Hallo Georg,
über die Frage KMT vs Glivec wird intensiv und kontrovers diskutiert; es gibt kein Richtig und kein Falsch. Letztlich kann heute niemand beantworten, ob Glivec langfristig funktioniert oder nicht - auch nicht die KMT-Ärzte an der Essener Klinik, die ja bekanntlich eine sehr einseitige Meinung vertreten und z.B. auch mich bei einem Beratungsgespräch im Jahr 2001 in die Transplantation drängen wollten ("Heilung ist das einzige Ziel, was wollen Sie denn mit dem STI").
Unfair finde ich jedoch, Dir Angst zu machen, Dich unter Druck zu setzen und zu verlangen, dass Du Dich bis August entscheiden müßtest. Natürlich kann der von Dir genannte Spender später nicht mehr verfügbar sein - das wäre der einzige mir einsichtige Grund für Entscheidungsdruck und Risiko. Aber ist auszuschließen, dass später ein anderer Spender verfügbar ist, wenn Deine HLA-Merkmale nicht zu selten sind und eine Transplantation letztlich doch unumgänglich wäre? Macht es einen medizinischen Unterschied, wenn Du statt mit 24 mit 30 Jahren transplantiert würdest, wenn man in Betracht zieht, dass auch auch die Transplantationsmedizin sich rasant fortentwickelt und die Chancen, krank oder gar nicht aus der Transplantation hervorzugehen, geringer sind? Oder könnte nicht eines der Dutzend heute in Humanstudien befindlichen neuen CML-Wirkstoffe (BMS-354825, AMN107, HHT, diverse FTIs, diverse HSPs, diverse Histone, ...) der CML mit oder nach Glivec endgültig den Rest geben? Niemand kann das beantworten bzw man muss für sich selbst auf Basis mangelnder Langzeiterfahrung aus dem Bauch entscheiden, was man für sich persönlich für richtig hält. Viele Ärzte, viele Meinungen - die Essener haben da eine recht einseitige, da sie meines Erachtens manche Forschungsergebnisse der letzten Jahre recht gerne ausblenden.
Für mich persönlich war die Entscheidung damals klar - Start mit Glivec (was 2001 noch sehr unbekannt war), und wenn nicht binnen eines Jahres ein gutes Ansprechen auf das Medikament eingetreten wäre, dann KMT - wobei dies nur einer der möglichen Wege ist. (Die erste Hürde des guten Ansprechens hast Du ja schon genommen)
Bezüglich Spermienkonservierung: Ich würde dies auf jeden Fall sicherheitshalber machen, da die Transplantation ja nicht ausgeschlossen werden kann und in vielen Fällen aufgrund der harten Chemo danach Unfruchtbarkeit eintritt. Nach heutigen Erkenntnissen gibt es keine Beweise, dass Glivec klastogen (zerstörend) oder mutagen (erbgutverändernd) ist, und es wird beobachtet, dass Spermien unter Glivec-Therapie qualitativ normal sind (während bei Frauen von einer potentiellen Fruchtschädigung bei Einnahme von Glivec ausgegangen wird, da bestimmte Wachstumsfaktoren gehemmt werden, die für die fötale Entwicklung ggf. wichtig sind).
Allerdings wird wie bei jedem neuen Medikament von Schwangerschaften zu Recht dringend abgeraten, so dass bisher nur wenige unter Glivec-Therapie gezeugte Kinder geboren wurden. (vgl. <!-- BBCode Start --><A HREF="
http://www.leukaemie-online.de/modules. ... cle&sid=86" TARGET="_blank">Artikel vom 14.06.2003</A><!-- BBCode End -->). Ich weiss, dass Novartis die Daten von diesen "Glivec-Babies" international sammelt (ich stehe mit ein paar der Eltern in Kontakt), inoffiziell wurde mir auch bestätigt, dass bisher diese Babies wohl ausnahmslos "normal" sind - aber offiziell würde man die Daten natürlich aus rechtlichen Gründen keinesfalls publizieren können, da im Falle einer einzigen Gesundheitsstörung die Gefahr einer schwer widerlegbaren Klage bestände. Auch hier wird man vermutlich erst in 10 Jahren wirklich wissen, ob Glivec in der Hinsicht ungefährlich ist oder nicht - aber deswegen heute kinderlos bleiben? Für CML-Patienten in unserem Alter eine schwierige Frage, die wiederum Bauchentscheidungen erfordert.
Ich habe diese Frage mit meinem Arzt diskutiert. Er ist natürlich auch vorsichtig und könnte nicht ohne Bedenken zu einer Zeugung unter Glivec raten, da man einfach nichts weiss. Er schlug (bei Erreichen einer molekularen Remission) versuchsweise vor, Glivec zu pausieren und mit Interferon weiterzumachen, während ich es auf eine "natürliche Schwangerschaft" versuche - da man von IFN wüßte, dass es bezüglich dem Erbgut unproblematisch ist. Ob dies auch eine Option für Dich wäre (Glivec für einige Wochen pausieren, dann eine "Glivec-freie" Spermakonservierung oder Zeugung versuchen, dann Glivec wieder aufnehmen), müßtest Du mal mit einem richtigen Glivec-Experten diskutieren - Pausieren ist natürlich auf jeden Fall ein Risiko, das mittlerweile aber ein paar Patienten als "Pioniere" unter engmaschiger monatlicher Kontrolle versuchen...
Allerdings solltest Du Deinem Arzt, der Dir 2003 Glivec verschrieben hat, kräftig den Kopf waschen. Auch wenn der Großteil der CML-Patienten im reiferen Alter sind, finde ich es unverantwortlich, junge Leute nicht VOR Beginn der experimentellen Therapie auf die Möglichkeit einer Spermakonservierung hinzuweisen - das ist in ein paar Tagen mühelos gemacht und verzögert damit nicht den Therapiebeginn. Mein diagnostizierender Arzt hatte hierzu auch kein Wort verloren - unglaublich. Auch wenn nachträglich meckern einem selbst nicht mehr hilft, so kann man vielleicht wenigsten andere junge Patienten davor bewahren.
Ich hoffe, ich konnte Dir mit meinen langatmigen Gedanken ein wenig helfen. Wir können gerne auch mal hierzu telefonieren, wenn Du möchtest - schließlich sind wir in ähnlichem Alter und ähnlicher Lage...
Herzliche Grüße
Jan
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