Das Sozialgericht Hamburg hat unter dem Aktenzeichen S 35 KR 118/10 entschieden, dass die Krankenkasse zur Übernahme der Kosten einer rund 110.000 EUR teuren allogenen Stammzelltransplantation einer 72-jährigen Versicherten verpflichtet ist. Nicht das Alter, sondern der körperliche Allgemeinzustand sei für die Bewertung ausschlaggebend, ob eine Behandlung zu riskant ist. Die Zahlungspflicht der Krankenkasse ist nicht davon abhängig, ob sie zuvor eine Kostenzusage gemacht hat.
Die Versicherte litt an einem myelodysplastischen Syndrom /MDS). Nachdem die Erkrankung in eine akute Leukämie überging, sah das Krankenhaus eine Stammzelltransplantation als erforderliche Therapie an. Die klagende Klinik sei gemäß ihrem Versorgungsauftrag zur lebenserhaltenden Behandlung verpflichtet gewesen.
Die beklagte Krankenkasse lehnte jedoch die Kostenübernahme unter Berufung auf die "Clearingstelle Knochenmarkspenderegister" der Spitzenverbände der Krankenkassen mit der Begründung ab, das Verfahren sei für eine 72-Jährige nicht ausreichend erprobt und nur im Rahmen einer klinischen Studie durchführbar. Ohne eine solche verstoße die Behandlung gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot. Das Hamburger Sozialgericht gab nun der Klage des Krankenhauses statt.
Laut Juris.de führte der vom Gericht bestellte medizinische Sachverständige aus, dass die allogene Stammzelltransplantation auch bei einer 72-Jährigen kein experimentelles Verfahren darstelle. Im Jahr 2011 seien bereits 16% aller transplantierten Patienten über 65 Jahre alt gewesen, denn nicht das absolute Alter, sondern der Allgemeinzustand sei für die Risikoabwägung der Behandlung ausschlaggebend. Bei der Versicherten hätten keine Begleiterkrankungen vorgelegen, vielmehr sei – bei erfolgreicher Behandlung der Bluterkrankung – mit einer normalen Lebenserwartung zu rechnen gewesen; ohne die erfolgte Stammzellentransplantation wäre die Patientin innerhalb eines Jahres verstorben.
Da evidenzbasierte Studien über den Erfolg der Stammzellentherapie nicht vorlägen, sei für die Risiko- Nutzenanalyse der streitigen Behandlung auf die veröffentlichten Zahlen des europäischen Krebsregisters abzustellen, wonach ein Erfolg der Therapie in der Altersgruppe der Patientin zu 50% zu erwarten gewesen sei. Die Patientin sei seither rezidivfrei.
Nach Auffassung des Sozialgerichts besteht die Zahlungspflicht der Krankenkasse unabhängig von einer vorherigen Kostenzusage der Krankenkasse. Der Zahlungsanspruch des Krankenhauses korrespondiere mit dem Anspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung. Dabei sei allein entscheidend, ob die Krankenbehandlung im Einzelfall medizinisch erforderlich sei. Das Gericht ist dem Gutachten des medizinischen Sachverständigen gefolgt, wonach für die Patientin keine therapeutische Alternative mit vergleichbaren Erfolgsaussichten vorlag. Eine zwingende Einbindung der streitigen Behandlung in eine klinische Studie gebe das Gesetz nicht her, da es sich bei der allogenen Stammzelltransplantation auch bei einer 72-Jährigen jedenfalls nicht um eine neue Behandlungsmethode handelt.
Auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach sich aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ergebe, dass bei Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung auch neue Behandlungsmethoden von den Krankenkassen zu bezahlen seien, wenn eine allgemein anerkannte Behandlung nicht zur Verfügung stehe und durch die neue Behandlungsmethode eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe, komme es deshalb nicht an, obwohl diese Voraussetzungen im streitigen Fall zweifelsohne gleichfalls vorlagen.
Quellen:
Juris vom 23.01.2013
Welt.de vom 24.01.2013
allogene Stammzelltransplantation
Bei der allogenen Transplantation handelt es sich um eine Form der Stammzelltransplantation, die bei malignen hämatologischen Erkrankungen zum Einsatz kommt. Dabei werden Blutstammzellen von einem Spender zu einem Empfänger übertragen (Spender und Empfänger sind hierbei nicht dieselbe Person).
Begleiterkrankung
Beschwerden oder Erkrankung(en), die zusätzlich und gleichzeitig zur Haupterkrankung auftreten, oder die Auswirkung solcher zusätzlichen Beschwerden oder Erkrankungen.
Klinische Studie
Wissenschaftliche Forschungsarbeit zur Behandlung von Krankheiten beim Menschen nach strengen medizinischen und ethischen Regeln
Transplantation
Übertragung von Gewebe. Für die Transplantation können eigene Zellen autologe T. oder fremde Zellen allogene T. verwandt werden.
Stammzellen
Stammzellen sind Blutvorläuferzellen, aus denen sich verschiedene Arten von Zelltypen wie die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) und weißen (Leukozythen) Blutzellen sowie Blutplättchen (Thrombozyten) und einige andere Zellen entstehen. Die Stammzellen befinden sich im Knochenmark und teilweise auch im Blut. Es gibt eine Anzahl von verschiedenen Entwicklungsstadien der Stammzellen (z.B. embryonale Stammzellen, aus denen sich der ganze Organismus entwickelt) oder Entwicklungsstadien aus denen nur noch bestimmte Zellarten entstehen können, z.B. Blutstammzellen, aus denen sich alle Blutkörperchen bilden.
Knochenmark
Das Innere der großen Knochen - vor allem des Hüftknochens und des Oberschenkels. Dort werden die Blut- und Immunzellen gebildet. Das Knochenmark bildet sich ständig neu.
allogen
von einem anderen Menschen stammend, z.B. Fremdspende.
Rezidiv
Neuauftreten akuter Krankheitszeichen, Rückfall nach einer Remission
akut
plötzlich einsetzend, heftig, von kurzer Dauer
Port
Zuführendes System, meist eine unter die Haut eingepflanzte Kunststoffkammer mit Venenkatheter, um eine kontinuierliche Medikamentengabe zu ermöglichen.
Gen
Informationseinheit des Erbgutes, enthält meist den Bauplan für ein Protein. Die Gene liegen im Zellkern in Form von DNS vor.
RNA
Die Ribonukleinsäure (RNA) ist der kleine Bruder der DNA . Sie ist ein einzelsträngiges kettenförmiges Molekül, das aus DNA umgeschriebene Erbinformation eines einzigen Genes enthält, und im Plasma der Zellen in das Genprodukt (= Eiweißmolekül, Protein) umgeschrieben wird (Biosynthese).
MDS
Das Myelodysplastische Syndrom (MDS) bildet eine grosse Gruppe erworbener klonaler Knochenmarkskrankheiten, die durch ein zunehmendes Versagen der Knochenmarksfunktion gekennzeichnet sind. Im Gegensatz zur aplastischen Anämie ist das Knochenmark zellreich. Da jedoch die Blutbildung (Hämatopoese) ineffektiv ist, kommt es zur peripheren Panzytopenie.
CHR
Komplette hämatologische Remission (complete haematologic response).
GUS
ß-Glucuronidase ist ein Enzym
Klinische Studie
Wissenschaftliche Forschungsarbeit zur Behandlung von Krankheiten beim Menschen nach strengen medizinischen und ethischen Regeln
Klinische Studie
Wissenschaftliche Forschungsarbeit zur Behandlung von Krankheiten beim Menschen nach strengen medizinischen und ethischen Regeln
Stammzellen
Stammzellen sind Blutvorläuferzellen, aus denen sich verschiedene Arten von Zelltypen wie die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) und weißen (Leukozythen) Blutzellen sowie Blutplättchen (Thrombozyten) und einige andere Zellen entstehen. Die Stammzellen befinden sich im Knochenmark und teilweise auch im Blut. Es gibt eine Anzahl von verschiedenen Entwicklungsstadien der Stammzellen (z.B. embryonale Stammzellen, aus denen sich der ganze Organismus entwickelt) oder Entwicklungsstadien aus denen nur noch bestimmte Zellarten entstehen können, z.B. Blutstammzellen, aus denen sich alle Blutkörperchen bilden.
allogen
von einem anderen Menschen stammend, z.B. Fremdspende.
allogen
von einem anderen Menschen stammend, z.B. Fremdspende.
akut
plötzlich einsetzend, heftig, von kurzer Dauer
Gen
Informationseinheit des Erbgutes, enthält meist den Bauplan für ein Protein. Die Gene liegen im Zellkern in Form von DNS vor.
Gen
Informationseinheit des Erbgutes, enthält meist den Bauplan für ein Protein. Die Gene liegen im Zellkern in Form von DNS vor.
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