Hallo ich bin 19 und habe das gleiche Problem. KMT oder Gliv

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jan
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Beitrag von jan » 08.12.2004, 23:47

Hallo Esther,

ich kann gut nachvollziehen, wie Du Dich momentan fühlst. Mich hat die Diagnose zwar erst mit 28 statt mit 19 "erwischt", aber nichtsdestotrotz war es ein Absturz von einem verhältnismäßig sorglosen und zukunftsgewandten (oftmals aber auch zu stark auf zukünftige Ereignisse ausgerichteten) Leben in die harte Realität von Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit, Unglück und Glück. Nichtsdestotrotz war es für mich - natürlich nun im Nachhinein betrachtet - auch ein gewisser Gewinn, weil man erst merkt, wieviel ein Tag, ein Monat, ein Jahr des Lebens eigentlich wert ist und wie viele unserer Mitmenschen ihre Lebenszeit mit Oberflächlichkeiten vergeuden und Dinge dauerhaft in Kauf nehmen, um es irgendwann vielleicht besser zu haben. Einhergehend habe ich bei mir eine Änderung der Lebensprioritäten erlebt - eine Erfahrung, die viele Menschen erst in den Wechseljahren machen und um die wir Krebspatienten vielleicht schon früher realisieren. In der Sturm-und-Drang-Phase mit 19 ist das aber sicher noch schwerer akzeptabel und auch den Freunden noch schwerer vermittelbar.

Wie auch immer - all diese Gedanken haben bei mir damals eine Rolle bei der Therapiewahl gespielt. Denn letztendlich sind CML-Patienten heute in der Situation, selbst zwischen Therapien wählen zu müssen, da der Arzt letztlich auch nicht wissen kann, was für den Einzelnen in Zukunft die beste Option sein wird. Die Transplantation ist mit dem unmittelbaren Todes- und Krankheitsrisiko behaftet, und von vielen Transplantationsärzten werden diese Risiken zugunsten der Chance auf Heilung - einem sehr medizinischen, sehr rationalen, aber oftmals nicht ganzheitlich über die CML hinaus betrachteten Begriff - heruntergespielt. Arzt 1 und 2 sind wohl Anhänger dieser Richtung. Andere Ärzte - wie Dein Arzt 3 - setzen auf das Prinzip Zukunftshoffnung, da es ja sein könnte, dass Glivec oder ein Nachfolgemedikament lebenslang die Krankheit in Schach hält. Auch Ärzte sind - vor allem die, die wenige CML-Patienten oder nur Bestimmte betreuen - letztlich geprägt durch ihre Erfahrungen. Ein Transplantationsarzt wird daher von Glivec eher die Glivec-resistenten Patienten kennen und seine eigenen Transplantations-Erfolgsgeschichten, während beim Glivec-Arzt auch diejenigen auftauchen, die nach einer Transplantation einen Rückfall erlitten und für die das Medikament die letzte Hoffnung ist.

Wer hat recht und wer erzählt Quatsch? Niemand weiss es, denn es gibt bein Einzelfall kein Recht und Unrecht, kein Wissen und Unwissen, sondern nur Wahrscheinlichkeiten, die für die Gesamtgruppe der Patienten Empfehlungen geben. Ich habe durch die Transplantation schon gute Bekannte verloren, die voller Kraft und Zuversicht waren und deren theoretische Chancen gut standen. Gleichzeitig sind solche durch die Transplantation geheilt worden, deren Chancen relativ gering und die Transplantation der letzte Strohhalm waren - und denen es heute hervorragend geht. Niemand konnte vorhersehen, wie es bei ihnen wirklich lief.

Mir selbst - und ich spreche wirklich nur für meine Person - war das Risiko, aus einer Transplantation entweder überhaupt nicht oder schwerkrank hervorzugehen, zu gross. Ich wollte mich, obwohl die Transplantationschancen bei mir sehr hoch waren, nicht in die Perspektive begeben, die CML vielleicht endgültig los zu sein, aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit durch Bestrahlung, Chemo und Graft-versus-Host für den Rest meines Lebens Augen- und Organschäden, Osteoporose oder dauerhafte Immunsupression davonzutragen. Mir selbst erschien das Leben in Unsicherheit der Glivec-Therapie mit hoher Lebensqualität begehrenswerter als das "Hopp oder Topp" der Transplantation. Bisher hat es funktioniert, und ich hatte seitdem wirklich gute drei Jahre. Ich kann uneingeschränkt arbeiten, Sport machen, an Familienplanung denken. Ob es so weitergeht? Ich weiss es nicht, vielleicht steht die Transplantation irgendwann doch bevor. Vielleicht nehme ich auch Glivec, bis ich mit 80 umkippe, und spüre bis dahin gar nichts davon. Oder ich nehme irgendwann ein neues Medikament, das doch heilt. Bis dahin versuche ich, das Leben zu genießen und möglichst "normal" zu leben.

Ich kann Dir natürlich keinen ultimativen Ratschlag geben, wie Du es machen sollst und was für Dich das Richtige ist - und darf das auch gar nicht, denn ich bin kein Mediziner, sondern selbst nur Patient. Ich kann mich jedoch nur meinen Vorrednern anschließen: Mache auf jeden Fall Dein Abitur, da dieses, wenn sich Dein Leben wieder normalisiert, sehr wichtig und schwer nachzuholen ist. Mache bis zu den Prüfungen auf jeden Fall eine wirksame Therapie, die Dich dabei nicht einschränkt, z.B. mit Glivec - denn Abwarten und Nichtstun ist bei CML das Gefährlichste. Triff die Entscheidung, woran Du mehr glaubst, was für Dich richtig ist, und wann Du den Schritt gehst - und wenn Du den Glivec-Weg wählst, besprich mit Deinem CML-Arzt, in welcher Zeit Du welches Ansprechen erzielen solltest, um den Weg weiterzugehen oder doch zu transplantieren. Und ansonsten - plane und lebe Dein Leben, als ob Du 80 wirst, denn jeder Tag ist wertvoll.

So, das waren nun genug "Weisheiten", für die ich mich herzlich entschuldigen möchte - aber vielleicht helfen Dir diese ehrlichgemeinten Gedanken ja, selbst klarer über Deinen Weg nachzudenken. Wenn ich Dir noch weitere Fragen beantworten kann, gerne hier im Forum - oder per EMail an <!-- BBcode auto-mailto start --><a href="mailto:.">.</a><!-- BBCode auto-mailto end -->

Liebe Grüße, und alles Gute
Jan

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Lise
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Beitrag von Lise » 08.12.2004, 20:04

Hallo Esther,

wie Pascal schon geschrieben hat, würde ich aus absolut grundsätzlichen Erwägungen zuerst das Abitur machen. Ich kenne viele Menschen, die es dann nachmachen wollten bzw. mußten, um ihren Wunschberufsweg einschlagen zu können, und das ist sehr hart. Mal ehrlich, an einer normalen Schule mit normaler Intelligenz ist ein Abitur "irgendwie" schon hinzubasteln. Aber ohne Abi sieht man sehr sehr alt aus in unserer Gesellschaft, und leider hat auch niemand Verständnis dafür, daß man "zwischendurch" schwer krank war.

Außerdem: bis 25 Jahre hast Du doch schon längst vergessen, wie Du Dein Abitur mal gemacht hast, will sagen: Deine Chancen für einen guten Ausgang der KMT werden wohl nicht von einem dreiviertel Jahr abhängen, daß Du für die Grundlage Deines weiteren Lebens benötigst (natürlich ist dies keine medizinische Information, für die ich Garantie übernehmen kann).

Außerdem kannst Du Dich weiter informieren. Es kommt der Punkt, an dem weißt Du, was richtig für Dich ist. Dann stehst Du hinter Deiner Entscheidung, auch wenn manchmal Zweifel aufkommen werden, und das erleichtert Dir auch das Durchstehen der jeweiligen Therapie.

LG Lise (mit rasant schlechtem Abitur; aus mir ist auch was geworden)
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unknown

Beitrag von unknown » 08.12.2004, 15:01

PS:
Das Abitur würde ich bei Deinem PCR-Wert und wenn der sonstige Zustand entsprechend ist, auf jeden Fall erst einmal machen - sich da nach u.U. mehrjähriger Pause wieder einzuarbeiten, dann auch in einer völlig fremden Klasse mit lauter Jüngeren - das ist schon für Gesunde eine erhebliche, auch psychische, Belastung.

Also die Meinung von Arzt 1 auf jeden Fall schon einmal aussortieren.

Pascal.

unknown

Beitrag von unknown » 08.12.2004, 14:52

Hallo Esther,

es ist leider wirklich so, daß Dir hier keiner die Entscheidung abnehmen kann.
Aber Du mußt auch nicht Medizin studiert haben dafür.

Fakten sind, daß 1) einem eine Transplantation in der Regel besser bekommt, wenn man jünger ist, 2) eine Transplantation aber immer gefährlich ist und auch daneben gehen kann, 3) Glivec wahrscheinlich in der Regel nie die letzte kranke Zelle erwischt und dazu noch keine Erfahrungen über ca. 4-5 J. hinaus vorliegen.
Man darf aber auch nicht vergessen, daß beide Behandlungswege ständig weiterentwickelt werden.
Und man kann auch im Anschluß an eine Glivec-Behandlung noch transplantieren.

So läuft die Entscheidung also grob darauf hinaus, ob Du schnell klare Verhältnisse haben möchtest bzw. auf eine definitive Heilung hoffen möchtest - mit der Gefahr, nicht geheilt zu sein, eine neue Krankheit durch die Behandlung zu bekommen oder gar zu sterben
- oder ob Du über viele Jahre mit der Unsicherheit leben kannst, daß Du die Krankheit zwar unter dem Deckel hast, aber sie noch da ist und auch keiner genau sagen kann, wie lange es mit Glivec gut geht, ehe Du auf ein anderes Medikament oder doch noch die Transplantation ausweichen mußt.
Oder noch einfacher: Russisch Roulette versus Dauerhängepartie.

Ich selber habe mich für Glivec entschieden - nach dem Motto: Die Lebensjahre, die ich damit relativ risikolos gewonnen habe, habe ich sicher, die nach einer KMT stehen in den Sternen.

Pascal.

ute.s.
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Beitrag von ute.s. » 08.12.2004, 07:16

Hallo Esther,
die Entscheidungen die du zu treffen hast, sind nicht leicht.
Ich stehe im Moment auch zwischen den Stühlen und weiß nicht so genau wie es weiter geht.

Gleevec oder KMT?
Es hilft mir, dass ich mich mit anderen austauschen kann. Ich habe über eine Selbsthilfegruppe
Kontakt zu anderen Patienten bekommen,die beide Behandlungsmethoden hinter sich haben.

In deinem Alter raten viele Ärzte dazu schnell zu Transplantieren, weil die Voraussetzungen
sehr gut sind. Lass dir mit deiner Entscheidung aber soviel Zeit wie du brauchst,wir haben Gleevec, denn du musst schon dahinter stehen.

Ich habe mich wegen der KMT nach Dresden gewandt. Dr. Bornhäuser ist Oberarzt der KMT
Station. Meine Erfahrung mit denen ist durchweg positiv. Die stehen dir wirklich mit Rat zur Seite und drängen einen nicht in eine bestimmmte Richtung.

Ich wünsche dir viel Kraft für die kommenden Entscheidungen.

Liebe Grüsse
Ute
P.S. Wenn du reden möchtest schick mir eine Mail <!-- BBcode auto-mailto start --><a href="mailto:"></a><!-- BBCode auto-mailto end -->

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unknown

Beitrag von unknown » 07.12.2004, 21:58

Hallo Esther,
Ich weiß genau, wie du dich fühlst. Mein Mann hat CML (Diagnose April 2004) und anfangs hat es uns verrückt gemacht, dass kein Arzt uns die Entscheidung abnehmen kann, ob KMT oder nicht. Ich denke, jeder muss das mit sichselber ausmachen. Unser Arzt hat nur gesagt, dass bei jungen Leuten eher zu einer KMT geraten wird, da dies der einzige Weg zur Heilung ist. Das Problem bei der medikamentösen Behandlung (Glivec) ist nun mal, dass keine Langzeitwerte vorliegen und man nicht genau weiß, ob man die Krankheit damit für immer in Schach halten kann. Und bei jungen Leuten wie du sind die Überlebenschancen einer KMT glaube ich schon höher als bei älteren Leuten. Ein Risiko ist natürlich immer da, aber wer sagt denn was das Leben uns noch alles bringt. Ich denke, du solltest in dich hineinhorchen und überlegen welche Ziele du im Leben hast. Es wird eine schwere Entscheidung werden. Leider weiß man oft erst im nachhinein, ob die Entscheidung richtig war oder nicht. Ich wünsche dir auf jeden Fall viel Kraft und Zuversicht für die Zukunft.
Liebe Grüße, Jolanda <IMG SRC="modules/phpBB_14/images/smiles/icon_confused.gif">

unknown

Beitrag von unknown » 07.12.2004, 20:50

Hallo Georg und co!
Ich heiße Esther und ich habe das gleiche Problem wie Georg. Keiner in dieser Ärztewelt kann einem wirklich sagen was jetzt das richtige ist. Ich habe jetzt drei Ärzte getroffen, die mir alle etwas anderes erzählt haben.
Arzt 1: Dieser sagt, dass eine KMT unbedingt so schnell wie möglich durchgeführt werden muss, da unter dem 25. Lebensjahr die Chancen viel besser sind und die KMT vorraussichtlich erfolgreich verläuft. Deshalb hat dieser Arzt schon im Oktober diesen Jahres gesagt, dass ich mein Abi für nächstes Jahr vergessen sollte und lieber schnell die KMT hinter mich bringen sollte.
Meine Werte sind übrigens gut. Ich vertrage Glivec zwar eher mittelmäßig liege aber jetzt bei einem Befall von 0,07%.

Arzt2: Dieser Arzt rät mir mein Abitur zu ende zu machen und mich dann der KMT hinzugeben, da die Heilungschancen mit Glivec nicht sehr gut sind. Es kann halt keine vollständige Heilung erreicht werden und keiner weiß ja auch so richtig, wie sich das Medikament so auf den Körper auswirkt die nächsten 40-60 Jahre.

Arzt3: Dieser Arzt sagt, dass eine medikamentöse Therapie, also Glivec, die bessere ist, da bei einr KMT zu viele Risikofaktoren und bleibende Einschränkungen eine Rolle spielen. Beispielsweise: keine Kinder, erhöhtes Krebsrisiko, andere Krankheiten (grauer Starr, Lungenschaden, etc)

Das war jetzt nur mal die Kurzfassung.
Meine Eltern tendieren eher zu Arzt3, da seine Methode weniger belastend ist. Aber ich meine: Wir sind doch hier nicht in einer Game SHOW! Ich meine, keiner dieser Ärzte fragt sich mal wie das für mich ist. Ich stehe so im Wind, dass ich schon versuche nach Sympathie gegenüber den Ärzten zu entscheiden welcher weg der richtige ist. Ich meine: woher soll ich wissen, wer quatsch erzählt? Welcher Arzt hat die richtige Kompetenz un nötige Erfahrung um mich richtig zu beraten?
Alles was ich höre ist: Letztendlich müssen sie es entscheiden!
Ich bin 19! Ich habe nie Medizin studiert und in den meisten Bioklausuren mit 3-4 abgeschnitten. Wie soll ich entscheiden?

Was meint ihr?
Und was hat Georg denn nun gemacht?

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