AML mit 78 Jahren – Erfahrungsbericht/Krankheitsverlauf – Palliativ oder Transplantation?

Akute Myeloische Leukämie (AML) und Akute Lymphatische Leukämie (ALL)

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f8jo8
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AML mit 78 Jahren – Erfahrungsbericht/Krankheitsverlauf – Palliativ oder Transplantation?

Beitrag von f8jo8 » 14.10.2019, 21:41

Liebes Forum,
nach der Diagnose einer (sekundären) AML auf dem Boden eines MDS bei unserem Großvater (78) haben uns Foren wie dieses viele Informationen geliefert. Deshalb möchten wir unsere „Erfahrungen“ und den Ablauf (sowie Tipps) mit euch teilen.

Diagnose
Unser Großvater ließ nach typischen „Grippesymptomen“ wie Nachtschweiß und Abgeschlagenheit ein Blutbild anfertigen. Die Diagnose „Akute Leukämie“ des Hausarztes wurde 3 Tage später nach einer Knochenmarkspunktion im Klinikum bestätigt. Ergebnis: Akute Myeloische Leukämie auf dem Boden eines MDS (Myelodyplatisches Syndrom) mit Infiltrationsgrad: >90%, Blastengehalt im peripheren Blut: 52%. Für uns und unseren Großvater war diese Diagnose überraschend und schockierend, da er sein Leben lang bis zu diesem Tag auf keinerlei Medikamente angewiesen war, auch gab es keinerlei Vorerkrankungen. Umso schlimmer war es für uns und ihn, dass die AML in einer bereits so fortgeschrittenen Stufe diagnostiziert wurde. Die behandelnden Ärzte rieten deshalb nur noch zu einer lebensverlängernden, also palliativen Therapie mit Vidaza (Bauchspritzen) und Syrea (Tabletten). Zunächst wurde uns eine Lebenserwartung von „vielleicht 1-2 schönen Jahren“ genannt. Schmerzen oder Einschränken hatte unser Großvater zum Zeitpunkt der Diagnose im Mai 2019 überhaupt nicht. Er konnte sogar schwere Gartenarbeiten problemlos fortführen.


Behandlungsverlauf – Palliativ oder Transplantation wagen?

Als „leichte Chemo“ sollten 2 tägliche Syrea-Tabletten verabreicht werden. Vidaza Bauchspritzen, die im besten Fall die Leukämie langfristig (soweit möglich) zurückdrängen sollten, wurden eine Woche lang am Stück 1x im Monat verordnet und pünktlich durchgeführt.
Von Anfang an stand für uns die Frage im Raum, ob man doch eine Knochenmarktransplantation wagen sollte. Unser Opa gehörte mit 78 Jahren zur absoluten Risikogruppe. Laut den betreuenden Ärzten sterben im Alter von über 60 Jahren 9 von 10 Patienten in den ersten 60 Tagen der „harten“ Chemo. Sollte es doch klappen, müsste danach noch die Knochenmarktransplantation geschafft werden. Aktuelle Studien sprechen jedoch von nennenswert vielen Fällen, in denen auch im höheren Alter die Chemo überstanden wird – dann sind in wenigen Fällen nach erfolgter Transplantation sogar eine Heilung möglich. Das gibt nat. ein Stück weit Hoffnung, insbesondere, da unser Großvater in einem ausgesprochen guten Allgemeinzustand war. Auch aus Sicht der Ärzte war dieser gute Allgemeinzustand der einzige Grund, wieso sie in diesem Fall doch eine Chemo & Transpl. gewagt hätten. Auch geistig war er voll orientiert und sich der Situation komplett bewusst.
Nach Rücksprache mit der Uniklinik Erlangen, die durchaus eine Transplantation probiert hätte und es nicht komplett als unrealistisch sah, entschieden wir uns auf seinen Wunsch gemeinsam trotzdem für eine palliative Therapie. Schließlich erwarteten wir zumindest noch ein Lebensjahr.

Probleme im Behandlungsverlauf (aufgrund des fortgeschrittenen Stadiums der AML)

Die Thrombozytenzahl im Blut blieb über die ersten Wochen und danach gefährlich niedrig. Nur selten stiegen während der Therapie mit Vidaza und Syrea die Thrombozyten über 20(000) von selbst an. Vielmehr mussten mindestens einmal pro Woche Thrombozyten-Konzentrate im Klinikum verabreicht werden. Auch Blut musste spätestens alle 2 Wochen „dazugegeben“ werden (Erythrozytenkonzentrate). In den ersten 4 Wochen der Behandlung kam eine leichte Pilzinfektion in der Lunge hinzu, die jedoch nach max. 7 Tagen mit wenigen Medikamenten und Antibiotika wieder abgeheilt war.
Den gefährlich niedrigen Stand der Thrombozyten (wg. Evtl. inneren Blutungen) mussten wir als Familie selbst abschätzen. Unser Opa befand sich während der Behandlungszeit im Verhältnis nicht oft im Krankenhaus. An Einblutungen in den Augen, Lippen oder Zahnfleischbluten stellte er oder wir zu niedrige Thrombozyten fest (oft unter 4). Dann wurde unser Großvater ambulant zur Thrombozyten-Gabe eingeliefert. Diese funktionierte bis zum Ende ausgesprochen gut und komplikationslos.
Während der Behandlung ließen wir unseren Opa 2x per Notarzt ins Krankenhaus einliefern. Einmal wegen extremer Übelkeit & Schwindel nach einem Vidaza Zyklus, einmal nachts wegen erhöhter Temperatur (das war die Pilz-Infektion).

Zustand während der palliativen Therapie
Die Lebensdauer unseres Opas beschränkte sich nach der Diagnose Ende Mai 2019 auf erschreckende 3 Monate bis zum Tod am 1. September 2019. Während er in den ersten 3-4 Wochen noch fast „top fit“ war, reduzierte sich sein Zustand ständig. Wir hofften bis zum Ende, dass Vidaza „bald wirken“ würde. Dabei handelte es sich bei der Verschlechterung des Zustands ganz einfach schon um den Sterbevorgang. Er nahm rapide ab, klagte über extreme Appetitlosigkeit und permanentem Schwindel. Konkrete Nebenwirkungen von Vidaza oder Syrea hatte er wohl nicht – in der ganzen Zeit musste er nur ein einziges Mal erbrechen. Von Anfang an schlief er Tagsüber extrem viel. Tagsüber schien das halbwegs angenehm zu sein, nachts wurde er permanent von starkem Nachtschweiß gequält.
Einstich-Stellen der zahlreichen Infusionen entzündeten sich hin und wieder, richtige Probleme in direktem Zusammenhang mit der Medikation gab es aber nie. Einzig der Allgemeinzustand baute rasant ab. Er mied in diesem Zustand fast alle sozialen Kontakte, fuhr nicht mehr Auto, lebte in Haus & Garten aber weitestgehend normal weiter. Nach der Diagnose hatte er allerdings so gut wie keinen Lebenswillen mehr und schien (verständlicherweise) mit der Situation sehr überfordert gewesen zu sein. Seine Grabrede schrieb er z.B. schon 5 Wochen nach der Diagnose.

Die letzten Tage & Tod
Bis Ende August hatte sich ein Zustand massiv verschlechtert. Er lag fast nur noch im Bett, klagte aber nur über diffuse Schmerzen. Schmerzmittel selbst hatte er fast nie benötigt. Vielmehr war im schwindelig & übel. Eine Woche vor seinem Tod klagte er zudem über Durchfall. Dabei handelte es sich, wie wir später realisierten, schon um die ersten inneren Blutungen im Darm. 2 Tage vor der letzten Einlieferung ins Krankenhaus waren seine Augenlider stark eingeblutet. Als wir ihn am 29.8. das letzte Mal via Notaufnahme einlieferten, bestand sein Zustand fast nur noch aus Schlafen. Er war trotzdem noch komplett orientiert, verstand alle seine Werte und den Zustand insgesamt. Die Ärzte im Klinikum entschieden aufgrund der auf über 360.000 gestiegenen Leukozytenzahl, keine weiteren Behandlungsversuche zu unternehmen.
Man gab lediglich wenig Flüssigkeit, Midazolam (leichte Sedierung) sowie ganz am Ende Morphium. Der Sterbeprozess begann 2 Tage nach der Einlieferung, am Samstagnachmittag und endete nach nur 12 Stunden. „Leider“ entschieden wir uns, unseren Opa auf der üblichen Station im Klinikum zu belassen. Aus gelegentlichem Erbrechen entwickelte sich über den Nachmittag bis nachts eine völlige Eskalation... Gegen Abend schienen deutliche innere Blutungen zu beginnen. Insgesamt ist unser Opa aber (aufgrund von „Pech“ und einer nicht optimalen Medikation) innerlich verblutet, was er zu allem Übel auch noch bis 3 Stunden vor dem Tod um 3:30 Uhr komplett bewusst mitbekam.

Was wir anders machen würden: Transplantation im hohen Alter?

Wir gingen stets von einer Lebenserwartung von zumindest einem halben Jahr oder einem Jahr aus. Dass die Chancen derart schlecht stehen, hatte uns seitens der Ärzte bis zum Ende niemand mitgeteilt. Hätten wir gewusst, dass unserem Opa nur 3 Monate bleiben, hätten wir genau so gut eine Chemo + Transplantation versuchen können. Krass ausgedrückte wäre es dann vlt. Schon egal gewesen, ob es am Ende noch 8 oder 12 Wochen gewesen wären. Auch mit Vidaza waren die letzten Monate kaum lebenswert. In der Regel wurde uns aber von einer harten Chemo aufgrund der vielen Risiken abgeraten. Letztendlich hatte wohl weder Vidaza noch Syrea irgend etwas nennenswertes bewirkt.
Keinesfalls würden wir außerdem den Tod nochmal auf Station im Klinikum erleben wollen. Für gefühlt 50 Patienten auf der Onkologie war genau eine Nachtschwester zuständig, die zu allem Übel mit dem Einstellen der Perfusoren Probleme hatte. Außerdem mussten wir als Familie unseren Opa zu dritt während des Erbrechens stabilisieren. Die behandelnde Ärztin war ab dem Nachmittag nicht mehr verfügbar, wurde zur Optimierung der Sedierung aber entgegen Ihres Versprechens auch nicht mehr hinzugezogen.
Wir würden „beim nächsten Mal“ definitiv auf die Verlegung auf die spezialisierte Palliativstation bestehen, die die Sedierung wohl viel höher Dosieren hätten können und unserem Großvater die schlimmsten 6 Stunden der gesamten Krankheit hätten ersparen können.

Überblick Verlauf der Blutwerte kann ich anonymisiert gerne als Excel Sheet zusenden.

Wir hoffen, dass unsere (leider teils mehr als unschönen) Schilderungen ähnlichen und hoffentlich auch Fällen mit deutl. besserer Aussicht auf Heilung helfen. Fragen gerne per PN.

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