Covid19-Impfstoff-Dilemma: Teilt die Patente

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paradoxon
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Re: Covid19-Impfstoff-Dilemma: Teilt die Patente

Beitrag von paradoxon » 02.02.2021, 22:39

Hier geht es ja hoch her. Ich habe letztens auch mehrfach so unkonstruktive Kommentare gelesen, man hätte ja im Sommer den Aufbau von Produktionskapazitäten beschleunigen können...
Persönlich bin ich einfach nur beeindruckt, dass Menschen bei BioNTech und anderswo vor über einem Jahr bereits die Impfstoffentwicklung gestartet haben, als wir alle nicht die leiseste Ahnung davon hatten, wie sich eine Pandemie anfühlt.

Wenn mRNA-Impfstoffe nun wirklich die "Wunderwaffe" sind, die sie zu sein scheinen (im Moment sind ja noch andere Impfstoffe im Rennen - mal sehen, wie sich das bei den Mutationen entwickelt), ist es aber aus meiner Sicht definitiv im öffentlichen Interesse, Herstellungskapazitäten hierfür großflächig aufzubauen und vorzuhalten (zumindest wenn meine naive Vorstellung zutrifft, dass verschiedene mRNA-Impfstoffe sich in der Herstellung nicht wesentlich unterscheiden). Nicht nur für diese Pandemie.

Viele Grüße
Jonathan

Thomas55
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Re: Covid19-Impfstoff-Dilemma: Teilt die Patente

Beitrag von Thomas55 » 02.02.2021, 12:49

Artikel 1 der UN Charta : Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen. Wenn wir uns danach richten würden müsste die UN versuchen den Impfstoff gerecht zu verteilen. Dann wäre auch in Deutschland die Bevölkerung erst in zwei Jahren durchgeimpft...Momentan ist es ein "Hauen und Stechen" um "Ich zuerst", warum sind die schon so weit und wir so zurück....eigentlich traurig.
Was mir noch in den Kopf kommt : wenn jetzt alle Anstrengungen in die Impfstoffproduktion gesteckt wird, erwarte ich Mangel in anderen Bereichen, das könnte speziell uns böse treffen.
Ein nachdenklicher Thomas

jan
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Re: Covid19-Impfstoff-Dilemma: Teilt die Patente

Beitrag von jan » 02.02.2021, 07:14

Hallo zusammen

Da ja der Ursprung der Diskussion Zwangslizenzen, Freigabe der Patente und mangelnde Zusammenarbeit der Unternehmen in der Impfstoffproduktion war, hier noch ein Artikel aus der heutige SZ, auch ohne Paywall, der vielleicht manches Mythos in eine rationale Richtung bringt.

https://www.sueddeutsche.de/politik/imp ... -1.5192867

Ich bin mir sicher, wenn es einfache Lösungen gäbe aus dieser Pandemie, wären angesichts der lockdownbedingten Einschränkungen der Bürger, aktuellen Todesfallzahlen und der Bundestagswahl im September unsere Politiker wie Spahn, Weber, Habeck und Söder die ersten, die sie ergreifen würden. Qualitativ fragwürdige Impfstoffe und ein unendlicher Lockdown Dank wachsender Impfskepsis gehören aber vermutlich nicht in ihr Wahlprogramm, abgesehen davon, dass es auch mit Zwangslizenzen nicht schneller geht, eine solide Vakzin-Produktion aufzubauen.

Bin mal wieder dankbar für eine gute Zeitung, die gut recherchiert und solide Information liefert. Gerade in solchen Zeiten.

Grüße
Jan

scratch
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Re: Covid19-Impfstoff-Dilemma: Teilt die Patente

Beitrag von scratch » 01.02.2021, 19:56

Hi Nelly,

also ich muss ehrlicherweise sagen, dass ich da voll bei Jan und Niko bin und sehe es auch so, dass die Patente aktuell weniger unser Problem sind.

Selbst wenn wir aktuell genügend Impfstoff hätten, würden wir nicht so schnell aus der Situation raus kommen. Warum ich das so sehe, erklärt maiLab ganz anschaulich, auch wenn ich ihre Videos von der Art her nicht besonders mag.

Es wäre uns auch nicht geholfen, wenn wir die Impfstoffe in irgendwelchen Unternehmen herstellen lassen würden und dann durch mangelnde Qualität sich kaum noch wer impfen lassen möchte.
Wir wissen doch alle selber gut genug was es heißt, wenn man plötzlich Generika bekommt. Von illegaler Medikamentenherstellung oder von manchen Berichten der Herstellungsbedingungen z.B. in Indien brauchen wir gar nicht erst anfangen. Was das auch an psychischen Auswirkungen haben kann, ist ja sogar hier im Forum nachzulesen.

Von dem her würde ich es für den Super-Gau sehen, wenn die Qualität und/oder die Wirksamkeit der Impfstoffe durch die Produktion in nicht dafür geeigneten Unternehmen stattfinden würde. Schließlich kann es ja durchaus sein, dass wir in Zukunft noch öfters angepasste Impfstoffe benötigen werden, da wäre ein verlorenes Vertrauen katastrophal, auch wenn man aktuell vielleicht einige Wochen eher viel verimpfen könnte.

So schwierig die Zeit für viele momentan auch ist und es auch verständlich ist, dass da einige doch sehr emotional werden, trotzdem sollte man versuchen, einen klaren Kopf zu bewahren. So hat man eher eine Chance, einigermaßen eine vernünftige Lösung zu finden, egal in welche Richtung.

LG
Andy

Nelly_CML
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Re: Covid19-Impfstoff-Dilemma: Teilt die Patente

Beitrag von Nelly_CML » 01.02.2021, 07:51

Man wundert sich: Wie kommt Israel im Verhältnis zur Bevölkerungszahl an eine solch gigantische Menge Impfstoff? Auch Saudi Arabien ist ja wohl gut ausgestattet.

Nun, man handelt halt mit Pfizer Sonderkonditionen aus und lässt offensichtlich dafür auch einiges springen. Mag sein, dass dafür vielleicht auch die herzliche Freundschaft zwischen Netanjahu und dem (thank God) Ex-Präsidenten Trump ein klein wenig förderlich war.

Man beachte: Pfizer ist Partner von BioNTech und wurde mit deutschem Steuergeld also nicht unerheblich unterstützt.
Wie aber hat das Land es geschafft, so schnell an den begehrten Impfstoff für die rund neun Millionen Menschen zu kommen? Entscheidend waren frühzeitige Gespräche zwischen Netanjahu, dem israelischen Gesundheitsminister Juli-Joel Edelstein und Pfizer-Chef Albert Bourla. Die Israelis erreichten eine Abmachung, für die Durchführung einer im Eiltempo vorangetriebenen Impfaktion Daten über die Auswirkungen der Pandemie an den Pharmakonzern weiterzureichen. Welche Summe für den Biontech-Pfizer-Impstoff floss, ist nicht bekannt, nach Medienberichten waren es deutlich mehr als etwa in Europa und den USA.
https://www.weser-kurier.de/deutschland ... on_5599533
Wenn wir es zulassen, dass Machtpolitik wie auch im Falle AstraZeneca (Trump-Freund Boris Johnson) darüber entscheidet, wer den Benefit von deutschen Steuergeldern hat, dann sind wir in diesem Spiel der Machtpolitik auf Dauer die Gelackmeierten.

Dabei ist das Dauer-Ärgernis verfehlte EU-Einkaufspolitik auch weiterhin bitte zu verdrängen, weil sonst geht es dir über die Hutschnur.

Mit immer noch verärgerten Grüßen
Nelly (die so langsam nervt)

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Re: Covid19-Impfstoff-Dilemma: Teilt die Patente

Beitrag von Nelly_CML » 30.01.2021, 15:41

Hallo Niko, ich verfüge nicht über Dein Fachwissen. Ich weiß nur eins:

1) Wir können nicht noch ein paar Monate im strengen Lockdown verharren bzw. bei der wahrscheinlichen Ausbreitung der diversen Mutanten bis zum Sommer im Extrem-Lockdown alle zuhause bleiben. Der Schaden z.B. für die Kinder ist unvorstellbar. Rund um mich herum beobachte ich täglich neue Geschäftsaufgaben. Keine Ahnung, wann ich wieder arbeiten darf. Vielleicht überhaupt nicht mehr. Musste Grundsicherung beantragen. Ein Erlebnis der besonderen Art.

2) Wenn wir nicht bald impfen, wird die Gefahr ansteigen, dass neue Mutanten entstehen, die auch nicht mehr auf die bekannten Vakzine ansprechen. Ich wage nicht mir vorzustellen, was das für uns alle bedeuten würde.

Wir brauchen Lösungen. Wenn nicht sofort, dann bald.

Mir schwillt der Kamm, wenn ich sehe, wie z.B. AstraZeneca zum Spielball machtpolitischer Interessen verkommen ist. Die verarschen uns! Sorry, aber anders kann ich das nicht formulieren. 339 Millionen von der EU einsacken, die versprochenen Impfdosen Richtung UK umleiten und dann mal eben kurzfristig sagen: Ätschibätschi,"Ihr kriegt jetzt grad mal nix". Boahhh. Das macht mich unendlich wütend ........

Die dürfen nicht diese Macht haben. Sie regieren uns. Sie betrügen uns. Wenn wir weiterhin so abhängig vom geheimen Agieren und der Macht der Hersteller bleiben, dann lassen wir uns von denen ständig wie eine Sau durchs Dorf treiben. Dann kommt morgen wieder extrem kurzfristig: "Sorry, wir liefern nicht".

Sogar Markus Söder scheint seine Neigung zur sozialistischen Planwirtschaft entdeckt zu haben:
Söder: Staat soll klare Vorgaben machen

Zudem schlug Söder eine höhere Produktion von Vakzinen und schlägt eine staatlich gelenkte "Not-Impfstoffwirtschaft" vor. "Ich bekenne mich zur sozialen Marktwirtschaft", sagte der CSU-Chef der "Welt". Es gebe aber wegen der Corona-Pandemie eine Notlage, die auf längere Sicht die Marktwirtschaft fundamental beschädigen könne. "Deshalb sollte es eine Not-Impfstoffwirtschaft geben, in der der Staat klare Vorgaben macht. Wir brauchen also mehr Produktionskapazitäten und schnellere Genehmigungsverfahren."
https://www.t-online.de/nachrichten/deu ... uefen.html
Sogar den Import von russischem oder chinesischem Impfstoff zieht er in Betracht.

Die Lösung kann nicht im Extrem-Lockdown bis zum St. NImmerleinstag liegen. Wir brauchen Taten. Und zwar jetzt.

Zur Not lasse ich mir Putin-Injektionen oder China-Ware spritzen. Period.

Liebe Grüße
Nelly (leider wieder zu emotional, ich weiß.)

NL
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Re: Covid19-Impfstoff-Dilemma: Teilt die Patente

Beitrag von NL » 30.01.2021, 14:42

Moin Zusammen,
ich finde die derzeitigen medialen Diskussionen sehr befremdlich (nicht unbedingt Nellys Fragen, die daraus zum Teil resultieren). Meines Erachtens hätte jedem klar sein müssen, dass weder genug Impfstoff für eine sofortige Durchimpfung der Bevölkerung noch die medizinischen Kapazitäten zur sofortigen Durchimpfung der Bevölkerung bereitstehen können. Entsprechende Berichte wären ehrlich gewesen. Das ist kein Sprint (leider für uns Angehörige von Risikogruppen; ich denke da weniger an CML-Patienten wie mich als an Patienten wie Thomas oder alte Leute wie meine 83-jährige Mutter, und sehr frustrierend, aber es war zumindest für mich von Beginn an klar).

Zunächst haben alle so getan, als läge ihnen eine "gerechte" weltweite Verteilung am Herzen. Einzelne Staaten haben sich dann (wie auch immer) offenbar einen höheren als "den gerechten" Anteil an den Impfstoffen gesichert und dann die Impfungen klug organisiert (zumindest in Israel). Es gibt darüber hinaus ja nicht nur die guten "westlichen", sondern auch noch "böse" russische oder chinesische Impfstoffe, die anscheinend besonders für Entwicklungsländer und sogar für die Anghörigen der Schweizer Botschaft in Moskau zur Verfügung stehen.
Jetzt ist ein groteskes populistisches Rennen im Gange (befeuert von gewissenlosen Politikern und klickgeilen Journalisten), wer als erster einige % der Bevölkerung impfen kann. Das sind doch keine olympischen Spiele!

Zur Frage von Lizenzen bzw. der erzwungenen Teilung von Patenten habe natürlich auch ich eine Meinung (ich habe die Patente nicht recherchiert und gelesen, dazu fehlt mir die Zeit und das Wissen auf diesem Gebiet). Angesichts der Tatsache, dass es so viele verschiedene verfügbare Impfstoffe gibt, scheinen mir die Patente eben nicht das wesentliche Problem zu sein.
Ich bin selber ca. 20 Jahre als Industrieforscher in der Chemieindustrie (Kunststoffe, nicht Pharma) aktiv gewesen und als "Erfinder" (nicht Anmelder) an ca. 2 Dutzend Patentfamilien beteiligt.
Wenn ein Staat es wirklich wollte (die Inder haben das meines Wissens teilweise mit Imatinib getan), kann dieser Staat sich über Patente hinwegsetzen. Damit hat dieser Staat dann noch lange keinen Impfstoff (der eben im Gegensatz zu Imatinib keine simple Chemikalie ist, die auch nicht immer einfach zu machen sind), selbst wenn die Zulassung ähnlich handstreichartig wie in Russland oder China durchgedrückt wird.
Zur Produktion des fertigen Impfstoffes gehört ein sehr breites Wissen, man muss die vielen, zur Produktion notwendigen Prozesse und Schritte beherrschen, die zum Teil wieder von anderen Besitzern weiterer IP-Rechte lizenziert sein können. Wesentliche Teile des notwendigen Wissens sind oft nicht in Patenten publiziert, sondern gehören zum Knowhow der erwähnten Pharmadienstleister. Moderna z.B. verlässt sich für einen Teil des Herstellungsprozesses auf Lonza in der Schweiz, Biontech bekanntermassen auf Pfizer... Erfolgversprechender als der Aufruf, die Patente zu teilen, wäre vermutlich eine staatliche Kooperation mit dem Rechteinhaber, der eben nicht nur eine Lizenz, sondern den kompletten Prozess selber führen würde, ohne weiteres Kapital für den Ausbau von Kapazitäten aufnehmen zu müssen. Meines Wissen geschieht das bereits.

Das Patenrecht basiert auf einem Handel zwischen den Erfindern bzw. den Inhabern der Patentrechte und der Gesellschaft. Der Entwickler/Forscher/"Erfinder" erhält einen zeitlich begrenzten Schutz für seine im Patent beanspruchten Erfindungen bzw. einen daraus resultierenden Bereich. Dafür muss er so viel von seinem Wissen veröffentlichen, dass der Fachmann (!) die Erfindung nachvollziehen kann. Der Patentschutz ist damit wesentlich dafür, dass solche Dinge überhaupt publiziert werden, und dass andere Forscher/Entwickler/"Erfinder" auf diesem Wissen aufbauend weiter F&E treiben können. Der Rechteinhaber des zugrundeliegenden Patents geniesst den Schutz seines Wissens bis zum Auslaufen des Patentschutzes, die Weiterentwickler sind je nach Art ihrer Entwicklungen entweder abhängig vom Vorgängerdokument (und damit von Lizenzen abhängig, oder sie dürfen sich nicht erwischen lassen), oder sie haben etwas Eigenständiges, nicht mehr Abhängiges entwickelt.

Zurück zu den Impfstoffen und den zugehörigen Patenten: Es mag kurzfristig verlockend erscheinen, den Patentschutz für die COVID-Impfstoffe (für welche Impfstoffe und Patente denn nun eigentlich?) aufzuheben und die Patente zu "teilen". Meines Erachtens ist damit nichts gewonnen, ausser dass man "der Pharmaindustrie" damit ein Schnippchen geschlagen zu haben meint. Eine reguläre Lizenzierung oder die direkte finanzielle Unterstützung zum schnellen Ausbau von Produktionskapazitäten im eigenen Land (zumindest in Europa ist das mindestens theoretisch möglich) wäre meines Erachtens der bessere Weg. Aber an den Lizenzen hängt das ja gar nicht, denn es gibt doch nicht nur den einen Impfstoff, sondern viele aus vielen verschiedenen Ländern.
Die Zulassungen sind dann ein weiteres Problem. Nur weil jemand ein Patent nachkocht, ist damit noch lange kein sicherer und zugelassener Impfstoff verbunden. Ein Beispiel aus meinem Bereich: Wenn wir für ein Material für ein schnödes Autoteil auf eine baugleiche Produktionsanlage an einem anderen Standort wechseln wollen/müssen, resultieren daraus manchmal Freigabeprüfungen, die von einigen Monaten bis über ein Jahr brauchen. Ein Impfstoff ist in meinen Augen bezüglich der Sicherheitsanforderungen wesentlich anspruchsvoller. Und unsere "Jungs" in der Produktion bekommen das Knowhow, die Spezifikationen und die Betreuung schon aus erster Hand.

Wichtiger als das "Teilen" von Patenten (das klingt doch so schön sozial...) ist ersteinmal die Einschränkung von sozialen Kontakten, die mir auch nicht gefällt, mich genauso belastet, aber eben sehr wirksam ist, wenn sich alle daran halten und nicht meinen, dass sie aber jetzt unbedingt irgendetwas möglichst noch mit Flügen zum Karneval nach Rio (zum Glück abgesagt, der einzige "Arsch", der sich da zeigen darf, ist der Präsident*) machen müssten. Die mangelnde Konsequenz unserer Gesellschaft, sich im Herbst für kurze Zeit stark einzuschränken, hat die Katastrophe in Deutschland oder der Schweiz losgetreten, die "unverzichtbaren" Weihnachtsfeierlichkeiten haben dann weiter Benzin ins schon lodernde Feuer gegeben.
Hier ist die ganze Gesellschaft gefordert, und es ist nötig, die Verschwörungstheoretiker und Feierwütigen im Zaum zu halten. Damit liessen sich viel mehr Leben retten und Mutationen unterbinden.

Die Produktionskapazität für die weltweit notwendigen (von mir als Laien geschätzt) >10 Mrd. Dosen wird auch durch "Teilen" der Patente nicht ausreichend beschleunigt, die Durststrecke wird noch mindestens 2021 anhalten, auch wenn die EU oder einzelne andere Länder sich selber zuerst impfen. Ich halte die Kommentare und Forderungen der DW usw. für fahrlässig und unredlich, weil sie völlig an den realen Möglichkeiten vorbeigehen. Selbst die auf die Produktion solcher Impfstoffe spezialisierten Unternehmen brauchen Monate zum Bau geeigneter Anlagen. Das "Teilen" von Patenten ist eine populistische Forderung, die keines der Probleme lösen kann.

Passt auf Euch auf, haltet Euch soweit nötig und möglich von anderen fern, und nutzt die Masken und Hygienemassnahmen wo immer möglich. Das wird auch nach Eurer Impfung noch nicht vorbei sein, bis die Durchimpfung der Bevölkerung erreicht ist. Die Impfungen werden für uns früher als für junge Gesunde kommen, und früher als für viele Menschen in ärmeren Ländern, die sich nicht isolieren können. Wenn wir ehrlich wären, müssten wir, die wir uns selber isolieren können, eigenlich zu deren Gunsten zunächst auf die Impfung verzichten, aber so weit geht mein eigener Altrusimus auch wieder nicht. Bleibt Gesund!

Gruss
Niko, medizinischer Laie
* Geklaut bei der Titanic

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Re: Covid19-Impfstoff-Dilemma: Teilt die Patente

Beitrag von Nelly_CML » 29.01.2021, 19:49

Danke, Thomas für Deine aufmunternden Worte. :) :) :)

Ich habe einen außergewöhnlich interessanten Fernsehbeitrag zum Thema Lizenzen gefunden. Leider ist kein Einzelvideo verfügbar.

Ab Minute 34.40

https://www.daserste.de/information/pol ... o-100.html

Klaus Rainer Jakisch, der Börsenexperte:
Wir haben eine extreme Notsituation....... Die europäische Union hat bereits gedroht, Zwangsmittel anzuwenden und verweist auf den rechtlichen Rahmen.

"Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission ... über die der Wirtschaftslage angemessenen Maßnahmen beschließen, insbesondere falls gravierende Schwierigkeiten in der Versorgung mit bestimmten Waren auftreten."
Art. 122 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Im Deutschen Patentrecht heißt es folgendermaßen:
"Die Wirkung des Patents tritt insoweit nicht ein, als die Bundesregierung anordnet, dass die Erfindung im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt benutzt werden soll."
§ 13 Patentgesetz

Solche Zwangsmittel sind ein sehr gravierender Eingriff. .... Die gegenwärtige Lage ist aber besonders. EU und Einzelstaaten haben Milliarden in die Impfstoffentwicklung investiert. Der Bund hat sich im Fall von CureVac sogar mit Steuermitteln am Unternehmen beteiligt. Das rechtfertigt auch gewisse Mitspracherechte. Die Unternehmen müssen auch nicht leer ausgehen, denn der Staat könnte für die Lizensvergabe Entschädigungen zahlen.

Besonders ärgerlich ist die Situation, weil viele Pharmaunternehmen ja freie Kapazitäten haben, um in Lizenz produzieren zu können, wie es der Fall Sanofi auch zeigt. Das Argument, die Produktion könne nicht schnell genug umgebaut werden, wird vielleicht manchmal auch nur vorgeschoben. In einigen Fällen fehlt jedenfalls die Bereitschaft der Unternehmen zu kooperieren.
Meine Meinung: Außergewöhnliche Ereignisse machen außergewöhnliche Maßnahmen erforderlich.

Wie lange wollen wir noch ohne Impfung im Lockdown verharren mit der Aussicht bei der (wahrscheinlichen) Verbreitung der Mutanten noch lange dort zu bleiben bzw. weiteren Verschärfungen wie Komplett-Schließung von Schulen und Kindergärten, Ausgangssperren etc. ausgesetzt zu sein.

Es ist Zeit zum Handeln!

Liebe Grüße
Nelly

Thomas55
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Re: Covid19-Impfstoff-Dilemma: Teilt die Patente

Beitrag von Thomas55 » 29.01.2021, 16:46

Nelly_CML hat geschrieben:
29.01.2021, 14:47
Ich bin wieder mal naiv, ich weiß. Es wird wohl keine noch so große, weltweite, nie dagewesene extreme Bedrohung der Menschheit geben, die das Denken der Pharma-Mächtigen in eine andere Richtung lenken könnte. Kein Massensterben, kein Krieg, kein gar nichts könnte das.

Mit traurigen Grüssen
Nelly
...nein Du bist nicht naiv. Es ist wichtig diese Dinge immer wieder mal anzusprechen und ich habe das Gefühl oder die Hoffnung, dass bei uns bei vielen Politikern zum Thema Privatisierung der Forschung, der Krankenhäuser und Altenheime, der nicht lange mehr bezahlbaren Medikamentenkosten, usw. ein umdenken beginnt...

Gruß Thomas

Nelly_CML
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Re: Covid19-Impfstoff-Dilemma: Teilt die Patente

Beitrag von Nelly_CML » 29.01.2021, 14:47

Hallo Jan,

Danke für Deine ausführliche Antwort. Leider kann ich den Artikel in der Süddeutschen nicht aufrufen, weil er hinter einer Paywall steht.

Ich bin sicherlich fachlich nicht so versiert wie Du, mache mir aber Sorgen darüber, dass die Herstellung und Verteilung der Impfstoffe NUR in den Händen der entsprechenden Firmen liegt, die die Impfstoffe entwickelt haben. Das verschafft ihnen eine Macht, die ihnen angesichts des weltweiten gesundheitlichen Notstands und der Gefahr für die Weltwirtschaft meiner Meinung nach nicht zusteht. Vielleicht würde die Lizenzierung der Impfstoffe es nicht möglich machen, auf die Schnelle große Mengen an Impf-Dosen aus dem Boden zu stampfen. Aber wenn ich mir vorstelle, wie groß der weltweite Bedarf ist und wie lange wir noch auf Covid19-Impfstoffe angewiesen sein werden, könnte es doch eine Lösung sein, auch die Produktionskapazitäten anderer Hersteller einzubinden.

Z.B. Moderna oder Astra Zenica haben wohl gar keine Erfahrung in der Herstellung solch riesiger Mengen an Impfstoffen. Ein Teil der jetzigen Liefer-Probleme lässt sich wohl auch darauf zurückführen. Lichtblick ist die Zusammenarbeit zwischen Sanofi und Pfizer/BioNTech. Geht doch! Man kann die Kräfte bündeln im Interesse aller.
Die Entwickler von Medikamenten oder Impfstoffen genießen umfassende Rechte. Ihre Patente sind für bis zu 20 Jahre geschützt. In diesem Zeitraum dürfen nur sie die Mittel herstellen oder produzieren lassen.

UN-Organisationen fordern Zugang zu Daten
Jetzt, während der Pandemie, könnte dies viele Leben kosten, sagen Kritiker der Patentregeln. Auch viele internationale Organisationen, darunter die UN-Menschenrechtskommission, die UNESCO und die Weltgesundheitsorganisation (WHO), fordern einen offenen Zugang zu Daten und Informationen.

https://www.tagesschau.de/wirtschaft/pa ... e-101.html

Schwerwiegend finde ich auch, dass weniger finanzstarke Kontinente wie Afrika und Südamerika auch schnellen Zugang zu Vaccinen brauchen. Auch in unserem eigenen Interesse. Solange nicht die Bevölkerungen aller Länder, nicht nur der reichen Industrienationen geimpft sind, wird sich Corona nicht ausreichend eindämmen lassen. Kann sich jemand vorstellen, dass die Hersteller solche Länder preiswerter beliefern und in der Lage sein werden, Milliarden von Dosen für alle Kontinente bereitzustellen? Ich nicht.
Suerie Moon, Co-Direktorin des Global Health Centre in Genf, weist darauf hin, dass die Forschungsgrundlagen für die schnelle Corona-Impfstoff-Entwicklung jahrzehntelang an öffentlich finanzierten Universitäten geschaffen worden seien. Sie sieht vor allem Staaten in der Verantwortung. Diese sollten von Pharmaunternehmen verlangen, dass sie ihre Technologie weitergeben, "damit möglichst viele verschiedene Hersteller auf der ganzen Welt mit der Produktion beginnen können"
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/pa ... e-101.html

Wie man lesen kann, steht z.B. Astra Zeneca im Verdacht, in den europäischen Werken hergestellte und für Europa vorgesehene Dosen an andere zahlungskräftige Länder verkauft zu haben. AZ weigert sich, genaue Angaben darüber zu machen. Schon die Tatsache, dass so etwas möglich wäre, führt mich zu der Einschätzung: Zu viel Macht für ein einzelnes Unternehmen!

Die EU hat Atra Zeneca mit 339 Millionen unterstützt, die Bundesregierung hat mit wer weiß wie viel Milliarden die Corona-Forschung unterstützt und jetzt stehen wir da wie die Deppen und bitten und flehen die machtvollen Hersteller an, doch bitte bitte transparent zu machen, warum sie kurzfristig einfach Lieferungen absagen und wen sie statt unserer beliefert haben.

Wenigstens ist es jetzt wohl vorgesehen, die Impfstoff-Ausfuhren aus der EU zu überwachen und genehmigungspflichtig zu machen.

Ich würde mir wünschen, dass sich die Pharmaunternehmen einmal, nur einmal ihrer Verantwortung für das Ganze, für die Weltbevölkerung, für eine drohende weltweite Wirtschaftskrise, für Leben oder Tod von Milliarden von Menschen bewusst wären.

Ich bin wieder mal naiv, ich weiß. Es wird wohl keine noch so große, weltweite, nie dagewesene extreme Bedrohung der Menschheit geben, die das Denken der Pharma-Mächtigen in eine andere Richtung lenken könnte. Kein Massensterben, kein Krieg, kein gar nichts könnte das.

Mit traurigen Grüssen
Nelly

jan
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Re: Covid19-Impfstoff-Dilemma: Teilt die Patente

Beitrag von jan » 29.01.2021, 07:55

Hallo Nelly,

Danke für Deinen Beitrag auch Deine Gedanken sowie die Weiterleitung des DW-Artikels.

Auch wenn ich weiss, dass das Thema Impfungen ein emotional momentan sehr aufgeladenes Thema ist, möchte ich einen Versuch machen, meine subjektive Sicht darauf zu schildern.

Leider sind eigentlich einfache und auf den ersten Blick plausible Lösungen oftmals in der Praxis nicht so einfach. Denn Patente sind nicht unser Hauptproblem, warum die Impfstoffentwicklung so kompliziert ist, wie wir momentan in der Diskussion rund um das Oxford/AstraZeneca-Produkt live verfolgen können.

Ich möchte dazu etwas ausholen.

Im Gegensatz zu chemischen Produkten, also z.B. in Tablettenform verabreichte Krebsmedikamente, sind biologische Produkte wie Vakzine sehr viel komplizierter. Es gibt nur vergleichsweise wenige Hersteller, die das können, und es dauert üblicherweise viele Monate bis Jahre, um eine solche in Massenproduktion mit einer entsprechenden "Ausbeute" umzusetzen.

Impfstoffe wie der von AstraZeneca sind im Gegensatz zu den neuen mRNA- Impfstoffen "traditionelle" Impfstoffe mit Genfähren, basierend auf einer sogenannten Virus-Vektor-Methode. Dabei wird ein Stück der Erbsubstanz eines Virus einem anderen Virus eingebaut und dieser transportiert es - wie eine Fähre - in die Körperzellen hinein. Der Produktionsprozess hat viele Schritte, und bei jedem kann leicht etwas schiefgehen. In riesigen Tanks werden menschliche Zellkulturen gezüchtet, mit denen dann im Labor gezüchtete Impfviren infiziert werden. Diese Zellen sind wie Mimosen - sie brauchen die exakt richtige Temperatur und Nährstoffzusammensetzung, und müssen in einer Geschwindigkeit im Tank bewegt werden, dass sie nicht verklumpen, wachsen, und nicht absterben. Ist die Vermehrung abgeschlossen, wird geerntet, die Zellen aufgelöst, die Viren rausgefiltert und zum fertigen Impfstoff verarbeitet. Taucht auf dem Prozessweg die geringste Verunreinigung auf (Viren, die nicht reingehören, Bakterien, etc), wird alles vernichtet und die Produktion steht still, bis das Problem gelöst ist. Es dauert Monate, bis der Prozess so funktioniert, dass die Viren-Ausbeute gut ist. Diesen Prozess können nur wenige Unternehmen bewerkstelligen, und wir beobachten im Moment wegen Corona im Zeitraffer einen Prozess, der in der Vergangenheit Jahre gebraucht hat. Im Falle von AstraZeneca produzieren den Impfstoff drei eigene Werke, die man für COVID-Impfstoffe umgebaut hat, zusätzlich haben sie eine Lizenz an das Serum Institute of India vergeben, gemessen am Produktionsvolumen der größte Impfstoffhersteller der Welt.

Die mRNA-Impfstoffe von Biontech und Moderna funktionieren anders. Die mRNA-Impfstoff-Technologie ist brandneu und wurde im Rahmen der MARS/SARS-Epidemie entwickelt. Der Impfstoff enthält Boten-RNA, einen genetischen Baustein der Coronaviren, den das Immunsystem erkennt und dann Antikörper entwickelt. Sie verändern NICHT das Erbgut, aber imitieren quasi das, was in einer infizierten Zelle geschieht, aber nur mit einem einzigen kleinen Stück der Gene des Corona-Virus, nämlich dem sogenannten coronatypischen Spike-Protein. Statt in deaktivierten Viren als Transportvehikel wird diese mRNA in so etwas wie kleine Fetttröpfchen verpackt, damit sie überhaupt geschützt in den Körper kommen und von den menschlichen Zellen aufgenommen werden können. Die mRNA kann durch neuartige Verfahren mit Maschinen "gedruckt" werden (was gut ist, weil man den "Druckjob" sehr leicht modifizieren kann, wenn z.B. zusätzliche Mutationen auftauchen). Die mRNA-Bausteine zerfallen aber sehr leicht und müssen daher in den Fettbläschen mit einer extremen Kühlkette bis zur Verabreichung geschützt werden. mRNA-Produktion und der ganze Prozess samt Kühllogistik in diesen riesigen Mengendimensionen können wiederum aber auch nur ganz wenige Unternehmen. Die aktuellen Lieferverzögerungen beim Biontech-Produkt werden anscheinend verursacht durch ein umbaubedingten Produktionsstopp an der Pfizer-Produktionsstätte, um mittelfristig die Produktionskapazität stark zu erhöhen. Weitere Produktionsstätten entstehen im Moment, auch in Deutschland.

Gleichzeitig ist unser Qualitätsanspruch extrem hoch. Ein immenser, kaum mehr gut zu machender Schaden würde entstehen, wenn breitere Teile der Bevölkerung Zweifel an der Sicherheit und Qualität der Impfstoffe hätten, die Impfbereitschaft würde zusammenbrechen und wir würden nie zum Punkt der erforderlichen Immunität kommen. Daher sind die Ansprüche an die Produktionsstandards (Good Manufacturing Process), Qualitätskontrolle, Zuverlässigkeit der gesamten Produktions- und Logistikkette, klinische Studien, Prüfprozesse der Behörden und so weiter sehr hoch. Daher lässt die EU auch, anders als Großbritannien, die Impfstoffe nur nach Prüfung (für EMA-Verhältnisse in Rekordzeit) mit bedingter Zulassung und Herstellerauflagen zur Weiterführung der Impfstudien zu -- und nicht wie in Grossbritannien und USA als Notfallzulassung, die den Hersteller von Haftung freistellt und eine weniger eingehende regulatorische Prüfung und Dokumentation zulässt.

Eine schnelle regulatorische Prüfung und Zulassung geht aber nur, wenn die Studien und Produktion von hochspezialisierten Unternehmen gemacht werden, die das von Anfang bis Ende bewiesenermaßen können. Und davon gibt es vielleicht zwei Dutzend Unternehmen weltweit, und die arbeiten im Moment alle am Limit an COVID-Impfstoffen, und haben mit hunderten von Millionen Euro Vorauszahlungen der EU und anderer Länder Monate vor Zulassung die Produktion gestartet, um zum Zeitpunkt der Markzulassung bereits in großen Mengen liefern zu können. Neulich habe ich eine Präsentation mit rund 50 Impfstoffkandidaten in klinischen Studien von Phase I bis III gesehen. Die amerikanische Merck (hier MSD) ist vor ein paar Tagen gescheitert und kann die Vorproduktion und Entwicklung einstampfen, weil deren Vakzin in klinischen Studien nicht ausreichen geschützt hat, und die Firma verhandelt angeblich nun, in ihren bestehenden Produktionsstätten das Vakzin der Konkurrenz herzustellen.

Ich denke, wir wollen alle, dass das, was wir und unsere Angehörigen bekommen, in der gesamten Kette nach besten Standards entwickelt und produziert wird. Wir erleben im Moment aufgrund der Pandemie die Impfstoffentwicklung und Produktion im Zeitraffer unter bestmöglichen Sicherheitsbedingungen, und mit Produktion, die bereits (parallel zu den klinischen Studien mit Zehntausenden von Probanden) vorläuft und natürlich dadurch die Gefahr birgt, dass man die Vorproduktion komplett vernichten muss, wenn aufgrund mangelnder Wirksamkeit oder Sicherheit keine Zulassung erfolgt.

Es ist gerade mal ein Jahr her, seit man das SARS-COV-2-Virus wissenschaftlich das erste Mal untersuchen konnte. Die schnellste Impfstoffentwicklung davor war gegen Mumps - das hat meines Wissens vier Jahre gedauert. Und trotz allem Wunsch, möglichst schnell eine Impfung und Produktion für alle zu haben, um diese Pandemie loszuwerden, ist es in niemandem Interesse, dass irgendwelche Unternehmen mit fraglicher Produktionsqualität und Vakzinerfahrung Impfstoffe produzieren.

Dies war eine lange Hintergrunderklärung, aber vielleicht wichtig zum Verständnis, warum Patente im Moment nicht unser Hauptproblem sind. Die Diskussionen über Patente finden natürlich statt, und das ist gut - weil COVID ein globales Problem ist und aktuell 95% aller Impfstoffe in maximal drei Dutzend Länder gehen - der Rest der Welt bleibt außen vor. Du kannst ja mal nach "Compulsory Licensing" und "Voluntary Licensing" via Google suchen, die Diskussionen gibt es. Aber Patentdiskussionen bringen uns in den nächsten Monaten zumindest nicht wirklich weiter, so wenig wie Impfnationalismus (USA, UK, EU), Impfskeptizismus oder Social-Media-Fake-News.

...und wer am Thema COVID-Impfung bei CML und MPN interessiert ist, ist herzlich bei unserem Impf-Patientenseminar am 23.2. um 16:30 willkommen!
https://www.leukaemie-online.de/1366-webinarimpfungen
und zusätzlich Verweise ich auf die Artikel auf Seite 2 der heutigen Süddeutschen Zeitung, die das alles sehr gut erklären und auf dem ich obige Informationen teilweise basiert habe.

Nicht falsch verstehen. Dein Patent- und Preis-Thema ist wichtig, und wir werden in den nächsten 12 Monaten sehr viel über Patente und die Versorgung von 7 Milliarden Menschen mit dieser Corona-Impfung und den entsprechenden Preisen und Kosten diskutieren.

Viele Grüße
Jan

Nelly_CML
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Covid19-Impfstoff-Dilemma: Teilt die Patente

Beitrag von Nelly_CML » 28.01.2021, 08:40

Off topic, ich weiß. Aber: Auch für uns CML-Patienten ist die mangelnde Versorgung mit Covid19-Impfstoffen zur Zeit das wichtigste Gesundheitsthema.

Warum sollten wir Patienten und unsere Vertreter nicht Vorschläge zur Lösung der Impfstoff-Mangel-Problematik diskutieren? Es gibt einen einfachen Vorschlag, der für mich absolut diskussionswürdig ist.

Teilt die Patente!

Angesichts des weltweiten Corona-Notstands und der Verschärfung durch die englische Mutante B1.1.7: Könnten sich die Pharmariesen nicht zusammentun, um für die gesamte Menschheit Lösungen zu finden? Das heißt ja nicht, dass sie auf die Billionen verzichten müssten, die sie gerne hätten. Sie werden nicht zu kurz kommen!

Jan, Du hast das Insider-Wissen. Wie beurteilst du diesen Vorschlag, der in einem Kommentar der Deutschen Welle formuliert wurde?
Die Produktion der neuen Impfstoffe ist komplex. Die Produktionsverfahren müssen genehmigt werden, und die beteiligten Unternehmen sind bis an die Grenzen ausgelastet. AstraZeneca zum Beispiel produziert den an der Universität Oxford entwickelten Impfstoff, hat aber wenig Erfahrung auf diesem Gebiet. Hinter dem Moderna-Präparat, das in einem Forschungsinstitut in Boston entwickelt wurde, steht gar kein Pharmariese. Mehrere Pharmadienstleister in Europa sollen diesen Impfstoff gemeinsam produzieren, was nicht unbedingt eine reibungslose und schnelle Massenproduktion garantiert.

Die Wissenschaftler entwickelten den COVID-19-Impfstoff viel schneller, als selbst Optimisten erwartet hatten. Jetzt aber scheitert die Massenimpfung daran, dass die beteiligten Firmen nicht genug liefern können. Gerne haben sie die lukrativen Verträge mit der EU unterschrieben. Doch ist Europa machtlos, wenn die Firmen nicht die versprochenen Mengen liefern?

Teilen Sie die Patente!

Es gibt einen Ausweg aus dem Dilemma, nämlich die Patente zu teilen. Was wie brachialer Sozialismus klingen mag, ist ein adäquates Mittel in einer globalen Gesundheitskrise. Ein finnischer Abgeordneter argumentierte im Europäischen Parlament, dass eine dreimonatige Verzögerung der Impfkampagne Hunderttausende von zusätzlichen Todesfällen bedeutet. Was gibt es da noch zu sagen?

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Hier der Originalkommentar der DW.
https://amp.dw.com/en/opinion-europe-mu ... ssion=true

The European Union does not have enough vaccine because manufacturers are not fulfilling their contracts. Sharing the patents could speed up production and solve global problems, says Barbara Wesel.

As recently as the beginning of the year, we had hopes that widespread vaccination campaigns in 2021 could quickly lift the gloom of the coronavirus restrictions. But confidence is crumbling as bureaucracy and organizational mistakes have caused Europe to miss out on a quick start for mass vaccination. With only 2% of the population currently vaccinated, the EU lags far behind the US, Israel and the UK.

Now that vaccination campaigns are finally underway, there is a shortage of vaccine. Europe must now take up the fight with the pharmaceutical industry.

The production of the new vaccines is complex. The production processes must be approved, and the companies involved are stretched to the limit. AstraZeneca, for instance, produces the vaccine developed at Oxford University, but has little experience in this field. There is no pharmaceutical giant at all behind the Moderna preparation, developed in a research institute in Boston. Several pharmaceutical service providers in Europe are supposed to jointly produce that vaccine, which does not necessarily guarantee smooth and rapid mass production.

Scientists developed the COVID-19 vaccines much more quickly than even optimists expected. Now, however, widespread vaccination is failing because the companies involved cannot deliver enough. They were happy to sign the lucrative contracts with the EU. But is Europe powerless if the companies fail to deliver the promised quantities?

Share the patents!

There is a way out of the dilemma, and that is to share the patents. What may sound like brute socialism is an adequate remedy in a global health crisis. A Finnish MEP argued in the European Parliament that three months' delay in the vaccination campaign meant hundreds of thousands of additional deaths. What else is there to say?
https://amp.dw.com/en/opinion-europe-mu ... ssion=true

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