Absetzen der Behandlung mit Tyrosinkinasehemmern für Patienten mit chronisch-myeloischer Leukämie in der klinischen Praxis

 

Richard E. Clark

Current Hematologic Malignancy Reports

https://doi.org/10.1007/s11899-019-00548-2

Übersetzung aus dem Englischen von Niko, ohne Gewähr für die Richtigkeit. Die Tabelle 1 folgt, die Graphiken müsst Ihr Euch im Original anschauen.

Zusammenfassung

Bei chronisch-myeloischer Leukämie (CML) wird die Behandlung mit Tyrosinkinasehemmern (TKI) traditionellerweise lebenslang verabreicht. Diese Medikamente ergeben für viele Patienten ein exzellentes Ansprechen, das von einer nahezu normalen Lebenserwartung begleitet wird. Diese Ausgangslage hat zu Untersuchungen der Frage geführt, ob es möglich ist, die Behandlung abzusetzen und so eine Behandlungsfreie Remission (Treatment Free Remission, TFR) zu erreichen.

Die meisten Studien zur behandlungsfreien Remission haben sich mit einem abrupten Absetzen der Behandlung bei Patienten in langanhaltender, tiefer Remission befasst; neuere Daten legen nahe, dass eine graduelle Deeskalation den Erfolg der TFR verbessern könnte, und dass es möglich sein könnte, die TFR-Versuche auf Patienten zu erweitern, die sich zwar in stabiler molekularer Remission befinden, jedoch nicht notwendigerweise mit MR4 oder besser.

Es werden dringend weitere Daten zu Patienten gesucht, deren Remission weniger stabil als MR4 ist, und zur Bedeutung vorausgehender Interferon-alpha-Behandlungen. Die Finanzierung von TFR-Studien bei einer Erkrankung mit einer so guten Prognose wird zunehmend zur Herausforderung.

 

Einleitung

Die myelosuppressive Therapie in Form von Busulfan wurde für die Behandlung der CML in den frühen 1950er-Jahren eingeführt, und sein angenehmerer Nachfolger Hydroxyharnstoff blieb das Kernstück der CML-Therapie währen der nächsten 30 Jahre. Es wurde angenommen, dass diese Wirkstoff kontinuierlich gegeben werden sollten, möglicherweise im Glauben, dass es wichtig sein, die Unterdrückung eines überaktiven Knochenmarks zu erhalten. Es wurden Studien zur Untersuchung des optimalen Timings der Busulfan-Gabe durchgeführt, aber niemand zog in Betracht, ob es möglich sei, die Behandlung bei gut ansprechenden Patienten abzusetzen; vermutlich deshalb weil die für CML charakteristische Philadelphia-Translokation (Ph) t(9:22)(q34:q11) selbst bei den am besten auf Busulfan/Hydroxyharnstoff ansprechenden Patienten immer leicht nachweisbar blieb. In den frühen 80ern wurde Interferon-alpha (IFN) verfügbar, und die serielle zytogenetische Untersuchung der mit IFN behandelten Patienten zeigte zum ersten Mal, dass ungefähr die Hälfte von ihnen einen gewissen Grad der zytogenetischen Remission im Knochenmark erreichen konnte. Eine kleine Minderheit (ca. 5%) der Patienten kann eine dauerhafte vollständige zytogenetische Remission erreichen (Complete Cytogenetic Remission CCyR; keine von mindestens 20 Knochenmarksmetaphasen Ph-positiv), und ungefähr die Hälfte der Patienten mit langanhaltender CCyR unter IFN-Behandlung kann erfolgreich die Behandlung absetzen.

Der Tyrosinkinasehemmer (TKI) Imatinib wurde erstmals 1998 in einer klinischen Studie eingesetzt und wurde während der nächsten paar Jahre generell verfügbar. Die IRIS-Studie zur Erstlinienbehandlung rekrutierte zwischen 2000 und 2001 und zeigte schnell, dass Imatinib wirksamer und besser verträglich als IFN ist. Eine 10-jährige Nachsorge der Imatinib-Patienten ergab ein Gesamtüberleben von 83%, von denen ungefähr die Hälfte auf Imatinib verblieb und 82% eine CCyr erreichten. Diese hohe Rate zytogenetischen Ansprechens führte zur Anpassung der Quantifizierung von BCR-ABL1 auf Real-Time Quantitativeeeeee Reverse Transcriptase Polymerase Chain Reaction (PCR) zur Überwachung des Ansprechens auf die TKI-Behandlung und so zur Einführung tieferer Remissionsmasstäbe; Major Molecular Response (MMR oder MR3; BCR-ABL1/ABL1-Verhältnis ≤ 0.01%) und MR4.5 (BCR-ABL1/ABL1-Verhältnis ≤ 0.0032%). Es gibt die Mode, MR4 oder tiefer als „tiefes molekulares Ansprechen zu bezeichnen.

Einige mit Imatinib behandelte Patienten erreichen nicht nur CCyR sondern auch molekulare Negativität. Nach einiger ermutigenden Studie der French CML-Group zum Absetzen von Imatinib bei 12 Patienten führte diese Gruppe STIM (Stop Imatinib) durch, eine mutige Studie an 100 Patienten, bei denen die Erkrankung mit den 2006 verfügbaren molekularen Techniken nicht mehr nachweisbar war. 12 Monate nach dem Absetzen verblieben 41% der Patienten in der molekularen Negativität, und nach 5 Jahren waren 38% der Patienten frei von einem Rückfall. Die überwiegende Mehrheit der Rückfälle trat in den ersten 6 Monaten nach dem Absetzen der Behandlung auf. Diese Konzentration der Rückfälle in den ersten Monaten nach dem Absetzen der Behandlung tritt nahezu allen nachfolgenden Studien auf.

 

Studien zur Behandlungsfreien Remission

 

Zusammenfassungen früherer und aktuellerer Studien wurde gekonnt zusammengefasst. In Tabelle 1 werden die Hauptstudien zur Behandlungsfreien Remission zusammengefasst. Im Verlauf dieser Untersuchungen hat sich die Definition eines Rückfalls vom Wiederauftreten der BCR-ABL1-Positivität, wie für STIM und die fast aktuelle australische TWISTER-Studie verwendet, weiterentwickelt zum Verlust der MMR. Diese Definition wurde zuerst in der A-STIM-Studie verwendet, die ähnliche Aufnahmekriterien wie STIM verwendete, aber ein rückfallfreies Überleben von 61% nach 3 Jahren berichtete. Der Verlust der MMR wurde verbreitet als Definition eines Rückfalls in der Mehrzahl der aktuelleren Studien verwendet (siehe Tabelle 1).

Die meisten Studien konzentrieren sich auf Patienten mit exzellentem molekularem Ansprechen auf ihre Erstlinien-TKI (üblicherweise Imatinib), und berichten über remissionsfreie Überlebensraten zwischen 48% und 61% 3 Jahre nach dem Absetzen der TKI-Behandlung. Es gibt beträchtliche Unterschiede in der Auswahl der Patienten zum Studieneintritt, die die Vergleichbarkeit der Studien untereinander verkompliziert. Die meisten akademisch geführten Studien haben das Erreichen von mindestens MR4 während 1-2 Jahren vor dem Eintritt verwendet, während von Pharmafirmen geführte Studien wie z,B. DASFREE oder ENESTfreedom typischerweise vorsichtiger sind und mindestens MR4.5, entweder anhaltend oder zumindest bei Studieneintritt fordern. Es gibt keinen Beweise, dass Studien, sie sich auf Patienten mit MR4.5 beschränken, bessere RFS erreichen als solche, die Patienten mit MR4 zulassen.

Die ISAV-Studie fand, dass TFR bei älteren Patienten wahrscheinlicher sei. Die Gründe dafür sind nicht klar.

Es gibt nur begrenzte Informationen zur TFR bei Patienten mit Resistenzen gegenüber einem Erstlinien-TKI (fast immer Imatinib), die mit einem Zweitlinien-TKI exzellentes Ansprechen erreichen. Die ENESTop-Studie an Patienten mit Nilotinib in zweiter Linie war vorsichtig, sodass die Patienten mindestens eine dauerhafte MR4.5 bei Eintritt haben mussten und während einer 48-Wöchigen Beobachtungszeit unter Nilotinib erhalten musste; dabei wurde ein RFS von 53% 96 Wochen nach dem Absetzen berichtet. Die DADI-Studie berichtete über ein RFS von 44% nach 3 Jahren nach dem Absetzen von Dasatinib in zweiter Linie, obwohl der Verlust von MR4 als Definition eines Rückfalls verwendet wurde. Die STOP-2G TKI-Studie berichtete über ein RFS von 54% nach vier Jahren unter Verwendung des Verlustes der MMR als Rückfallkriterium. Interessanterweise berichtetenowohl diese als auch die DADI-Studien bessere RFS für Patienten, die die Imatinib-Erstlinienbehandlung nicht vertrugen als für solche, die gegenüber dem Erstlinien-TKI resistent waren. ENESTpath schreitet voran, und vergleicht zwei verschiedenen Behandlungsdauern von Nilotinib in zweiter Linie vor dem Absetzen der Behandlung.

 

Wie können die TFR-Erfolgsaussichten verbessert werden?

 

Im Rahmen der STIM-Studie wurde ein nicht signifikanter Trend zu einer besseren TFR-Erfolgsrate bei Patienten, die vorher mit IFN behandelt wurden, beobachtet. Patienten in frühen TFR-Studien, die mit IFN behandelt wurden, haben ihre TKI-Behandlung tendenziell über einen längeren Zeitraum erhalten, und IFN kann den Anteil der Patienten, die eine ausreichend tiefe Remission für einen Absetzversuch erreichen, erhöhen. In der grossen multinationalen EURO-SKI-Studie zeigten mit IFN während >1.5 Jahren behandelte Patienten ein 5-Monate RFS von 86%, was signifikant höher war als dasjenige von 56% bei ≤1.5 Jahre mit IFN behandelten Patienten. Die IFN-Erhaltungstherapie könnte hohe Raten für das Absetzen der Behandlung mit TKI ermöglichen. Der Wert der Erhaltungstherapie mit pegyliertem IFN wird gerade in der ENDURE-Studie (https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT03117816) untersucht. Die deutsche TIGER (CML V)-Studie vergleicht derzeit Nilotinib±IFN als Erstlinienbehandlung, gefolgt von einer Erhaltungsphase mit IFN-Therapie alleine und, wenn angemessen, nachfolgendem TFR-Versuch. Die ersten Ergebnisse werden Ende 2019 verfügbar sein, obwohl die Daten der TFR-Phase länger auf sich warten lassen dürften. Auf ähnliche Weise untersuchen die nordische und die französischeee Gruppe Bosutinib in der BOSUPEG-Studie mit oder ohne pegyliertem IFN alErstlinienbehandlungng, gefolgt von TFR. Alle diese Studien fordern MR4 als Voraussetzung für einen Absetzversuch. Im Laufe der nächsten 2-3 Jahre wird sich zeigen, ob entweder begleitende oder sequentielle Behandlung von IFN mit den TKI den Erfolg der TFR verbessert.

Es ist plausibel, dass andere Behandlungsstrategien die TFR-Erfolgsrate verbessern könnten. Kürzlich wurde eine kleine Studie über die Erhaltungstherapie mit Lenalidomid nach TKI-Therapie publiziert.

Alle ausser einer in der Tabelle 1 aufgeführten Studien haben auf ein abruptes Absetzen der TKI-Behandlung gesetzt. Es ist aber plausibel, dass einige Patienten, bei denen das Absetzen der Behandlung fehlgeschlagen ist, nichtsdestotrotz mit niedrigerer Dosis in guter Remission verbleiben könnten, und so die Nebenwirkungen der TKI abmildern und die Last durch die Kosten der TKI verringert werden könnten. Die Dosisreduktion scheint sicher zu sein,und mathematische Modellierungen der Daten aus den klinischen Studien lassen vermuten, dass nach einer einleitenden Phase zur Tumorreduktion reduzierte TKI-Dosen wahrscheinlich genauso wirksam wie die Standarddosis zur Kontrolle der Erkrankung ausreichen könnten. Die britische Deeskalations- und Stop-Studie für Imatinib, Nilotinib oder Dasatinib (DESTINY) unterscheidet sich von den anderen, in Tabelle1 zusammengefassten Studien dadurch, dass die Patienten während der ersten 12 Monate vor dem Absetzen ihren TKI mit der Hälfte der Standarddosis (Imatinib 200 mg/d, Nilotinib 200 mg zweimal täglich und Dasatinib 50 mg/d) erhalten. Am Ende dieser Deeskalations-Phase blieben 98% der Patienten (mit mindestens stabiler MR4-Remission vor Eintritt) frei von Rückfällen, und 36 Monate (also 2 Jahre ohne Therapie) ist das rückfallfreie Gesamtüberleben 72%. Diese hervorragenden Ergebnisse wurde bisher nur in einer kleinen Studie über Interferonerhaltung nach Absetzen von Imatinib und in aktuellen beobachtenden Studien, in denen die Selektion der Patienten ein Faktor sein könnte, erreicht.

Es ist möglich, dass der graduelle TKI-Entzug bisher schlafende Leukämiestammzellen in einen etwas proliferativeren Zustand bringen könnte, in dem sie gegenüber dem TKI empfindlicher werden und so die Last der Leukämiestammzellen vor einem TKI-Stop verringert würde. Die Kinetik der restlichen Leukämiestammzellen während einer Deeskalation der TKI-Dosis oderach dem Stop ist schwierig zu untersuchen, weil schon per Definition nur sehr wenig Erkrankung vorhanden ist, und obwohl neuere Daten von 10 Patienten der DESTINY-Studie nahelegen, dass geringere Anteile von CD93-positiven Zellen, einem potentiellen Leukämiestammzellen-Marker e ein besseres rückfallfreies Überleben vorhersagen könnten. Eine alternative Möglichkeit ist, dass der graduelle Entzug der TKI in irgendeiner Weise das Immunsystem anregt, auf die Leukämie anzusprechen. TKI können die Proliferation von T-Zellen unterdrücken und dedritische, natürliche Killer- und B-Zellfunktion reduzieren, was aber keine signifikanten klinischen Konsequenzen zu haben scheint. Die Immunantwort auf BCR-ABL-Peptidimpfungen ist bei TKI-Empfängern gleich wie bei gesunden Menschen.

Es gibt aktuelle Daten dazu, wie sie die Immunantwort nach dem TKI-Entzug verädnern kann. Bei DESTINY-Patienten sind CD4+ regulierende T-Zellen, CD56dim und CD56bright NK-Zelluntergruppen während der Deeskalation abgesunken, obwohl keine weiteren Veränderungen von Lymphozytengruppen nach dem Absetzen der TKI beobachtet wurden. Darüber hinausus kündigt ein Anstieg der effector memory CD8+-Untergruppe einen Rückfall an. Patienten der EURO-SKI-Studie mit höheren Anzahlen von NK-Zellen und geringerer Anzahl von CD86+ plasmacytoid dendritic Cell-Zahl zum Zeitpunkt des TKI-Stops haben eine höhere Erfolgschance, und diese Zellenzahlen könnten nach dem Absetzen bei Patienten ohne Rückfall weiter ansteigen. Insgesamt legen die aktuellen Daten nahe, dass der Grad der Beeinträchtigung des Immunsystems durch die TKI bei Patienten, die nach dem Absetzen einen Rückfall erleiden, grösser ist. Obwohl das derzeit nur von geringem praktischem Nutzen ist, dürfte die weitere Untersuchung des Immunsystems während des TKI-Entzugs nützlich sein. Weitere Studien zum graduellen TKI-Entzug werden derzeit geplant, und die Hoffnung besteht, dass sie Laboruntersuchungen des Immunsystems beinhalten werden.

 

Welches PCR-Level ist erforderlich?

 

Wie Tabelle 1 zeigt, haben sich die meisten Studien zur TFR auf Patienten mit mindestens stabiler MR4 konzentriert. Die aktuellen National Comprehensive Cancer Network (US) – Leitlinien empfehlen, TFR nur bei Patienten, die mindestens in MR4 während zumindest zwei Jahren waren, zu versuchen. Die Leitlinien der European Society for Medical Oncology empfehlen das erreichen von MR 4.5 und stabile MR4 während wenigstens zweier Jahre, erkennen aber an, dass weniger strenge Kriterien ein erfolgreiches TFR nicht ausschliessen. Die Abwesenheit von Beweisen stellt keinen Beweis der Abwesenheit dar. Abgesehen von anekdotischen Berichten und einer Studie an 12 Patienten wurde TFR nicht formal an Patienten, die zwar eine anhaltende MMR, aber nicht MR4 oder besser erreichten, untersucht. Jedenfalls wurden 49 Patienten in die oben beschriebene DESTINY-Studie eingeschlossen, die ihren TKI während mindestens 3 Jahren erhielten und in stabiler MMR waren, aber nicht immer in MR4 während der letzten 12 Monate. Ihr RFS nach 12 Monaten der Deeskalation war 81%, und 36% nach 3 Jahren (2 Jahre nach dem Therapiestop). Das sind schlechtere Ergebnisse als diejenigen für Patienten mit mindestens stabiler MR4 (98% bzw. 72%). Allerdings wurde ein besseres RFS bei längere Zeit behandelten Patienten beobachtet, und das RFS der MR4-Patienten könnte demjenigen der MMR-Patienten ähnlicher werden, wenn sie 2-3 Jahre länger mit dem TKI behandelt werden. Darüber hinaus könnte noch der Trend (das Gefälle der Kurve) im BCR-ABL1/ABL1-Verhältnis während der Deeskalation zur Prognose der Rückfallwahrscheinlichkeit nach TKI-Therapiestop verwendet werden.

Tafel A der Abbildung 1 illustriert zwei repräsentative gegensätzliche Patienten, links mit nahezu keiner Änderung der PCR und ohne Rückfall, rechts mit einer hohen Steigung aufwärts und schliesslich einem Rückfall. Ein PCR-Anstieg von mehr als 0.068 log pro Monat wird mit einer hohen Rückfallwahrscheinlichkeit nach dem Absetzen des TKI in Verbindung gebracht; diese Steigung könnte zur Anleitung für die Entscheidung zum Absetzen genutzt werden. Wenn das Absetzen der TKI auf Patienten mit fallender oder nur geringfügig steigender PCR begrenzt wäre, läge das RFS für MMR-Patienten bei über 50%. Allerdings erfordern diese Daten zu MMR-Patienten eine Bestätigung in weiteren Studien. Gegenwärtig erscheint es weiser, das Absetzen bei solchen Patienten als experimentell zu betrachten und am besten auf klinische Studien zu begrenzen.

 

Andere Betrachtungen

 

Erstaunlicherweise schliesst der Fehlschlag eines TFR-Versuchs nicht zwingen den Erfolg eines zweiten Versuchs aus. Allerdings fehlen Informationen für die beste Herangehensweise für solche Patienten noch. Die beobachtende RE-STIM Studie an 70 Patienten, bei denen ein erster TFR-Versuch fehlgeschlagen ist und die anschliessend wieder eine stabile, mindestens MR4-Remission erreichten, berichtete über ein RFS von 42% 2 Jahre nach dem zweiten TKI-Stop, und dieser Wert könnte in Patienten, deren Rückfall später auftrat, besser sein. Die Ergebnisse sind nicht dramatisch schlechter als diejenigen des ersten Stop-Versuchs, und es bleibt unklar, weshalb Patienten, bei denen er erste Versuch fehlschlägt, mit mehr oder weniger der gleichen Strategie nur Monate später Erfolg haben. Es laufen derzeit Studien zu einen zweiten TFR-Versuch für Imatinib-Patienten, deren erster Versuch fehlschlug. In diesen Studien wird erst die Behandlung entweder auf Nilotinib (NILO-post-STIM, NAUT) oder auf Dasatinib (TRAD) umgestellt.

Es gibt eine Hinweise darauf, dass RFS nach dem Absetzen bei Patienten mit der e14a2-Form des BCR-ABL1-Transskripts besser ist als bei solche mit der e13a2-Form; dieser Befund ist aber nicht universell. Es ist unklar, ob das Real oder wegen eines PCR-Artefaktes so erscheint, wobei ein gegebenes Level der e13a2-Last höher erscheinen kann als für e14a2 und auf diese Weise die Schwelle für einen Rückfall disproportional tiefer legt. Es liegen so gut wie keine Daten zum TFR für Patienten mit BCR-ABL1-Transskript-Varianten von (also nicht e13a2 oder e14a2), weil diese Patienten von den meisten Studien ausgeschlossen wurden, wegen mangelhafter Vergleichbarkeit der PCR-Techniken gegenüber e13a2/e14a2 und den Schwierigkeiten bei der Standardisierung der PCR abweichender Transkripte. Deshalb raten mehrere Leitlinien vom TFR-Versuch bei solchen Patienten ab.

In den vergangenen paar Jahren wurden neue molekulare Plattformen verfügbar, die empfindlicher als die konventionelle RT-PCR sind. Diese schliessen DNA-basierte PCR sowie „digitale“ und „next generation sequencing“-Methoden ein. Mit derartigen Techniken kann die Erkrankung in Patienten detektiert werden, die unterhalb der Nachweisgrenze der konventionellen RT-PCR liegt. Das hat zur Anregung geführt, solche Techniken könnten nützlich sein, um Patienten mit höherem Rückfallrisiko zu identifizieren, obwohl bisher nur wenige Studien diese Möglichkeit untersucht haben. Jedenfalls ist bei vielen TFR-Patienten die Erkrankung mittels konventioneller PCR zum Zeitpunkt des Absetzens detektierbar, sie können Monate oder Jahre ohne Behandlung und ohne Verlust der MMR verbleiben, sogar bei steigenden PCR-Levels. Weil solche Patienten eindeutig nicht frei von den Leukämie-Klonen sind und die Erkrankung trotzdem unter Kontrolle bleibt, stellt sich die Frage der klonalen Kinetik während der TFR und bei einem Rückfall. Eine besondere Schwierigkeit ist die Untersuchung des LSC-Kompartements während der TFR, weil dieses per Definition klein ist, schlafend und falls nicht, wegen seiner differenzierten Nachkommen verkümmert ist.

Bisher haben alle TFR-Studien spezifisch Patienten mit bereits fortgeschrittenen Phasen der CML ausgeschlossen, selbst wenn exzellente Remissionen während vieler Jahre erzielt wurden; vermutlich deshalb, weil sie potentiell Klone mit der erwiesenen Fähigkeit eines Rückfalls in eine Blastenkrise beherbergen. Es ist unwahrscheinlich, dass sich an diesem Ausschluss etwas ändern wird, und am besten betrachtet man TFR für derartige Patienten als kontraindiziert.

 

TKI-Entzugssyndrom

 

Erstmalig wurden Entzugssymptome in 2014 bei 15 von 50 schwedischen Patienten der EURO-SKI-Studie beschrieben. In einer retrospektiven Analyse der STO-TKI und EURO-SKI-Daten zeigten 23% von 427 Patienten Muskel-Skelett-Symptome nach dem Entzug des TKI. Diese Symptome betrafen hauptsächlich die oberen Körpergelenke und erforderten multiple symptomatische Behandlungen bei 30% der Patienten. Der Mechanismus dieses TKI-Entzugssyndroms ist ungeklärtt, obwohl vermutet wird, dass es mit einem Off-Target-Effekt (also einem anderen Target als ABL1) des TKI zu tun haben könnte. Alle TKI zeigen Off-Target-Effekte, obwohl die relative Intensität dieser Effekte sich zwischen den TKI unterscheiden, es aber wenig Beweise für Unterschiede der klinischen Manifestation der Entzugssyndrome zwischen den TKI gibt. Die Dauer der TKI-Behandlung und eine vorausgehende Geschichte osteoartikulärer Symptome erhöht das Risiko der Symptome. Die meisten folgenden Studien haben über ähnliche Symptome bei 25%-40% der Patienten, die den TKI absetzten, berichtet. In der KID-Studie wird das Auftreten des Syndroms mit einer erhöhten Erfolgsrate der TFR assoziiert, und eine längere Zeit bis zum Wiederauftreten bei denen die einen Rückfall erleiden, was sich aber in anderen Studien nicht gezeigt hat. Die Auswirkungen der Muskel-Skelett-Symptome auf die Lebensqualität ist unbekannt, weil nur wenige Studien das während der TFR bewertet haben und dabei typischerweise die Bewertungsinstrumente für normale Krebserkrankungen verwendet haben, die für gut eingestellte CML-Patienten zu wenig empfindlich sind. Die Symptome können in Patienten mit geringerem Körpergewicht und geringerem BMI wahrscheinlicher sein. Obwohl die Symptome denen anderer entzündlicher Gelenkerkrankungenn zu ähneln scheinen, fallen der Nachweis vonRheumafaktorenen, Markern für systemischen Lupus Erythematosus und radiologische Untersuchungen typischerweise negativ aus.

Der natürliche Verlauf scheint schrittweise bis zum vollständigen Verschwinden zu sein, kann aber viele Monate dauern. Es gibt keine Daten zur optimalen Behandlung. Symptomatische Behandlung mit milden Analgetika wie Paracetamol und nichtsteroidalen anti-inflammatorischen Medikamenten kann helfen; schwerer Fälle können eine Behandlung mit Steroiden erfordern. In der originalen schwedischen Serie aus EURO-SKI lösten sich die Symptome bei allen Patienten wieder auf, die wegen eines Rückfalls wieder mit Imatinib behandelt werden mussten, was sich in anderen Studien bestätigt hat, obwohl verständlicherweise Patienten die TKI-Behandlung nur widerwillig aus derartigen Gründen wiederaufnehmen.

 

Praktische Überlegungen

 

TKI sind teure Medikamente, und deshalb ist es nicht überraschend, dass sowohl die Deeskalation der Dosis und das Absetzen substantielle Ersparnisse erlauben. Diese Kostenersparnis dürfte mittlerweile weniger dramatisch ausfallen, seit Imatinib als Generikum verfügbar und damit in vielen Ländern billiger ist. Die Kostenersparnis wird sich weiter verringern, weil auch die neueren TKI in kommenden Jahren folgen werden. Allerdings ist bei Patienten, die ihren TKI absetzen, besonders in den ersten Monaten eine engmaschigere molekular Überwachung notwendig. Die Leitlinien des „National Comprehensive Cancer Network“ (NCCN) empfehlen monatliche Untersuchungen während der ersten 12 Monate; diese zusätzlichen Untersuchungen gleichen die Einsparungen durch die Medikamentenkosten teilweise wieder aus. Ein interessanter theoretischer Bericht prognostiziert, dass eine Untersuchung alle zwei Monate während des ersten halben Jahrs und anschliessend alle drei Monate sicher genug sei, um einen Rückfall (Verlust der MMR) zu detektieren, bevor die Patienten ihre vollständige zytogenetische Remission (CCyR) verlieren. Es wird interessant sein, diesen mutigen Untersuchungsplan in zukünftigen TFR-Studiendesigns zu beobachten.

 

Schlussfolgerungen

 

Es ist klar, dass einige Patienten mit exzellentem Ansprechen auf einige Jahre TKI-Behandlung ihre Behandlung erfolgreich absetzen können. Die TFR erscheint sicher; bisher gibt es nur zwei Berichte über Progressionen (Lymphoide Blastenkrise in der A-STIM-Studie und Blastenkrise in der KID-Studie unter vielen tausend Patienten, die eine TFR aus stabiler MMR oder aus besseren Remissionen versuchten. Fast alle Patienten, bei denen ein Rückfall nach dem Absetzen des TKI auftrat, werden wieder MMR und MR4 nach Wiederaufnahme der Behandlung mit ihrem TKI erreichen. Deshalb ist es verständlicherweise ein aktueller Trend, die erfolgreiche TFR als das primäre Behandlungsziel zu betrachten. TFR ist deshalb zentral für das Studiendesign der meisten grossen CML-Gruppen. Allerdings ist Vorsicht angebracht, bevor TFR als das „sine plus ultra“ der CML-Behandlung anzunehmen, anstelle des bescheideneren Ziels MMR oder besser (und damit Progressionsfreiheit) ohne inakzeptable Nebenwirkungen. Ungefähr 20% der eigentlich geeigneten Patienten möchten keinen Therapiestop. Das Absetzen der TKI kann Angstgefühle und Depressionen hervorrufen. Interessanterweise zeigte eine Umfrage unter 1'500 Patienten, dass die Patienten weniger besorgt über TFR als ihre Hämatologen sind, und anderen Facetten der Erkrankung grössere Bedeutung beimessen. Die genaue Definition, wer für einen TFR-Versuch in Frage käme, ist noch nicht fertiggestellt, und es bleiben noch Schlüsselfragen zur Rolle von IFN bei der initiale Induktion der Remission oder in der Konsolidierung vor dem Absetzversuch. Weitere Arbeiten zum graduellen Absetzen der Behandlung, was kann die Symptome lindern, die TFR-Erfolgsaussichten verbessern, und ob die TFR auf Patienten in stabiler MMR (und nicht zwingend MR4) ausgeweitet werden kann. Wir wissen auch nicht, welcher Rat Patienten zu geben ist, bei denen ein erster TFR-Versuch gescheitert ist und die einen zweiten Versuch unternehmen wollen. Die Finanzierung weiterer Untersuchungen zur TFR bei einer Erkrankung, bei der die Lebenserwartung der Patienten sich derjenigen der Normalbevölkerung annähert, ist eine Herausforderung; trotzdem sind mehrere Studien zu diesen Aspekten der TFR im Entstehen und werden wahrscheinlich während der nächsten Jahre berichten.

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