-Studie war eine Phase 2-Studie an Patienten mit Philadelphiachromosom-positiver CML oder ALL, die gegenüber Dasatinib oder Nilotinib resistent waren oder Unverträglichkeit zeigten, oder mit der BCR-ABL1-T315I-Mutation. Die abschliessenden Ergebnisse nach 5 Jahren zeigten, dass 54% bzw. 60% der CP-CML-Patienten mit Resistenz gegenüber zwei oder mehr TKI CCyR bzw. MCyR erreichten, mit geschätzt 82% ansprechenden Patienten, die nach 5 Jahren in MCyR bleiben. CP-CML-Patienten, die mit wenigeren TKI vorbehandelt waren, erreichten bessere zytogenetische und molekulare Ansprechen. Vor den CP-CML-Patienten, die mit einem TKI (n=16), 2 (n=98), 3 (n=141 oder 4 (n=12) vorbehandelt wurden, erreichten 75%, 70%, 49% bzw. 58% MCyR, 63%, 42%, 36% bzw. 8% erreichten MMR. Der Median der Zeit bis zum Erreichen der MCyR oder CCyR lag innerhalb von 3 Monaten, was eine frühe Identifikation von Patienten erlaubt, bei denen ein Ansprechen unwahrscheinlich ist und zu der für die Spendersuche notwendigen Zeit passt.

Die Anfangsdosis von Ponatinib für Patienten mit CP-CML (15, 30 oder 45 mg pro Tag) sollte auf der Grundlage von Begleiterkrankungen und dem Mutationsprofil entschieden werden (z.B. im Bewusstsein, dass höhere Dosen für Patienten mit aggressiven Mutationen wie E355V oder mit Compoundmutationen angemessen sein können).Dosisanpassungen sollten dann entsprechend dem Ansprechen und der Verträglichkeit vorgenommen werden. Allerdings können Dosisreduktionen wiederum zum Verlust des Ansprechens führen. In der PACE-Studie wurden vorbeugende Dosisreduktionen zur Vermeidung des Risikos arterieller Verschlusserkrankungen vorgenommen. Insgesamt konnten über 90% der Patienten, die MCyR oder MMR erreicht hatten, ihr Ansprechen auch nach der wählbaren Dosisreduktion erhalten. Eine retrospektive Analyse von niedrig dosiertem Ponatinib (15mg) als Startdosis oder deeskalierter Dosis bei CP-CML-Patienten (n=62) berichtete über eine Rate von 55% CCyR, und ein Ansprechen von MMR oder besser wurde in 35/54 Patienten (65%) nach einer medianen Beobachtungszeit von 21 Monaten berichtet. Registerdaten aus den USA über mit Ponatinib behandelte CP-CML-Patienten (N0475) zeigten, dass 47% eine Startdosis von 45 mg/d erhielten, 29% 30 mg/d und 24% 15 mg/d. Der Mutationsstatus sollte für Dosisreduktionen ebenfalls in Betracht gezogen werden, weil die Konzentration der Unterdrückung von Mutationen angemessen sein sollte und die Kontrolle der Erkrankung ermöglichen muss. Prospektive Studien zur Bewertung der Dosis laufen (z.B. OPTIC, NCT02467270) und könnte Informationen zur optimalen Startdosis für Ponatinib ergeben.

Jeder TKI hat ein spezifisches Toxizitätsprofil, weshalb eine sorgfältige Auswahl und Überwachung bestimmter Patienten während der Behandlung erforderlich ist (Tabelle 3). Vor der Auswahl von Ponatinib zu berücksichtigende Faktoren sind das Herz-Gefäss (CV, Kardiovaskulär) -Risiko, Stoffwechselerkrankungen, begleitende Medikamente und Begleiterkrankungen. Obwohl Herz-Gefäss-Nebenwirkungen für alle TKI beobachtet wurden, ist das relative Risiko mit Ponatinib am höchsten. Deshalb muss der potentielle Nutzen von Ponatinib gegenüber den Risiken abgewogen werden; es gibt aber auf der Basis der Begleiterkrankungen keine absolute Kontraindikation für irgendeinen TKI.

Tabelle 3: Herz-Gefäss-, Lungen und Stoffwechselnebenwirkungen der TKI

TKI

Herz-Gefäss-, Lungen- und Stoffwechsel-Nebenwirkungen

Patienten, die Vorsicht und sorgfältige Überwachung erfordern

Imatinib

Herzinsuffizienz, Linksherzinsuffizienz

 

Seltene Lungentoxizität

Patienten mit Herzerkrankung

 

Patienten mit Risikofaktoren für Herzversagen

Dasatinib

Arterieller Pulmonarer Hochdruck, Pleuraergüsse, Pneumonitis

 

QT-Verlängerung

Patienten mit Herz-Lungenerkrankungen

 

Patienten mit QT-Risiken

Nilotinib

QT-Verlängerung

 

Herz und arterielle Verschlusserkrankung

 

Hyperlipidämie oder Hyperglykämie

 

Berichte über plötzliche Todesfälle bei CP-Patienten mit Imatinib-resistenter/ Unverträglichkeit mit existierender Herzerkrankung oder bedeutenden Herz-Risikofaktoren

 

Seltene Pleuraergüsse

Patienten mit erhöhtem Risiko für Hyperlipidämie und Hyperglykämie

Vermeiden bei Patienten mit QT-Verlängerungssyndrom

 

Vermeiden bei Patienten mit Hypokaliämie oder Hypomagesiämie

 

Bosutinib

Herz-Gefäss-, Lungen- und metabolische Toxizitäten sind selten

Seltene Pleuraergüsse

Patienten mit Herz-Gefäss-Risikofaktoren

Ponatinib

Gefässverschlusserkrankung

Herzversagen

Bluthochdruck

Herzrhythmusstörungen

Möglicherweise Pulmonaler Bluthochdruck

Patienten mit Herz-Gefäss-Risikofaktoren

Patienten mit Bluthochdruck

Patienten mit Risiko für Herzrhythmusstörungen

Patienten mit Risiko für Herzversagen

Patienten mit existierender Herzlungenerkrankung

 

Behandlungsoptionen für Patienten, für die Ponatinib nicht angemessen ist

Das klinische Bild der gegenüber einem Zweitgenerations-TKI resistenten Patienten ist komplex, und erst recht für diejenigen, bei denen Ponatinib nicht angemessen erscheint. Eindeutige Empfehlungen für diese heterogene Population, für die wahrscheinlich auch eine Transplantation nicht in Frage kommt, sind nicht möglich. Allerdings sind andere Zweitgenerations-TKI (abhängig vom Mutationsprofil, Begleiterkrankungen, Nebenwirkungen früherer TKI-Behandlungen und anderer, bereits beschriebener Faktoren) oder eine klinische Studie beides vernünftige Optionen.

Betrachtung, wann eine Transplantation angebracht ist

Die frühe Erwägung einer allo-HSCT ist wesentlich und sollte mit dem Patienten so schnell wie möglich nach einer Zweitgenerations-TKI-Resistenz besprochen werden. Die Heterogenität des Transplantatiosrisikos (z.B. nicht rückfallbedingte Sterblichkeit, Graft-Versus-Host-Disease) deutet an, dass die Entscheidung für oder gegen eine Transplantation kompliziert ist. Es gibt zur Zeit keinen endgültigen Konsens, jede Entscheidung muss auf der Grundlage des individuellen Nutzen-Risikoprofils gefällt werden. Auf jeden Fall wäre die Verzögerung der Transplantation, bis alle verfügbaren TKI erschöpft sind, für einige Patienten unangemessen, besonders für solche mit ungünstigen Parametern, die nicht von einer weiteren TKI-Behandlung profitieren würden. Die Gegenwart weiterer chromosomaler Aberrationen mit hohem Risiko (komplexe Karyotypen, iso-Chromosom 17, Abnormalitäten in Chromosom 3, Monosomie 7, und Trisomie 8) sind auslösende Faktoren für eine Transplantation. Für Fälle ohne jeglichen ungünstigen Faktor kann eine alternative TKI-Therapie (oder eine klinische Studie) angemessen sein. Behandlungsstrategien, die eine Überweisung zur Transplantation lediglich verzögern und mit dem Risiko einer Progression, die die Eignung des Patienten für eine allo-HSCT kompromittieren, werden nicht empfohlen. Ein Beispiel: Eine Indikation, bei der es angemessen sein kann, eine Transplantation der Behandlung mit Ponatinib vorzuziehen, sind sehr junge Patienten mit einem verfügbaren passenden verwandten Spender. Spezifische Empfehlungen betreffend Induktion, Konditionierung und Erhaltungstherapien werden in diesem Papier nicht berücksichtigt.

Berücksichtigung der langfristigen Behandlung mit TKI

Der Schwerpunkt dieser Empfehlungen liegt eher auf Patienten, bei denen Zweitgenerations-TKI wegen Resistenzen versagen als auf solchen, bei denen Unverträglichkeit vorliegt. Für einen Patienten, der Ponatinib benötigt, aber Herz-Gefässprobleme hat (wie z.B. einen Herzinfarkt) kann es jedoch angemessen sein, Vorsicht walten zu lassen und mit einer geringeren Ponatinib-Dosierung zu beginnen (wenn der Patient nicht für eine Transplantation geeignet ist), während für andere Patienten mit aggressiver CML die Startdosis von 45 mg/d Ponatinib erwogen werden sollte. Zu beachten ist auch, dass die Ponatinib-Dosis nach Erreichen des gewünschten Ansprechens reduziert werden kann. Die Herangehensweise an die Behandlung des Patienten muss nicht nur Nebenwirkungen berücksichtigen, sondern auch Begleiterkrankungen, die (obwohl von der CML unabhängig) einen gleichwertigen Einfluss auf die Auswahl der Behandlung haben. Die Auswahl der besten Behandlungsoption muss für jeden individuellen Patienten personalisiert werden, und Wirksamkeit mit der Prävention von Nebenwirkungen verbinden. Wenn Nebenwirkungen der TKI auftreten, gibt es Anleitungen zu ihrer Behandlung.

Behandlungsfreie Remission (TFR) nach Resistenz gegenüber einem Zweitgenerations-TKI

Obwohl TFR ein zunehmend gewünschtes Ziel der Behandlung wird, wäre jeglicher TFR-Versuch an Patienten, die eines Resistenz gegenüber einem Zweitgenerations-TKI gezeigt haben, voreilig und wird derzeit nicht empfohlen.

Schlussgedanken: Behandlung von Patienten nach Zweitgenerations-TKI-Resistenz

Trotz der Bandbreite der diskutierten Optionen kann es Patienten geben, für die keine dieser Optionen angemessen ist (z.B. Patienten, die weder Ponatinib noch einen Zweitgenerations-TKI erhalten können, und die für eine allo-HSCT nicht geeignet sind). In solchen Fällen können Interferon-alpha und/oder die bestmögliche unterstützende Behandlung zur Kontrolle der Erkrankung und ihrer Symptome angemessene und realistische Behandlungsoptionen sein. Die CML-Therapielandschaft entwickelt sich schnell mit neuen Erkenntnissen und besserem Verständnis, was die Entwicklung neuer Behandlungsansätze antreibt. Verschiedenste Ansätze und Hypothesen werden erforscht, einschließlich von Strategien zur Überwindung BCR-ABL1-unabhängiger Hemmung, mutationsabhängiger Resistenzen sowie Strategien, die auf Leukämiestammzellen zielen. Bis jetzt bleiben diese Ansätze und Hypothesen experimentell, und die vorliegenden Daten reichen zur Anleitung klinischer Entscheidungen nicht aus.

Die Behandlungsziele für CP-CML-Patienten mit Resistenz gegenüber einem Zweitgenerations-TKI bleiben unabhängig von der Linie der Therapie unverändert. Die derzeit verfügbare Datenbasis erlaubt bestimmte Empfehlungen nach Zweitgenerations-TKI-Resistenz. Die Transplantation sollte frühzeitig erwogen werden, um eine Spendersuche rechtzeitig einleiten zu können. Geeignete Patienten sollten einen Drittgenerations-TKI erhalten (insbesondere in Fällen, bei denen keine bekannte Mutation die Resistenz bedingt), mit den klinisch angemessenen Dosismodifikationen. Je nach Mutationsprofil kann auch ein anderer Zweitgenerations-TKI möglich sein. Für Patienten, die Ponatinib nicht vertragen, sind klinische Studien neuer Medikamente oder eine allo-HSCT, wenn alle anderen möglichen TKI erschöpft sind, mögliche Optionen.

Asciminib, ein TKI, der vielversprechende Ergebnisse in Phase 1 bei intensiv vorbehandelten Patienten gezeigt hat, könnte eine Zukünftige Option für diese Patienten darstellen.

Tabelle 2: Ansprechen auf 2G-TKI in 3L (oder späterer) -Behandlung der CP-CML a,b

Studie

TKI

Kumulierte CcyR-Rate

[%]

Kumulierte MMR-Rate [%]

Beobachtungs-dauer [Monate]

Median (Bereich)

EFS/PFS/TTF

OS

Voherige Therapie-versagen, n/N

Mutationen der Patienten vor 3L-Therapie, n/N

Garg 2009 N=48 total, n=25 CP, n=10 AP, n=13 BC

Dasatinib 3L CP-CML, n=16

Nilotinib 3L CP-CML, n=9

31

13

13 (0.5-41)

alle Pat.

Median FFS: 20 Monate

Median OS: 20 Monate

alle Pat.

30/34 (alle) Versagen von 2G-TKI wegen Resistenz

11/16 P

 

7/9 P

Ribeiro 2015

n=18

Dasatinib 3L (n=5)

Nilotinib 3L (n=13)

13c

24c

52 (7-75)

5 Jahre EFS: 22%

5-Jahre PFS: 54%

5 Jahre OS: 86%

16/18 2G-TKI-Versagen wegen Resistenz, 2/18 wegen Unverträglichkeit

6/14 P

Lomaia 2015

n=53

Dasatinib (n=30)

Nilotinib (n=18

Bosutinib n=5 3L

21

NA

21 (1-67)

NA

2Jahre OS: 67%

48/53 Versagen eines TKI, 42/53 Versagen beide TKI

16/35 P (T315I bei 3 Pat.

Giles 2010 n=60 Total, n=39 CP, n=21 AP

Nilotinib 3L CP-CML n=39

24d

NA

12 (NA) alle Pat.

Median TTF: 19.5 Monate

18 Monate geschätzt PFS: 59%

18 Monate geschätzt OS: 86%

12/39 versagen 2L TKI (Dasatinib) wegen Resistenz, 26/39 wegen Intorleranz und 1/39 unbekannte Ursache

12/25 P am Häufigsten: F317L(n=6), T315I (n=2)

Cortes 2011 n=29e

Jeder 3L-TKI oder spätere Linie

24e

NA

NA für 3L und jenseits der Kohorte

NA

NA

NA

NA

Ibrahim 2010 n=26

Dasatinib oder Nilotinib 3Lf

35

19

21.5 (6-46.5)

30 Monate EFS: 46%

30 Monate OS 47%

7/26 Pat vorausgehende hämatologische Resistenz auf TKI

NA

Hochhaus 2019 (n=61)

Bosutinib 3L

84 (resistent oder intolerant; n=56)g

64(resistent oder intolerant; n=28)h

NA für 3L-Kohorte

NA für 3L-Kohorte

NA für 3L-Kohorte

35/61 resistent ggü. Jedem versuchten

26/61 Unverträglich ggü. Vorausgehenden TKI

NA

2L: zweite Linie, 3L: dritte Line, 4L: vierte Linie, AP: forgeschrittene Phase, BC: Blastenkrise, CML chrnosch-myeloische Leukämie, CP chronische Phase, CCyR: vollständiges zytogenetisches Ansprechen, EFS: Eventfree Survival, FFS: Versagensfreies Überleben, MMR gutes molekulares Ansprechen, NA nicht verfügbar, OS Gesamtüberleben, PFS Progresionsfreies Überleben, TTF: Zeit bis zum Versagen der Behandlung , P bzw. Pat. Patienten

a Die Heterogenität zwischen den Studien, kleine unkontrollierte gegenüber grossen Registerstudien sollte beachtet werden,

b Resistente CP.CML-Patienten mit ≥3L TKI werden gezählt (ausser bei „alle Pat.); c CCyR-Datenbasis 15 Patienten, MMR-Datenbasis 17 Patienten

d Giles 2010-Studie mit 39 eingeschriebenen Patienten, 37 auf Ansprechen evaluierbar. Ansprechensdaten basieren auf 37 Patienten, Resistenzdaten ggü 2L TKI basieren auf 39 P

e Cortes 2011-Studie, 26 Patienten in 3L behandelt, weitere 4 in 4L (vondenen 3 evaluierbar waren). Ansprechdaten für alle 29 evaluierbaren Patienten in3L und 4L. Von den 26 3L-Patienten hatten 15 (58%) vorher Dasatinib, 7 (27%) vorher Nilotinib , 2 (8%) voher Bosutinib und 2 (8%) vorher Bafetinib.

f Ibrahim 2010-Studie: Daten zusammengefasst für Dasatinib- und Nilotinib-Patienten

g Kumulierte Raten bei Patienten, die auf Ansprechen evaluierbar sind; CCyR-Rate war 77% für Patienten in 2/3/4L (n=77)

h Kumulierte Raten bei patienten, die Auf Ansprechen evaluierbar sind, ohne Patienten mit MMR zum Ausgangspunkt, MMR-Rate war 46% bei resistenten Patienten, die in 2/3/4L behandelt wurden (n=48)

 

 

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