CML2011 WeimarAm 11./12. November 2011 fand in Weimar das CML-Forum 2011 in Verbindung mit der 100. Sitzung der Süddeutschen Hämatoblastosegruppe statt. Im Rahmen der Veranstaltung trafen sich rund 140 CML-Experten aus allen Teilen Deutschlands, um über neue Möglichkeiten zur individualisierten Therapie der CML sowie über die Vorbereitung und die Ergebnisse nichtkommerzieller CML-Studien in Deutschland zu sprechen. Knapp 30 Fachvorträge gaben einen Einblick in aktuelle und geplante nichtkommerzielle klinische Studien sowie Grundlagenforschung, Diagnostik und Gesundheitsökonomie im Kontext der CML.

Die 100. Sitzung der Süddeutschen Hämatoblastosegruppe, die seit den 70er Jahren u.a. die Biologie und Therapie der CML erforscht, wurde eröffnet von Prof. Andreas Hochhaus,  Direktor der Abt. Hämatologie/Onkologie am Universitätsklinikum Jena. Die Veranstaltung wurde von einem Festvortrag von Prof Hoelzer zur 100. Sitzung der SHG begleitet, in dem er die bedeutenden Fortschritte der SHG im Bereich der  CML-Forschung in den letzten Jahrzehnten würdigte.

Im Anschluss fanden 29 kurze Fachvorträge von Experten aus den verschiedensten Gebieten der CML-Forschung und Therapie statt. Themen waren z.B. Ergebnisse aus der CML-IV-Studie, ein Ausblick auf die kommende CML-V/TIGER- und EUROSKI-Studie, Ergebnisse und Konsequenzen der Studien zu Zweitgenerations-Medikamenten, Studien zur CML-Therapie in niedergelassenen Praxen,  Vorträge zur Bedeutung der Gendiagnostik und Molekulardiagnostik bei CML, zu Therapien bei T315I-Mutationen, zu Interferon-Wirkmechanismen, zur Therapietreue und zur Stammzelltransplantation. Jan Geissler trug als informierter Patient zentrale Themen der CML-Therapie aus Patientensicht vor.

CML-IV-Studie: CML-Überleben ähnlich der gesunden Bevölkerung

In die CML-IV-Studie, zu denen mehrere Sprecher verschiedenste Analysen der 5-Jahres-Daten vorstellten, wurden zum jetzigen Zeitpunkt in 211 deutschen Kliniken und Praxen 1537 Patienten in Deutschland eingeschlossen. Von den anfänglich fünf Therapiearmen der Studie nehmen heute noch drei Patienten auf: nebenwirkungsangepasstes Hochdosis-Imatinib (mit anfangs 800mg/Tag), Imatinib-Standarddosis (400mg/Tag), und Imatinib in Kombination mit Interferon. Die Hochdosis-Variante unterscheidet sich dabei insofern von allen anderen ähnlichen CML-Studien, dass die 800mg bei Nebenwirkungen recht schnell nach unten angepasst wurde - so sollten Patienten individuell auf eine gut verträgliche höhere Dosis als 400mg/Tag eingestellt werden, um die Wirksamkeit bei gleicher Verträglichkeit zu erhöhen. Dieser Ansatz war in der Studie erfolgreich - die durchschnittlich rund 600mg/Tag in diesem Studienarm waren bei kaum höherer Nebenwirkungsrate deutlich wirksamer als die 400mg-Standarddosis und führten zu schnelleren und besseren Ansprechraten. Insgesamt sind die Ergebnisse der CML-IV-Studie sehr hoffnungsgebend: Es waren nach 5 Jahren mehr als 9 von 10 Patienten ohne Krankheitsfortschritt,  und das Gesamtüberleben ist nahe an dem der "gesunden" Bevölkerung.

Neudefinition der "kompletten Remission" - und welche Meilensteine wirklich zählen

Interessant waren Diskussionen rund um Prognosefaktoren: Welches Therapieresultat sollte ein Patient innerhalb welcher Zeit erreichen? Ganz klar voraussagend war dabei die deutliche Unterschreitung der 10%-Marke in der PCR (BCR-ABL/ABL) binnen 12 Monaten nach Therapiebeginn.  Patienten, die diesen Schwellwert nicht erreichen, hatten eine deutlich schlechtere Prognose in Bezug auf Überleben und Progressionsfreiheit. Statistisch kaum unterschiedlich war hingegen, ob Patienten nun 1% (etwa CCR), 0,1% (MMR) oder 0,01% (MR4) BCR-ABL/ABL unterschritten.
Dies relativiert das in letzter Zeit stark überhöhte Thema "CMR", die "komplette molekulare Remission", und das nahezu zwanghaft wiederholte Ziel eines Unterschreitens der "0,1%". Die Wahrscheinlichkeit, einen Krankheitsfortschritt zu erleiden, sei unter 1% BCR-ABL/ABL kaum höher als bei 0,1%. Oder wie es ein Referent anders ausdrückte: Für die Chance, 5 Jahre nach CML-Diagnose noch am Leben zu sein, macht es in den ersten 12 Monaten keinen Unterschied, ob man eine 99%ige oder eine 99,9%ige Remission erreicht hat - prognostisch richtig ist mindestens das Erreichen einer kompletten zytogenetischen Remission.

Die deutschen CML-Experten haben sich auch im europäischen Konsens mittlerweile vom Begriff der "kompletten molekularen Remission" verabschiedet. Es besteht inzwischen Konsens unter den CML-Experten, dass eine "negative PCR" unter Tyrosinkinasehemmern lediglich bedeute, dass die Resterkrankung technisch mit den üblichen PCR-Methoden nicht mehr messbar sei, aber bei allen Patienten trotzdem noch kleine Mengen Leukämiestammzellen vorhanden seien. Da man von "komplett" daher nicht sprechen könne, wurde der Begriff "komplette molekulare Remission" (complete molecular remission, CMR) abgeschafft. Als Ersatz wird eine neue, exaktere Begrifflichkeit verwendet, die angibt, welches Niveau der Resterkrankung (BCR-ABL) in Abhängigkeit der technischem Messgrenze der verwendeten PCR unterschritten wurde: So bedeutet "MR3" eine molekulare Remission mit Reduktion um mindestens 3 Zehnerpotenzen (BCR-ABL/ABL kleiner als 0,1%), MR4 eine Reduktion um 4 Logstufen (kleiner als 0,01%), und MR4.5 um 4,5 Logstufen (kleiner als 0,0032%), usw. Dies erleichtert die Zieldefinition in kommenden klinischen Studien.

Bei hohem Risiko wird oft zu spät transplantiert

Die Kehrseite des Erfolgs der Tyrosinkinasehemmer wurde aber auch klar zur Sprache gebracht: Aufgrund der Hoffnung auf ein spätes Ansprechen würden Patienten mit Therapieversagen und schlechter Prognose oft viel zu spät transplantiert - es würde bei hohem Risiko zu lange gewartet. Hochrisikopatienten mit schlechter Prognose für das Ansprechen auf TKI-Therapie, aber noch stabiler Remission und einem gut passenden Spendertransplantat könnten durch Transplantation oftmals gerettet werden. Das Risiko sei aber groß, dass diese nach Abwarten und nachfolgendem Krankheitsfortschritt in einer dann unter Zeitdruck durchgeführten Transplantation in schlechterer Verfassung und mit vielleicht unter Zeitdruck ausgewähltem Spender ihr Leben unnötig verlören.

Stärkere Ersttherapie oder zusätzlich Interferon, um TKI irgendwann abzusetzen?

Es besteht Konsens, dass die neuen Tyrosinkinasehemmer der ersten (Imatinib), zweiten (Nilotinib, Dasatinib, Bosutinib) und dritten (Ponatinib, DCC-2036) die CML nicht heilen können. Gleichzeitig wurde die französische STIM-Studie oft zitiert, in der 42% der Patienten, die eine negative PCR erreichten, Imatinib ohne Rückfall absetzen konnten. In einer anderen, von Prof. Hochhaus (Jena) und Prof. Burchert (Marburg) durchgeführten deutschen Studie, in der 20 Patienten nach jahrelanger Imatinib-Interferon-Kombinationstherapie die Erhaltung nur noch mit niedrig dosiertem Interferon fortsetzten, erlitten sogar nur 4 einen Rückfall, die aber auf Imatinib wieder ansprechen. Die restlichen Patienten sind seit Jahren entweder ganz ohne Therapie oder unter niedrig  dosierter Interferon-Erhaltungstherapie.

Es gibt jedoch heute noch keine soliden Erkenntnisse, ob eine längere TKI-Therapie oder Interferon-Erhaltungstherapie eine höhere Stabilität einer guten molekularen Remission (MR4) ergibt. In Kürze startende Studien setzen daher an drei Stellen an:

  • die Voraussetzungen zu erforschen, unter denen Patienten für ein gefahrloses Absetzen geeignet sind;
  • die Rolle einer stärkeren Ersttherapie in Kombination mit Interferon  und Immuneffekten in der Beseitigung der Restleukämie zu prüfen;
  • die selbsterhaltenden Rest-Stammzellen mit neuen, von BCR-ABL-Hemmern unabhängigen Mechanismen zu bekämpfen.

Zur Erforschung der Rahmenbedingungen für das Absetzen wird hoffentlich im ersten Halbjahr 2012 die in mehreren EU-Ländern durchgeführte Stopp-Studie "Euro-SKI" (Stop Kinase Inhibitor) starten. In diese Studie werden Patienten aufgenommen, die mindestens 3 Jahre mit Imatinib, Dasatinib oder Nilotinib behandelt wurden und die eine MR4-Remission (<0,01% BCR-ABL bei guter Probenqualität, durchgeführt in einem von 13 definierten Laboren) erreicht haben. Demnach wird die Studie Patienten, die bereits heute unter einem der drei Medikamente seit langem in sehr guter molekularer Remission sind, in hoffentlich wenigen Monaten offen stehen.

In Erstlinienstudien wie ENESTnd wurde beobachtet, dass Nilotinib und Dasatinib in Ersttherapie nach Diagnose die Gefahr von Krankheitsfortschritten verringert wird und schneller tiefere Remissionen zu erzielen sind. Gleichzeitig ist jedoch fraglich, ob die starken Medikamente in Remission dauerhaft angewendet (und teuer bezahlt) werden müssen. Die ebenfalls 2012 startende randomisierte "TIGER-Studie" (Tasigna-Interferon GERmany, CML-V-Studie) prüft eine starke Einleitungstherapie mit Nilotinib als Ersttherapie, kombiniert mit Immunstimulation durch Interferon, mit der Option für Absetzen aller Therapien in MR4 (<0,01% BCR-ABL/ABL), oder Erhöhung der Nilotinib-Dosis bei suboptimalem Ansprechen. In der Studie wird das Langzeitinterferon Peg-Intron zur Anwendung kommen, das für CML noch nicht zugelassen ist, aber in Studien eine höhere Wirksamkeit bei besserer Verträglichkeit als "normales" Interferon gezeigt hat. Im Rahmen der Studie werden weitere aufschlussreiche Analysen durchgeführt, z.B. die Messung der Interferon-Immunantwort, die Effekte von Interferon auf leukämische Stammzellen, Prognosefaktoren bestimmter Gene, Verstoffwechselung der Medikamente und Lebensqualität. Die Studie soll beginnen "noch bevor die Schneeglöckchen blühen", so Prof. Andreas Hochhaus - wir drücken die Daumen.

Die Uniklinik Greifswald bereitet momentan an mehreren deutschen Studienzentren zusätzlich die "ENTRUST"-Studie vor, die den Stopps der Imatinib-Therapie in guter Remission prüfen soll. Vor Studieneintritt muss sich ein Patient mindestens ein Jahr in MR4 (BCR-ABL/ABL <0,01%) befinden, bevor das Medikament abgesetzt werden kann. Wird dann bei der monatlich durchgeführten PCR ein deutlicher Anstieg der Restleukämie  beobachtet, wird nicht mit Imatinib, sondern mit dem stärkeren Nilotinib  begonnen. Wenn der Patient dann wieder MR4-Remission (<0,01% BCR-ABL/ABL) erreicht und für 24 Monate darin verbleibt, wird die Therapie erneut abgesetzt.

Verschiedene Präsentationen der Veranstaltungen setzten sich zusätzlich mit den antileukämischen Effekten von Interferon auseinander. Interessant war hierbei die insbesondere die Forschungsarbeit der Uniklinik Marburg zu Nachweisen der Mechanismen von Interferon gegen schlafende Stammzellen.

Trotz Hoffnungsträgern bei T315I-Mutation: Transplantation weiterhin wichtigste Option

PD Dr. Philipp le Coutre von der Charité in Berlin präsentierte die möglichen Therapieoptionen, wenn eine T315I-Mutation festgestellt wird. Bei ca. 15% -20%aller Patienten, die eine Punktmutation von bcr-abl aufzeigen, liegt eine T315I-Mutation vor, die als einzige aller 94 bekannten Mutationen gegen alle drei zugelassenen CML-Hemmer (Imatinib, Dasatinib und Nilotinib) resistent sind. T315I ist häufig mit fortgeschrittenen Stadien der CML verbunden. Es befinden sich verschiedene Medikamente in Erprobung, darunter DCC-2036, Ponatinib - neue Daten werden auf der ASH-Konferenz im Dezember präsentiert. Trotz ermutigender erster Erfahrungen stelle bei T315I-Mutation die allogene Stammzelltransplantation weiterhin den wichtigsten Bestandteil der gegenwärtigen Therapie dar.

Bericht von Jan, ohne Gewähr.

 

 

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Jan Geissler
Völlig richtig - vielen Dank! Habe es oben korrigiert!
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bertheo
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