Schlagabtausch BTK vs. BCL2 in der Erstlinie

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Joanna
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Schlagabtausch BTK vs. BCL2 in der Erstlinie

Beitrag von Joanna » 30.04.2022, 11:03

Ich hoffe, es geht datenschutzrechtlich, das so einzustellen. Den Artikel habe ich aus der Medical Tribune (OnkoLetter). Er betrifft zwar die Erstlinie, also mich z.B. eigentlich nicht mehr, aber ich finde das ganz informativ:

"Sollte man CLL-Patient:innen als initiale Therapie eher einen BTK- oder lieber einen BCL2-Hemmer anbieten? Für beide Varianten gibt es gute Gründe, aber ebenso auch Daten, die gegen den jeweiligen Frontline-Einsatz sprechen. In zwei aktuellen Kommentaren wurden die Argumente nun zusammengefasst.

Die Etablierung neuer zielgerichteter Substanzen trug maßgeblich dazu bei, die Prognose von CLL-Patient:innen zu verbessern. Da sich die meisten Erkrankten für eine Chemoimmuntherapie­ nicht eignen, sehen sich Ärzt:innen häufig mit der Frage nach einer geeigneten initialen zielgerichteten Behandlung konfrontiert: Setzt man lieber dauerhaft einen BTK-Inhibitor, z.B. Ibrutinib, ein oder ist man möglicherweise mit einer zeitlich begrenzten Kombination aus dem BCL2-Hemmer Venetoclax und einem CD20-Antikörper wie Rituximab oder Obinutuzumab besser beraten? Head-to-Head-Vergleiche der beiden Strategien gibt es bisher nicht.
Pro BCL2-Inhibitoren

Tiefe Remissionen und selten Resistenzbildung
Aufgrund der nicht-eindeutigen Evidenz sei es wichtig, weitere Faktoren wie Verträglichkeit, Langzeit-Toxizitäten, Kosten und Optionen für weitere Therapien zu berücksichtigen, schreibt der Hämatologe Prof. Dr. John F. Seymour, Peter MacCallum Cancer Centre, Melbourne, in seinem Kommentar.1 Er nimmt darin die Seite „Pro-BCL2“ ein und konstatiert, dass BTK-Hemmer zwar früher zugelassen wurden als BCL2-Inhibitoren und daher viele Ärzt:innen damit weitaus mehr Erfahrung hätten; allerdings gäbe es einige Nachteile, die gegen den verbreiteten Einsatz einer fortgeführten BTK-Blockade mit Ibrutinib sprechen.

So lag die Therapieabbruchrate aufgrund von Toxizitäten in prospektiven Studien nach drei bzw. fünf Jahren zwischen 15 % und 30 %. In Real-World-Daten wurden sogar Abbruchraten von bis zu 42 % beobachtet. Auch würden Patient:innen mit Komorbiditäten die Behandlung eher vorzeitig beenden als Personen ohne Begleiterkrankungen. Vergleicht man Ibrutinib-Studien mit solchen, in denen BCL2-Hemmer plus CD20-Antikörper eingesetzt wurden, so müsse man diesen Punkt unbedingt bedenken – denn die Teilnehmer:innen der CLL14-Studie, in der Venetoclax/Obinutuzumab geprüft wurde, wiesen mehr Komorbiditäten auf als die aus RESONATE-2.

Ein weiteres Argument gegen BTK-Inhibitoren sei die hohe Rate an z.B. Vorhofflimmern, die mit bis zu 15 % zu Buche schlägt. Diese erhöht sich u.a. bei Personen mit verschiedenen Risikofaktoren, darunter männliches Geschlecht, Alter über 75 Jahre, Herzklappenerkrankung oder begleitender Bluthochdruck – Faktoren, die bei Menschen mit CLL häufig auftreten. Weiterhin könne sich das Risiko für dokumentierte ventrikuläre Arrhythmien, Herzstillstand oder plötzlichen Herztod unter Ibrutinib um das Vierfache erhöhen.

Nicht zu vergessen seien die hohen Kosten, die eine kontinuierliche Behandlung mit sich bringt. Würde man Venetoclax/Obinutuzumab gegenüber Ibrutinib bevorzugen, so ließen sich innerhalb der ersten drei Jahre 300.942 US-Dollar pro Patient:in einsparen. Gegen eine Frontline-BTK-Inhibitor-Therapie spricht außerdem die Biologie selbst: Analysen belegen, dass sich unter Ibrutinib eine klonale Instabilität entwickelt und zusätzliche Mutationen ansammeln.

Was sind aber nun Argumente für BCL2-Inhibitoren? Prof. Seymour nennt zunächst die positiven Daten der CLL14-Studie, in der die Behandlung mit Venetoclax/Chlorambucil im Vergleich zu Chlorambucil/Obinutuzumab zu einem verlängerten PFS führte. Knapp die Hälfte der Teilnehmenden erreichte eine komplette Remission, die in vielen Fällen sehr tief war. Im Gegensatz zu Ibrutinib blieb der prognostische Wert einer IGHV-Mutation mit der zeitlich begrenzten Venetoclax-Gabe erhalten und Therapie-Resistenzen bildeten sich nur selten. Weiterhin sei die Toxizität – bis auf die kurzfristige Belastung während der Ramp-up-Phase und dem mittleren Infektionsrisiko während der Kombinationsbehandlung – moderat. Die Lebensqualität verbessert sich anscheinend zudem unter Venetoclax.

Fazit: Der Experte betont, dass sowohl BTK- als auch BCL2-Hemmer hocheffektive Optionen für CLL-Patient:innen darstellen und dass man aufgrund fehlender Phase-3-Vergleichsstudien nicht abschließend bewerten kann, welche Strategie die bessere Wahl ist. Ausnahme seien womöglich Personen mit unmutiertem IGHV-Status oder TP53-Aberrationen, bei denen BTK-Hemmer eine längere Krankheitskontrolle ermöglichen. Eine Herausforderung sei es, Marker zu identifizieren, die vorhersagen, welche Erkrankten von welcher Substanz profitieren. Außerdem müsse man Therapien für Betroffene entwickeln, die gegen beide Wirkstoffklassen resistent sind bzw. werden.
Pro BTK-Inhibitoren

Verlängertes PFS und Vorteil bei SARS-CoV-2-Pandemie
Für den Frontline-Einsatz von BTK-Hemmern bei der Mehrheit der CLL-Erkrankten sprachen sich Prof. Dr. Elizabeth­ A. Brem und Prof. Dr. Susan­ O’Brien­ vom Chao Family Comprehensive Cancer Center, Irvine, aus.2 Das Ansprechen auf die Substanzen sei oft dauerhaft und mittlerweile habe man ausreichende Erfahrung im Umgang mit Toxizitäten. Ein in ihren Augen starkes Argument gegen Venetoclax/Chlorambucil: Die Kombination wurde noch nie mit einer effektiveren Erstlinien-Chemoimmuntherapie verglichen. Dahingegen führte die Gabe von Ibrutinib sowohl in der ALLIANCE­- als auch in der E1912-Studie zu einem verbesserten PFS im Vergleich zur Kontrolle.

Außerdem stünden mittlerweile Next-Generation-BTK-Inhibitoren zur Verfügung. In der ELEVATE-TN-Studie verlängerte die Kombination aus Acalabrutinib und Obinutuzumab gegenüber Chlorambucil/Obinutuzumab das PFS, und auch hinsichtlich des OS scheint es einen Vorteil zu geben. Gleichzeitig war die Rate an Vorhofflimmern mit rund 4 % gering und auch eine Hypertension von mind. Schweregrad 3 trat selten auf. Eine noch stärkere Evidenz für den Einsatz von BTK-Inhibitoren bestehe für Patient:innen mit 17p-Deletion oder anderen TP53-Alterationen. Umgekehrt gäbe es nur wenig Evidenz für den Upfront-Einsatz von Venetoclax bei Personen mit TP53-Aberration.

Ein weiterer Vorteil: Die Therapie mit BTK-Hemmern führte in großen Untersuchungen unabhängig vom IGHV-Status zu ähnlichen PFS-Raten. Für Venetoclax/Obinutuzumab gelte das nicht, so die Kommentatorinnen: In der CLL14-Studie verbesserte sich das PFS durch die Kombination zwar sowohl bei Patient:innen mit IGHV-mutierter als auch -unmutierter Erkrankung; allerdings profitierten Teilnehmende mit ersterem Typ stärker.

Die Autorinnen gehen zudem auf die Sequenz der Therapie ein. Da viele Erkrankte wahrscheinlich sowieso mehrere Behandlungen benötigten, mache es Sinn, zunächst eine Substanz mit einem höheren Toxizitätspotenzial zu wählen – denn die Betroffenen könnten diese womöglich eher vertragen, wenn sie frühzeitig gegeben würde. Eine venetoclaxbasierte Strategie könne man für den Fall einer Progression „reservieren“. Die Kommentarinnen lenken aber ein, dass Letztere für ältere Menschen mit Komorbiditäten und/oder niedrigem Risiko besser geeignet ist.

Am Ende komme es auch auf die Logistik an. Die Vermeidung einer Anti-CD20-Therapie biete diesbezüglich zwei Vorteile: Erstens könnten sich Betroffene damit den Weg zum Infusionszentrum sparen und zweitens würde eine weitere Suppression der humoralen Immunität verhindert. Letzteres sei besonders im Hinblick auf die SARS-CoV-2-Pandemie von Bedeutung; einige Expert:innen empfehlen, monoklonale Antikörper und eine Venetoclax-Behandlung während der Pandemie möglichst zu vermeiden. Zudem deutet eine Fallserie mit sechs Waldenström-Makroglobulinämie-Erkrankten darauf hin, dass Ibrutinib vor einer schweren Lungenentzündung im Zuge einer COVID-19-Erkrankung schützen kann.

Fazit: Mittlerweile hat man mehr als sechs Jahre Erfahrung mit Ibrutinib, was sich in allen Subgruppen als langfristig effektiv erwies. Neue Toxizitätssignale sind nicht aufgetreten und selbst besorgniserregende Nebenwirkungen gäbe es relativ selten. Dank der erhöhten Selektivität neuer BTK-Hemmer verringerte sich in Studien auch die Anzahl an Vorhofflimmern. Offene Fragen seien die nach Kombinationstherapien, der optimalen Dauer der Behandlung und ob sich diese nach der minimalen Resterkrankung orientierten sollte. In jedem Fall sollte die Entscheidung individuell getroffen und von u.a. Charakteristika sowie Komorbiditäten der Patient:innen abhängig gemacht werden.

Quellen:
1. Seymour JF. Blood Adv. 2022; 6: 1365-1370; DOI: 10.1182/bloodadvances.2019001205
2. Brem EA, O’Brien S. Blood Adv. 2022; 6: 1361-1364; DOI: 10.1182/bloodadvances.2019001204"

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