Prof. Sawicki, Leiter des "Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen" (IQWiG) in Köln, hält die Kritik der Hämato-Onkologen am IQWiG für nicht angemessen (siehe Deutsches Ärzteblatt 36/2006: "Nachgefragt"). In einem Leserbrief antworten nun Dr. Dr. Carlheinz Müller, Geschäftsführer des ZKRD, und Prof. Dr. Hubert Schrezenmeier, Institut für Klinische Transfusionsmedizin und Immungenetik der Universitätsklinik Ulm, stellvertretend für 25 Verfasser, und erneuern ihre Kritik an der Vorgehensweise des IQWiG zum Thema Stammzelltransplantationen.

Stammzellspende: Maßlos enttäuscht



Der vom IQWiG im Juli publizierte Vorbericht zur "Stammzelltransplantation bei den Indikationen Akute lymphatische Leukämie (ALL) und Akute myeloische Leukämie (AML) bei Erwachsenen" hat zu einer Welle heftiger Kritik aus den Fachkreisen geführt. Maßlos enttäuscht sahen wir im DÄ 36/2006, wie Herr Prof. Sawicki in seinem Interview die bei der Anhörung im IQWiG am 29. August dann mühsam errungene Basis für eine konstruktive Zusammenarbeit an der Lösung des Dilemmas wieder existenziell gefährdet. Wir haben im Juli innerhalb von nur drei Wochen den fast 300 Seiten und 1.000 Literaturzitate umfassenden Vorbericht in einem vom IQWiG eng vorgegebenen Korsett kommentiert...
  1. Der Vorbericht ignoriert Quantensprünge des medizinischen Wissens, insbesondere die molekulargenetischen Methoden in der Risikoeinstufung akuter Leukämien und der Auswahl von nicht-verwandten Spendern. Damit bezieht sich der Vorbericht nicht auf die aktuelle klinische Realität.

  2. Weder die einschlägigen deutschen Studiengruppen noch das Deutsche Register für Stammzelltransplantationen wurden wegen unveröffentlichter Daten kontaktiert, obwohl dies zum Konzept gehört hätte. Der Versuch des IQWiG, das jetzt in eine Bringschuld umzuwandeln, ist unseriös...

  3. Für die wichtigste der vier untersuchten Fragen, nämlich der Überlegenheit der Transplantation mit nicht-verwandten Spendern über die konventionelle Chemotherapie bei ALL/AML, verblieben nach dem Screening von über 5.000 Literaturstellen keine einzige nach IQWiG-Kriterien verwertbare für die AML und gerade eine einzige (zweitrangig publizierte) für die ALL. Allein das hätte eigentlich unmittelbar zu einer kritischen Überprüfung und Revision der Methodik führen müssen.

  4. Insbesondere ist bekannt und vom IQWiG auch nicht bestritten, dass bei Hochrisikoformen der akuten Leukämien die Überlebenschancen mit Chemotherapie allein katastrophal sind, dass mit Transplantationen verwandter Spender substanzielle Heilungsraten, oft von 30 bis 50 Prozent, erzielt werden können und dass inzwischen die Ergebnisse der Transplantation von nicht-verwandten Spendern gleichwertig, manchmal sogar besser sind. Indirekte Vergleiche, die aus solchen vielfach belegten Einzelaussagen die der Chemotherapie überlegene Wirksamkeit der Transplantation mit nicht-verwandten Spendern ableiten können, werden vom IQWiG aber aus prinzipiellen Gründen abgelehnt...

Bei der Anhörung wurde auf Nachfrage bestätigt, dass sich das IQWiG bis dato mit den so kurzfristig eingeforderten schriftlichen Stellungnahmen inhaltlich noch nicht auseinandergesetzt hatte. Noch enttäuschender ist allerdings, dass schriftlich formulierte und mündlich vorgetragene Kritikpunkte, deren Berücksichtigung bei der Anhörung ausdrücklich zugesichert wurde, nun im Interview erneut ignoriert werden. So wird beispielsweise wieder behauptet, dass mittels sogenannter biologischer Randomisation (Spender vorhanden oder nicht) ein Vergleich von nicht-verwandter Transplantation mit Chemotherapie möglich wäre. Das wurde in der Anhörung mehrfach diskutiert und von uns entkräftet, da seit rund zehn Jahren über 80 Prozent, derzeit fast 90 Prozent aller Patienten einen geeigneten verwandten oder nicht verwandten Spender finden und für den Rest auch haploidentische Transplantationen (von Eltern, Kindern oder nicht-identischen Geschwistern) oder Transplantationen von Plazentarestblut infrage kommen. Die geringe Zahl der Hochrisikopatienten, denen eine Transplantation mangels Spender gänzlich versagt bleibt, macht es unmöglich, in praktikabler Zeit eine ausreichende Kontrollgruppe zu bekommen.

Zusätzlich wird im Interview unserem Vorgehen die Sachlichkeit abgesprochen und gleichzeitig die Qualität unserer Argumente pauschal infrage gestellt, ohne sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Von der Qualität unserer Argumente wird sich die Öffentlichkeit selbst überzeugen können, sobald das IQWiG endlich von seinem Recht Gebrauch macht, auch unsere Stellungnahmen zu veröffentlichen... Wenn dieses Interview die Lernfähigkeit und Kooperationskultur des IQWiG widerspiegelt, wie ist es dann um seine Bereitschaft bestellt, sich ernsthaft und ergebnisoffen mit aktuellem klinischen Sachverstand beraten zu lassen? ... 

Wenn das IQWiG noch ernsthaft an einer konstruktiven Kooperation interessiert ist, sollte Prof. Sawicki baldmöglichst das Gespräch mit den für die Überarbeitung des Vorberichtes wichtigen Schlüsselpersonen suchen, um die erforderliche Vertrauensbasis herzustellen.

Stellvertretend für 25 Verfasser:

Dr. Dr. Carlheinz Müller, Geschäftsführer des Zentralen Knochenmarkspender-Registers
für die Bundesrepublik Deutschland gGmbH, Helmholtzstraße 10, 89081 Ulm

Prof. Dr. Hubert Schrezenmeier, Institut für Klinische Transfusionsmedizin und Immungenetik, Universitätsklinik Ulm, Helmholtzstraße 10, 89081 Ulm

(Für 20 Transplantationszentren, mehrere deutsche und internationale Studiengruppen zur ALL und AML, die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Knochenmark- und Blutstammzelltransplantation [DAG-KBT], die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie [DGHO], die Deutsche Leukämie- und Lymphom-Hilfe, das Deutsche Register für Stammzelltransplantation [DRST], die DKMS Deutsche Knochenmarkspenderdatei, die European Group for Blood and Marrow Transplantation [EBMT], das Kompetenznetzwerk "Akute und chronische Leukämien" und das ZKRD – Zentrales Knochenmarkspender-Register Deutschland)

Quelle: Deutsches Ärzteblatt 103, Ausgabe 43 vom 27.10.2006, Seite A-2857



Nachgefragt: Peter Sawicki


Interview mit Prof. Dr. med. Peter Sawicki, Leiter des IQWiG in Köln, Erschienen am 08.09.2006 im Deutschen Ärzteblatt:

DÄ: Muss das IQWiG seine Abläufe der Begutachtung nachjustieren? Hat die Kritik der Onkologen in Teilen auch Berechtigung?

Sawicki: Das IQWiG hat sich bewusst für ein möglichst transparentes Vorgehen entschieden. Das ist der Grund, warum Berichtsplan, Vorbericht und Abschlussbericht breit veröffentlicht und zur Diskussion gestellt werden. Damit nehmen wir in Kauf, dass unsere Transparenz als Angriffsfläche gegen das Institut missbraucht werden kann. Wir werden nicht davon abweichen, unsere Berichte in einer vorläufigen Version zu publizieren, detailliert zu diskutieren und ggf. zu modifizieren, auch wenn dies weiter zu Versuchen einer Diskreditierung des Institutes führt. Wir halten die Kritik der Hämato-Onkologen nicht für angemessen. Wir sind gern bereit, bislang unpublizierte Daten zu berücksichtigen, fragen uns aber, warum dies erst jetzt geschieht, obwohl alle maßgeblichen Experten seit Monaten über unser Projekt informiert waren.

DÄ: Muss das IQWiG für die Begutachtung zelltherapeutischer Verfahren andere Maßstäbe anwenden als für Arzneimittel, für die es gute Alternativen gibt?

Sawicki: Es ist gerade das Grundprinzip der Arbeit des IQWiG, dass die Methoden und Maßstäbe durch die konkrete klinische Frage vorgegeben werden. Das ändert aber nichts daran, dass es bei der Beurteilung fast aller medizinischen Interventionen um den Vergleich zwischen Alternativen geht. Wir haben dazu im Vorbericht „kontrollierte klinische Studien“ gefordert. Der Begriff schließt viele mögliche Konzepte ein, unterstellt wurde uns aber, wir würden ausschließlich „randomisierte Studien“ zulassen. Das ist schlicht falsch. Bei der Stammzelltransplantation ist solch ein direkter Vergleich auch durch andere Typen „kontrollierter“ Studien relativ einfach durchzuführen: Nicht für alle Patienten kann ein passender Stammzellspender gefunden werden. Daher wird bei einem Teil dieser Patienten trotz der Intention keine Stammzelltransplantation durchgeführt. Es gilt nun, die Prognose dieser Patienten fair mit dem Verlauf bei Patienten nach erfolgter Transplantation zu vergleichen und zu publizieren. Es wäre schön, wenn auch zu der im Bericht behandelten Fragestellung in den letzten zehn Jahren vergleichende Therapieergebnisse systematisch publiziert worden wären. Jetzt muss man es möglichst schnell nachholen.

DÄ: Schätzt das IQWiG die Art der Kritik noch als fair ein, oder bedarf es in Deutschland einer neuen Kultur der wissenschaftlichen Auseinandersetzung?

Sawicki: Wünschenswert wäre eine Streitkultur, die die direkte, gerne auch harte, inhaltliche Auseinandersetzung sucht und nicht per Pressekonferenz darauf abzielt, Andersmeinende ins Abseits zu drängen. Solch eine aggressive Strategie wählt man nur, wenn man andere öffentlich beschädigen will, nicht weil man die besseren Argumente hat. Als "Erfolg" wird aber leider häufig gewertet, dass man eine bestimmte Lehrmeinung durchsetzt und nicht, dass man in einer fairen Abwägung des Für und Wider den momentanen Stand der Erkenntnis einschließlich der weißen Flecke auf der Wissenslandkarte ehrlich darstellt und im Sinne der Steigerung der Versorgungsqualität über weitere Schritte nachdenkt. Uns geht es nur darum zu beschreiben, welche Patienten von einer Fremdspenderstammzelltransplantation sicher profitieren, welchen diese Transplantation schadet und bei welchen wir es nicht wissen.

Quelle: Deutsches Ärzteblatt 103, Ausgabe 36 vom 08.09.2006, Seite A-2277 / B-1977 / C-1909

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