CML und arbeiten ...

Wie gehe ich mit Leukämie im Alltag um? Wie unterstütze ich als Freund oder Angehöriger? Welche Erfahrungen gibt es bezüglich Rente, Behindertenausweis, Psychotherapie, Kur?

Moderatoren: jan, NL, Marc

AndreaA.
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Beitrag von AndreaA. » 07.07.2003, 23:27

Hallo Martin,

erstmal hätte ich den Verdacht einer wie auch immer gearteten Depression weit von mir gewiesen, aber wenn ich so überlege könntest Du recht haben! Ich habe zwar auch erstmal nicht das Gefühl ständig traurig zu sein oder so, aber nach 1 1/2 Jahren Interferon ist ja wirklich alles besser als das!
Ich hab mich mal beobachtet und stelle fest, daß wenn ich meine geliebte Routine habe, ich auch recht stressfrei "funktioniere". Also keine schwarzen Gedanken oder Gefühle. Aber wehe ich muß mich Problemen stellen, die in mein "normales" Leben einbrechen. Die kann ich nicht mehr als Herausforderung nehmen, dazu fehlt mir die Energie, sondern die sind einfach "Belastung". Eine reaktive Depression ist also wirklich nicht abwegig.
Ich hab mal ein bischen über Freund Google nachgelesen, und anscheinend praktiziere ich einige Lösungsmöglichkeiten schon seit längerem. Z.B. die ewig langen Spaziergänge mit meinen Hunden durch die Natur, das ist Entspannung pur (außer an einem Sonntag Nachmittag bei Sonnenschein! Da ist die ganze Welt im Wald, und anscheinend mindestens zur Hälfte Hundehasser!) Naja, sowas sollte ich eigentlich gewohnt sein! ;o)
Aber mal zu Deiner Psychologin. Wird die einfach so von der Krankenkasse bezahlt? Soweit ich weiß, muß man doch eine Psychotherapie erst beantragen, und dann bezahlt die Krankenkasse auch nur einen Teil und auch nicht unbefristet?

Dieses Anstreichen beim Lesen hab ich übrigens früher oft gemacht, aber noch nie bei einfachen Romanen die ich zu meinem Vergnügen gelesen habe. Und ebenso ein Roman liegt seit drei Jahren auf meinem Nachtschränkchen. <IMG SRC="modules/phpBB_14/images/smiles/icon_eek.gif">(

Übrigens stelle ich auch immer wieder eine gewisse Vergesslichkeit fest. Ich hab doch schon wieder gleich morgens vergessen, ob ich meine Medikamente genommen habe oder nicht! Ich frühstücke nicht, deshalb nehme ich Glivec morgens mit meinem Milchkaffee. Letzt war der Kaffee alle, und ich konnte mich wieder nicht daran erinnern ob ich die Kapseln genommen hatte oder nicht. Ich hab vorsichtshalber noch eine Dosis genommen, weil ich dachte, ist vielleicht besser als gar nichts .... Echt, das nervt!

Vielleicht sollte ich wirklich mal einen Psychologen aufsuchen! Über Tips wäre ich sehr dankbar, zumal ein Psychotherapeut ja nicht ganz billig ist! <IMG SRC="modules/phpBB_14/images/smiles/icon_eek.gif">(

Liebe Grüße, und Danke Martin! Und vor allem Dir auch alles Gute!!!
Andrea
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Martin
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Beitrag von Martin » 29.06.2003, 10:38

Hallo Andrea,

vielleicht kann ich Dir zu Deinen Problemen ein paar praktische Tipps geben. Auch ich habe bei mir ca. 3/4 Jahr nach der Diagnose ganz ähnliche Symptome bemerkt wie Du sie schilderst (z.B. Konzentrationsschwäche, keine Ausdauer mehr bei geistiger Beanspruchung). Ich habe CLL und bekam damals keinerlei Medikamente. Eine Psychologin diagnostizierte bei mir aufgrund der oben genannten Symptome eine "reaktive Depression". Als Laie hätte ich mich damals keinesfall als depressiv bezeichnet, ich war nicht ständig traurig oder so.

Was mir erst einmal half, war das Erlernen einer Entspannungstechnik, in meinem Fall der Progressiven Muskelentspannung. Zum zweiten war und bin ich regelmäßig bei dieser Psychologin in Behandlung. Bei den Sitzungen hilft sie mir eigentlich nur, meinen ab und an wirren Kopf zu ordnen - das hat also nichts mit Tiefenpsychologie oder herkömmlicher Psychoanalyse zu tun.

Außerdem ist mir aufgefallen, dass, wenn ich Texte, die meine Erkrankungen betreffen, aus dem Englischen übersetze, ich gezwungen bin, diesen Text intensiv zu lesen. Ich kann naturgemäß nicht übersetzen, wenn ich mich ständig von irgendwelchen Gedanken ablenken lasse. Genauso müßte es eigentlich funktionieren, wenn man beim Lesen das wichtigste unterstreicht. Auch dadurch zwingt man sich, sich auf den Text zu konzentrieren. Es kommt mir zwar selbst komisch vor, einen Roman mit Bleistift zu lesen, aber wenn´s zumindest als Einstieg hilft!

Alles Gute

Martin

AndreaA.
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Beitrag von AndreaA. » 27.06.2003, 17:51

Pascal, wo Du recht hast, hast Du recht! :) Das Leben ist wirklich zu kurz, um gesellschaftlichen idealen hinterherzurennen, zumal die auch nie meine waren. (Sonst wäre ich nicht im Nachdienst hängengeblieben)
Danke und alles Gute für Dich!
Andrea
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unknown

Beitrag von unknown » 24.06.2003, 02:15

Hallo Andrea!

Ich war sicher noch nie sonderlich systemkonform oder karrieregeil - aber die CML und das Nachdenken auf der Station darüber haben mich endgültig davon geheilt, blind gesellschaftlichen Idealen hinterherzurennen.
Daher:
Frag Dich nicht "ob es das schon gewesen sein könne", sondern freue Dich erst mal daran, daß es gesundheitlich einigermaßen zu laufen scheint, und daß Du eine Aufgabe gefunden hast, mit der Du zufrieden bist. Ich bin überzeugt, daß das Hinterherrennen hinter angeblich 'würdigeren' Aufgaben, mit denen man aber eigentlich so oder anders herum nicht klar kommt, einen eher krank/noch kränker macht.
Halt Dich an den Bestand als eine positive Basis, und wenn es noch besser wird/werden kann, dann freu Dich drüber!

Pascal.

AndreaA.
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Beitrag von AndreaA. » 23.06.2003, 18:24

Erstmal danke für die Antworten!

Ich weiß auch nicht, aber die Diagnose selbst war für mich gar nichtmal schlimm. Die Ungewißheit vorher mit den stetig steigenden Leukozyten und Thrombozyten, und dem abnehmenden HB, das war irgendwie schlimm. Die Diagnose hat dann mit dieser Ungewißheit aufgeräumt, und ich war eigentlich froh zu wissen woran ich bin.
Ich bin auch gleich in eine STI-Studie aufgenommen worden, kam aber in die mit Interferon behandelte Kontrollgruppe. Das entschied Novartis, und nichtmal meine behandelnden Ärzte hatten Einfluß darauf. Und da ging es mir, bis Novartis die Bedingungen lockerte und ich in den STI-Arm wechseln konnte, richtig schlecht. Ich war einmal soweit, daß ich die Behandlung wirklich hingeschmissen habe. Ich hab damals das Interferon und AraC einfach abgesetzt, denn wenn weiterleben bzw. längerleben "so" aussieht, dann wollte ich lieber NICHT noch länger leben. Ich hatte die Schnauze sooo voll! <IMG SRC="modules/phpBB_14/images/smiles/icon_frown.gif">

Arbeiten, zumal Nachtdienst, das wäre nicht gegangen. Nachtdienst ist schon als gesunder Mensch eine große Belastung, unter Interferon ... niemals! Ich war auch ganz ohne Belastungen fast nicht in der Lage meinen Tag zu bewältigen, weil ich einfach überhaupt nicht hochgekommen bin. <IMG SRC="modules/phpBB_14/images/smiles/icon_frown.gif">

Naja, jetzt mit Glivec (oder besser gesagt STI-571, ich bekomme das Studienmedikament) geht es mir wirklich super. Und wenn man es genau nimmt, dann "arbeite" ich ja auch. So ganz ohne Aufgabe konnte ich halt nicht sein, und so nehme ich wieder Tierschutzhunde in Pflege, zusätzlich zu meinen eigenen. Ich mache täglich eine etwa 4 1/2 bis 5-stündige Wanderung mit meinen jetzt sechs Hunden, und das macht mir Spaß und tut mir gut. Aber dafür bekomme ich ja kein Geld, im Gegenteil. Das Futter für die Pflegehunde bezahle ich aus eigener Tasche. Aber das jetzt mal nur am Rande.

Wie gesagt, körperlich geht es mir prima! NUR, da wäre eben diese große Schwierigkeit, mich über längere Zeit auf etwas zu konzentrieren, und diese verminderte Aufnahmefähigkeit. Ich hab mein Leben lang gelesen, und nicht nur Romane sondern auch Fachbücher, daher habe ich durchaus einen Vergleich. Ich habe früher Texte mit Leichtigkeit erfasst und verstanden. Heute muß ich manchmal dreimal lesen! Das ist schon frustrierend, zumal ich mal mit dem Gedanken gespielt hatte, nochmal eine Umschulung zu machen. Nutzt mir gar nix, wenn ich nicht "lernen" kann. <IMG SRC="modules/phpBB_14/images/smiles/icon_frown.gif">

Ich denke mal, so rein privat bin ich auf dem richtigen Weg. Ich mache was mir Spaß macht, eben mit Hunden umgehen, und ich tue auch was für die Allgemeinheit indem ich Wegwerfhunde bis zu ihrer Vermittlung in Pflege nehme, und ihnen solange sie hier sind auch noch einiges beibringe bzw. abgewöhne :) , aber ob´s das mit 39 schon gewesen ist? Hm! Und all das mache ich ja unentgeltlich, d.h. ich muß trotzdem auf Sozialhilfeniveau leben, was mir manchmal wirklich Existenzängste beschert.

Ich wünschte einfach, ich wäre noch so aufnahmefähig und "auf Zack" wie früher, aber das ist wohl wirklich vorbei. <IMG SRC="modules/phpBB_14/images/smiles/icon_frown.gif">

Liebe Grüße, und euch allen alles Gute,
Andrea



jan
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Beitrag von jan » 22.06.2003, 01:07

Liebe Andrea,

die anfänglichen Beschwerden, die Du beschreibst, scheinen typisch für Interferon zu sein. Ich habe bei anderen Patienten schon verschiedenstes kennengelernt - von der Abwesenheit von Nebenwirkungen bis hin zu einer hochschwierigen "Interferon-Wolke", die das ganze Befinden völlig überschattet.

Ich selbst habe nach der Diagnose krankheitsbedingt keine zwei Tage in der Arbeit gefehlt - mir war es damals sehr wichtig, an meinem bisherigen Leben festzuhalten; wäre ich zuhause geblieben, wäre ich vielleicht in ein großes Loch gefallen und nur schwer wieder rausgekommen. Ich arbeite seitdem ganz normal und konnte bei mir eigentlich keine Glivec-/Interferon-bedingten Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit beobachten - abgesehen von der Tatsache, dass ich in den Monaten nach der Diagnose gedanklich sehr oft weit von der Arbeit entfernt war, was aber eher auf das Zurechtkommen mit der Tatsache der Krankheit als auf die Medikamente zurückzuführen ist... Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich die CML gedanklich als Teil meines Lebens akzeptiert habe, ohne mich ständig im Alltag mit ihr zu beschäftigen.

Ansonsten schließe ich mich Peters und Gerhards Anmerkungen an - suche Dir eine Aufgabe, die Dich fordert, auch wenn das Überwindung kostet oder Du heute noch nicht weisst, ob Du sie bewältigen kannst. Ob diese gleich beruflicher Natur ist oder z.B. etwas Gemeinnütziges - versuche Dir einfach ein Ziel zu setzen, das Dir Spaß machen könnte. Wenn sich da dann ein Erfolg zeigt, wirst Du sehen, wie die Energie und das Selbstvertrauen, Dinge anzupacken, zurückkehrt... Konzentration und Lernwille kommt dann wie von allein.

Ich wünsche Dir gute Nerven und viel Kraft dabei.

Herzliche Grüße
Jan
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unknown

Beitrag von unknown » 21.06.2003, 21:49

Hallo Andrea

Als Partner in einer Firma war ich unter grossem Druck, weiter zu arbeiten. Dabei handelte es sich typisch um 60 Stunden pro Woche. Mit Glivec war ich der Situation immer weniger gewachsen und bewegte mich völlig am Limit. Dabei stellte ich fest, dass vor allem zu Hause die Konzentration weg war. Beim Kunden hingegen ging es sehr einfach. Seit 2 Monaten bin ich wieder auf Litalir und voller Energie. Glivec beeinflusste mindestens bei mir die Leistungsfähigkeit.

Als Tip: Suche eine Arbeit, bei der Du nicht auf Termine hin arbeiten musst. Es geht viel einfacher, konzentriert in einem Team zu arbeiten, welches im Notfall auch Deine Arbeit übernehmen kann. Damit lässt sich der Druck auf die Leistungsfähigkeit kleiner behalten.

In jedem Falle rate auch ich Dir zum "Wiedereinstieg". Arbeit in einem Team hilft. Zudem habe ich gute Erfahrungen mit meinen Kollegen gemacht. Sie schätzen meine Arbeit heute noch mehr als früher.

Nun wünsche ich Dir viel Kraft und alles Gute bei der Stellensuche.

Peter

P.S: Ich habe einen Spender gefunden und werde voraussichtlich im August transplantiert

unknown

Beitrag von unknown » 21.06.2003, 00:39

Hallo Andrea,

ich finde es ganz wichtig, dass Du wieder ins Leben kommst. Du brauchst Ziele, die Du angehen kannst. Das stärkt Deinen Lebenswillen. Und dieser Lebenswille wird auch Deine Gesundheit positiv beeinflussen. Du musst die Krankheit mit dem Kopf angehen.

Such Dir eine Arbeit, die Dich interessiert, wenn es auch nur aushilfsweise ist. Lese ein Buch, das Du schon immer lesen wolltest. Informier Dich mehr über die Krankheit und die Behandlungsmöglichkeiten. Achte bewußt auf gesunde Ernährung. Du mußt eine positive Einstellung zum Leben und auch zur Krankheit entwickeln. Sieh die Krankheit als Chance zum Wachsen. Trau Dir einfach mehr zu. Es funktioniert.

Ich hoffe, dass ich Dir weiterhelfen konnte.

Viele Grüße

Gerhard

AndreaA.
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Beitrag von AndreaA. » 20.06.2003, 22:49

Hallo zusammen,

jetzt muß ich doch mal fragen wie Ihr so lebt und vor allem ARBEITET! Ich habe vor meiner Erkrankung (CML) in einer Behinderteneinrichtung im Nachtdienst gearbeitet, wurde aber nach einer kurzen Phase mit Litalir gleich mit Interferon (9 Mill. Einheiten/Tag) und AraC behandelt. Das hat bei mir derartige Erschöpfungserscheinungen, Müdigkeit, Schlafstörungen und Depressionen hervorgerufen, daß ich dem Nachtdienst in keinster Weise mehr gewachsen gewesen wäre. Auch Früh,-bzw. Spätschicht wäre mir nicht mehr möglich gewesen, deshalb habe ich meine Rente beantragt, und lebe jetzt von eine sehr kleinen Erwerbsunfähigkeitsrente (plus Sozialhilfe, weil´s nicht reicht).

Inzwischen bekomme ich Glivec, was sehr (!) zur Verbesserung meiner Lebensqualität beigetragen hat. Ich bin körperlich eigentlich ziemlich fit und fühle mich auch soweit gesund, kann gut schlafen, und Depressionen habe ich auch keine mehr. ABER, irgenwie fühle ich mich trotzdem erschöpft, und das ist nicht körperlicher Natur. Ich kann mich nur schlecht länger auf etwas konzentrieren (ich Leseratte hab seit meiner Erkrankung kein Buch mehr angerührt), ich bin zerstreut, und ich habe so eine Art "Lernblockade". Dazulernen fällt mir wirklich schwerer als früher. <IMG SRC="modules/phpBB_14/images/smiles/icon_frown.gif">

Ich würde gerne wieder "irgendetwas" arbeiten, schon um von der Sozialhilfe wegzukommen, aber meinem früheren Job fühle ich mich nicht gewachsen, obwohl es mir EIGENTLICH gut geht. Wie macht ihr denn das? Und habt ihr irgendeine Idee, wie ich gegen diese Zerstreutheit, Konzentrations,-und Lernschwäche vorgehen kann? Natürlich ohne Glivec absetzen zu müssen? :wink:

Erzählt doch mal von euch, bitte!

Liebe Grüße,
Andrea
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