ich glaube, dass ich Deine Fragen vorher schon beantwortet habe und auch zum Ausdruck gebracht habe, dass es keine so einfache Antworten auf Dir einfach erscheinende, aber leider komplexe Sachverhalte gibt, antworte ich Dir natürlich gerne. Auch wenn ich einfach mit "Ja" oder "Nein" antworten könnte, wie Du es von mir verlangst, antworte ich doch lange, dass Du auch verstehst, warum ich ja oder nein sage.
Nein, trifft nicht zu. Hier gehen Dinge völlig durcheinander: Klinische Prüfungen, Zulassungsverfahren (und dessen Beschleunigung), Wirksamkeitsnachweis und Nutzenbewertung. Das sind unterschiedliche Dinge und Du wirfst diese durcheinander.
Wenn die Zulassung eines Medikaments als "Orphan Drug" (einem Medikament für eine seltene Erkrankung wie CML) "beschleunigt" durch die Zulassungsbehörden geprüft wird, bedeutet dies nicht, dass die Studien schlechter sind, sondern die PRÜFUNG der Daten erfolgt beschleunigt, und zusätzlich gibt es von Seiten der Zulassungsbehörde z.B. zusätzliche Unterstützung bei der Erstellung des Prüfplans (wissenschaftliche Beratung speziell für Arzneimittel für seltene Erkrankungen), damit die erhobenen Daten dann den Erfordernissen der Behörde bei der späteren Datenprüfung genügen.
Der Wirksamkeitsnachweis wird bei einem Orphan Drug von der EMA genauso stringent geprüft wie für eine nicht-seltene Erkrankung. Ich weiss also nicht, wie Du zum Schluss kommst, dass ein "beschleunigtes Zulassungsverfahren" zu einer Zulassung "ohne ausreichenden Wirksamkeitsnachweis" führt. Das ist Unsinn. Wirksamkeit gegen die Erkrankung und Risiko/Nutzen sind Elementarelemente der Prüfung durch die Zulassungsbehörden, und oft werden Medikamente aus diesen Gründen nicht zugelassen, egal ob beschleunigt geprüft oder nicht. Falls die EMA Zweifel an der Reife der Daten hat, aber aufgrund von hohem ungedeckten Behandlungsbedarf bei Patienten (z.B. keine sonstigen Therapiealternativen z.B. für eine bestimmte Mutation wie T315I verfügbar) auf Basis der bereits verfügbaren Daten die Marktzulassung aussprechen möchte, weil Nichtzugang schlechter für Patienten wäre als die verbleibende Unsicherheit der Daten, legt die EMA dem Hersteller zusätzliche Auflagen wie z.B. "conditional approval" / bedingte Zulassung auf, so dass der Hersteller auch nach Zulassung in weiteren Studien sicherheitsrelevante Daten erheben und über Jahre nachliefern muss. Das passiert oft.
Siehe
https://www.eupati.eu/de/beurteilung-vo ... zulassung/
und
https://www.eupati.eu/de/zulassungsrech ... ngen-comp/
Nein.
Die Studien, die zur Entscheidung über die Zulassung eines Medikaments führen, sind üblicherweise Industriestudien, weil der Hersteller den Antrag auf Markzulassung seines Produkt auf Basis von von Behörden vorab geprüften und genehmigten Studien durchführt. Es ist daher richtig, dass diese Studien fast alle von der Industrie nach den Kritierien der Behörden durchgeführt werden. Üblicherweise sind dies randomisierte Phase III-Studien, die das neue Medikament mit der zugelassenen Standardtherapie vergleicht. Manchmal kommt es auch zur Zulassung von einarmigen Phase II-Studien ohne Vergleichsarm, weil der Vergleichsarm ethisch nicht durchführbar wäre (z.B. Vergleichsarm wäre Transplantation, worauf sich kein Patient im Zufallsverfahren einlassen würde, wenn es Alternativen gibt) oder weil die Daten aus Phase II so überzeugend waren, dass die Zulassungsbehörde keine Phase-III-Studie für die Prüfung des Zulassungsantrags verlangt.
Parallel dazu finden akademische und "investigator-initiated Studies" statt, bei denen Wissenschaftler an den Kliniken diese Arzneimittel prüfen. Diese werden als zusätzliche Evidenz hinzugezogen und ALLE verfügbaren Daten fließen später in die Nutzenbewertung ein, in dem neben der Sicherheit und Wirksamkeit (EMA) auch der Zusatznutzen gegenüber Vergleichstherapien unter Berücksichtigung aller verfügbarer Evidenz bewertet werden.
Meine Antwort auf Deine Frage wäre "Ja" gewesen, wenn Du nicht geschrieben hättest, dass die "KONTROLLE" der Medikamente ausschließlich durch Industriestudien belegt werden sollen. Kontrolle findet an verschiedenen Stellen statt und alle Erkenntnisse von Industrie und akademischer Forschung fließen da ein - in Phase-II-Studien, in der vor allem die Sicherheit bewertet wird, in Phase III-Studien, in der Sicherheit und Wirksamkeit verglichen wird, und in Phase-IV- und Postmarketing-Studien, in der Sicherheit, Nutzen, andere Therapieschemas, andere Dosen, Kombinationen usw in akademischen und Industriestudien geprüft werden. Kommt es zu neuen Sicherheitserkenntnissen, kommt es zur zulassungsbedingten Neubewertung (wie z.B. mit Ponatinib bei EMA und FDA geschehen, nachdem man nach der Zulassung schwerwiegende Herz/Kreislauf-Nebenwirkungen bei etwa 8% der Patienten beobachtet hat, die während der Zulassungsstudien noch nicht sichtbar waren) und ggf zur Änderung der Zulassung.
Siehe auch
https://www.eupati.eu/de/klinische-entw ... twicklung/
Wieder eine lange Antwort auf Deine einfache Frage, aber vielleicht gibt es Dir einen Eindruck davon, dass in Behörden wie der EMA, dem BfArM und den Ärzten nicht irgendwelche Naivlinge sitzen, die einfach so Industriestudien abnicken, sondern es gibt ein sehr ausgefeiltes Arzneimittelsicherheitssystem, das bei Entwurf der Studien-Prüfpläne vor der Genehmigung von Studien berät und das die Daten von Industriestudien, Registern, akademischen Studien eng beobachtet und ggf. regulatorische Konsequenzen zieht.
Ja. Diese Wunsch liegt wie jedes Jahr unter dem Weihnachtsbaum, neben noch vielen anderen Wünschen, wie das Gesundheitssystem noch besser für Patienten sein könnte. Das Problem ist nicht, diese zu fordern, sondern das Problem ist, dies umzusetzen.
Es gibt solche akademischen Studien (in der CML z.B. die CML-IV oder EUROSKI oder verschiedene andere Studien, siehe unsere Berichte). Leider viel zu wenige.
Der spannende Punkt ist natürlich, wer solche Studien und "unabhängigen Prüfbehörden" völlig frei von Interessen finanzieren würde. Wenn nicht die Industrie, wer dann, der Steuerzahler? Oder die Universitäten? Die Krankenkassen? Der von den Krankenkassen finanzierte Innovationsfonds fördert aktuell 54 Projekte in der Versorgungsforschung - wie ist sowas also auf über 200 Krebsarten, 5000 seltene Erkrankungen und tausende Therapien auszuweiten, wer würde die Prioritäten der Förderung entscheiden? Und was ist, wenn die "unabhängige" Prüfbehörde von den Krankenkassen finanziert wird? Aber über Interessen aller Beteiligten habe ich ja schon früher geschrieben.
Ich bemühe mich sehr, aber es fällt mir halt sehr schwer, in einem so hochkomplexen System von Forschung, Innovation, Behörden und Budgets einfach so mit "Ja" oder "Nein" zu antworten und mich mit sachlich so haarsträubenden Berichten wie dem Monitor-Bericht auseinanderzusetzen. Auch ich habe Ideale-Welt-Wünsche, und ich sehe eine Menge, was in einer idealen Welt anders gemacht werden könnte, wenn man mit allem nochmal von vorne anfangen würde - aber solange diese Wünsche nicht in Erfüllung gehen können, setze ich meine Zeit lieber dafür ein, in einem sehr komplexen System im Studiendesign, der Studiendurchführung und Studienbewertung mit Forschern und Behörden zusammenzuarbeiten, damit die Forschung die Fragen beantwortet, die uns Patienten helfen, und diese dann auch in realen Therapien bei Patienten ankommen können - und Euch dabei zu helfen, zu verstehen, was wir von den neuesten Studien lernen können und was dies für CML-Patienten heißt.Nelly_CML hat geschrieben: ↑06.12.2017, 09:35Du bist unser Patientenvertreter, auch meiner................ Ich habe großen Respekt vor Deiner Arbeit und Deinem unermüdlichem Einsatz. Ich möchte Dich in keiner Weise persönlich angreifen. Ich denke aber, dass eine konkrete Antwort auf eine konkrete Frage möglich sein müsste.
Für einen fehlenden "ausreichenden Wirksamkeitsnachweis" sehe ich bei CML wirklich keinen guten Grund. Was fehlt, sind harte vergleichbare Daten der Unterschiede in Gesamtüberleben und der Lebensqualität für die fünf CML-TKIs, aber das Fehlen dieser Daten lässt niemanden an der Wirksamkeit der fünf Medikamente zweifeln, weil man die biologischen Mechanismen der CML sehr gut kennt. Man kann darüber streiten, ob die Zweitgenerationshemmer in Erstlinie eingesetzt werden sollten und nur bei Progression zu einem anderen TKI eskaliert werden sollte. Aber eine solche Studie würde Jahrzehnte laufen, bis man Unterschiede im Gesamtüberleben sehen würde, und ich würde als Patient da auch Zweifel haben, in eine solche Studie zu gehen.
Wir könnten natürlich jedes Medikament 10 Jahre lang prüfen, bis wir wirklich jede Sicherheits- und Wirksamkeitsfrage beantwortet haben, aber dann wäre ich, wenn Imatinib 2002 nicht beschleunigt geprüft worden wäre, vermutlich schon 2003 tot gewesen, und viele von uns ohne die anderen TKIs vermutlich auch. England macht es ja ähnlich, Dasatinib hat da 8 Jahre von EMA-Zulassung bis Kassenerstattung gebraucht - Pech für die, die es in der Zeit gebraucht hätten, weil sie eine Nilotinib/Imatinib-Resistenz oder Unverträglichkeit hatten.
Viele Grüße
Jan