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Erste S3-Leitlinie zur Komplementärtherapie

Verfasst: 28.02.2022, 17:23
von PMF2SZT
Hier im Forum tauchen immer wieder Fragen nach komplementären Behandlungsmethoden auf. Die Onkologie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF), Deutschen Krebsgesellschaft e.V. (DKG) und Deutschen Krebshilfe (DKH) haben jetzt dazu eine umfassende S3-Leitlinie herausgegeben (https://www.leitlinienprogramm-onkologi ... on_1.0.pdf). Fr. Prof. Jutta Hübner, Professorin für Integrative Onkologie am Universitätsklinikum Jena, die an der Leitlinie als Koordinatorin maßgeblich beteiligt war, sieht bei den vermeintlich milden Behandlungen Risikopotential:

"Drei Gefahrenquellen sind zu beachten: Zunächst bestehe die Gefahr, dass Patienten diese Behandlungen anstelle anderer, wirksamer Therapien machten. Die zweite Gefahr liege darin, dass die Therapien in sich schädlich sein können: „Alles was wirklich in den Körper eingreift, kann auch wirklich Nebenwirkungen haben und Schaden anrichten.“ Die Nebenwirkung einer nicht registrierten Komplementärbehandlung könne den behandelnden Arzt auch dazu verleiten, die eigentliche Tumortherapie zu verändern und so zu verschlechtern: Bestimmte chinesische Heilkräuter könnten beispielsweise Leberwerte erhöhen, und den Arzt dazu veranlassen, die Therapie zu reduzieren oder abzusetzen. Nicht zuletzt investierten Patienten auch viel Geld und wertvolle Lebenszeit in solche Therapien, führt Hübner aus. Als dritte Gefahrenquelle nennt sie die Möglichkeit gefährlicher Wechselwirkungen mit der eigentlichen Therapie, zum Beispiel durch Erhöhung oder Erniedrigung der Bioverfügbarkeit einer Chemotherapie. Besonders kritisch ist dies, wenn es um die Bekämpfung einzelner Krebszellen und nicht eines massiven Tumors gehe, also beispielsweise bei der Nachbehandlung von Brustkrebspatientinnen in der Folge einer Tumoroperation: „Wenn die Patientin etwas macht, was die Wirksamkeit dieser Tumortherapie abschwächt, merken wir das bei dieser einzelnen Patientin gar nicht.“ Habe die Patientin dann deswegen Jahre später ein Rezidiv, lasse sich kein Zusammenhang mehr zu den alternativen Behandlungsmethoden herstellen.

Hübner bemängelt, es sei fast unmöglich, die Schäden durch alternative Behandlungsmethoden nachzuweisen. Gerade fatale Nebenwirkungen würden oft gar nicht als solche registriert: „Das Problem ist, wenn unsere Tumorpatienten sterben, dann fällt das niemandem auf. Dann sagt man, klar, der hatte Krebs, […], das heißt da forscht niemand in die Tiefe: Ist er jetzt an seinem Krebs, an seiner Mangelernährung wegen fehlender Kohlenhydrate oder an seinem ‚Vitamin B17‘ gestorben?“ An systematischen Studien mangelt es; statistische Beobachtungsdaten helfen wenig, wenn die Ärzte in vielen Fällen nichts von der Anwendung einer zusätzlichen Therapie durch den Patienten wissen.

Von einigen Behandlungen wird deutlich abgeraten. Dazu gehört zum Beispiel das zuvor erwähnte sogenannte Vitamin B17, oder auch Amygdalin. Dieses setzt im Körper hochgiftige Blausäure frei, die gesunde und Tumorzellen gleichermaßen abtötet. Eine weitere klare Absage erteilt Hübner der Gabe von Vitamin E und anderen hochkonzentrierten Antioxidantien: „Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die gezeigt haben, dass die Wirkungen von Chemo und Strahlentherapien abgeschwächt werden können.“ Es gebe eine Reihe an präklinischen Studien, die den zugrundeliegenden Mechanismus erklären können. „Im Prinzip setzen wir die Tumorzellen bei der Chemo einer Oxidation aus und starke Antioxidantien steuern dagegen.“

Auch von ketogener Ernährung wird abgeraten, da der starke Gewichtsverlust der Patienten ein Risikofaktor für einen schlechten Therapieverlauf sei, und kein Nutzen nachweisbar sei. Ein nicht nachgewiesener Nutzen führte ebenfalls eine negative Empfehlung nach sich. „Wenn es keinen nachgewiesenen Nutzen gibt, dann sollten wir das Patienten auch nicht empfehlen“, konstatiert Hübner.

Trotz insgesamt sehr durchwachsener Studienlage ist es auch möglich, positive Empfehlungen auszusprechen. Hübner: „Patienten, die körperlich aktiver sind, haben eine bessere Prognose. Das Ansprechen auf die Therapien ist besser, die Überlebenszeiten sind besser. Wenn es eine wirksame [komplementäre] Maßnahme gibt, dann ist es körperliche Aktivität.“ Nicht nur der Therapieerfolg ließe sich dadurch verbessern, auch bei Nebenwirkungen wie Schlafstörungen, Erschöpfung und Polyneuropathie können Sport und Bewegung helfen. Selbstverständlich hat auch das seine Grenzen: „Sie können eine Mundschleimhautentzündung nicht mit Sport bekämpfen, da gibt es nun mal keinen Mechanismus.“


Quelle: https://www.doccheck.com/de/detail/arti ... a7b3f33c87